Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 36 KR 1838/04
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 653/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Versorgung mit methylphenidathaltigen Medikamenten als Sachleistung sowie Erstattung der ihm durch die Selbstbeschaffung entstandenen Kosten im Zeitraum 2002 bis 2005.
Der 1965 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet unter einem Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörungssyndrom (ADHS). Der Kläger ist als chemisch-technischer Assistent bei der Obeschäftigt.
Im August 2002 beantragte er bei der Beklagten die Kostenübernahme für die medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat. Etwa ein Jahr später erbat er deren schriftliche Bestätigung der mündlichen Ablehnung der Kostenübernahme. Dem kam die Beklagte mit Schreiben vom 12. September 2003 nach. Ritalin (Wirkstoff Methylphenidat) sei für Patienten im Erwachsenenalter nicht zugelassen und könne somit nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden. Nachdem sich der Kläger damit nicht einverstanden erklärte, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 26. September 2003 erneut mit, die Kosten nicht zu übernehmen. Sein Arzt habe nicht bestätigen können, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Ausnahmekriterien für einen Off-Label-Use erfüllt seien. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. September 2003 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2004 als unbegründet zurück. Medikinet (Wirkstoff Methylphenidat) habe keine Zulassung für den Indikationsbereich ADHS im Erwachsenenalter, deshalb handele es sich um keine Krankenbehandlung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Die alternative Verordnung von Strattera (Wirkstoff Atomoxetin) wäre grundsätzlich möglich, hierüber zu entscheiden falle aber in die alleinige Verantwortung des behandelnden Arztes.
Mit der Klage vom 08. Juli 2004 hat der Kläger sein Begehren, die Kostenerstattung für die Selbstbeschaffung methylphenidathaltiger Medikamente in Höhe von 1431,74 Euro sowie eine entsprechende zukünftige Versorgung weiter verfolgt.
Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Für diesen teilte Herr R unter dem 14. September 2004 mit, die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS zu Lasten der GKV sei durch Arzneimittelrichtlinien (AMR) Ziffer 20.1.1. (Bundesanzeiger Nr. 246 vom 23.04.2004) ohne Ausnahmeregelung ausgeschlossen. Ein Antrag auf Erweiterung der Zulassung von Medikinet auf die Behandlung von Erwachsenen sei vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) abgelehnt worden. Es lägen keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor. Bei einer Internet-Recherche in diversen Datenbanken (wird im Einzelnen ausgeführt) habe keine klinische Prüfung der Phase III gegenüber Placebo identifiziert werden können. Im deutschsprachigen Raum existiere eine Gruppe von Psychiatern und Psychologen, die den Einsatz vor allem methylphenidathaltiger Präparate beim ADHS des Erwachsenen befürworten. Positive Studien höherer Evidenzklassen hätten nicht vorgelegt werden können, die in der AWMF-Leitlinie genannten Studien hätten keine Zulassungsrelevanz. Auch unter zusammenfassender Würdigung der Fachliteratur (wird im Einzelnen ausgeführt) bestehe kein Konsens in der Fachwelt. Auch eine Konsensuskonferenz im Auftrag des BMGS von Dezember 2002 habe noch erheblichen Forschungsbedarf gesehen.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. N eingeholt. Er gibt an, bei der von ihm beim Kläger diagnostizierten ADS-Aufmerksamkeitsdefizitstörung handele es sich um eine schwere Beeinträchtigung, die unbehandelt zu erheblichen Störungen der Konzentration und zu vermehrt impulsivem Verhalten führe. Behandlungsalternativen seien Verhaltenstherapie, Behandlung mit Atomoxetin. Beim Kläger seien neben Psychotherapie auch Therapieversuche mit Fluoxetin und Memantin ohne Erfolg durchgeführt worden. Nach Behandlung mit Methylphenidat sei eine Besserung eingetreten.
Das Sozialgericht hat einen Entlassungsbericht der S-Klinik über ein stationäres Heilverfahren des Klägers dort vom 03. Januar bis 21. Februar 2006 beigezogen. Danach leide der Kläger an ADHS, einer schweren depressiven Episode, einem pseudoradikulären Zervikalsyndrom, einem zeitweiligen Alkohol- und Cannabisabusus. Es habe sich gezeigt, dass er von einer höher dosierten Medikation profitiert habe. Zum Zeitpunkt der Entlassung sei eine Kombination eines kurz wirksamen Methylphenidatpräparates mit einem Kombinationspräparat eines schnell wirkenden und retardierten Methylphenidates (Medikinet retard) gewählt worden. Unter dieser Medikation sei über den gesamten Tagesverlauf eine sehr gute Wirksamkeit mit Verbesserung der Selbstorganisationsfähigkeit unter Abnahme innerer Unruhe und Anspannung zu verzeichnen gewesen. Es handele sich um einen sogenannten Heilbehandlungsversuch, da zum Zeitpunkt der Entlassung kein Methylphenidat für die Behandlung im Erwachsenenalter zugelassen sei. Andererseits werde übereinstimmend in der Fachliteratur und den Leitlinien Empfehlungen Bundesdeutscher Fachgesellschaften die Behandlung als indiziert angesehen. Da die Arbeits- und Leistungsfähigkeit beim Kläger maßgeblich durch die ADHS-Symptomatik beeinträchtigt sei, empfehle man unbedingt die Weiterverordnung der Medikation.
Mit Urteil vom 02. August 2007, dem Kläger zugestellt am 07. November 2007, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die auf Verurteilung der Beklagten zur zukünftigen Versorgung gerichtete Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Der behandelnde Arzt Dr. P verordne die streitgegenständlichen Medikamente seit Entlassung aus der stationären Rehabilitation auf Kassenrezept, welches vom Kläger problemlos in einer Apotheke eingelöst werden könne. Daher sei weder eine Kostenübernahmeentscheidung der Beklagten noch eine Entscheidung des Gerichts erforderlich. Ein Rechtsschutzbedürfnis lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass der verordnende Arzt möglicherweise Regressforderungen der Beklagten ausgesetzt sein könnte, denn hierbei handele es sich um kein schützenswertes Interesse des Klägers selbst. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Bei der streitgegenständlichen Arzneimittelversorgung handele sich um keine Leistung, die die beklagte Krankenkasse als Sachleistung erbringen dürfe. Die Kammer habe keinen Zweifel daran, dass der Kläger unter ADHS leide. Durch diese Erkrankung werde die Lebensqualität sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich auf Dauer und nachhaltig schwer beeinträchtigt. Dies folge nicht zuletzt daraus, dass beim Kläger als typische Komorbiditäten einer ADHS bereits Depressionen sowie eine Suchtproblematik aufgetreten seien. Entgegen der ursprünglichen Argumentation des MDK bestünden zugelassene Behandlungsalternativen nicht. Allerdings liege der vom BSG für einen Off-Label-Use geforderte Wirksamkeitsnachweis in dem hier streitgegenständlichen Behandlungszeitraum, in dem die Privatrezepte datierten, (noch) nicht vor. Der Pharmahersteller M habe für das Präparat Medikinet retard im März 2007 die Erweiterung der Zulassung auch für Erwachsene beantragt, allerdings liege eine Entscheidung über den Zulassungsantrag noch nicht vor. Darüber hinaus wäre dies auch nicht geeignet, den geforderten Evidenznachweis für die Behandlung im streitigen Zeitraum zu erbringen. Erste Ergebnisse der von der Firma M durchgeführten Zulassungsstudie seien nämlich erst im November 2006 veröffentlicht worden (vgl. Ärztezeitung vom 13. Dezember 2006). Auch die Argumentation des Sozialgerichts Frankfurt/Oder im Urteil vom 20. Juli 2007 (S 4 KR 198/03) helfe dem Kläger nicht weiter. Dieses bejahe einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Methylphenidat bei ADHS im Erwachsenenalter ab 27. Dezember 2005, weil der Vorstand der Bundesärztekammer am 26. Dezember 2005 eine Stellungnahme zu ADHS veröffentlicht habe, in der das Konsensergebnis des Fachverbandes der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) veröffentlicht sei. Auch auf die in "Der Nervenarzt 2003", Seite 993 von der DGPPN veröffentlichten Leitlinien zu ADHS im Erwachsenenalter könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Die zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung vorliegenden Untersuchungen und Studienergebnisse würden den Qualitätskriterien, die das BSG aufgestellt habe (Urteil vom 26. September 2006 -B 1 KR 14/06 R-) nicht genügen.
Die Berufung des Klägers ist am 03. Dezember 2007 beim Sozialgericht Berlin eingegangen. Er macht u.a. geltend, die von der Krankenkasse genannte Alternative Stratterra sei seinem verschreibenden Arzt zwar bekannt gewesen, ein Wechsel auf dieses Medikament sei ihm aber auch aufgrund der prinzipiell anderen Wirkungsweise nicht empfohlen wurden. Nunmehr sei die Wirksamkeit nicht nur durch die jahrzehntelange Anwendung durch Fachärzte bewiesen, sondern auch durch eine Studie. Daher müsse die Beklagte erst recht auch für die Zeit, für die der er den Kostenanspruch geltend mache, in die Pflicht genommen werden. Er halte auch an dem Klageantrag auf Verurteilung zur zukünftigen Versorgung fest. Er habe von seiner Selbsthilfegruppe erfahren, dass anderen Patienten die Verschreibung auf Kassenrezept verweigert wurde, weil deren Arzt in Regress genommen worden sei und sich die Kassenrezept-Verschreibung für zahlreiche Patienten mit ADHS einfach nicht mehr leisten könne. Es sei unsicher, ob er z.B. im Falle eines Arztwechsels weiterhin mit dem nötigen Medikament versorgt werde. Ende 2009 hat der Kläger mitgeteilt, dass sein Hausarzt ab 2010 die Medikamente nur noch auf Privatrezept verschreiben werde, auf ihn würden somit zusätzliche Kosten von 100 Euro monatlich zukommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 02. August 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm in den Jahren 2002 bis 2005 entstandene Kosten für die Selbstbeschaffung von methylphenidathaltigen Medikamenten in Höhe von 1431,11 Euro zu erstatten und ihn zukünftig mit methylphenidathaltigen Medikamenten zu versorgen, soweit dies ärztlich verordnet wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, das angefochtene Urteil enthalte eine zutreffende rechtliche Würdigung. In seiner Berufungsbegründung habe der Kläger keine neuen entscheidungserheblichen Aspekte benannt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Behandlungsunterlagen von Dr. N sowie einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. P angefordert. Dieser hat im Januar 2009 mitgeteilt, er verordne durchgehend seit zwei Jahren über den Tag verteilt 60 mg Methylphenidat. Pharmakotherapie und Psychotherapie würden derzeit regulär durchgeführt.
Das LSG hat ferner verschiedene Herstellerfirmen befragt. Die Firma M hat im November 2008 mitgeteilt, dass sie wegen Fragen zur Dosierung und zu geschlechtsspezifischen Unterschieden beim Ansprechen auf Methylphenidat eine Folgestudie erarbeite, die im September 2008 begonnen habe. Anschließend werde ein Antrag auf Erweiterung der Zulassung gestellt. Die JGmbH hat mitgeteilt, für das Produkt Concerta liege zwischenzeitlich eine publizierte Zulassungsstudie vor, eine weitere 13-wöchige Zulassungsstudie sei in Bearbeitung. Zum jetzigen Zeitpunkt könne keine genauere Zeitangabe zur möglichen Einreichung bei den Behörden gemacht werden. Die U GmbH hat im Januar 2009 mitgeteilt eine Anwendung von Equasym bei Erwachsenen sei bisher nicht Bestandteil der dort vorhandenen sechs Zulassungen und sei derzeit auch nicht beantragt. Nach Auskunft der N GmbH werde eine Zulassung von Ritalin für Erwachsene angestrebt. Im November 2008 habe ein Beratungsgespräch beim BfArM bezüglich des Studiendesigns stattgefunden.
Das BfArM hat im Dezember 2008 u.a. mitgeteilt, eine bei ihm berufene Expertengruppe beschäftige sich mit dem fraglichen Stoff in der genannten Indikation. Angesichts der bisherigen zeitlichen Entwicklung könne eine seriöse Einschätzung, wann erste Ergebnisse dieser Expertengruppe vorliegen, zurzeit nicht abgegeben werden.
Sodann hat das LSG Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. H. Nach seiner Einschätzung im Gutachten vom 22. Oktober 2009 gebe es für die Behandlung erwachsener ADS-Patienten mit Methylphenidat eine Vielzahl aussagekräftiger Studien, die deren Wirksamkeit belegen. Allerdings sei erst durch die Markteinführung von Methylphenidat mit verlangsamten Freisetzungsmechanismen ein Interesse der Pharma-Unternehmen an der Durchführung von Zulassungsstudien entstanden, u.a. die sogenannte EMMA-Studie der Firma M, deren Ergebnisse mittlerweile veröffentlicht seien und durch die eine klinische Wirksamkeit bei Erwachsenen mit ADS habe nachgewiesen werden können. Gegen die Zulassungsstudien habe es jedoch Einwände der Zulassungsbehörden gegeben. Einerseits habe es eine relativ hohe Abbrecherquote gegeben, andererseits einen signifikanten Teil von Patienten, die eine Symptomverbesserung unter Placebo erreichten, so dass die therapeutische Effektstärke der Medikation von der Zulassungsbehörde letztendlich als nicht hoch genug eingeschätzt worden sei. Zusammenfassend sei zu sagen, dass die Behandlung erwachsener Patienten mit ADS mit Methylphenidat die international von allen Experten anerkannte und empfohlene medikamentöse Behandlung der ersten Wahl sei. Spätestens mit der Veröffentlichung der Leitlinien auf der Basis eines Experten-Konsensus in 2003 könne man aus ärztlicher Sicht davon sprechen, dass dies den Standard in Deutschland für diese Patienten darstelle, was seitdem in der Behandlung von Erwachsenen ADS-Patienten zum dauerhaften Widerspruch zwischen dem Gebot der richtigen ärztlichen Behandlung und der fehlenden Kostenübernahme dieser Behandlung durch die Mehrzahl der gesetzlichen Krankenkassen führe. Soweit der MDK anführe, dass alle Autoren der dort zitierten Facharbeiten auf einen noch vorhandenen Forschungsbedarf verwiesen, handele es sich um eine gängige Formulierung, die sich in praktisch jeder wissenschaftlichen Arbeit finde. Für das ärztliche Handeln müsse ausschlaggebend sein, welche Therapie zum aktuellen Zeitpunkt diejenige mit der besten Evidenz für den Patienten sei.
Auf Rückfragen des LSG hat Prof. Dr. H u.a. ergänzt, die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken sei in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen in internationalen Studien mehrfach nachgewiesen. Die Kriterien einer kontrollierten klinischen Prüfung für den Wirkstoff Methylphenidat würden u.a. durch die Studie Spencer, Biederman, Wilens et al. (2005) als erfüllt angesehen.
Die Beklagte hat auf das Urteil des BSG vom 30. Juni 2009 (-B 1 KR 5/09 R- juris) verwiesen, wonach beim Krankheitsbild ADHS für das Arzneimittel, welches zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bezogen werden solle, eine entsprechende Zulassung unverzichtbar sei. Es handele sich um keinen durch Gesetzesrecht und untergesetzlichen Regelungen gedeckten Off-Label-Use.
Der Kläger hat einen Vermerk seines Arbeitgebers über ein Vorgesetzten-Mitarbeiter-Gespräch 2005 sowie ein Attest der D-Klinik über auf eine stationäre Rehabilitation des Klägers dort vom 26. Mai bis 07. Juli 2010 beigebracht, wonach die Fortsetzung der medikamentösen Therapie mit Methylphenidat dringend empfohlen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts vom 02. August 2007 ebenso wie der angefochtene Versagungsbescheid der Beklagten vom 12. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2004 erweisen sich nicht als rechtswidrig.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist die Klage insgesamt zulässig. Auch wenn der Kläger zwischenzeitlich Medikinet aufgrund vertragsärztlicher Verordnung zu Lasten der Beklagten erhalten hat, bestand und besteht erst recht nach dem Ende der Verordnung auf Kassenrezept ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Verurteilung zur zukünftigen medikamentösen Versorgung. Die Beklagte bestreitet auch weiterhin einen materiellen Leistungsanspruch des Klägers. Insoweit drohte dem Kläger jederzeit die Beendigung der Verordnung bzw. ist seit Januar 2010 die Versorgung zu Lasten der Beklagten nicht mehr gegeben (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. September 2005 -L 5 KR 171/04- juris).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat für die Zeit von 2002 bis 2005 weder einen Kostenerstattungsanspruch für die von ihm getragenen Kosten der auf Privatrezept beschafften Medikation, noch besteht bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ein Anspruch auf zukünftige Versorgung mit methylphenidathaltigen Medikamenten durch die Beklagte.
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V besteht Anspruch auf Erstattung der Kosten auch für selbstbeschaffte Arzneimittel, deren Erbringung die Beklagte als Sachleistung zu Unrecht abgelehnt hat. Arzneimittel sind jedoch grundsätzlich nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn die nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt.
Bei Medikinet (retard) sowie anderen methylphenidathaltigen Medikamenten handelt es sich um zulassungspflichtige Arzneimittel, die für den Anwendungsbereich ADHS beim Erwachsenen bisher weder in Deutschland noch sonst im Gebiet der Europäischen Union zugelassen sind. Auch wenn methylphenidathaltige Arzneimittel in Deutschland für Kinder und Jugendliche mit ADHS zugelassen sind, genügt dies nicht, um bei Erwachsenen von einer Anwendung im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung auszugehen. Die Bestimmung, dass ein Arzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen nicht eingenommen werden darf, stellt eine Einschränkung der Anwendungsgebiete dar und steht folglich mit deren Festlegung auf einer Stufe (so auch BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, wie vor). Eine Zustimmung der zuständigen Bundesoberbehörde nach § 29 Abs. 2a Satz 1 AMG zur Erweiterung des Anwendungsgebietes bzw. eine Neuzulassung nach § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AMG liegen bis zum heutigen Tage nicht vor. Die Rückfrage bei den Herstellerfirmen hat ergeben, dass bisher auch noch kein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Insoweit ist auch ein zeitlicher Rahmen, innerhalb dessen eine Entscheidung über die Zulassung bzw. Zulassungserweiterung ergehen könnte, nicht abzusehen. Entsprechendes gilt nach Auskunft des BfArM für die Einschätzung der von ihm berufenen Expertengruppe.
Es liegt hier auch kein Ausnahmefall vor, in dem der Sachleistungs- und/oder Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach den allgemeinen Grundsätzen oder aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben im Off-Label-Use zu begründen wäre.
Das BSG hat zuletzt mit Urteil vom 30. Juni 2009 (wie vor) bestätigt, dass es sich bei der Anwendung methylphenidathaltiger Mittel bei ADHS bei Erwachsenen nicht um einen durch Gesetzesrecht oder untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use handelt: In den auf der Grundlage nach von § 92 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 SGB V ergangenen AMR (in der ab 25. Juni 2009 geltenden Fassung des Beschlusses vom 19. März 2009, BAnz Seite 2185), die seit dem 21. Juli 2006 (Beschluss vom 18. April 2006, BAnz Seite 5122) in Abschnitt H. und Anlage 9 Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" (vgl. inzwischen Anlage VI zum Abschnitt K.) enthielten, sind methylphenidathaltige Mittel nicht aufgeführt. Eine positive Entscheidung über deren Aufnahme zur Anwendung bei Erwachsenen-ADHS in die AMR ist auch nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des BSG nicht ergangen. Ebenso liegt weiterhin keine Empfehlung nach Abschnitt H. Nr. 24 AMR der beim BfArM gebildeten Expertengruppe nach § 35b Abs. 3 Satz 1 SGB V vor.
Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use sind nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 26. September 2006 -B 1 KR 14/06 R- SozR 4-2500 § 31 Nr. 6; Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O. mit weiteren Nachweisen) kommt ein Off-Label-Use außer in Seltenheitsfällen oder bei einem Systemversagen grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann; wobei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse abzustellen ist.
Es bestehen keine Anhaltspunkte für ein Systemversagen, das anzunehmen wäre, wenn die zuständigen Stellen den Zulassungsantrag nicht bzw. nicht rechtzeitig bearbeiten (so auch BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O).
Bei ADHS handelt es sich nicht um einen Seltenheitsfall. Ein solcher liegt vor, wenn der Versicherte an einer sehr seltenen und deshalb einer systematischen Erforschung von darauf bezogenen Therapiemöglichkeiten nicht zugänglichen Erkrankung leidet, für die keine anderen Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Angesichts einer Verbreitung der ADHS auch im Erwachsenenalter von ca. 2 % ist von einem Seltenheitsfall nicht auszugehen (vgl. BSG, wie vor). Laut DGPPN sollen sogar 2,5 bis 4% aller Erwachsenen betroffen sein (Quelle: http://www.medice.de/therapiefelder/adhs/fachkreisbereich/therapie-der-adhs-2013-multimodal-fruhzeitig-die-spirale-unterbrechen/adhs-therapie-in-verschiedenen-altersgruppen/).
Auch wenn es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine schwerwiegende, zwar nicht lebensbedrohliche, aber die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt und andere Therapien nicht verfügbar sein sollten, fehlt es hier jedenfalls an der dritten der oben aufgeführten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use, der begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg.
Bis zum heutigen Tage kann aufgrund der Datenlage nicht davon ausgegangen werden, dass gerade mit den begehrten methylphenidathaltigen Arzneimitteln ein Behandlungserfolg im Sinne der Rechtsprechung des BSG (wie vor) zum Off-Label-Use nachgewiesen ist. Hierzu müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies setzt voraus, dass a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Hieran fehlt es zur Überzeugung des Senats auch weiterhin. Das BSG (wie vor) führt aus: "Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, jeweils RdNr 24 - Ilomedin). Vor diesem Hintergrund hat ( ) Gewicht, dass das BfArM erst noch zusätzliche Daten zu Dosierung und geschlechtsspezifischen Unterschieden beim Ansprechen auf Methylphenidat für erforderlich hält, um über eine erweiterte, auch auf Erwachsene bezogene Zulassung entscheiden zu können. Da die weitere Studie, welche im September 2008 eingeleitet werden sollte, offenbar noch nicht abgeschlossen ist und ihre Ergebnisse noch nicht veröffentlicht worden sind, fehlte und fehlt es für die bislang erfolgte Behandlung des Klägers an den für einen Off-Label-Use notwendigen qualifizierten fachlichen Erkenntnissen. Dies steht in Einklang damit, dass auch ein positives Votum seitens der beim BfArM gebildeten Off-Label-Use-Expertengruppe ( ) noch nicht vorliegt. Demgemäß kann auch aus der von Klägerseite angeführten, 2007 abgeschlossenen, mit 359 Studienteilnehmern durchgeführten bisher größten Phase III-Studie über den Einsatz des methylphenidathaltigen Arzneimittels "Medikinet retard" im Erwachsenenalter (sog "EMMA-Studie") , die am 22.01.2009 in einem medizinischen Fachjournal publiziert worden ist, aktuell noch nichts hergeleitet werden. Der Hersteller Medice berichtet selbst davon, dass er auch mit dieser Studie die angestrebte Zulassung bislang noch nicht habe erlangen können und deshalb weiter hieran arbeite (www.medice.de/ unternehmen/aktuelles/neues-zu-adhs-im-erwachsenenalter, im Internet recherchiert am 10.6.2009; im Ergebnis übereinstimmend bereits LSG Hamburg, Beschluss vom 14.8.2008 - L 1 B 258/08 ER KR, Breithaupt 2009, 7; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 9 KR 110/06, juris; SG Düsseldorf, Urteil vom 5.3.2008 - S 2 KA 84/07, juris)".
Hiervon abzuweichen besteht im vorliegenden Fall kein Anlass. Insbesondere vermag die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. H den Off-Label-Einsatz von Methylphenaidat nicht zu rechtfertigen. Für den krankenversicherungsrechtlichen Anspruch ist es ohne Belang, dass der Gutachter - den Leitlinien der DGPPN (Der Nervenarzt 2003, 939) folgend - eine Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat als "Mittel der ersten Wahl" bei Erwachsenen-ADHS ansieht. Die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften bestimmen den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten nicht.
Die veröffentlichten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit der entsprechenden Medikation reichen noch nicht hin, um von einem Konsens in Fachkreisen auszugehen. Prof. Dr. H stellt insoweit auf die Studien von Wilens (2003) sowie Spencer, Biderman, Wilens et al. (2005) ab, nach denen die Kriterien einer kontrollierten klinischen Prüfung für den Wirkstoff Methylphenidat als erfüllt anzusehen seien. Deren Ergebnisse lagen jedoch auch bereits der Entscheidung des BSG zugrunde. Ein Zulassungsverfahren ist offenbar weiterhin nicht beantragt. Für die der "EMMA-Studie" nachfolgende Studie der Firma M ("QUMEA") wurde im Januar 2010 die Datenerhebung beendet, Ergebnisse sind aber noch nicht veröffentlicht (Quelle: http://clinicaltrials.gov/show/NCT00730249).
Im Falle des Klägers kommt - wie in dem vom BSG (wie vor) entschiedenen Fall - eine Leistungspflicht der Beklagten auch nicht unter erleichterten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use in Betracht. Das BSG hat dahinstehen lassen: " ( ) ob angesichts der im Laufe der letzten Jahre vom Gesetzgeber geschaffenen Regelungen, mit denen er deutlich gemacht hat, unter welchen Bedingungen er eine Off-Label-Versorgung mit Arzneimitteln in der GKV für angezeigt hält, aktuell überhaupt noch Raum für eine richterrechtliche Rechtsfortbildung in diesem Bereich besteht, deren Ermöglichung bei Verkündung des Sandoglobulin-Urteils vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) noch wesentlich auf dem Fehlen solcher normativen Vorgaben beruhte."
Dies bedarf auch hier keiner Entscheidung. Das BSG (wie vor) hat eine abgestufte Anwendung der Grundsätze zum Off-Label-Use erwogen bei der zulassungsüberschreitenden Weiterbehandlung ein und derselben Erkrankung bei Erwachsenen, die als Kinder mit nur für die Behandlung von unter 18-jährigen zugelassenen Medikamenten versorgt worden sind. Eine solche Weiterbehandlung liegt beim Kläger allerdings nicht vor. Bei ihm wurde ADHS erstmals im Jahr 2000 diagnostiziert, die Behandlung mit Methylphenidat begann im April 2001. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger bereits das 35. Lebensjahr vollendet. Weder die Kostenerstattung der auf Privatrezept verordneten Medikation noch die zukünftige Versorgung zu Lasten der Beklagten sind angezeigt, weil hier nicht die Gefahr bestand oder besteht, dass eine Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung mittels Arzneimitteln, auf die er seit längerem eingestellt war, von einem Tag auf den anderen hätte enden können.
Nichts anderes gilt auch für die Weiterbehandlung des Klägers seit Januar 2010. Zwar wurde der Kläger während des laufenden gerichtlichen Verfahrens knapp vier Jahre mit den entsprechenden Medikamenten versorgt aufgrund kassenärztlicher Verordnung zu Lasten der Beklagten. Seit Januar 2010 verordnet der Behandler wieder auf Privatrezept. Dem Kläger droht auch zukünftig kein sofortiger, unkontrollierter Behandlungsabbruch, der ggf. aus medizinischen Gründen zu vermeiden wäre. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger - zumindest für eine Übergangszeit während eines ärztlich kontrollierten Behandlungsabbruchs - weiterhin mit den erforderlichen Medikamenten auf eigene Kosten versorgen kann.
Auch verfassungsrechtliche Aspekte rechtfertigen den Off-Label-Use von methyphenidathaltigen Medikamenten bei ADHS im Erwachsenenalter nicht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06. Dezember 2005 (-1 BvR 347/98- SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) aus den in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) verankerten Grundrechten auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit gefolgert, dass insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung die maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts grundrechtsorientierend auszulegend sind. Es ist mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, den Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 5 SGB V der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, jedenfalls dann, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen.
Bei ADHS handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (so die Einschätzung des Sachverständigen; vgl. auch BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O.). Auch der den Kläger behandelnde Neurologe/Psychiater Dr. N schätzt ein, dass es ohne Behandlung zu einer erheblichen Störung der Konzentration und einem vermehrt impulsiven Verhalten käme. Insoweit können sich die Krankheitsfolgen zwar durchaus gravierend für den Betroffenen auswirken, sie sind aber nicht so schwergradig, dass sie wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen Erkrankung gleichkämen bzw. notstandsähnlich sind (hierzu BSG, Urteil vom 05. Mai 2009 - B 1 KR 15/08 R – juris).
Die Verfassung und insbesondere Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet nicht, dass die gesetzlichen Krankenkassen alles leisten müssten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit möglich ist (so auch das BVerfG, wie vor). Auch wenn sich der Kläger bezüglich des hier geltend gemachten Anspruchs auf seinen behandelnden Arzt und nach gutachterlicher Einschätzung Prof. Dr. Hs auf eine "international von allen Experten anerkannte und empfohlene medikamentöse Behandlung der ersten Wahl" stützen kann, sprechen nach wie vor gewichtige Argumente gegen eine Verordnung zu Lasten der Beklagten.
Jedenfalls dann, wenn die Studienlage bislang die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht trägt, gebieten auch die Grundrechte keine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Dem BSG (Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O) ist auch dahingehend zu folgen, dass nicht nur im Hinblick auf das Fehlen zulassungsrelevanter Wirksamkeitsnachweise, sondern auch auf die vom Wirkstoff Methylphenidat, einem Psychostimulanzium, ausgehenden möglichen Gefährdungen eine Leistungsverpflichtung der Beklagten weiterhin nicht besteht. Das BSG verweist insoweit auf die aktuell auf europäischer Ebene hervorgehobenen Gefährdungen und unerwünschten Nebenwirkungen selbst bei Kindern unter Zitat einer Pressemitteilung der EMEA vom 22. Januar 2009 zu erheblichen kardio- und cerebovaskulären Risiken sowie Risiken auf psychiatrischem Gebiet, (www.emea.europa.eu/pdfs/human/ referral/phenedate/2231509en.pdf, recherchiert am 10.6.2009) und dem in Veröffentlichungen beschriebenen besonderen Suchtpotenzial (u.a. Philipsen/Heßlinger/Tebartz van Elst, DÄBl 2008, A-311). Neuere Erkenntnisse kann auch der Senat seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Sachentscheidung.
Die Revision ist nicht zulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Versorgung mit methylphenidathaltigen Medikamenten als Sachleistung sowie Erstattung der ihm durch die Selbstbeschaffung entstandenen Kosten im Zeitraum 2002 bis 2005.
Der 1965 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er leidet unter einem Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörungssyndrom (ADHS). Der Kläger ist als chemisch-technischer Assistent bei der Obeschäftigt.
Im August 2002 beantragte er bei der Beklagten die Kostenübernahme für die medikamentöse Behandlung mit Methylphenidat. Etwa ein Jahr später erbat er deren schriftliche Bestätigung der mündlichen Ablehnung der Kostenübernahme. Dem kam die Beklagte mit Schreiben vom 12. September 2003 nach. Ritalin (Wirkstoff Methylphenidat) sei für Patienten im Erwachsenenalter nicht zugelassen und könne somit nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden. Nachdem sich der Kläger damit nicht einverstanden erklärte, teilte ihm die Beklagte mit Schreiben vom 26. September 2003 erneut mit, die Kosten nicht zu übernehmen. Sein Arzt habe nicht bestätigen können, dass die vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Ausnahmekriterien für einen Off-Label-Use erfüllt seien. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 12. September 2003 wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 09. Juni 2004 als unbegründet zurück. Medikinet (Wirkstoff Methylphenidat) habe keine Zulassung für den Indikationsbereich ADHS im Erwachsenenalter, deshalb handele es sich um keine Krankenbehandlung, die dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspreche. Die alternative Verordnung von Strattera (Wirkstoff Atomoxetin) wäre grundsätzlich möglich, hierüber zu entscheiden falle aber in die alleinige Verantwortung des behandelnden Arztes.
Mit der Klage vom 08. Juli 2004 hat der Kläger sein Begehren, die Kostenerstattung für die Selbstbeschaffung methylphenidathaltiger Medikamente in Höhe von 1431,74 Euro sowie eine entsprechende zukünftige Versorgung weiter verfolgt.
Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Für diesen teilte Herr R unter dem 14. September 2004 mit, die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS zu Lasten der GKV sei durch Arzneimittelrichtlinien (AMR) Ziffer 20.1.1. (Bundesanzeiger Nr. 246 vom 23.04.2004) ohne Ausnahmeregelung ausgeschlossen. Ein Antrag auf Erweiterung der Zulassung von Medikinet auf die Behandlung von Erwachsenen sei vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) abgelehnt worden. Es lägen keine Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III vor. Bei einer Internet-Recherche in diversen Datenbanken (wird im Einzelnen ausgeführt) habe keine klinische Prüfung der Phase III gegenüber Placebo identifiziert werden können. Im deutschsprachigen Raum existiere eine Gruppe von Psychiatern und Psychologen, die den Einsatz vor allem methylphenidathaltiger Präparate beim ADHS des Erwachsenen befürworten. Positive Studien höherer Evidenzklassen hätten nicht vorgelegt werden können, die in der AWMF-Leitlinie genannten Studien hätten keine Zulassungsrelevanz. Auch unter zusammenfassender Würdigung der Fachliteratur (wird im Einzelnen ausgeführt) bestehe kein Konsens in der Fachwelt. Auch eine Konsensuskonferenz im Auftrag des BMGS von Dezember 2002 habe noch erheblichen Forschungsbedarf gesehen.
Das Sozialgericht hat einen Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. N eingeholt. Er gibt an, bei der von ihm beim Kläger diagnostizierten ADS-Aufmerksamkeitsdefizitstörung handele es sich um eine schwere Beeinträchtigung, die unbehandelt zu erheblichen Störungen der Konzentration und zu vermehrt impulsivem Verhalten führe. Behandlungsalternativen seien Verhaltenstherapie, Behandlung mit Atomoxetin. Beim Kläger seien neben Psychotherapie auch Therapieversuche mit Fluoxetin und Memantin ohne Erfolg durchgeführt worden. Nach Behandlung mit Methylphenidat sei eine Besserung eingetreten.
Das Sozialgericht hat einen Entlassungsbericht der S-Klinik über ein stationäres Heilverfahren des Klägers dort vom 03. Januar bis 21. Februar 2006 beigezogen. Danach leide der Kläger an ADHS, einer schweren depressiven Episode, einem pseudoradikulären Zervikalsyndrom, einem zeitweiligen Alkohol- und Cannabisabusus. Es habe sich gezeigt, dass er von einer höher dosierten Medikation profitiert habe. Zum Zeitpunkt der Entlassung sei eine Kombination eines kurz wirksamen Methylphenidatpräparates mit einem Kombinationspräparat eines schnell wirkenden und retardierten Methylphenidates (Medikinet retard) gewählt worden. Unter dieser Medikation sei über den gesamten Tagesverlauf eine sehr gute Wirksamkeit mit Verbesserung der Selbstorganisationsfähigkeit unter Abnahme innerer Unruhe und Anspannung zu verzeichnen gewesen. Es handele sich um einen sogenannten Heilbehandlungsversuch, da zum Zeitpunkt der Entlassung kein Methylphenidat für die Behandlung im Erwachsenenalter zugelassen sei. Andererseits werde übereinstimmend in der Fachliteratur und den Leitlinien Empfehlungen Bundesdeutscher Fachgesellschaften die Behandlung als indiziert angesehen. Da die Arbeits- und Leistungsfähigkeit beim Kläger maßgeblich durch die ADHS-Symptomatik beeinträchtigt sei, empfehle man unbedingt die Weiterverordnung der Medikation.
Mit Urteil vom 02. August 2007, dem Kläger zugestellt am 07. November 2007, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die auf Verurteilung der Beklagten zur zukünftigen Versorgung gerichtete Klage sei mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Der behandelnde Arzt Dr. P verordne die streitgegenständlichen Medikamente seit Entlassung aus der stationären Rehabilitation auf Kassenrezept, welches vom Kläger problemlos in einer Apotheke eingelöst werden könne. Daher sei weder eine Kostenübernahmeentscheidung der Beklagten noch eine Entscheidung des Gerichts erforderlich. Ein Rechtsschutzbedürfnis lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass der verordnende Arzt möglicherweise Regressforderungen der Beklagten ausgesetzt sein könnte, denn hierbei handele es sich um kein schützenswertes Interesse des Klägers selbst. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Bei der streitgegenständlichen Arzneimittelversorgung handele sich um keine Leistung, die die beklagte Krankenkasse als Sachleistung erbringen dürfe. Die Kammer habe keinen Zweifel daran, dass der Kläger unter ADHS leide. Durch diese Erkrankung werde die Lebensqualität sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich auf Dauer und nachhaltig schwer beeinträchtigt. Dies folge nicht zuletzt daraus, dass beim Kläger als typische Komorbiditäten einer ADHS bereits Depressionen sowie eine Suchtproblematik aufgetreten seien. Entgegen der ursprünglichen Argumentation des MDK bestünden zugelassene Behandlungsalternativen nicht. Allerdings liege der vom BSG für einen Off-Label-Use geforderte Wirksamkeitsnachweis in dem hier streitgegenständlichen Behandlungszeitraum, in dem die Privatrezepte datierten, (noch) nicht vor. Der Pharmahersteller M habe für das Präparat Medikinet retard im März 2007 die Erweiterung der Zulassung auch für Erwachsene beantragt, allerdings liege eine Entscheidung über den Zulassungsantrag noch nicht vor. Darüber hinaus wäre dies auch nicht geeignet, den geforderten Evidenznachweis für die Behandlung im streitigen Zeitraum zu erbringen. Erste Ergebnisse der von der Firma M durchgeführten Zulassungsstudie seien nämlich erst im November 2006 veröffentlicht worden (vgl. Ärztezeitung vom 13. Dezember 2006). Auch die Argumentation des Sozialgerichts Frankfurt/Oder im Urteil vom 20. Juli 2007 (S 4 KR 198/03) helfe dem Kläger nicht weiter. Dieses bejahe einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Methylphenidat bei ADHS im Erwachsenenalter ab 27. Dezember 2005, weil der Vorstand der Bundesärztekammer am 26. Dezember 2005 eine Stellungnahme zu ADHS veröffentlicht habe, in der das Konsensergebnis des Fachverbandes der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) veröffentlicht sei. Auch auf die in "Der Nervenarzt 2003", Seite 993 von der DGPPN veröffentlichten Leitlinien zu ADHS im Erwachsenenalter könne sich der Kläger nicht mit Erfolg berufen. Die zum Zeitpunkt dieser Veröffentlichung vorliegenden Untersuchungen und Studienergebnisse würden den Qualitätskriterien, die das BSG aufgestellt habe (Urteil vom 26. September 2006 -B 1 KR 14/06 R-) nicht genügen.
Die Berufung des Klägers ist am 03. Dezember 2007 beim Sozialgericht Berlin eingegangen. Er macht u.a. geltend, die von der Krankenkasse genannte Alternative Stratterra sei seinem verschreibenden Arzt zwar bekannt gewesen, ein Wechsel auf dieses Medikament sei ihm aber auch aufgrund der prinzipiell anderen Wirkungsweise nicht empfohlen wurden. Nunmehr sei die Wirksamkeit nicht nur durch die jahrzehntelange Anwendung durch Fachärzte bewiesen, sondern auch durch eine Studie. Daher müsse die Beklagte erst recht auch für die Zeit, für die der er den Kostenanspruch geltend mache, in die Pflicht genommen werden. Er halte auch an dem Klageantrag auf Verurteilung zur zukünftigen Versorgung fest. Er habe von seiner Selbsthilfegruppe erfahren, dass anderen Patienten die Verschreibung auf Kassenrezept verweigert wurde, weil deren Arzt in Regress genommen worden sei und sich die Kassenrezept-Verschreibung für zahlreiche Patienten mit ADHS einfach nicht mehr leisten könne. Es sei unsicher, ob er z.B. im Falle eines Arztwechsels weiterhin mit dem nötigen Medikament versorgt werde. Ende 2009 hat der Kläger mitgeteilt, dass sein Hausarzt ab 2010 die Medikamente nur noch auf Privatrezept verschreiben werde, auf ihn würden somit zusätzliche Kosten von 100 Euro monatlich zukommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts vom 02. August 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 12. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2004 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm in den Jahren 2002 bis 2005 entstandene Kosten für die Selbstbeschaffung von methylphenidathaltigen Medikamenten in Höhe von 1431,11 Euro zu erstatten und ihn zukünftig mit methylphenidathaltigen Medikamenten zu versorgen, soweit dies ärztlich verordnet wird.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie meint, das angefochtene Urteil enthalte eine zutreffende rechtliche Würdigung. In seiner Berufungsbegründung habe der Kläger keine neuen entscheidungserheblichen Aspekte benannt.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Behandlungsunterlagen von Dr. N sowie einen Befundbericht des Allgemeinmediziners Dr. P angefordert. Dieser hat im Januar 2009 mitgeteilt, er verordne durchgehend seit zwei Jahren über den Tag verteilt 60 mg Methylphenidat. Pharmakotherapie und Psychotherapie würden derzeit regulär durchgeführt.
Das LSG hat ferner verschiedene Herstellerfirmen befragt. Die Firma M hat im November 2008 mitgeteilt, dass sie wegen Fragen zur Dosierung und zu geschlechtsspezifischen Unterschieden beim Ansprechen auf Methylphenidat eine Folgestudie erarbeite, die im September 2008 begonnen habe. Anschließend werde ein Antrag auf Erweiterung der Zulassung gestellt. Die JGmbH hat mitgeteilt, für das Produkt Concerta liege zwischenzeitlich eine publizierte Zulassungsstudie vor, eine weitere 13-wöchige Zulassungsstudie sei in Bearbeitung. Zum jetzigen Zeitpunkt könne keine genauere Zeitangabe zur möglichen Einreichung bei den Behörden gemacht werden. Die U GmbH hat im Januar 2009 mitgeteilt eine Anwendung von Equasym bei Erwachsenen sei bisher nicht Bestandteil der dort vorhandenen sechs Zulassungen und sei derzeit auch nicht beantragt. Nach Auskunft der N GmbH werde eine Zulassung von Ritalin für Erwachsene angestrebt. Im November 2008 habe ein Beratungsgespräch beim BfArM bezüglich des Studiendesigns stattgefunden.
Das BfArM hat im Dezember 2008 u.a. mitgeteilt, eine bei ihm berufene Expertengruppe beschäftige sich mit dem fraglichen Stoff in der genannten Indikation. Angesichts der bisherigen zeitlichen Entwicklung könne eine seriöse Einschätzung, wann erste Ergebnisse dieser Expertengruppe vorliegen, zurzeit nicht abgegeben werden.
Sodann hat das LSG Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Prof. Dr. H. Nach seiner Einschätzung im Gutachten vom 22. Oktober 2009 gebe es für die Behandlung erwachsener ADS-Patienten mit Methylphenidat eine Vielzahl aussagekräftiger Studien, die deren Wirksamkeit belegen. Allerdings sei erst durch die Markteinführung von Methylphenidat mit verlangsamten Freisetzungsmechanismen ein Interesse der Pharma-Unternehmen an der Durchführung von Zulassungsstudien entstanden, u.a. die sogenannte EMMA-Studie der Firma M, deren Ergebnisse mittlerweile veröffentlicht seien und durch die eine klinische Wirksamkeit bei Erwachsenen mit ADS habe nachgewiesen werden können. Gegen die Zulassungsstudien habe es jedoch Einwände der Zulassungsbehörden gegeben. Einerseits habe es eine relativ hohe Abbrecherquote gegeben, andererseits einen signifikanten Teil von Patienten, die eine Symptomverbesserung unter Placebo erreichten, so dass die therapeutische Effektstärke der Medikation von der Zulassungsbehörde letztendlich als nicht hoch genug eingeschätzt worden sei. Zusammenfassend sei zu sagen, dass die Behandlung erwachsener Patienten mit ADS mit Methylphenidat die international von allen Experten anerkannte und empfohlene medikamentöse Behandlung der ersten Wahl sei. Spätestens mit der Veröffentlichung der Leitlinien auf der Basis eines Experten-Konsensus in 2003 könne man aus ärztlicher Sicht davon sprechen, dass dies den Standard in Deutschland für diese Patienten darstelle, was seitdem in der Behandlung von Erwachsenen ADS-Patienten zum dauerhaften Widerspruch zwischen dem Gebot der richtigen ärztlichen Behandlung und der fehlenden Kostenübernahme dieser Behandlung durch die Mehrzahl der gesetzlichen Krankenkassen führe. Soweit der MDK anführe, dass alle Autoren der dort zitierten Facharbeiten auf einen noch vorhandenen Forschungsbedarf verwiesen, handele es sich um eine gängige Formulierung, die sich in praktisch jeder wissenschaftlichen Arbeit finde. Für das ärztliche Handeln müsse ausschlaggebend sein, welche Therapie zum aktuellen Zeitpunkt diejenige mit der besten Evidenz für den Patienten sei.
Auf Rückfragen des LSG hat Prof. Dr. H u.a. ergänzt, die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken sei in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen in internationalen Studien mehrfach nachgewiesen. Die Kriterien einer kontrollierten klinischen Prüfung für den Wirkstoff Methylphenidat würden u.a. durch die Studie Spencer, Biederman, Wilens et al. (2005) als erfüllt angesehen.
Die Beklagte hat auf das Urteil des BSG vom 30. Juni 2009 (-B 1 KR 5/09 R- juris) verwiesen, wonach beim Krankheitsbild ADHS für das Arzneimittel, welches zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung bezogen werden solle, eine entsprechende Zulassung unverzichtbar sei. Es handele sich um keinen durch Gesetzesrecht und untergesetzlichen Regelungen gedeckten Off-Label-Use.
Der Kläger hat einen Vermerk seines Arbeitgebers über ein Vorgesetzten-Mitarbeiter-Gespräch 2005 sowie ein Attest der D-Klinik über auf eine stationäre Rehabilitation des Klägers dort vom 26. Mai bis 07. Juli 2010 beigebracht, wonach die Fortsetzung der medikamentösen Therapie mit Methylphenidat dringend empfohlen werde.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts vom 02. August 2007 ebenso wie der angefochtene Versagungsbescheid der Beklagten vom 12. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09. Juni 2004 erweisen sich nicht als rechtswidrig.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist die Klage insgesamt zulässig. Auch wenn der Kläger zwischenzeitlich Medikinet aufgrund vertragsärztlicher Verordnung zu Lasten der Beklagten erhalten hat, bestand und besteht erst recht nach dem Ende der Verordnung auf Kassenrezept ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf Verurteilung zur zukünftigen medikamentösen Versorgung. Die Beklagte bestreitet auch weiterhin einen materiellen Leistungsanspruch des Klägers. Insoweit drohte dem Kläger jederzeit die Beendigung der Verordnung bzw. ist seit Januar 2010 die Versorgung zu Lasten der Beklagten nicht mehr gegeben (in diesem Sinne auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. September 2005 -L 5 KR 171/04- juris).
Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Kläger hat für die Zeit von 2002 bis 2005 weder einen Kostenerstattungsanspruch für die von ihm getragenen Kosten der auf Privatrezept beschafften Medikation, noch besteht bis zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ein Anspruch auf zukünftige Versorgung mit methylphenidathaltigen Medikamenten durch die Beklagte.
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1, 2. Alternative SGB V besteht Anspruch auf Erstattung der Kosten auch für selbstbeschaffte Arzneimittel, deren Erbringung die Beklagte als Sachleistung zu Unrecht abgelehnt hat. Arzneimittel sind jedoch grundsätzlich nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst, wenn die nach § 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG) erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt.
Bei Medikinet (retard) sowie anderen methylphenidathaltigen Medikamenten handelt es sich um zulassungspflichtige Arzneimittel, die für den Anwendungsbereich ADHS beim Erwachsenen bisher weder in Deutschland noch sonst im Gebiet der Europäischen Union zugelassen sind. Auch wenn methylphenidathaltige Arzneimittel in Deutschland für Kinder und Jugendliche mit ADHS zugelassen sind, genügt dies nicht, um bei Erwachsenen von einer Anwendung im Rahmen der arzneimittelrechtlichen Zulassung auszugehen. Die Bestimmung, dass ein Arzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen nicht eingenommen werden darf, stellt eine Einschränkung der Anwendungsgebiete dar und steht folglich mit deren Festlegung auf einer Stufe (so auch BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, wie vor). Eine Zustimmung der zuständigen Bundesoberbehörde nach § 29 Abs. 2a Satz 1 AMG zur Erweiterung des Anwendungsgebietes bzw. eine Neuzulassung nach § 29 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 AMG liegen bis zum heutigen Tage nicht vor. Die Rückfrage bei den Herstellerfirmen hat ergeben, dass bisher auch noch kein entsprechender Antrag gestellt worden ist. Insoweit ist auch ein zeitlicher Rahmen, innerhalb dessen eine Entscheidung über die Zulassung bzw. Zulassungserweiterung ergehen könnte, nicht abzusehen. Entsprechendes gilt nach Auskunft des BfArM für die Einschätzung der von ihm berufenen Expertengruppe.
Es liegt hier auch kein Ausnahmefall vor, in dem der Sachleistungs- und/oder Kostenerstattungsanspruch des Klägers nach den allgemeinen Grundsätzen oder aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben im Off-Label-Use zu begründen wäre.
Das BSG hat zuletzt mit Urteil vom 30. Juni 2009 (wie vor) bestätigt, dass es sich bei der Anwendung methylphenidathaltiger Mittel bei ADHS bei Erwachsenen nicht um einen durch Gesetzesrecht oder untergesetzliche Regelungen gedeckten Off-Label-Use handelt: In den auf der Grundlage nach von § 92 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 6 SGB V ergangenen AMR (in der ab 25. Juni 2009 geltenden Fassung des Beschlusses vom 19. März 2009, BAnz Seite 2185), die seit dem 21. Juli 2006 (Beschluss vom 18. April 2006, BAnz Seite 5122) in Abschnitt H. und Anlage 9 Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" (vgl. inzwischen Anlage VI zum Abschnitt K.) enthielten, sind methylphenidathaltige Mittel nicht aufgeführt. Eine positive Entscheidung über deren Aufnahme zur Anwendung bei Erwachsenen-ADHS in die AMR ist auch nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des BSG nicht ergangen. Ebenso liegt weiterhin keine Empfehlung nach Abschnitt H. Nr. 24 AMR der beim BfArM gebildeten Expertengruppe nach § 35b Abs. 3 Satz 1 SGB V vor.
Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use sind nicht erfüllt. Nach der Rechtsprechung des BSG (z.B. Urteil vom 26. September 2006 -B 1 KR 14/06 R- SozR 4-2500 § 31 Nr. 6; Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O. mit weiteren Nachweisen) kommt ein Off-Label-Use außer in Seltenheitsfällen oder bei einem Systemversagen grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann; wobei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung vorliegenden Erkenntnisse abzustellen ist.
Es bestehen keine Anhaltspunkte für ein Systemversagen, das anzunehmen wäre, wenn die zuständigen Stellen den Zulassungsantrag nicht bzw. nicht rechtzeitig bearbeiten (so auch BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O).
Bei ADHS handelt es sich nicht um einen Seltenheitsfall. Ein solcher liegt vor, wenn der Versicherte an einer sehr seltenen und deshalb einer systematischen Erforschung von darauf bezogenen Therapiemöglichkeiten nicht zugänglichen Erkrankung leidet, für die keine anderen Therapiemöglichkeiten zur Verfügung stehen. Angesichts einer Verbreitung der ADHS auch im Erwachsenenalter von ca. 2 % ist von einem Seltenheitsfall nicht auszugehen (vgl. BSG, wie vor). Laut DGPPN sollen sogar 2,5 bis 4% aller Erwachsenen betroffen sein (Quelle: http://www.medice.de/therapiefelder/adhs/fachkreisbereich/therapie-der-adhs-2013-multimodal-fruhzeitig-die-spirale-unterbrechen/adhs-therapie-in-verschiedenen-altersgruppen/).
Auch wenn es sich bei der Erkrankung des Klägers um eine schwerwiegende, zwar nicht lebensbedrohliche, aber die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt und andere Therapien nicht verfügbar sein sollten, fehlt es hier jedenfalls an der dritten der oben aufgeführten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use, der begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg.
Bis zum heutigen Tage kann aufgrund der Datenlage nicht davon ausgegangen werden, dass gerade mit den begehrten methylphenidathaltigen Arzneimitteln ein Behandlungserfolg im Sinne der Rechtsprechung des BSG (wie vor) zum Off-Label-Use nachgewiesen ist. Hierzu müssen Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies setzt voraus, dass a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht.
Hieran fehlt es zur Überzeugung des Senats auch weiterhin. Das BSG (wie vor) führt aus: "Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, jeweils RdNr 24 - Ilomedin). Vor diesem Hintergrund hat ( ) Gewicht, dass das BfArM erst noch zusätzliche Daten zu Dosierung und geschlechtsspezifischen Unterschieden beim Ansprechen auf Methylphenidat für erforderlich hält, um über eine erweiterte, auch auf Erwachsene bezogene Zulassung entscheiden zu können. Da die weitere Studie, welche im September 2008 eingeleitet werden sollte, offenbar noch nicht abgeschlossen ist und ihre Ergebnisse noch nicht veröffentlicht worden sind, fehlte und fehlt es für die bislang erfolgte Behandlung des Klägers an den für einen Off-Label-Use notwendigen qualifizierten fachlichen Erkenntnissen. Dies steht in Einklang damit, dass auch ein positives Votum seitens der beim BfArM gebildeten Off-Label-Use-Expertengruppe ( ) noch nicht vorliegt. Demgemäß kann auch aus der von Klägerseite angeführten, 2007 abgeschlossenen, mit 359 Studienteilnehmern durchgeführten bisher größten Phase III-Studie über den Einsatz des methylphenidathaltigen Arzneimittels "Medikinet retard" im Erwachsenenalter (sog "EMMA-Studie") , die am 22.01.2009 in einem medizinischen Fachjournal publiziert worden ist, aktuell noch nichts hergeleitet werden. Der Hersteller Medice berichtet selbst davon, dass er auch mit dieser Studie die angestrebte Zulassung bislang noch nicht habe erlangen können und deshalb weiter hieran arbeite (www.medice.de/ unternehmen/aktuelles/neues-zu-adhs-im-erwachsenenalter, im Internet recherchiert am 10.6.2009; im Ergebnis übereinstimmend bereits LSG Hamburg, Beschluss vom 14.8.2008 - L 1 B 258/08 ER KR, Breithaupt 2009, 7; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 9 KR 110/06, juris; SG Düsseldorf, Urteil vom 5.3.2008 - S 2 KA 84/07, juris)".
Hiervon abzuweichen besteht im vorliegenden Fall kein Anlass. Insbesondere vermag die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. H den Off-Label-Einsatz von Methylphenaidat nicht zu rechtfertigen. Für den krankenversicherungsrechtlichen Anspruch ist es ohne Belang, dass der Gutachter - den Leitlinien der DGPPN (Der Nervenarzt 2003, 939) folgend - eine Behandlung mit dem Wirkstoff Methylphenidat als "Mittel der ersten Wahl" bei Erwachsenen-ADHS ansieht. Die Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften bestimmen den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten nicht.
Die veröffentlichten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Qualität und Wirksamkeit der entsprechenden Medikation reichen noch nicht hin, um von einem Konsens in Fachkreisen auszugehen. Prof. Dr. H stellt insoweit auf die Studien von Wilens (2003) sowie Spencer, Biderman, Wilens et al. (2005) ab, nach denen die Kriterien einer kontrollierten klinischen Prüfung für den Wirkstoff Methylphenidat als erfüllt anzusehen seien. Deren Ergebnisse lagen jedoch auch bereits der Entscheidung des BSG zugrunde. Ein Zulassungsverfahren ist offenbar weiterhin nicht beantragt. Für die der "EMMA-Studie" nachfolgende Studie der Firma M ("QUMEA") wurde im Januar 2010 die Datenerhebung beendet, Ergebnisse sind aber noch nicht veröffentlicht (Quelle: http://clinicaltrials.gov/show/NCT00730249).
Im Falle des Klägers kommt - wie in dem vom BSG (wie vor) entschiedenen Fall - eine Leistungspflicht der Beklagten auch nicht unter erleichterten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use in Betracht. Das BSG hat dahinstehen lassen: " ( ) ob angesichts der im Laufe der letzten Jahre vom Gesetzgeber geschaffenen Regelungen, mit denen er deutlich gemacht hat, unter welchen Bedingungen er eine Off-Label-Versorgung mit Arzneimitteln in der GKV für angezeigt hält, aktuell überhaupt noch Raum für eine richterrechtliche Rechtsfortbildung in diesem Bereich besteht, deren Ermöglichung bei Verkündung des Sandoglobulin-Urteils vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) noch wesentlich auf dem Fehlen solcher normativen Vorgaben beruhte."
Dies bedarf auch hier keiner Entscheidung. Das BSG (wie vor) hat eine abgestufte Anwendung der Grundsätze zum Off-Label-Use erwogen bei der zulassungsüberschreitenden Weiterbehandlung ein und derselben Erkrankung bei Erwachsenen, die als Kinder mit nur für die Behandlung von unter 18-jährigen zugelassenen Medikamenten versorgt worden sind. Eine solche Weiterbehandlung liegt beim Kläger allerdings nicht vor. Bei ihm wurde ADHS erstmals im Jahr 2000 diagnostiziert, die Behandlung mit Methylphenidat begann im April 2001. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger bereits das 35. Lebensjahr vollendet. Weder die Kostenerstattung der auf Privatrezept verordneten Medikation noch die zukünftige Versorgung zu Lasten der Beklagten sind angezeigt, weil hier nicht die Gefahr bestand oder besteht, dass eine Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung mittels Arzneimitteln, auf die er seit längerem eingestellt war, von einem Tag auf den anderen hätte enden können.
Nichts anderes gilt auch für die Weiterbehandlung des Klägers seit Januar 2010. Zwar wurde der Kläger während des laufenden gerichtlichen Verfahrens knapp vier Jahre mit den entsprechenden Medikamenten versorgt aufgrund kassenärztlicher Verordnung zu Lasten der Beklagten. Seit Januar 2010 verordnet der Behandler wieder auf Privatrezept. Dem Kläger droht auch zukünftig kein sofortiger, unkontrollierter Behandlungsabbruch, der ggf. aus medizinischen Gründen zu vermeiden wäre. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich der Kläger - zumindest für eine Übergangszeit während eines ärztlich kontrollierten Behandlungsabbruchs - weiterhin mit den erforderlichen Medikamenten auf eigene Kosten versorgen kann.
Auch verfassungsrechtliche Aspekte rechtfertigen den Off-Label-Use von methyphenidathaltigen Medikamenten bei ADHS im Erwachsenenalter nicht. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluss vom 06. Dezember 2005 (-1 BvR 347/98- SozR 4-2500 § 27 Nr. 5) aus den in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) verankerten Grundrechten auf Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit gefolgert, dass insbesondere in Fällen der Behandlung einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung die maßgeblichen Vorschriften des Krankenversicherungsrechts grundrechtsorientierend auszulegend sind. Es ist mit Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem grundgesetzlichen Sozialstaatsprinzip nicht vereinbar, den Einzelnen unter den Voraussetzungen des § 5 SGB V der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung zu unterwerfen und für seine an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ausgerichteten Beiträge die notwendige Krankheitsbehandlung gesetzlich zuzusagen, ihn andererseits aber, jedenfalls dann, wenn er an einer lebensbedrohlichen oder sogar regelmäßig tödlichen Erkrankung leidet, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht vorliegen, von der Leistung einer bestimmten Behandlungsmethode durch die Krankenkasse auszuschließen und ihn auf eine Finanzierung der Behandlung außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung zu verweisen.
Bei ADHS handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche bzw. regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung (so die Einschätzung des Sachverständigen; vgl. auch BSG, Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O.). Auch der den Kläger behandelnde Neurologe/Psychiater Dr. N schätzt ein, dass es ohne Behandlung zu einer erheblichen Störung der Konzentration und einem vermehrt impulsiven Verhalten käme. Insoweit können sich die Krankheitsfolgen zwar durchaus gravierend für den Betroffenen auswirken, sie sind aber nicht so schwergradig, dass sie wertungsmäßig einer lebensbedrohlichen Erkrankung gleichkämen bzw. notstandsähnlich sind (hierzu BSG, Urteil vom 05. Mai 2009 - B 1 KR 15/08 R – juris).
Die Verfassung und insbesondere Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet nicht, dass die gesetzlichen Krankenkassen alles leisten müssten, was an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit möglich ist (so auch das BVerfG, wie vor). Auch wenn sich der Kläger bezüglich des hier geltend gemachten Anspruchs auf seinen behandelnden Arzt und nach gutachterlicher Einschätzung Prof. Dr. Hs auf eine "international von allen Experten anerkannte und empfohlene medikamentöse Behandlung der ersten Wahl" stützen kann, sprechen nach wie vor gewichtige Argumente gegen eine Verordnung zu Lasten der Beklagten.
Jedenfalls dann, wenn die Studienlage bislang die arzneimittelrechtliche Zulassung nicht trägt, gebieten auch die Grundrechte keine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung. Dem BSG (Urteil vom 30. Juni 2009, a.a.O) ist auch dahingehend zu folgen, dass nicht nur im Hinblick auf das Fehlen zulassungsrelevanter Wirksamkeitsnachweise, sondern auch auf die vom Wirkstoff Methylphenidat, einem Psychostimulanzium, ausgehenden möglichen Gefährdungen eine Leistungsverpflichtung der Beklagten weiterhin nicht besteht. Das BSG verweist insoweit auf die aktuell auf europäischer Ebene hervorgehobenen Gefährdungen und unerwünschten Nebenwirkungen selbst bei Kindern unter Zitat einer Pressemitteilung der EMEA vom 22. Januar 2009 zu erheblichen kardio- und cerebovaskulären Risiken sowie Risiken auf psychiatrischem Gebiet, (www.emea.europa.eu/pdfs/human/ referral/phenedate/2231509en.pdf, recherchiert am 10.6.2009) und dem in Veröffentlichungen beschriebenen besonderen Suchtpotenzial (u.a. Philipsen/Heßlinger/Tebartz van Elst, DÄBl 2008, A-311). Neuere Erkenntnisse kann auch der Senat seiner Entscheidung nicht zugrunde legen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Sachentscheidung.
Die Revision ist nicht zulassen, weil ein Zulassungsgrund nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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