L 32 AS 1277/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 157 AS 16448/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 1277/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Übernahme angeblicher Kosten für Schulmaterial für das zweite Schuljahr.

Der 1999 geborene Kläger beantragte am 27. Juli 2007 beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die Anschaffung von Schulmaterial in Höhe von 62,45 Euro. Beigefügt war eine Liste der benötigten Lernmittel (Gerichtsakte Blatt 23). Der Kläger wiederholte den Antrag am 1. August 2007. Der Beklagte lehnte dies mit Bescheid vom 8. August 2007 ab. Es gebe hierfür keine Rechtsgrundlage im Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Die Mutter des Klägers erhob Widerspruch. Es sei geboten, ein Darlehen zu gewähren, wobei der in § 23 Abs. 1 SGB II eingeräumte Spielraum zur Tilgungshöhe in verfassungskonformer Auslegung auf null festzusetzen sei.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20. Mai 2008 zurück. Bei den Kosten für Schulmaterial handele es sich nicht um Leistungen im Sinne des § 23 Abs. 3 SGB II (Erstausstattungen für die Wohnung, für Bekleidung, bei Schwangerschaft und Geburt sowie mehrtägige Klassenfahrten). Schulmaterial sei aus der Regelleistung anzuschaffen. Der Aufwand hierfür sei auch kein nach den Umständen unabweisbarer Bedarf zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 23 Abs. 1 SGB II. Dazu müsste aufgrund des ungedeckten Bedarfs eine aktuelle Notlage von existentieller Bedeutung bestehen, die dringend beseitigt werden müsse.

Hiergegen richtet sich die beim Sozialgericht Berlin (SG) erhobene Klage. Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, dass die Regelleistung für die Anschaffung von Schulmaterial nicht ausreiche und die Verweigerung gesonderter Leistungen ihn von der Teilhabe an der Schulbildung ausschließe.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 6. März 2009 abgewiesen. Ein Anspruch ergebe sich zum einen nicht aus § 23 Abs. 1 SGB II. Der begehrte Betrag für die Anschaffung von Schulmaterial sei ein von der Regelleistung erfasster Bedarf. Zum Zeitpunkt der jetzigen Entscheidung könne eine Unabweisbarkeit des geltend gemachten Bedarfes nicht mehr angenommen werden. Unabweisbar sei nämlich nur der Bedarf, der unaufschiebbar sei. Auch komme ein Verweis auf § 73 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) nicht in Betracht. Diese Vorschrift diene nicht dazu, möglicherweise unzureichend ausgestalte Regelsätze aufzustocken. Auch sei § 73 SGB XII als bloße Ermessensvorschrift ausgestaltet, was dem hier im Streit stehenden Sonderbedarf nicht gerecht werde. Insoweit sei eine Beiladung des zuständigen Sozialhilfeträgers nicht angezeigt gewesen. Soweit der Kläger geltend mache, die Regelsätze seien zu gering, ihm müsse deshalb ein Sonderbedarf bewilligt werden, rechtfertige dies keine andere Entscheidung. Insoweit müsse gegebenenfalls die Regelleistung korrigiert werden.

Gegen dieses Urteil hat sich zunächst die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers vom 16. April 2009 gerichtet. Der Beklagte verletze das Gleichbehandlungsgebot. Anderen Hilfebedürftigen seien nämlich in der Vergangenheit Schulmaterialkosten gewährt worden. Der Kläger begrüße, dass sich mittlerweile die Erkenntnis durchsetze, die Regelsätze seien zu niedrig. Deshalb könnten Schulmaterialkosten nicht als laufender Bedarf in der Regelleistung enthalten seien.

Mit Beschluss vom 22. Juli 2009 hat der Senat die Berufung zugelassen. Er hat den Kläger mit Verfügung vom 28. September/1. Oktober 2009 gebeten, binnen sechs Wochen im Einzelnen aufzulisten, welche Ausgaben für Schulbedarf für das 2. Schuljahr getätigt wurden. Der Kläger hat daraufhin erneut die "Liste der benötigten Lernmittel" für das 2. Schuljahr eingereicht, ferner eine Auflistung "Bedarf für 2. Klasse" über 222,07 Euro. Dem Kläger ist daraufhin mit Schreiben vom 16. Oktober 2009 mitgeteilt worden, dass die Frage der Verfügung vom 1. Oktober 2009 nicht beantwortet sei. Es werde nicht automatisch davon ausgegangen, dass die Bücher bzw. der Bedarf auch wirklich angeschafft worden seien.

Der Kläger ist der Auffassung, die beabsichtigte Berufungszurückweisung sei realitätsfremd und grenze an Rechtsbeugung. Der Senat solle mal darüber nachdenken, warum es seit 2009 das Schulbedarfspaket für Kinder nach § 24 a SGB II gebe. Die Aussage des Senats im Beschluss vom 8. Dezember 2009, dass ein nachträglicher Kostenersatz für vergangene Schuljahre nur geltend gemacht werden könne, wenn dieses Material auch tatsächlich angeschafft worden sei, sei mehr als inhaltsleer und absolut realitätsfremd. Das einzige, was dem Kläger in der Schule kostenlos zur Verfügung gestellt werde, sei das Toilettenpapier. Durch die Einführung des Schulbedarfspaketes habe die Bundesregierung indirekt zugegeben, dass die Schulkosten doch nicht im Regelsatz enthalten seien.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 6. März 2009 sowie des Bescheides vom 8. August 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Mai 2008 zu verpflichten, ihm gesondert Leistungen für die Ausstattung mit Schulbedarf in Höhe von 150,00 Euro zu gewähren, hilfsweise als Darlehen zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte im Beschlusswege ohne mündliche Verhandlung nach § 153 Abs. 4 SGG entscheiden. Die Beteiligten sind vorab informiert worden, dass er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Sie sind auch darüber informiert worden, dass er die Berufung für (voraussichtlich) unbegründet erachtet hat, indem ihnen mitgeteilt wurde, beabsichtigt sei, die Berufung zurückzuweisen. Aus Sicht des Senates handelt es sich vorliegend auch nicht um einen besonders umfangreichen oder schwierigen Streitstoff. Alle Beteiligten hatten ausreichend Gelegenheit, zur Sache vorzutragen und ihre Rechtsargumente anzubringen.

Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht im Haupt- wie im Hilfsantrag abgewiesen. Auf die zutreffende Begründung wird zunächst gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Bezug genommen.

Der Kläger kann die begehrte Geldleistung als Zuschuss oder als Darlehen nicht beanspruchen, da nicht davon auszugehen ist, dass er – bzw. seine Eltern für ihn – die beantragten Lehrmittel gemäß der ursprünglich eingereichten "Liste der benötigten Lernmittel" angeschafft haben und/oder die vorgeblichen weiteren Anschaffungen gemäß der neu eingereichten Liste in Höhe von 150,00 Euro abzüglich 62,45 Euro = 87,55 Euro getätigt haben.

Dies gilt unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Erstattung von notwendigen Schulmaterialien aus § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II oder in direkter Anwendung der Artikel 1 Abs. 1, 20 Abs. 1 GG nach Maßgabe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (dort Rdnr. 220) folgen kann.

Trotz ausdrücklicher mehrfacher Hinweise hat der Kläger nämlich noch nicht einmal selbst behauptet, die Schulmaterialien tatsächlich erworben bzw. von seinen Eltern erhalten zu haben. Ein unabweisbarer Bedarf (im Sinne des § 23 Abs. 1 SGB II) bzw. ein besonderer Bedarf im Sinne des BVerfG – Urteiles liegen somit nicht vor.

Ein Anspruch ohne konkret festgestellten tatsächlichen Aufwand nach § 24 a SGB II scheidet aus. Diese Vorschrift ist gemäß Artikel 9 Abs. 3 des Gesetzes zur Förderung von Familien und haushaltsnahen Dienstleistungen vom 22. Dezember 2008 (BGBl I 2955; bereits wieder geändert durch Artikel 16 des Gesetzes zur verbesserten steuerlichen Berücksichtigung von Vorsorgeaufwendungen vom 16. Juli 2009, BGBl I 1959) erst mit Wirkung ab 1. August 2009 in Kraft getreten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Insbesondere kommt dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung mehr zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Rechtskraft
Aus
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