L 34 AS 1090/09 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
34
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 22 AS 763/09 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 34 AS 1090/09 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 2. Juni 2009 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Das Begehren war unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 8/06 R – Juris) nach § 123 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) dahingehend auszulegen, dass nicht nur Ansprüche des 1966 geborenen Antragstellers zu 1), sondern der Mitglieder der gesamten Bedarfsgemeinschaft – bestehend aus dem Antragsteller zu 1), seiner 1961 geborenen Ehefrau und der gemeinsamen, im Juli 1992 geborenen Tochter, geltend gemacht werden sollen (so genanntes "Meistbegünstigungsprinzip"). Denn nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) ist nicht die Bedarfsgemeinschaft (vgl. § 7 Abs. 3 SGB II), die keine juristische Person darstellt, als solche, sondern grundsätzlich jedes einzelne Mitglied der Bedarfsgemeinschaft Anspruchsinhaber, hier mithin die Antragsteller zu 1), 2) und 3) (vgl. BSG, Urteil vom 7. November 2006, a.a.O.).

Die statthafte und fristgerecht erhobene Beschwerde (vgl. § 172 Abs. 1 und § 173 SGG) der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 2. Juni 2009 hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht hat den am 28. April 2009 bei Gericht gestellten (sinngemäßen) Antrag der Antragsteller, die Antragsgegnerin im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, Stromschulden in Höhe von 1.682,17 Euro (2.058,05 Euro laut Postenaufstellung des Stromversorgers vom 20. April 2009 abzüglich des mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 23. April 2009 gewährten Darlehens in Höhe von 375,88 Euro) im Wege eines Darlehens zu übernehmen, zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine dahingehende Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer solchen Regelungsanordnung setzt voraus, dass nach materiellem Recht ein Anspruch auf die begehrte Leistung besteht (Anordnungsanspruch) und dass die Regelungsanordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund). Sowohl der Anordnungsanspruch als auch der Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.

Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Anspruchsgrundlage für die Übernahme von Stromkosten, die – wie hier – aufgrund der Nichtzahlung der monatlichen Abschläge an den Energieversorger als Schulden zu qualifizieren sind, kann allein § 22 Abs. 5 SGB II in der ab dem 1. April 2006 geltenden Fassung (BGBl. I S. 558) sein (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2009 – L 7 AS 546/09 B ER – Juris). Diese Vorschrift verdrängt als spezielle Regelung § 34 Abs. 1 des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (vgl. die amtliche Begründung BT-Drs. 16/688 S. 14); § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfasst dagegen – anders als § 22 Abs. 5 SGB II – keine Schulden, sondern bezweckt die Deckung eines unabweisbaren, noch bestehenden Bedarfs im Wege der Darlehensgewährung.

Nach § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II können, sofern Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Die Schulden sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht (Satz 2). Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden (Satz 4). Die genannten tatbestandlichen Voraussetzungen sind hier nicht (sämtlich) erfüllt. Zwar erbringt die Antragsgegnerin den Antragstellern im Sinne des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II gegenwärtig (u.a.) Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II, und zwar zuletzt aufgrund des Bescheides vom 12. Mai 2009 für die Zeit vom 1. Juni 2009 bis zumindest zum 31. Juli 2009 (vgl. den Bescheid über die vorläufige Einstellung der Leistungszahlung vom 26. Juni 2009) in Höhe von insgesamt 496 Euro im Monat. Voraussetzung für eine von der Antragsgegnerin zu treffenden Ermessensentscheidung bzw. ein nach § 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II regelmäßig auszuübendes gebundenes Ermessen ist aber, dass die Hilfe zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage "gerechtfertigt ist". An diesem Erfordernis fehlt es, selbst wenn wegen einer faktischen Unbewohnbarkeit der Wohnung der Antragsteller aufgrund der Stromunterbrechung seit April 2009 eine (drohende) Wohnungslosigkeit angenommen wird (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 28. Mai 2009, a.a.O.; Bieritz-Harder/Birk in: LPK-SGB XII, 8. Auflage 2008, § 34 Rdnr. 11; Dauber in: Mergler/Zink, SGB XII, Stand: August 2008, § 34 Rdnr. 10 m.w.N.). Bei der Voraussetzung der Rechtfertigung einer Schuldenübernahme handelt sich um ein Tatbestandsmerkmal der Vorschrift, das als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 25. September 1996 – 4 L 4040/95 – Juris Rdnr. 24; Schmidt in: Oestreicher, SGB XII/SGB II, Stand: März 2009, § 22 SGB II Rdnr. 146; Dauber, a.a.O. § 34 Rdnr. 11).

Bei der Prüfung der Frage, ob die Leistung gerechtfertigt ist, ist u.a. von Bedeutung, wie es zur Notlage gekommen ist. Die Übernahme der Schulden ist regelmäßig nur dann gerechtfertigt, wenn der Hilfebedürftige nach den Gesamtumständen unverschuldet in Rückstand mit Zahlungen auf unterkunftsbezogene Kosten (Miete, Gas- und Stromkosten o.ä.) geraten ist, die Notlage für die Existenz des Leistungsberechtigten bedrohlich ist und die Schulden nicht aus eigener Kraft getilgt werden können. Nicht gerechtfertigt ist die Übernahme von Schulden, wenn z. B. Miete oder Energiekostenabschläge im Vertrauen darauf nicht gezahlt werden, dass der Leistungsträger die Miet- und/oder Energieschulden später übernehmen werde (BT-Drs. 13/2440 S. 19 zur Vorläuferregelung des § 15a des Bundessozialhilfegesetzes) oder Mietschulden dadurch entstanden sind, dass der Hilfesuchende trotz Belehrung durch den Träger in einer unangemessen teuren Wohnung verblieben ist und die Differenz zwischen angemessenen und tatsächlichen Kosten nicht aufgebracht hat (OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. März 1999 – 4 M 756/99 – Juris Rdnr. 23). Auch soll durch eine Übernahme der Schulden nicht nachträglich verantwortungsloses Verhalten der Leistungsberechtigten honoriert und hierdurch eine fehlende Eigenverantwortlichkeit weiter gestärkt werden (vgl. Dauber, a.a.O., Rdnr. 11).

Ein vergleichbarer Sachverhalt liegt hier vor. Es ist weder ersichtlich noch von den Antragstellern dargelegt, dass die Stromschulden aus von ihnen nicht zu vertretenden Gründen entstanden sind. Die ihnen seit 2005 gewährten Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II enthielten jeweils einen Anteil für Haushaltsenergie (vgl. § 20 Abs. 1 SGB II), so dass es den Antragstellern oblegen hätte, monatliche Abschlagszahlungen an den Stromversorger zu entrichten. Dafür, dass die Antragsteller seit November 2008 überhaupt keine (monatlichen) Zahlungen an den Stromversorger mehr geleistet haben, ist eine Rechtfertigung nicht erkennbar. Die Antragsteller tragen hierzu allein vor, sie hätten darauf vertraut, dass der Träger der Grundsicherung die monatlichen Abschlagszahlungen an den Stromversorger übernimmt. Ihren Antrag vom Juni 2006, die monatlichen Abschlagszahlungen an den Stromversorger – seinerzeit noch in Höhe von 110 Euro – an jenen direkt zu überweisen, hat die Antragsgegnerin mit Schreiben vom Juli 2006 ausdrücklich abgelehnt. Die Antragsteller durften auch nicht darauf vertrauen, dass der Träger der Grundsicherung zu gegebener Zeit erneut aufgelaufene Stromschulden – wie bereits im Dezember 2007 in Höhe von 1.091,53 Euro – als Darlehen übernehmen würde. Die Norm des § 22 Abs. 5 SGB II begründet, wie auch aus der tatbestandlichen Voraussetzung der Rechtfertigung für die Schuldenübernahme folgt, vielmehr einen Ausnahmetatbestand, der bei der grundsätzlich nicht durch das SGB II beabsichtigten Aufgabe der privaten Schuldentilgung insbesondere dem gesetzgeberischen Ziel, Obdachlosigkeit zu vermeiden, Rechnung trägt. Der Bescheid vom 10. Dezember 2007 selbst hat keinen über die im Einzelfall erfolgte Darlehensgewährung hinausgehenden Vertrauenstatbestand zugunsten der Antragsteller geschaffen. Auch der Bescheid der Antragsgegnerin vom 25. November 2008, in dem unter dem Punkt "Erläuterungen zum Zahlungsmodus" als Zahlungsempfänger unter anderem der Stromversorger genannt war, konnte kein schützenswertes Vertrauen der Antragsteller in diesem Sinne begründen. Denn abgesehen davon, dass ein vermeintlicher, an den Stromversorger zu zahlender Betrag nicht beziffert war, sind von dem insgesamt der Bedarfsgemeinschaft zur Sicherung des Lebensunterhalts monatlich bewilligten Betrag von 1.255 Euro an die Vermieterin 380 Euro und der Restbetrag – abzüglich eines Tilgungsbetrages in Höhe von 60 Euro – an die Antragsteller selbst überwiesen worden, so dass offensichtlich war, dass eine (direkte) Zahlung der laufenden Stromkosten nicht erfolgt sein konnte. Unabhängig hiervon haben die Antragsteller mit der Antragsschrift vorgetragen, dass mangels direkter Zahlung der Abschlagszahlungen an den Stromversorger Mahn- und Verwaltungskosten angefallen seien. Auch insofern haben die Antragsteller jedoch ihre sozialrechtlichen Obliegenheiten verletzt, indem sie augenscheinlich trotz monatlicher Mahnungen des Stromversorgers untätig blieben.

Im Übrigen fehlt es auch deswegen an einer Rechfertigung für die Übernahme der Stromkosten, weil die Kosten der von den Antragstellern bewohnten Wohnung – deren Größe in dem zum 1. August 2003 geschlossenen Mietvertrag nicht näher bestimmt und für die eine monatliche Kaltmiete in Höhe von 500 Euro zu entrichten ist – unangemessen sind. Dass der Antragsgegner für einen Dreipersonenhaushalt höchstens 80 qm und eine Bruttokaltmiete von höchstens 5 Euro pro qm, hier also eine Kaltmiete von 400 Euro, als angemessen angesehen hat, ist nicht zu beanstanden. Dies entspricht dem in der Richtlinie des Landkreises Dahme-Spreewald zu § 22 SGB II – Kosten der Unterkunft und Heizung – vom 19. Dezember 2008 niedergelegten oberen Richtwert für die Nettokaltmiete, ohne dass es hier darauf ankäme, dass darin für die hier betroffene Gemeinde Schenkenländchen nur 4,20 Euro pro qm nettokalt zugrunde gelegt wurden. Jenen Betrag übersteigt die Kaltmiete der von den Antragstellern bewohnten Wohnung bei Weitem, worauf die Antragsgegnerin die Antragsteller wiederholt, zuletzt mit Schreiben vom 7. Mai 2008 hingewiesen hat. Die Antragsteller haben es (gleichwohl) unterlassen, sich nachweislich um eine Reduzierung ihrer Unterkunftskosten zu bemühen. Auch nachdem die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 25. November 2008 nur noch Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 496 Euro berücksichtigt hat, von denen sie an die Vermieterin 380 Euro monatlich und den verbleibenden Anteil an die Antragsteller selbst überwiesen hat, sind diese augenscheinlich nicht tätig geworden, um zu einer Senkung ihrer Unterkunftskosten (und damit auch zu den Stromkosten) beizutragen. Vielmehr tragen sie vor, sie würden den Rest ihrer Miete (gemeint ist wohl der nicht von der Antragsgegnerin übernommene Mietanteil) "selber tragen", was sie möglicherweise dadurch tun, dass sie den ihnen in Höhe von 116 Euro überwiesenen Anteil für Heizung – nachdem der Gasversorger offenbar bereits im Jahr 2005 die Lieferung aufgrund erheblicher Schulden eingestellt hatte – als weiteren Mietanteil ihrer Vermieterin zukommen lassen. Die Übernahme der Stromkosten liefe in diesem Fall aber darauf hinaus, im Nachhinein unangemessen hohe tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft im Wege der Schuldenübernahme der von den Antragstellern selbst nicht beglichenen Stromkosten zu berücksichtigen. Selbst wenn es den Antragstellern im Übrigen gelingen sollte, aufgrund einer Erwerbstätigkeit unabhängig von Grundsicherungsleistungen zu werden, würde auch diese – gegenwärtig auch unter Berücksichtigung der geringfügigen Beschäftigung des Antragstellers zu 1) nicht konkrete – Erwartung es nicht rechtfertigen, aufgrund der Übernahme erheblicher Energierückstände die unangemessen teure Wohnung zu erhalten.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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