L 32 AS 1558/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 157 AS 22446/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1558/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Der Arbeitnehmerbegriff im Sinne des Art 39 EG ist nach der Rechtsprechung des EuGH weit auszulegen. Weder eine Teilzeitbeschäftigung noch die Höhe der Vergütung schließen die Arbeitnehmereigenschaft aus.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 21. August 2009 wird zurück gewiesen. Der Beschwerdeführer hat die im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdegegners zu erstatten.

Gründe:

Der Senat nimmt, um Wiederholungen zu vermeiden auf die Gründe der sozialgerichtlichen Entscheidung Bezug und macht sie sich zu Eigen (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Der Senat hat den Beschwerdeführer auf die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs C -22/08, C-23/08 vom 4. Juni 2009 (Vatsouras, Koupatanze) hingewiesen. Der Beschwerdeführer hat gemeint, der Entscheidung nicht entnehmen zu können, dass es sich bei den vorliegend streitigen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitslose um eine Leistung handele, die gem. Art 39 Abs. 2 EG den Zugang eines Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaates erleichtern solle, obwohl das Gericht Hinweise in diese Richtung gegeben hat (vgl. Rdn. 42 und 43 a.a.O). Dies kann jedoch vorliegend, insbesondere im Eilverfahren, auf sich beruhen. Denn der europäische Gerichtshof hat an anderer Stelle hervorgehoben, dass der Arbeitnehmerbegriff im Sinne von Art. 39 EG weit auszulegen sei. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses bestehe nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringe, für die er als Gegenleistung eine Vergütung erhalte (vgl. u. a. Urteile vom 3. Juli 1986, Lawrie-Blum, 66/85, Slg. 1986, 2121, Randnrn. 16 und 17, sowie vom 11. September 2008, Petersen, C-228/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 45). Als "Arbeitnehmer" sei jeder anzusehen, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübe, wobei Tätigkeiten außer Betracht blieben, die einen so geringen Umfang hätten, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellten. Aus dem zuletzt genannten Satz will der Beschwerdeführer ableiten, dass auch vorliegend kein Arbeitnehmerstatus anzunehmen sei. Dabei hat er allerdings außer Blick gelassen, dass der Antragsteller ursprünglich vom 9. Februar 2009 an als Teilzeitbeschäftigter mit 80, 77 % einer Vollzeitstelle beschäftigt war. Zur Aufgabe dieser Stelle ist der Antragsteller lediglich im Hinblick auf eine Erkrankung gedrängt worden. Der europäische Gerichtshof hat überdies in der o.a. Entscheidung in der eine "kurze und nicht existenzsichernde geringfügige Beschäftigung" und eine "wenig mehr als einen Monat dauernde Beschäftigung" dem Ausgangsfall zugrunde lag, unmissverständlich weiter ausgeführt:

"27 Weder die begrenzte Höhe der Vergütung noch die Herkunft der Mittel für diese Vergütung kann irgendeine Auswirkung auf die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Gemeinschaftsrechts haben (vgl. Urteile vom 31. Mai 1989, Bettray, 344/87, Slg. 1989, 1621, Randnr. 15, sowie vom 30. März 2006, Mattern und Cikotic, C-10/05, Slg. 2006, I-3145, Randnr. 22). 28 Dass die Bezahlung einer unselbständigen Tätigkeit unter dem Existenzminimum liegt, hindert nicht, die Person, die diese Tätigkeit ausübt, als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG anzusehen (vgl. Urteile vom 23. März 1982, Levin, 53/81, Slg. 1982, 1035, Randnrn. 15 und 16, sowie vom 14. Dezember 1995, Nolte, C-317/93, Slg. 1995, I-4625, Randnr. 19), selbst wenn der Betroffene die Vergütung durch andere Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts wie eine aus öffentlichen Mitteln des Wohnortmitgliedstaats gezahlte finanzielle Unterstützung zu ergänzen sucht (vgl. Urteil vom 3. Juni 1986, Kempf, 139/85, Slg. 1986, 1741, Randnr. 14). 29 Zudem führt hinsichtlich der Dauer der ausgeübten Tätigkeit der bloße Umstand, dass eine unselbständige Tätigkeit von kurzer Dauer ist, als solcher nicht dazu, dass diese Tätigkeit vom Anwendungsbereich des Art. 39 EG ausgeschlossen ist (vgl. Urteile vom 26. Februar 1992, Bernini, C-3/90, Slg. 1992, I-1071, Randnr. 16, und vom 6. November 2003, Ninni-Orasche, C-413/01, Slg. 2003, I-13187, Randnr. 25). 30 Folglich lässt sich unabhängig von der begrenzten Höhe der Vergütung und der kurzen Dauer der Berufstätigkeit nicht ausschließen, dass diese aufgrund einer Gesamtbewertung des betreffenden Arbeitsverhältnisses von den nationalen Stellen als tatsächlich und echt angesehen werden kann und somit erlaubt, dem Beschäftigten die Arbeitnehmereigenschaft im Sinne von Art. 39 EG zuzuerkennen."

Dies zugrunde gelegt kann angenommen werden, dass der Gerichtshof die Arbeitnehmereigenschaft weder an der vom Sozialgericht genannten Grenze von monatlich 160,- EUR Verdienst noch an der vom Beschwerdeführer angezogenen Geringfügigkeitsgrenze scheitern lassen würde. Es liegt vielmehr die Annahme nahe, dass der Gerichtshof mit den Begriffen "echt" und "tatsächlich" einen Missbrauchstatbestand gemeint hat, der hier aber nicht vorliegen dürfte.

Der Arbeitnehmerstatus des Antragstellers wird schließlich auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass er ab Juni 2009 lediglich noch eine Beschäftigung als Honorarkraft und damit als Selbständiger innehat. Unabhängig von der Frage, ob diese Form der Beschäftigung, die im Bereich der Sprachlehrer nicht unüblich ist, sich bei näherer Prüfung als abhängige Beschäftigung erweisen dürfte, erfüllt auch diese Tätigkeit die o. a. Definition des wesentlichen Merkmals eines Arbeitsverhältnisses im Sinne der Rechtsprechung des europäischen Gerichtshofs.

Der Beschluss des Sozialgerichts war danach zu bestätigen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.
Rechtskraft
Aus
Saved