L 28 AS 53/11 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 20 AS 3086/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 53/11 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Frank-furt (Oder) vom 20. Dezember 2010 wird verworfen, soweit die Antragstellerin die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung begehrt. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:
I.

Die Antragstellerin begehrt im Beschwerdeverfahren noch die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Bewilligung weiterer bzw. höherer Leistungen für die Zeit vom 01. Dezember 2010 bis zum 31. Mai 2011.

Die 1955 geborene Antragstellerin bezieht seit Januar 2005 Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II). Im Zusammenhang mit der Beantragung von Leistungen für die Zeit ab dem 01. Dezember 2010 bescheinigte der Praktische Arzt Dr. H ihr, dass sie an einer Milcheiweißunverträglichkeit leide und daher Kuhmilch- durch Sojaprodukte ersetzen müsse. Eine bei ihr weiter bestehende Hepatitis C ma-che eine Schonkost für die Leber erforderlich. Schließlich sei aufgrund einer Neuroborreliose alkalische Kost in Form von Nahrungsergänzungsmitteln nötig.

Mit Bescheid vom 18. November 2010 bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin vor-läufig Leistungen zur Grundsicherung, und zwar für Dezember 2010 in Höhe von 666,82 EUR und für die Monate Januar bis Mai 2011 in Höhe von je 431,00 EUR. Während er für Dezember 2010 neben dem Regelsatz in Höhe von 359,00 EUR und einem Mehrbedarfszuschlag für kostenauf-wändige Ernährung in Höhe von 72,00 EUR für die Kosten der Unterkunft und Heizung 343,52 EUR berücksichtigte und den sich daraus ergebenden Zahlbetrag zunächst aufgrund einer für De-zember 2010 verhängten Sanktion um 107,70 EUR kürzte, setzte er für die Zeit ab Januar 2011 keine Kosten der Unterkunft und Heizung an. Zur Begründung führte er aus, dass bislang eine endgültige Entscheidung nicht möglich sei. Weiter hieß es in dem Bescheid: "Bis zur Vorlage der vollständigen Betriebskostenabrechnung des Jahres 2009 mit der Mietneufestsetzung ab dem 01.01.2011 im Original werden ab Januar vorerst keine Leistungen für Kosten der Unter-kunft bewilligt. Reichen sie die Unterlagen umgehend nach."

Mit ihrem hiergegen gerichteten Widerspruch wandte die Antragstellerin sich gegen die sank-tionsbedingte Kürzung. Weiter rügte sie die Festsetzung des Mehrbedarfszuschlages auf nur 72,00 EUR, obwohl ihr durch Ernährung und Medikamente zusätzliche monatliche Kosten von 250,00 EUR bis 300,00 EUR entstünden. Zum Nachweis legte sie zahlreiche aus dem Zeitraum von August bis Oktober 2010 datierende Erinnerungsschreiben einer Apotheke vor, mit denen Be-träge von bis zu 1.115,30 EUR für zahlreiche - offenbar in Form von Globuli verabreichte - Pro-dukte geltend gemacht wurden. Bereits am 16. November 2010 hatte die Antragstellerin beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und in diesem Rahmen u.a. gerügt, dass ihr Fort-zahlungsantrag für die Zeit ab Dezember 2010 noch nicht beschieden sei. Nachdem dies zwi-schenzeitlich geschehen war, der Antragsgegner weiter seinen Sanktionsbescheid aufgehoben und den Erlass eines Änderungsbescheides sowie die Auszahlung des Differenzbetrages mit Schreiben vom 02. Dezember 2010 in Aussicht gestellt hatte, hat das Sozialgericht Frankfurt (Oder) mit Beschluss vom 20. Dezember 2010 den Erlass der begehrten einstweiligen Anord-nung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Antrag für die Zeit ab Dezember 2010 unbegründet sei. Der Fortzahlungsantrag sei beschieden. Dass der Antragstellerin höhere Leistungen zustehen könnten, sei weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 29. Dezember 2010 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin, mit der sie bei sachgerechter Auslegung ihres Vorbringens zum einen für die Zeit vom 01. Januar 2011 bis zum 31. Mai 2011 die Bewilligung von Leistungen für die Kos-ten der Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 449,77 EUR sowie für den Zeitraum vom 01. Dezember 2010 bis zum 31. Mai 2011 den Ansatz eines Mehrbedarfs von 200,00 bis 300,00 EUR statt der berücksichtigten 72,00 EUR, mithin zum Lebensunterhalt monatlich weitere 128,00 bis 228,00 EUR begehrt. Zur Glaubhaftmachung hat sie eine Bescheinigung eines Heil-praktikers vom 02. Dezember 2010 vorgelegt, in der dieser erklärt, dass die seit August 2010 laufende Therapie voraussichtlich vier bis fünf Jahre dauern und sein Honorar einschließlich der Medikamente zwischen 125,00 und 145,00 EUR monatlich betragen werde. Weiter hat die Antragstellerin eine Bescheinigung ihres Hausarztes zu den Akten gereicht, nach der sie auf-grund der ärztlich verordneten Ernährung einen Mehrbedarf in Höhe von 200,00 EUR benötige. Ferner entstünden ihr monatliche Kosten von ca. 80,00 bis 100,00 EUR, die "als Verordnung der Apotheke, sowie auch als Ergänzung von mir verordnet werden, um einen erfolgreichen The-rapieverlauf zu gewährleisten".

Mit Schreiben des Gerichts vom 21. Januar 2011 ist die Antragstellerin darauf hingewiesen worden, dass Bedenken hinsichtlich ihres Rechtsschutzbedürfnisses bestünden, soweit es um die Geltendmachung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung ginge, und ihr Begehren bzgl. der Kosten für die Behandlung durch einen Heilpraktiker, für Nahrungsergän-zungsmittel und Medikamente keine Erfolgsaussichten habe. Ferner ist ihr mitgeteilt worden, dass nicht erkennbar sei, warum die für kostenaufwändige Ernährung zuerkannten 72,00 EUR nicht ausreichen sollten, den bestehenden krankheitsbedingten Mehrbedarf auszugleichen. Die Antragstellerin hat darauf erklärt, dass sie seit einem Jahr ohne Strom lebe, da für sie die Be-gleichung der Apothekenrechnungen und ihr Lebensunterhalt Priorität hätten. Die Therapien habe sie nur mit Hilfe von Familie und Freunden durchführen können.

II.

Entgegen der aus Sicht des Senats nicht nachvollziehbaren Auffassung des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) und des Antragsgegners ist die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 20. Dezember 2010 nach § 172 Abs. 1 und 3 Nr. 1 des Sozi-algerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Abgesehen davon, dass es der Antragstellerin jedenfalls zum Zeitpunkt des maßgeblichen Eingangs der Beschwerde auch um die vorläufige Verpflich-tung des Antragsgegners zur Bewilligung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung für die Zeit ab dem 01. Januar 2011 gegangen ist, erstrebt sie die vorläufige Ver-pflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von monatlich 200,00 bis 300,00 EUR für krank-heitsbedingten Mehrbedarf (Ernährung, Medikamente und Heilpraktikerbehandlung) statt der ihr diesbezüglich gewährten 72,00 EUR im Monat. Angesichts des vom 01. Dezember 2010 bis zum 31. Mai 2011 laufenden und damit hier verfahrensgegenständlichen Bewilligungsab-schnitts ist damit der erforderliche Wert des Beschwerdegegenstandes deutlich erreicht.

Allerdings ist die Beschwerde nicht zulässig, soweit die Antragstellerin die vorläufige Ver-pflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung begehrt, sodass sie insoweit als unzulässig zu verwerfen ist (§ 202 SGG i.V.m. § 572 Abs. 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung – ZPO -). Unabhängig davon, ob hinsichtlich der Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung möglicherweise Bestandskraft eingetre-ten oder es inzwischen zu einer Leistungsbewilligung gekommen ist, fehlte es diesbezüglich jedenfalls von Anfang an am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde.

Auch wenn dies im Sozialgerichtsgesetz keine ausdrückliche Erwähnung findet, so setzt doch jede Rechtsverfolgung ein Rechtsschutzbedürfnis voraus. Dies gilt nicht nur für die Klage, sondern auch für jedes andere Rechtsmittel. Für die Annahme des Rechtsschutzinteresses reicht es nicht, dass der Rechtsschutz Suchende durch die ihrem Inhalte nach für ihn nachteilige erst-instanzliche Entscheidung beschwert ist. Vielmehr muss darüber hinaus ein (allgemeines) Rechtsschutzinteresse für das Verfahren der höheren Instanz bestehen. Denn die Beschwer gehört zwar zum Rechtsschutzinteresse, ist mit diesem aber nicht identisch. Es ist durchaus denkbar, dass trotz Vorliegens einer Beschwer ein Rechtsschutzinteresse für eine Weiterver-folgung eines Verfahrens fehlt. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn das Verfahren unnötig, zweckwidrig oder missbräuchlich betrieben wird (vgl. BSG, Urteil vom 08. Mai 2007 – B 2 U 3/06 – juris, Rn. 13, Bernsdorff in Hennig, SGG, Stand Februar 2009, Vorbemerkung §§ 143-178, Rn. 21; vgl. Keller, in Keller/Leitherer/Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl., Vor § 51 Rn. 16b und Meyer-Ladewig in Keller/Leitherer/Meyer-Ladewig, a.a.O., Vor § 143 Rn. 5). So aber liegt der Fall hier. Die Beschwerde war zum Erreichen des begehrten Ziels unnötig. Der An-tragsgegner hatte in seinem Bescheid vom 18. November 2010 ausgeführt, welche Unterlagen die Antragstellerin bei ihm vorlegen soll, und die anschließende Leistungsbewilligung in Aus-sicht gestellt. Vor diesem Hintergrund hatte die Antragstellerin es selbst in der Hand, zu einer schnellen Bescheidung beizutragen. Nicht aber bedurfte es dazu der Einschaltung des Landes-sozialgerichts. Im Übrigen erscheint die Anforderung der Nebenkostenabrechnung samt Neu-festsetzung der Miete ab Januar 2011 durch den Antragsgegner auch keinesfalls unberechtigt, nachdem es nach Aktenlage in der Vergangenheit offenbar wiederholt zu Differenzen zwischen den Originalabrechnungen des Vermieters und den dem Antragsgegner vorgelegten Kopien gekommen war.

Im Übrigen ist die Beschwerde der Antragstellerin zwar zulässig, insbesondere auch form- und fristgerecht eingelegt (§ 173 SGG). Nicht ist sie hingegen begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung liegen nicht vor.

Nach § 86b Abs. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zu-standes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dies setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und die Rege-lungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind jeweils glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Dies hat die Antragstellerin nicht getan. Unabhängig davon, ob hier Eilbedürftigkeit besteht, ist jedenfalls ein Anordnungsanspruch nicht gegeben. Es ist nicht überwiegend wahrscheinlich, dass ein Gericht der Hauptsache der Antragstellerin weitergehende Leistungen im Hinblick auf ihre Erkrankung und damit einher-gehende Mehrkosten gewähren wird. Eine Rechtsgrundlage, die dies rechtfertigen könnte, ist nicht ersichtlich.

Nach § 21 Abs. 5 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige, die aus medizinischen Grün-den einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, Mehrbedarf in angemessener Höhe. Dass der Antragsgegner diesen Bedarf mit monatlich 72,00 EUR zu gering angesetzt haben könnte, hat die Antragstellerin nicht überzeugend dargetan und ist auch sonst nicht ersichtlich. Es ist nicht nachvollziehbar, warum der genannte Betrag nicht ausreichen sollte, den aufgrund der diagnos-tizierten Milcheiweißunverträglichkeit vorzunehmenden Ersatz von Kuhmilch enthaltenden Produkten durch soja- oder (laut Antragstellerin) ziegenmilchbasierte hinreichend zu finanzie-ren. Ebenso wenig ist zu erkennen, dass die aufgrund der festgestellten Hepatitis C erforderli-che Schonkost mit Zusatzkosten einhergehen könnte. Vielmehr entstehen die Mehrkosten nach dem Vortrag der Antragstellerin und unter Berücksichtigung der von ihr vorgelegten Unterla-gen offenbar im Wesentlichen durch die über den Heilpraktiker oder aus der Apotheke bezoge-nen Produkte. Hierbei handelt es sich jedoch ausweislich der Apothekenrechnungen ersichtlich nicht um Lebensmittel, so dass die Gewährung weitergehender Leistungen nach § 21 Abs. 5 SGB II nicht in Betracht kommt.

Ein Ausgleich dieser Kosten auf der Grundlage einer anderen Vorschrift ist ebenso wenig mög-lich wie die Übernahme der Kosten für die Behandlung durch den Heilpraktiker. Die von der Antragstellerin begehrten Leistungen werden offensichtlich von ihrer gesetzlichen Kranken-kasse, der AOK B, nicht übernommen. Entgegen der bei ihr anklingenden Auffassung kann jedoch der Träger der Grundsicherung nicht dazu herangezogen werden, gleichsam einen Krankenversicherungsschutz auf zweiter Ebene zu gewährleisten. Das Bundessozialgericht hat bereits mit Urteilen vom 25. Juni 2008 (B 11b AS 45/06 R, zitiert nach juris, Rn. 51) und vom 19. Sep¬tember 2008 (B 14/7b AS 10/07 R, zitiert nach juris, Rn. 26) entschieden, dass weder im Hinblick auf die Zuzahlung zu Medikamenten die Gewährung weiterer Leistungen in Be-tracht kommt noch den Grundsicherungsträger eine Einstandspflicht für weitergehende medi-zinische Maßnahmen trifft, die nicht durch die gesetzliche Krankenversicherung sichergestellt werden. Dieser Auffassung folgt der Senat.

Schließlich kann sich die Antragstellerin auch nicht auf die Härtefallregelung des § 21 Abs. 6 SGB II berufen. Danach erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige einen Mehrbedarf, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Hilfebedürftigen gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Bereits in der Gesetzes-begründung zu dieser Vorschrift heißt es ausdrücklich, dass die Vorschrift u.a. nicht anzuwen-den ist für krankheitsbedingten Ernährungsaufwand, der nicht von § 21 Abs. 5 SGB II umfasst wird. Dass die Kosten im Übrigen – insbesondere die für den Heilpraktiker – unabweisbar sein könnten, wie die Vorschrift es fordert, vermag der Senat nicht zu erkennen. Es besteht bereits kein zwingender Bedarf für einen in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten, sich einer durch seine Krankenkasse nicht finanzierten Behandlung durch einen Heilpraktiker zu unterziehen. Es kann vor diesem Hintergrund dahinstehen, ob die Antragstellerin die hierfür erforderlichen Mittel – wie offenbar bisher – durch Dritte erhalten kann.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten wer-den (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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