L 14 AS 2068/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 96 AS 39428/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 2068/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 19. November 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

In Hinblick auf den Antragsteller zu 1) ist die Beschwerde bereits unzulässig, da es an einer Beschwer fehlt. Der Antragsteller zu 1) hat in dem Verfahren vor dem Sozialgericht beantragt, dass der Antragsgegner verpflichtet werde, ihm zur Abwendung von Wohnungslosigkeit ein Darlehen zur Begleichung von Mietrückständen in Höhe von 1.032,65 Euro (Schriftsatz vom 19. November 2009), Gerichtskosten in Höhe von 121,- Euro und Anwaltskosten in Höhe von 1.955,35, die sich möglicherweise um 179,10 Euro reduzierten (Schriftsatz vom 17. November 2009) gewähre. Entsprechend hat das Sozialgericht entschieden. Dass es darüber hinaus die Übernahme der Schulden davon abhängig gemacht hat, dass der Antragsteller zu 1) sich mit einer direkten Überweisung der Miete an den Vermieter sowie einer Tilgung des Darlehens in Höhe von monatlich 100,- Euro einverstanden erklärt, wird von dem Antragsgegner selbst nicht als Einschränkung seines Erfolges angesehen, wie sich aus dem Beschwerdeschriftsatz seines Bevollmächtigten vom 25. November 2009 ergibt. Danach ist aber kein Rechtsschutzinteresse für seine Beschwerde in der Sache erkennbar. Dass er mit der Kostenentscheidung des Sozialgerichts, das ihm die Erstattung von (nur) drei Vierteln seiner außergerichtlichen Kosten zugesagt hat, nicht einverstanden ist, ändert nichts an der Unzulässigkeit der Beschwerde. Entsprechend § 144 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes – SGG - könnte eine Berufung nicht allein auf die Kosten des Verfahrens gestützt werden. Entsprechendes gilt nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG dann auch für eine Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 2. August 2007 – L 28 B 522/07 AS ER -).

Die Beschwerde der Antragsteller zu 2) und 3) ist unbegründet, weil sich die Entscheidung des Sozialgerichts, das für diese den Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt hat, insoweit jedenfalls nunmehr als richtig erweist. Der Antragsgegner hat nämlich durch Bescheid vom 9. Dezember 2009 vorbehaltlos und auch gegenüber der Antragstellerin zu 2), die in dem Bescheid ausdrücklich als Gesamtschuldnerin bezeichnet wird, ein zinsloses Darlehen zur Begleichung von Mietrückständen in Höhe von 4.330,- Euro gewährt, weswegen ein Anordnungsgrund nicht zu bejahen ist.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweiligen Anordnung (nur) erlassen, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Aus dem in § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG in Bezug genommenen § 920 der Zivilprozessordnung ergibt sich, dass der Erlass einer einstweiligen Anordnung voraussetzt, dass Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht werden. Ein Anordnungsgrund besteht, wenn dem Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung wesentliche Nachteile drohen (Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., § 86b Rdnr. 28).

Maßgebend sind – auch im Beschwerdeverfahren – in der Regel die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. Beschluss des erkennenden Senats v. 4. September 2009 – L 14 AS 1063/09 B ER; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg vom 18. Oktober 2007 – L 28 B 1637/07 AS ER, zitiert nach juris; Schoch, in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), 12. Ergänzungslieferung 2005, § 123 Rdnrn. 165, 166 m. w. N. zur Parallelproblematik in § 123 VwGO). Denn in dem Erfordernis eines Anordnungsgrundes ist ein spezifisches Dringlichkeitselement enthalten, welches im Grundsatz nur Wirkungen für die Zukunft entfalten kann. Die rückwirkende Feststellung einer - einen zurückliegenden Zeitraum betreffenden - besonderen Dringlichkeit ist zwar rechtlich möglich, kann jedoch in aller Regel nicht mehr zur Bejahung eines Anordnungsgrundes führen. Die prozessuale Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes besteht vor dem Hintergrund des Artikels 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) nämlich darin, in dringenden Fällen effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten, in denen eine Entscheidung im - grundsätzlich vorrangigen - Verfahren der Hauptsache zu spät käme, weil schwere und unzumutbare Nachteile drohen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Bundesverfassungsgericht - BVerfG-, Beschlüsse vom 22. November 2002 - 1 BvR 1586/02 - und vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 ). Dies bedeutet aber zugleich, dass die Annahme einer besonderen Dringlichkeit und dementsprechend die Bejahung eines Anordnungsgrundes in aller Regel ausscheidet, wenn diese Dringlichkeit nur vor dem Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vorgelegen hat, denn insoweit ist die besondere Dringlichkeit durch den Zeitablauf überholt, das Abwarten einer Entscheidung im Verfahren der Hauptsache über den zurückliegenden Zeitraum ist dem Rechtsschutzsuchenden in aller Regel zumutbar.

Nur in besonderen Fällen kann das Gebot des effektiven Rechtsschutzes nach Artikel 19 Abs. 4 GG ausnahmsweise auch die Annahme eines Anordnungsgrundes für zurückliegende Zeiträume gebieten, so insbesondere dann, wenn anderenfalls effektiver Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht erlangt werden kann, weil bis zur Entscheidung im Verfahren der Hauptsache Fakten zum Nachteil des Rechtsschutzsuchenden geschaffen worden sind, die sich durch eine - stattgebende - Entscheidung im Verfahren der Hauptsache nicht oder nicht hinreichend rückgängig machen lassen.

Nach diesen Maßstäben liegt ein Anordnungsgrund hier nicht vor. Im Ergebnis bedarf es deswegen auch keiner vertiefenden Auseinandersetzung, ob ein Anspruch auf die Gewährung eines Darlehens wegen Außenständen für Unterkunft und Heizung nicht nur für diejenigen besteht, welche die zivilrechtlichen Schuldner der Forderungen sind. Denn Zweck der in § 22 Abs. 5 des Sozialgesetzbuchs, Zweites Buch (SGB II) eröffneten Möglichkeit der Schuldenübernahme dürfte nicht die Herstellung von Schuldenfreiheit als solche sein, sondern die Abwendung von Wohnungslosigkeit, die alle Wohnungsnutzer betreffen kann ohne Rücksicht darauf, ob sie auch Mietvertragspartei sind oder nicht. Entsprechend würde ein (eventueller) Anspruch auf Übernahme der Mietschulden nicht nur zugunsten des Antragstellers zu 1), sondern auch zugunsten der Antragsteller zu 2) und 3) bestehen, die als Ehefrau bzw. Kind des Antragstellers zu 1) mit diesem zusammen die Wohnung nutzen. Gleichwohl ist mittlerweile unter keinem Gesichtspunkt noch ein dringendes Regelungsbedürfnis für die Antragsteller zu 2) und 3) mehr erkennbar, das aber erst den Erlass einer einstweiligen Anordnung ermöglichen würde. Für die Sicherung der Wohnung reicht jedenfalls aus, dass der Antragsgegner das Darlehen den Antragstellern zu 1) und 2) gewährt hat.

Nach alledem konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung ergeht entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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