L 28 AS 976/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 114 AS 4178/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 976/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Anwendbarkeit des § 31 Abs. 4 Nr. 3 b SGB II ist nicht durch die Regelungen des § 31 Abs. 1 SGB II gesperrt.
Arbeitsvertragswidriges Verhalten während der Probezeit.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2009 geändert. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 12. Februar 2009 gegen den Bescheid vom 03. Februar 2009 wird angeordnet. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller für März und April die diesem ohne Ansatz einer Sanktion ungekürzt zustehenden Leistungen auszuzahlen. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller zwei Drittel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten für das gesamte einstweilige Rechtsschutzverfahren zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Verhängung einer Sanktion.

Der 1988 geborene Antragsteller lebt mit der 1989 geborenen M S J zusammen. Während sie vom 01. September 2008 an ein einjähriges, unentgeltliches Praktikum in einer Kindertagesstätte absolvierte, arbeitete der Antragsteller vom 05. September bis zum 20. Oktober 2008 bei der S und ab dem 03. November 2008 bei der MS S B als Sicherheitsmitarbeiter. Vom 07. November 2008 an war er arbeitsunfähig. Mit Schreiben vom 25. November 2008 mahnte seine Arbeitgeberin ihn zum zweiten Mal mit der Begründung ab, dass er es erneut unterlassen habe, seine Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer unverzüglich bis spätestens eine Stunde vor Beginn der Arbeitszeit anzuzeigen. Mit weiterem Schreiben vom selben Tage kündigte sie das Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit zum 28. des laufenden Monats.

Mit Bescheid vom 08. Dezember 2008 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller und seiner Lebensgefährtin für die Zeit vom 01. Dezember 2008 bis zum 30. April 2009 vorläufig Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) in Höhe von insgesamt 737,06 EUR (je 192,00 EUR zur Sicherung des Lebensunterhalts und 176,53 EUR für die Kosten der Unterkunft und Heizung). Dem jeweils auf 492,53 EUR angesetzten Bedarf stellte er bei beiden Kindergeld in Höhe von je 154,00 EUR abzgl. 30,00 EUR Versicherungspauschale gegenüber.

Im Rahmen des durch den Antragsgegner eingeleiteten Anhörungsverfahrens trat der Antragsteller den Vorwürfen seiner ehemaligen Arbeitgeberin entgegen und erläuterte, dass er im fraglichen Zeitraum in seiner Wohnung noch über keinen Internetzugang verfügt hätte, seine Arbeitgeberin ihm aber gleichwohl – obwohl sie davon unterrichtet gewesen sei - die Dienstpläne per e-mail hätte zukommen lassen, sodass er jeweils erst verspätet erfahren hätte, wann er zum Dienst anzutreten gehabt hätte. Eine Mitarbeiterin seiner Arbeitgeberin erklärte gegenüber dem Antragsgegner ergänzend telefonisch, dass sich aus der Kündigung ergebe, dass diese innerhalb der Probezeit erfolgt sei; weitere Angaben seien nicht nötig.

Mit Bescheid vom 03. Februar 2009 beschränkte der Antragsgegner den dem Antragsteller zustehenden Anteil des Arbeitslosengeldes II gestützt auf § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Dritten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB III) für die Zeit vom 01. März bis zum 31. Mai 2009 auf die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung, jedoch unter Anrechnung des Kindergeldes. Die ursprüngliche Bewilligungsentscheidung vom 08. Dezember 2008 hob er insoweit für die Zeit ab dem 01. März 2009 gemäß § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB X) auf. Zur Begründung berief er sich darauf, dass der Antragsteller eine Beschäftigung bei der MS S B zum 28. November 2008 verloren hätte, weil er sich nicht an die arbeitsvertraglich vereinbarten Fristen bzgl. der rechtzeitigen Krankmeldung gehalten habe. Die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses sei ihm zumutbar gewesen. Die Gründe, die zu dessen Beendigung geführt hätten, hätte er beseitigen können, indem er sich rechtzeitig bei der Arbeitgeberin gemeldet bzw. die Krankschreibungen in der von der Arbeitgeberin vorgegebenen Frist eingereicht hätte. Auch hätte er sich mit dieser telefonisch in Verbindung setzen können, um eventuelle Missverständnisse aufzuklären. Es liege daher eine Pflichtverletzung gemäß § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II vor. Eine Verkürzung der Absenkung auf sechs Wochen sei nach Abwägung der im Falle des Antragstellers vorliegenden Umstände mit den Interessen der Solidargemeinschaft nicht gerechtfertigt. Weiter heißt es in dem Bescheid, dass auf Antrag in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen – insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen – gewährt werden könnten.

Mit Änderungsbescheid vom 03. Februar 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 26. Februar 2009 gewährte der Antragsgegner dem Antragsteller und seiner Lebensgefährtin Leistungen für die Monate März und April 2009 in Höhe von insgesamt 545,06 EUR. Ausweislich der tabellarischen Auflistung wurden beiden zur Sicherung des Lebensunterhalts nunmehr je 254,00 EUR und für die Kosten der Unterkunft und Heizung je 176,63 EUR bewilligt. Die Tabelle schließt mit dem Hinweis auf einen Minderungsbetrag aufgrund von Sanktionen für den Antragsteller um 316,00 EUR.

Bereits am 12. Februar 2009 hatte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, umgehend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab März 2009 fortlaufend weiter zu gewähren. Zur Begründung hatte er angegeben, dass die Sanktion zu Unrecht ergangen und er ohne Angabe von Gründen fristgerecht gekündigt worden sei.

Mit Beschluss vom 18. Mai 2009 hat das Sozialgericht den Antrag zurückgewiesen. Dabei hat es das Begehren des Antragstellers dahin ausgelegt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 03. Februar 2009 anzuordnen. Seine ablehnende Entscheidung hat es im Wesentlichen damit begründet, dass der Bescheid vom 03. Februar 2009 nach summarischer Prüfung nicht rechtswidrig sei. Zwar könne vorliegend entgegen der Behauptung im Ausgangsbescheid nicht festgestellt werden, dass eine Rechtsfolgenbelehrung erfolgt wäre. Allerdings sei im Fall der Verhängung einer Sanktion nach § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II i.V.m. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III eine Rechtsfolgenbelehrung nicht erforderlich. Soweit teilweise die Auffassung vertrete werde, dass § 31 Abs. 1 SGB II vorrangig anzuwenden sei, folge die Kammer dem nicht. Andernfalls stünden Bezieher von Leistungen nach dem SGB II besser als solche, die Leistungen nach dem SGB III erhielten, die in einer vergleichbaren Situation durch die Verhängung einer Sperrzeit sanktioniert würden. Auch sprächen Systematik, Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Norm gegen eine Vorrangigkeit des Absatz 1 gegenüber dem Absatz 4. Ferner seien die Voraussetzungen des § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III gegeben. Insbesondere läge eine wirksame Kündigung vor, die nach Rücksprache mit der Arbeitgeberin auf eine Vertragsverletzung des Antragstellers zurückzuführen sei, und habe der Antragsteller zumindest grob fahrlässig gehandelt. Einen wichtigen Grund für sein Verhalten habe der Antragsteller nicht dargetan.

Gegen diesen ihm am 23. Mai 2009 zugestellten Beschluss richtet sich die am 05. Juni 2009 eingelegte Beschwerde des Antragstellers, mit der er im Einzelnen geltend macht, warum aus seiner Sicht die Verhängung der Sanktion zu Unrecht erfolgte. Insbesondere behauptet er, sich vor der ersten Abmahnung rechtzeitig telefonisch arbeitsunfähig gemeldet zu haben.

Der Senat hat dem Antragsgegner aufgeben, die den gesamten Sanktionszeitraum betreffenden Bescheide samt Berechnungsbögen vorzulegen. Dieser hat daraufhin abgesehen von dem bereits aktenkundigen Änderungsbescheid vom 26. Februar 2009 die die Monate März bis Mai 2009 betreffenden Horizontalübersichten zu den Akten gereicht. Danach sind dem Antragsteller für März 2009 114,53 EUR, für April 88,53 EUR und für Mai 2009 83,53 EUR ausgezahlt worden.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2009 ist gemäß § 172 Abs. 1 und Abs. 3 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Der Antragsteller hat beim Sozialgericht Berlin ausdrücklich begehrt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab März 2009 fortlaufend weiter zu gewähren. Ihm ging es mithin offensichtlich nicht um eine isolierte Anfechtung des Sanktionsbescheides, sondern insbesondere darum, für die drei Monate, für die sein Anspruch auf Arbeitslosengeld II durch die Verhängung einer Sanktion auf Leistungen für die Kosten der Unterkunft reduziert werden sollte, Leistungen in ungekürzter Höhe zu erhalten. Angesichts der bei ihm anzusetzenden Regelleistung in Höhe von 316,00 EUR je Monat ist mithin der erforderliche Beschwerdewert erreicht. Im Übrigen ist die Beschwerde zulässig, insbesondere schriftlich und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG).

Auch ist die Beschwerde in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Berlin bestehen hier erhebliche Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Vorgehensweise des Antragsgegners, sodass der Antragsteller mit seinem vorläufigen Rechtsschutzgesuch für März und April 2009 Erfolg haben muss.

Für die Monate März und April 2009 ist der Antrag des Antragstellers bei sachgerechter Auslegung seines Begehrens darauf gerichtet, nach § 86 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs, den der Senat hier jedenfalls in dem am 12. Februar 2009 bei Gericht gestellten Antrag sieht, gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 03. Februar 2009 anzuordnen. Mit einer erfolgreichen Anfechtung dieses Bescheides lebte die vorherige Leistungsbewilligung im Bescheid vom 08. Dezember 2008 auf, sodass dem Begehren des Antragstellers mit Widerspruch und Anfechtungsklage genüge getan wäre.

Grundsätzlich haben nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Nicht jedoch gilt dies nach § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i.V.m. § 39 Nr. 1 SGB II in der seit dem 01. Januar 2009 geltenden Fassung für Widerspruch und Anfechtungsklage u.a. gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft oder herabsetzt. Dementsprechend entfaltete der Widerspruch gegen den Bescheid vom 03. Februar 2009, mit dem für drei Monate eine Sanktion verhängt und für zwei Monate eine vorangegangene Leistungsbewilligung teilweise aufgehoben wurde, keine aufschiebende Wirkung.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ist auch begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts Berlin überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen (Sanktions-)Bescheides nicht das Interesse des Antragstellers, von der Vollziehung vorerst verschont zu bleiben. Denn an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung des Antragsgegners bestehen ganz erhebliche Zweifel.

Als Ermächtigungsgrundlage für die von dem Antragsgegner verfügte Leistungsbeschränkung kommt allein § 31 Abs. 5 Satz 1 1. Hs. SGB II i.V.m. § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II i.V.m. § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB III in Betracht. Nach § 31 Abs. 5 Satz 1 1. Hs. SGB II wird das Arbeitslosengeld II bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die – wie der Antragsteller - das 15. , nicht jedoch das 25. Lebensjahr vollendet haben, unter den in den Absätzen 1 und 4 genannten Voraussetzungen auf die Leistungen nach § 22 SGB II beschränkt. § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II regelt, dass die Absätze 1 bis 3 bei einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen entsprechend gilt, der die in dem Dritten Buch genannten Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt, die das Ruhen oder Erlöschen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld begründen.

Zwar folgt der Senat der Auffassung des Sozialgerichts, dass die Anwendbarkeit des § 31 Abs. 4 Nr. 3b SGB II nicht durch die Regelungen des § 31 Abs. 1 SGB II gesperrt ist, da andernfalls der nur in § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB III erfasste Fall arbeitsvertragswidrigen, eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigenden Verhaltens allgemein für die Bezieher von Leistungen nach dem SGB II sanktionslos bliebe (vgl. auch Beschluss des LSG Berlin-Branden¬burg vom 16.12.2008 – L 10 B 2154/08 AS ER – dokumentiert unter sozialgerichtsbarkeit.de). Gleichwohl hat der Senat erhebliche Bedenken, ob der Antragsgegner die Sanktion gegen den Antragsteller zu Recht festgesetzt hat.

Zweifelhaft erscheint bereits, ob der Antragsteller überhaupt die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit erfüllt hat. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 SGB III ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitnehmer versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe). Dem Senat erscheint insoweit bereits nicht mit ausreichender Sicherheit geklärt, ob hier tatsächlich ein arbeitsvertragswidriges Verhalten des Antragstellers Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben oder die Arbeitgeberin nicht vielmehr die Chance ergriffen und sich noch innerhalb der Probezeit von einem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer getrennt hat. Selbst wenn letzteres nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre es jedenfalls klärungsbedürftig, wann genau der Antragsteller jeweils seine Arbeitsunfähigkeit anzuzeigen gehabt hätte, ob dies möglicherweise von konkreten Dienstplänen abhängig war, wann und auf welchem Weg der Antragsteller von diesen ggf. Kenntnis erhalten hat oder hätte erhalten können und wann er seine Arbeitsunfähigkeit tatsächlich mitgeteilt hat. Ohne diese Informationen bleiben die Behauptungen der Arbeitgeberin ebenso vage wie die Erklärungsversuche des Antragstellers. Auch ist mangels ausreichender Tatsachengrundlage nicht zu beurteilen, ob der Antragsteller vorliegend zumindest grob fahrlässig gehandelt hat. Weder überzeugen die diesbezüglichen Ausführungen des Antragsgegners, dass es dem Antragsteller zuzumuten gewesen sei, das Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen, noch die Darlegungen des Sozialgerichts, dass nach Rückfrage der Kammer bei der Arbeitgeberin keine Zweifel daran bestünden, dass der Antragsteller durch die verspätete Krankmeldung Anlass zur Kündigung gegeben und zumindest grob fahrlässig gehandelt habe. Etwaige weitergehende Informationen, die dieses Ergebnis stützen könnten, wären zu dokumentieren gewesen, was jedoch unterblieben ist.

Weiter hat der Senat ganz erhebliche Zweifel, ob die Sanktionsdauer zutreffend bestimmt wurde. Mit Rücksicht auf die im Februar 2009 erfolgte Bekanntgabe des Bescheides vom 03. Februar 2009 ist zwar der Begin des Sanktionszeitraums mit dem 01. März 2009 zutreffend bestimmt worden (§ 31 Abs. 6 1. Hs. SGB II). Ob der Antragsgegner dessen Ende hingegen in rechtmäßiger Weise verfügt hat, erscheint bedenklich. Denn nach § 31 Abs. 6 Satz 2 SGB II dauern Absenkung und Wegfall drei Monate. Nach Satz 3 der vorgenannten Vorschrift kann der Träger bei erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die das 15., nicht jedoch das 25. Lebensjahr vollendet haben, die Absenkung und den Wegfall der Regelleistung jedoch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf sechs Wochen verkürzen. Diesbezüglich ist mithin eine Ermessensentscheidung zu treffen, die zu begründen ist. Eine entsprechende Begründung muss nach § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung ihres Ermessens ausgegangen ist. Diesen Anforderungen dürfte der vorliegende Bescheid nicht genügen. Denn wie ausgeführt, hat der Antragsgegner lediglich dargelegt, dass eine Verkürzung der Absenkung auf sechs Wochen nach Abwägung der im Falle des Antragstellers vorliegenden Umstände mit den Interessen der Solidargemeinschaft nicht gerechtfertigt sei. Einzelfallbezogene Erwägungen sind hier auch nicht ansatzweise erkennbar; vielmehr dürfte es sich um eine lediglich formularmäßige, den Anforderungen nicht genügende Erklärung handeln.

Schließlich bestehen an der Rechtmäßigkeit des (Sanktions-)Bescheides vom 03. Februar 2009 auch vor dem Hintergrund Zweifel, als der Antragsgegner es unterlassen hat, dem Antragsteller Sachleistungen oder geldwerte Leistungen für den Sanktionszeitraum zu bewilligen. So geht jedenfalls der 10. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg mit beachtenswerten Argumenten davon aus, dass in Fällen wie dem vorliegenden der (Sanktions-)Bescheid im vollen Umfang rechtswidrig ist, wenn dies unterbleibt (vgl. Beschluss vom 16.12.2008 – L 10 B 2154/08 AS ER, dokumentiert unter sozialgerichtsbarkeit.de). Ob der Senat sich dem letztlich anschließt, kann hier dahinstehen. Jedenfalls aber gibt auch dieser Aspekt Anlass, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides anzuzweifeln.

Angesichts dieser gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides sprechenden Gründe musste der Antragsteller mit seinem vorläufigen Rechtsschutzbegehren für die Monate März und April 2009 Erfolg haben. Soweit der Senat für diese Monate die Auszahlung ungekürzter Leistungen an den Antragsteller angeordnet hat, stützt er sich auf § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG. Da der Bescheid vom 03. Februar 2009 hinsichtlich der zumindest sehr zweifelhaften Rechtmäßigkeit der Leistungskürzung für die Monate März und April 2009 zum Zeitpunkt der hiesigen Entscheidung bereits vollzogen ist, hielt es der Senat für geboten, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen. Der Antragsteller hat im Hinblick auf den Charakter der Leistungen zur Grundsicherung als Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums ein sachliches Rückabwicklungsinteresse.

Soweit der Antrag des Antragstellers in dessen wohlverstandenem Interesse weiter dahin auszulegen war, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm für Mai 2009 Leistungen in ungekürzter Höhe zu gewähren, konnte er hingegen keinen Erfolg haben. Zwar geht der Senat hier angesichts des ursprünglich vom Antragsteller formulierten Antrages davon aus, dass er dieses Begehren im hiesigen Verfahren geltend machen konnte, obwohl zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht erkennbar war, dass die Sanktion tatsächlich auch im Monat Mai 2009 Bedeutung erlangen würde. Jedenfalls zum Zeitpunkt der Entscheidung durch das Sozialgericht Berlin war dies jedoch anders, sodass der Antragsteller – mangels anderweitigen Hinweises – davon ausgehen konnte, dass die Gewährung ungekürzter Leistungen auch für diesen Monat Gegenstand des Verfahrens sein würde. Indes kommt für den Mai der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht in Betracht. Unabhängig von der Frage, ob der sich auf diesen Monat beziehende Bescheid möglicherweise bestandskräftig geworden ist, liegen jedenfalls die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht vor.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Dies ist dem Antragsteller nicht gelungen. Zwar spricht hier einiges dafür, dass angesichts der oben aufgezeigten Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Sanktionsbescheides ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht ist. Nicht hingegen ist ersichtlich, dass die begehrte Regelungsanordnung zur Abwehr wesentlicher Nachteile erforderlich ist. Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes beurteilt sich nach dem Zeitpunkt, in dem das Gericht über den Eilantrag entscheidet; im Beschwerdeverfahren ist dies der Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung [Schoch, in: Schoch/Schmidt-A߬mann/Pietzner, Verwaltungsge¬richtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungs¬lieferung 2005, § 123 Rn. 165, 166 mit weiteren Nachweisen zur Parallelproblematik in § 123 VwGO]. Denn die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Absatz 4 des Grundgesetzes (GG) darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im – grundsätzlich vorrangigen – Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil ohne sie schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht, Beschlüsse vom 22.11.2002 – 1 BvR 1586/02 - NJW 2003, 1236 und vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 - NVwZ 2005, 927). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, soweit diese Dringlichkeit lediglich vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat. Insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt; das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar. So aber lag der Fall hier schon zum Zeitpunkt des Eingangs der Beschwerde. Gründe, die ausnahmsweise eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich und vom Antragsteller insbesondere auch nicht geltend gemacht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog und spiegelt die Entscheidung in der Sache wider.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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