L 21 R 318/08

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Neuruppin (BRB)
Aktenzeichen
S 5 RJ 131/00
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 R 318/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens L 1 RJ 115/02 wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind für das Wiederaufnahme-verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Wiederaufnahme des durch Urteil vom 26. August 2004 abgeschlossenen Verfahrens zum Aktenzeichen L 1 RJ 115/02, bei dem es um die Wiederaufnahme des Verfahrens zum Aktenzeichen L 1 RJ 181/00 gegangen war. Er macht im Wesentlichen geltend, dass die Voraussetzungen für die im Verfahren L 1 RJ 115/02 vorgenommene Bestellung eines besonderen Vertreters nicht vorgelegen hätten. Sein ursprüngliches Klageziel im Verfahren L 1 RJ 181/00 war die Aufhebung der ihm ab 01. Juli 1990 gewährten Invalidenrente, hilfsweise die Umwandlung der ihm ab dem 01. Januar 1992 gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1957 geborene Kläger nahm nach einer Ausbildung zum Facharbeiter für Datenverarbeitung und anschließender Tätigkeit in diesem Beruf im August 1981 ein Theologiestudium auf, dass er nach seinen Angaben wegen politischer Verfolgung aufgeben musste. Nachdem er im Rahmen dieses Studiums von November 1983 bis Juli 1984 ein Praktikum als Pflegehelfer absolviert hatte, übte er anschließend bis Dezember 1984 sowie von Februar 1986 bis Juni 1990 eine Beschäftigung als Transport- und Lagerarbeiter aus, unterbrochenen durch eine Tätigkeit als EDV-Operator.

Auf seinen Antrag hin wurde ihm ab 01. Juli 1990 eine Invalidenrente gewährt. Grundlage dafür waren ein internistisches sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten, in welchem die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie gestellt wurde. Aufgrund des bestandskräftigen Bescheides vom 22. Dezember 1993 wird dem Kläger die Invalidenrente seit dem 01. Januar 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit geleistet.

Von Oktober 1990 bis Juli 1992 absolvierte der Kläger eine Fachschulausbildung zum staatlich geprüften Betriebswirt und nahm im April 1994 an der Fernuniversität H ein Studium der Volkswirtschaft mit dem Nebenfach Psychologie auf. Vom 01. August 2000 bis zum 30. September 2001 bestand ein Studentenbeschäftigungsverhältnis als Telefonagent in einem Call-Center.

Im Oktober 1999 beantragte der Kläger die "Umwertung" der Erwerbsunfähigkeitsrente in eine Rente wegen Berufsunfähigkeit und begründete dies damit, dass nur "BU-Rentner" die Möglichkeit hätten, beim Arbeitsamt als Arbeitssuchende registriert zu werden. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 03. Januar 2000 ab und wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 2000 zurück. Die hiergegen am 14. März 2000 erhobene Klage wies das Sozialgericht Neuruppin mit Urteil vom 17. Oktober 2000 ab. Die dagegen eingelegte Berufung unter dem Aktenzeichen L 1 RJ 181/00 begründete der Kläger im Wesentlichen damit, dass er eine Behandlung weder beantragt noch gewollt habe. Sie sei Folge seiner politischen Verfolgung durch die Organe der Staatssicherheit der DDR. Nach Einholung der Befundberichte zweier behandelnder Ärzte des Klägers veranlasste das Gericht im Rahmen der Beweisaufnahme die Erstellung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens. Der Sachverständige Dr. P, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für psychotherapeutische Medizin, Psychotherapie, Psychoanalyse und Sexualmedizin gelangte nach Untersuchung des Klägers in seinem Gutachten vom 10. Juni 2002 zu dem Ergebnis, dass beim Kläger auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet eine chronische Schizophrenie mit fixiertem Wahnsystem bestünde. Infolge der seit Anfang der 80er Jahre bestehenden Schizophrenie, die mangels Krankheits- und Behandlungseinsicht ohne Aussicht auf Besserung sei, liege dauerhaft ein aufgehobenes Leistungsvermögen vor. Mit Urteil vom 08. August 2002 wies der Senat die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Oktober 2000 zurück und die Klage auf rückwirkende Aufhebung der Rente zum 01. Juni 1992 ab.

Der Kläger erhob am 09. August 2002 Klage auf Wiederaufnahme dieses Verfahrens, die unter dem Aktenzeichen L 1 RJ 115/02 geführt wurde. Er sei im Verfahren L 1 RJ 181/00 nicht hinreichend vertreten gewesen, denn nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. P werde das Vorliegen der schwersten anzunehmenden Geisteskrankheit angenommen. Zum anderen habe sich der Sachverständige einer strafbaren Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht. Ziel seiner Klage sei die Beseitigung des Urteils vom 08. August 2002 und die Durchsetzung des sich aus den im Verfahren L 1 RJ 181/00 gestellten Anträgen ergebenden Begehrens.

Aufgrund der vom Senat veranlassten Beweisaufnahme zu der Frage, ob sich der Kläger am 08. August 2002 in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe, erstattete der Sachverständige Dr. P aufgrund der von ihm im April 2002 an drei Tagen durchgeführten Untersuchung im Rahmen der Begutachtung im Verfahren L 1 RJ 181/00 sowie der vorliegenden Akten am 01. Juli 2003 ein Gutachten. Hierin gelangte er zu dem Ergebnis, dass sich der Kläger vor dem Hintergrund seiner schweren chronischen psychiatrischen Krankheit in Bezug auf die gerichtlichen Verfahren um seine Erwerbsunfähigkeit und seinen Anspruch auf berufliche Rehabilitation in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befunden habe – so auch am 08. August 2002. Er unterliege der wahnhaften Vorstellung, es handele sich um Entscheidungen der Stasi, die ihn systematisch verfolge, um ihm Schaden zuzufügen, und die ihren Einfluss durch Mitarbeiter der Beklagten sowie auch durch Gutachter und letztlich auch durch das Gericht ausübe.

Auf Nachfrage des Senats, ob sich rückblickend feststellen lasse, ab welchem Zeitraum der Kläger sich in einem derartigen Zustand befinde, teilte der Sachverständige ergänzend am 15. September 2003 mit, der Kläger habe 1990 selbst den Antrag auf Berentung gestellt und sich damals auch einer psychiatrischen Begutachtung unterzogen. Wesentlicher Wahninhalt sei damals der unverrückbare Glaube gewesen, Arbeitskollegen hätten ihn auf Geheiß der "Stasi" schikaniert. In der Folgezeit hätten sich die Wahninhalte der Gestalt gewandelt, dass nunmehr das Misstrauen gegen die in Renten- und Rehabilitationsverfahren einbezogenen Personen im Mittelpunkt stehe. Aufgrund der unverrückbaren und unkorrigierbaren Überzeugung des Klägers, dass die in den Gerichts- und Widerspruchsverfahren beteiligten Personen im Auftrag der "Stasi" und damit per se gegen seine Interessen handelten, könne der Kläger weder den Sinn der jeweils von ihm angeregten Widersprüche und Verfahren, noch die Aussagen und Begründungen der Gutachten, Bescheide und Urteile vernünftig erfassen. Dieser die freie Willensbildung in Bezug auf das Renten- und Rehabilitationsverfahren ausschließende Zustand krankhafter Störung bestehe seit 1992. Dafür, dass das wahnhafte Erleben andere Lebensbereiche betreffe, gebe es keine Anhaltspunkte.

Nachdem sich der Kläger am 04. August 2004 im Rahmen seiner Anhörung gegen die Bestellung eines besonderen Vertreters ausgesprochen hatte, bestellte die Vorsitzende des Senats mit Beschluss vom selben Tage den Direktor des Sozialgerichts Potsdam, Herrn S-W, zum besonderen Vertreter des Klägers für das Verfahren L 1 RJ 115/02. Zur Begründung verwies sie darauf, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen Dr. P zumindest im Hinblick auf die Prozessführung die Voraussetzungen der Geschäftsunfähigkeit vorlägen.

Mit Schriftsätzen vom 07. und 08. August 2004 wandte sich der Kläger gegen die Bestellung des besonderen Vertreters und beantragte die Wiederaufnahme des Verfahrens L 1 RJ 181/00 sowie die Beseitigung des Urteils vom 08. August 2002, hilfsweise eine Zeitrente nach neuem Recht. Der besondere Vertreter genehmigte die Anträge des Klägers nicht. Daraufhin stellte der Senat mit Urteil vom 26. August 2004 fest, dass das Urteil des Senats vom 08. August 2002 nichtig ist. Im Übrigen wies es die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 17. Oktober 2002 mit der Maßgabe zurück, dass die Klage als unzulässig abgewiesen und die weitergehende Klage abgewiesen wurde. Die Nichtigkeitsklage sei zulässig und begründet. Denn der Kläger sei bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung, aber auch bei Einlegung der Berufung und Verkündung des Urteils am 08. August 2002 im Hinblick auf die Prozessführung in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 104 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) gewesen. Dieser Einschätzung des Sachverständigen P folge der Senat auch aufgrund des aus den Schriftsätzen des Klägers gewonnenen Eindrucks und des vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Bildes. Da der Kläger mithin nicht prozessfähig im Sinne des § 71 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gewesen sei, eine Betreuung nicht bestanden habe und auch kein besonderer Vertreter gemäß § 72 SGG bestellt gewesen sei, sei er nicht im Sinne des § 579 Abs. 1 Nr. 4 Zivilprozessordnung (ZPO) nach den Vorschriften der Gesetze vertreten gewesen. Er habe die Prozessführung nicht ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt oder genehmigen können, denn bis zum Abschluss des Berufungsverfahrens habe er die Prozessfähigkeit nicht wieder erlangt und sei auch nicht durch einen besonderen Vertreter oder Betreuer vertreten worden. Gemäß § 590 Abs. 1 ZPO sei die Hauptsache neu zu verhandeln gewesen. Die Berufung sei im Interesse eines vollständigen Rechtsschutzes zulässig, habe jedoch keinen Erfolg, da der besondere Vertreter die Prozesshandlung nicht genehmigt habe.

Das Urteil wurde dem besonderen Vertreter des Klägers am 25. Oktober 2004 zugestellt.

Am 24. Januar 2008 hat der Kläger die "Wiederaufnahme des Verfahrens angeregt" – "L 1 RJ 115/02 u.a." Zur Begründung hat er vorgetragen: Von März bis Mai 2005 habe er sich in stationärer Behandlung befunden, in deren Zug keinerlei psychiatrische Befunde festgestellt und vorherige psychiatrische Befunde ausgeschlossen worden seien. Aus einem neuen arbeitsamtsärztlichen Gutachten aus 2007 gehe hervor, dass er über ein sechsstündiges Arbeitsvermögen verfüge. Es sei völlig ausgeschlossen, dass er jemals psychiatrisch erkrankt war oder es derzeit sei. Mit Schriftsatz vom 10. Juli 2008 hat der Kläger die Bescheinigung des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 12. Juni 2008 zur Gerichtsakte gereicht, in der für den Kläger nach § 17 i.V.m. § 22 des Beruflichen Rehabilitierungsgesetzes festgestellt wird, dass er Opfer rechtsstaatswidriger bzw. der politischen Verfolgung dienenden Maßnahmen im Beitrittsgebiet sei. Als Verfolgungszeitraum wird angegeben: 27. August 1981 bis 02. Oktober 1990.

Der Kläger beantragt,

das Verfahren L 1 RJ 115/02 wieder aufzunehmen.

Die Beklagte hat keine Stellungnahme abgegeben.

Der Senat hat die Akten des Vormundschaftsgerichts beim Amtsgericht Wedding beigezogen. Hieraus ergibt sich, dass das Amtsgericht Wedding mit Beschluss vom 23. Februar 2006 einen Betreuer mit dem Aufgabenkreis Vertretung vor Sozialleistungsträgern, Behörden und Gerichten für den Kläger bestellt und für diesen Aufgabenkreis zugleich einen Einwilligungsvorbehalt angeordnet hatte. Dem lag das vom Amtsgericht eingeholte Gutachten des Sachverständigen Dr. B vom 10. Januar 2006 zu Grunde, in dem dieser zu der Feststellung gelangt war, dass der Kläger an einer seit 1981 bestehenden chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit systematisiertem Stasi-Wahn und Größenideen leide. Die gegen den mit diesem Beschluss angeordneten Einwilligungsvorbehalt gerichtete sofortige Beschwerde vom 08. März 2006 hat das Landgericht Berlin mit Beschluss vom 16. März 2006 zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene sofortige weitere Beschwerde des Klägers hatte Erfolg: Mit Beschluss vom 11. Dezember 2007 hat das Kammergericht den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 16. März 2006 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Es fehle an ausreichenden Feststellungen zur Rechtmäßigkeit der Betreuerbestellung, weshalb auch die weiteren Feststellungen des Landgerichts die Anordnung des Einwilligungsvorbehalts nicht tragen würden.

Auch die Beschwerde des Klägers gegen die Betreuerbestellung hatte Erfolg. Mit Beschluss vom 20. November 2008 hat das Landgericht Berlin die Betreuung aufgehoben. Zur Begründung führte es im Wesentlichen an, dass nach der zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bestehenden und für diese allein maßgeblichen Sachlage die Voraussetzungen für die Bestellung eines Betreuers nicht gegeben seien. Es sei zweifelhaft, ob beim Betroffenen aufgrund der nur sehr eingeschränkt möglichen persönlichen Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. B die besagte psychische Erkrankung gegeben sei. Zweifel ergäben sich aus dem vom Betroffenen vorgelegten Gutachten der Ärztin L, in dem diese aufgrund einer psychia-trischen Untersuchung des Betroffenen im Jahr 2005 Hinweise auf eine solche Erkrankung nicht feststellen konnte. Zum anderen sei der Betroffene über einen Zeitraum von neun Jahren hinweg Opfer rechtsstaatswidriger Maßnahmen der DDR gewesen, was sein in seinen Schreiben oftmals, häufig auch in einem sehr unangemessen erscheinenden Tonfall, zum Ausdruck kommendes tiefgreifendes Misstrauen gegenüber staatlichen und sonstigen Institutionen erklären könne, jedoch nicht die Anordnung einer Betreuung rechtfertige.

Ob bei dem Betroffenen die vom Sachverständigen Dr. B diagnostizierte psychische Erkrankung vorliege, bedürfe keiner weiteren Aufklärung, da die Kammer in der Gesamtschau zur Überzeugung gelangt sei, dass der Betroffene auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung in hinreichendem Maße zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten in der Lage sei. Bei einem näheren Studium seiner Schreiben könne nämlich festgestellt werden, dass der Betroffene hierin seine Anliegen im Grunde sachgerecht wahrnehme.

Beigezogen hat der Senat auch das ärztliche Gutachten der Vertragsärztin der Agentur für Arbeit L vom 09. März 2007. Die Ärztin stellte hierin fest, dass der Kläger bis zu sechs Stunden täglich für leichte Arbeiten in geschlossenen Räumen vorwiegend in sitzender Körperhaltung leistungsfähig sei und führte weiter aus: "Es wurde immer wieder der Verdacht auf Restzustände einer Schizophrenie geäußert, jedoch konnte der konsiliarische Psychiater während der Reha-Maßnahme 2005 keinen Anhaltspunkt für Wahn, Wahrnehmungsstörungen oder andere grobe psychiatrische Auffälligkeiten feststellen. Bei der arbeitsamtsärztlichen Untersuchung zeigten sich ebenfalls keine wesentlichen psychischen Auffälligkeiten."

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte auch in Abwesenheit der Beklagten verhandeln und entscheiden, weil die ordnungsgemäß zugestellte Ladung sie auf diese Möglichkeit hingewiesen hat (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG.

Die Nichtigkeitsklage ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).

1 a) Die Klage ist gemäß § 179 SGG i. V. m. § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO als sog. Nichtigkeitsklage statthaft.

Zwar hat der Kläger die Wiederaufnahme des Verfahrens L 1 RJ 115/02 "u.a." nur "angeregt". Sein Vorbringen - er sei entgegen der Annahme des Gerichtes insbesondere im Verfahren L 1 RJ 115/02 prozeßfähig gewesen - ist jedoch gemäß § 133 BGB i. V. m. § 124 SGG so zu auszulegen, dass er Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens L 1 RJ 115/02 in Form der Nichtigkeitsklage erheben wollte.

Nach § 179 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 578, 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO findet die Nichtigkeitsklage statt, wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, sofern sie nicht die Prozessführung ausdrücklich oder stillschweigend genehmigt hat.

§ 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO soll den Schutz von Parteien bezwecken, die ihre Angelegenheiten im Prozess nicht verantwortlich regeln konnten oder denen Handlungen vollmachtloser Vertreter nicht zugerechnet werden dürfen. Dies ist in dem Lichte zu sehen, dass das Wiederaufnahmeverfahren nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO die nachträgliche Gewährung des rechtlichen Gehörs sicherstellt, wenn eine Partei infolge von Umständen, die sie nicht zu vertreten hat, daran gehindert war, sich im Prozess (eigenverantwortlich) zu äußern (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Oktober 1997 - 2 BvR 1390/95 -; Bundesgerichtshof, BGHZ 84, 24, 28 f.). Ein solcher Fall liegt hier vor.

Der Kläger macht geltend, er sei immer prozessfähig gewesen, weshalb die Bestellung des besonderen Vertreters rechtswidrig gewesen sei. Seine Rüge zielt auf die Geltendmachung des rechtlichen Gehörs ab. Denn durch die Bestellung des besonderen Vertreters war der Kläger im Verfahren L 1 RJ 115/02 – vermeintlich - gehindert, sich eigenverantwortlich zu äußern und Anträge zu stellen.

b) Die Klage ist fristgerecht erhoben worden. Gemäß § 586 Abs. 1 ZPO ist die Nichtigkeitsklage vor Ablauf der Notfrist eines Monats zu erheben. Im Fall der Nichtigkeitsklage wegen mangelnder bzw. nicht ordnungsgemäßer Vertretung läuft die Frist für die Erhebung der Klage von dem Tag an, an dem der Partei und bei mangelnder Prozessfähigkeit ihrem gesetzlichen Vertreter das Urteil zugestellt worden ist.

Im vorliegenden Fall würde grundsätzlich die Notfrist von einem Monat und zwar ab Zustellung des Urteils an den - als prozessfähig behaupteten - Kläger selbst gelten. Eine Zustellung des Urteils vom 26. August 2004 erfolgte jedoch nur an den besonderen Vertreter, weshalb die Erhebung der Nichtigkeitsklage für den Kläger an keine Frist gebunden ist (§ 66 Abs. 1 SGG).

c) Der Kläger verfügt auch über ein Rechtsschutzbedürfnis. Zweifel hieran ergeben sich jedoch, da der Kläger in seinem ersten Wiederaufnahmeverfahren - L 1 RJ 115/02 -, welches sich gegen das im Verfahren L 1 RJ 181/00 am 08. August 2002 ergangene Urteil richtete, mit der Behauptung vorgegangen ist, er sei prozessunfähig gewesen. Zwar hatte diese Wiederaufnahmeklage Erfolg, führte jedoch letztlich nicht zu dem vom Kläger gewünschten Ergebnis. Im hiesigen Wiederaufnahmeverfahren behauptet er nunmehr das Gegenteil: er sei nie psychisch krank, also nie prozessunfähig gewesen. Auch wenn sein Vortrag scheinbar beliebig, austauschbar und zweckgerichtet erscheint, ist dem Kläger ein Rechtsschutzbedürfnis jedenfalls insoweit nicht abzusprechen, als er sich zur Begründung seines Begehrens auf die nach Abschluss des Verfahrens L 1 RJ 115/02 ergangene Rehabilitierungsentscheidung des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 12. Juni 2008, das Arbeitsamtsgutachtens vom 09. März 2007 sowie auf die Entscheidungen des Kammergerichts und des Landgerichts Berlin im Betreuungsverfahren stützt.

d) Der Senat hält den Kläger im Rahmen dieses Verfahrens nach dem aus den Schriftsätzen und der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindruck für prozessfähig.

2. Die Nichtigkeitsklage ist jedoch unbegründet.

Der Senat ist nicht zu der Überzeugung gelangt, dass die Voraussetzungen des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO gegeben sind, der Kläger also im Verfahren L 1 RJ 115/02 prozessfähig war. Hinsichtlich des Vorliegens der tatsächlichen Voraussetzungen des Nichtigkeitsgrundes nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO ("wenn eine Partei in dem Verfahren nicht nach Vorschrift der Gesetze vertreten war") ist der Kläger beweisbelastet. Er hat zu beweisen, dass er im Verfahren L 1 RJ 115/02 prozessfähig war. Die hohe Wahrscheinlichkeit des Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes genügt hierbei nicht. Das Gericht muss vielmehr vom Vorliegen des Wiederaufnahmegrundes im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit, überzeugt sein (Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 9. Aufl. § 179 Rn. 9a; vgl. Grunsky, in: Stein-Jonas, ZPO, 21. Aufl., § 579 Rn. 13; Zöller-Greger, vor § 578 Rn. 22 m. w. N.). Gelingt der Beweis nicht, geht dies grundsätzlich zu Lasten des Beweisbelasteten - hier des Klägers (zur objektiven Beweislast u. a. BSG, Urteil vom 02. Dezember 2008 - B 2 U 26/06 R -, zitiert nach juris).

Für die Frage, ob der Kläger im Verfahren L 1 RJ 115/02 (nicht) nach Vorschrift der Gesetze vertreten war, ist auf den Kenntnisstand des Gerichts zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Verfahrens, also den 26. August 2004, abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Senat für den Kläger gemäß § 72 SGG einen besonderen Vertreter bestellt. Grundlage hierfür war, dass der Senat in seinem Beschluss vom 04. August 2004 zu der Feststellung gelangt war, dass der Kläger bei Klageerhebung in den Verfahren L 1 RJ 181/00 sowie L 1 RJ 115/02 und auch weiterhin nicht prozessfähig gemäß § 71 SGG war. Zur Begründung verwies der Senat auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. P, der beim Kläger in Bezug auf das Renten und Rehabilitationsverfahren einen die freie Willensbildung ausschließenden Zustand krankhafter Störung seit 1992 festgestellt hatte.

Es ist im vorliegenden Wiederaufnahmeverfahren daher nicht auf jene Veränderungen und Tatsachen abzustellen, die erst nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt - Abschluss des Verfahrens L 1 RJ 115/02 durch Urteil vom 26. August 2004 - eingetreten sind.

Im Hinblick darauf ergeben sich weder unter Berücksichtigung des klägerischen Vorbringens zur Begründung seines Wiederaufnahmebegehrens noch aus den vom Senat beigezogenen Gerichtsakten retrospektiv Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des Senats (am 26. August 2004) unzutreffend war.

Das am 09. März 2007 von der Vertragsärztin L erstellte arbeitsamtsärztliche Gutachten sowie die Rehabilitierungsbescheinigung des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 12. Juni 2008 treffen keine Aussagen zum Gesundheitszustand des Klägers bezogen auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt (August 2004). Das arbeitsamtsärztliche Gutachten ist bereits wesentlich später, am 09. März 2007 erstellt worden. Inhaltlich bezieht es sich auch nur auf fremd erhobene Befunde. Ein Psychiater habe während der Reha-Maßnahme 2005 keinen Anhaltspunkt für Wahn, Wahrnehmungsstörungen oder andere grobe psychiatrische Auffälligkeiten feststellen können. Bei der arbeitsamtsärztlichen Untersuchung hätten sich ebenfalls keine wesentlichen psychischen Auffälligkeiten gezeigt. Anhaltspunkte dafür, dass nachträglich eine abweichende Beurteilung des Gesundheitszustands des Klägers und damit zugleich eine abweichende Beantwortung der Frage, ob der Kläger damals prozessfähig war, vorzunehmen ist, werden nicht mitgeteilt.

Die Rehabilitierungsbescheinigung des Justizministeriums Mecklenburg-Vorpommern vom 12. Juni 2008 stellt zwar fest, dass der Kläger im Zeitraum vom 27. August 1981 bis zum 02. Oktober 1990 Opfer rechtsstaatswidriger bzw. der politischen Verfolgung dienender Maßnahmen im Beitrittsgebiet gewesen ist. Aussagen über seinen Gesundheitszustand im für die hiesige Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt (s. o.) sind damit jedoch nicht verbunden gewesen. Zumindest jedoch erscheinen die vom Sachverständigen P getroffenen Feststellungen zum Erkrankungsbild des Klägers aufgrund der Rehabilitierungsentscheidung in einem anderen Licht. Dennoch entkräftet die Rehabilitierungsentscheidung die vom Sachverständigen erhobenen neurologisch-psychiatrischen Befunde nicht. Viel eher bietet sie - aus Sicht des Senats - eine mögliche Erklärung für die durch den Sachverständigen umfassend erläuterten Erkrankungserscheinungen. Schließlich hat der Sachverständige Dr. P in seinem Gutachten vom 01. Juli sowie der ergänzenden Stellungnahme vom 15. September 2003 nicht bestritten, dass der Kläger Opfer rechtsstaatswidriger bzw. der politischen Verfolgung dienenden Maßnahmen im Beitrittsgebiet ist. Der Sachverständige erwähnt vielmehr, dass der Kläger - unabhängig davon - ein pathologisches "Stasi-Wahnsystem" entwickelt habe, in das er aktuell Mitarbeiter der Beklagten, ärztliche Gutachter und Behörden einbeziehe. Die Ausführungen des Sachverständigen hierzu sind nachvollziehbar und basieren auf aktenkundigen Tatsachen. Er hat an drei Tagen eine insgesamt sechsstündige Exploration durchgeführt. Dass das Vorliegen einer schweren psychiatrischen Erkrankung beim Kläger nicht zwangsläufig dazu führt, dass er sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befindet, hatte der Sachverständige nachvollziehbar dargelegt. Eine freie Willensbestimmung liege dann nicht mehr vor, so der Sachverständige, wenn bei Vorliegen einer Psychiatriekrankheit jemand die Bedeutung der von ihm abgegebenen Willenserklärung nicht erkennen könne, er nicht nach dieser Erkenntnis zu handeln vermag, oder er sich nicht mehr von vernünftigen Motiven leiten lassen und seine Entscheidungen nicht mehr von vernünftigen Erwägungen abhängig machen könne. Dies läge bei dem Kläger vor, weil er - aufgrund der psychiatrischen Erkrankung - die Entscheidung für die Erwerbsunfähigkeitsrente als gesteuert durch die Stasi ansähe, die ihn systematisch verfolge und ihm Schaden zufüge und die ihren Einfluss durch LVA-Mitarbeiter, Gutachter und letztlich auch durch das Gericht ausübe.

Es ist nicht ersichtlich, dass diese vom Sachverständigen beschriebene neurologisch-psychiatrische Symptomatik durch die Rehabilitierungsentscheidung nachträglich negiert wird.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der Aufhebung der vom Amtsgericht Wedding zunächst angeordneten Betreuung des Klägers. Landgericht Berlin und Kammergericht verweisen zur Begründung im Wesentlichen darauf, dass der Kläger auch bei Vorliegen einer psychischen Erkrankung in hinreichendem Maße zur Wahrnehmung seiner Angelegenheiten in dem von dem Amtsgericht bestimmten Aufgabenkreis in der Lage sei.

Die Entscheidungsgründe des Landgerichts Berlin vom 20. November 2008 und des Kammergerichts vom 11. Dezember 2007 binden den Senat weder hinsichtlich der getroffenen Entscheidungen noch hinsichtlich der Begründungen. Abgesehen davon entkräften sie die vom Sachverständigen P vorgenommene Beurteilung auch nicht. Die Feststellungen der Gerichte beziehen sich schon nicht auf den Zeitpunkt, der für die rechtliche Bewertung im hiesigen Verfahren maßgebend ist (August 2004). So stellt das Landgericht Berlin in seinem Beschluss vom 20. November 2008 auf die "zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung bestehende und für diese allein maßgebliche Sachlage" unter Verweis auf § 23 Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit (FGG) ab (Seite 6 des Beschlusses). Gleiches gilt gemäß § 23 FGG auch für die Entscheidung des Kammergerichts. Zudem lässt weder die Entscheidung des Landgerichts noch die des Kammergerichts eine Auseinandersetzung mit den Feststellungen des Sachverständigen P erkennen, die ihrerseits jedoch Grundlage für die vom Senat vorgenommene Bestellung des besonderen Vertreters waren.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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