L 7 B 204/09 AS

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 6 AS 112/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 B 204/09 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 22.04.2009 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Kläger ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Denn das Sozialgericht (SG) Duisburg hat mit dem angegriffenen Beschluss vom 22.04.2009 ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Ergebnis zu Recht abgelehnt.

1. Prozesskostenhilfe wird nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) nur gewährt, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Die Rechtsverfolgung der Kläger bot keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Sie begehren die Übernahme von Passbeschaffungskosten. Hierfür ist eine Anspruchsgrundlage nach derzeitigem Sach- und Streitstand nicht erkennbar.

a) Die Kläger beziehen fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Das SGB II enthält keine Anspruchsgrundlage für die Verurteilung des Grundsicherungsträgers zur Übernahme von Passbeschaffungskosten.

Denn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung eines Mehr- bzw. Sonderbedarfes gemäß § 21 oder § 23 Abs. 3 SGB II sind nicht erfüllt. Gemäß § 5 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 SGB II decken die nach dem SGB II vorgesehenen Leistungen den Bedarf der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen und der mit Ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen. Eine davon abweichende Festlegung der Bedarfe schließt § 3 Abs. 3 Satz 2 SGB II ausdrücklich aus. Damit hat die Gesetzgebung zum Ausdruck gebracht, dass die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bedarfsdeckend und abschließend sind (Spellbrink in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 7 Rn. 17).

b) Die Kläger können einen Leistungsanspruch auch nicht aus dem Grundgesetz (GG) herleiten. Zum einen bedarf ein solcher Anspruch grundsätzlich der legislativen Ausgestaltung. Denn die Verfassung kann nur den tragenden Grund für eine Leistungsgewährung setzen, (erst) das einfache Recht liefert Inhalt und Schranken der Berechtigung (Seiler, JZ 2010, S. 500, 504). Zum anderen ist eine Leistungsgewährung im vorliegenden Kontext verfassungsrechtlich nicht geboten.

Denn das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Urteil vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09 - BGBl. I S. 193) entschieden, dass die Regelleistung des § 20 SGB II nicht denjenigen besonderen, laufenden, nicht nur einmaligen und unabweisbaren Bedarf zu erfassen vermag, der zwar seiner Art nach berücksichtigt wird, dies jedoch nur in durchschnittlicher Höhe. Tritt in Sondersituationen ein höherer, überdurchschnittlicher Bedarf auf, erweise sich die Regelleistung als unzureichend. Auch hier könnten einmalige oder kurzfristige Spitzen im Bedarf durch ein Darlehen nach § 23 Abs. 1 SGB II ausgeglichen werden. Bei einem längerfristigen, dauerhaften Bedarf sei das indessen nicht mehr möglich. Deshalb bedürfe es neben den in §§ 20 ff. SGB II vorgegebenen Leistungen noch eines zusätzlichen Anspruchs auf Leistungen bei unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums. Dieser Anspruch entstehe aber erst, wenn der Bedarf so erheblich ist, dass die Gesamtsumme der dem Hilfebedürftigen gewährten Leistungen - einschließlich der Leistungen Dritter und unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten des Hilfebedürftigen - das menschenwürdige Existenzminimum nicht mehr gewährleistet. Dieser zusätzliche Anspruch dürfte angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen nur in seltenen Fällen entstehen. Um die Gefahr einer Verletzung von Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG in der Übergangszeit bis zur Einführung einer entsprechenden Härtefallklausel zu vermeiden, müsse die verfassungswidrige Lücke für die Zeit ab der Verkündung des Urteils des BVerfG durch eine entsprechende Anordnung des Bundesverfassungsgerichts geschlossen werden. (zum Vorstehenden: BVerfG, a.a.O., Rn. 208 und 220).

Ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger und besonderer Bedarf zur Deckung des menschenwürdigen Existenzminimums in dem vorgenannten Sinne liegt hier nicht vor. Denn die Kläger begehren die einmalige Übernahme von Passbeschaffungskosten, so dass es bereits an einem laufenden Bedarf fehlt, der nach der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Voraussetzung für einen Härtefall ist.

c) Die Kläger haben vielmehr einen einmaligen Bedarf geltend gemacht. Ein Bedarf besteht bei ihnen deshalb, weil die Regelung des § 3 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes eine gesetzliche Passpflicht begründet. Ob die Beklagte angesichts des einmaligen Bedarfs der Kläger zur Gewährung eines Darlehens gemäß § 23 Abs. 1 SGB II verpflichtet war bzw. ist, hatte der Senat nicht zu entscheiden. Denn die Kläger haben nach jetzigem Sach- und Streitstand ein solches Begehren auf darlehensweise Leistungsbewilligung nicht geltend gemacht. Mit Verfügung vom 26.10.2009 hatte der Senat die Kläger u.a. darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 SGB II sich aus ihrem Vortrag nicht ergeben dürften, sofern eine darlehensweise Bewilligung überhaupt von ihnen begehrt sein sollte. Hierzu haben die Kläger weder mit ihrer Beschwerdebegründung vom 11.11.2009 noch in der Folgezeit vorgetragen, so dass nach dem derzeitigen Sachstand nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie eine darlehensweise Bewilligung begehren.

Sofern die Kläger zukünftig im Klageverfahren eine darlehensweise Leistungsgewährung begehren sollten, werden sie darzulegen haben, dass ihnen das Aufbringen der Passkosten mangels ausreichender Ansparungen nicht möglich ist bzw. war (vgl. Lang/Blüggel in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl. 2008, § 23 Rn. 14 und 19 f. m.w.N.). Das SG wird sodann zu prüfen haben, ob Passbeschaffungskosten einen Bedarf darstellen, der von den Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II umfasst ist. Für eine Einbeziehung der Passbeschaffungskosten könnte sprechen, dass die Regelung des § 3 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes wie dargelegt eine gesetzliche Passpflicht begründet, ohne hilfebedürftige Menschen hiervon zu supendieren. Die Gesetzgebung könnte sich angesichts dessen möglicherweise selbstwidersprüchlich verhalten, rechnete sie Passbeschaffungskosten nicht zum von den Regelleistungen des SGB II umfassten Bedarf hilfebedürftiger Menschen. Der Senat hatte dies aus den genannten Gründen indes abschließend nicht zu entscheiden. d) Andere verfassungsrechtliche Gründe für eine Leistungsgewährung sind nicht ersichtlich.

Auch eine von den Klägern behauptete ungerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) gemäß Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Zwar hat der 20. Senat des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 10.03.2008 (L 20 AY 16/07, InfAuslR 2008, S. 320 = FEVS 60, S. 163) entschieden, dass Passbeschaffungskosten in voller Höhe zur Erfüllung einer verwaltungsrechtlichen Mitwirkungspflicht im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 1 Fall 4 AsylbLG erforderlich sind. Diese Entscheidung hatte aber das AsylbLG zum Gegenstand. Die sozialen Sicherungssysteme des AsylbLG einerseits und des SGB II andererseits sind zur Überzeugung des Senats (bereits) nicht vergleichbare Sicherungssysteme, weil sie unterschiedlich ausgestaltet sind und - jedenfalls hinsichtlich der Grundleistungen des § 3 AsylbLG - ein sehr unterschiedliches Leistungsniveau aufweisen.

e) Die Kläger können die Übernahme der Passbeschaffungskosten auch nicht von dem Sozialhilfeträger gemäß § 73 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) verlangen, so dass das SG Duisburg im Ergebnis zu Recht diesen auch nicht notwendig beigeladen hat gemäß § 75 Abs. 2 SGG.

Gemäß § 73 SGB XII können Leistungen der Sozialhilfe auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen (Satz 1), wobei die Leistungen als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden können (Satz 2). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist aber Voraussetzung hierfür, dass eine besondere, atypische Lebenslage vorliegt, die eine Nähe zu den anderen im Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geregelten Bedarfslagen, den unter Geltung des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) so bezeichneten "Hilfen in besonderen Lebenslagen", aufweist (zuletzt BSG, Urteil vom 28.10.2009, B 14 AS 44/08 R, m.w.N.).

Hinsichtlich der Übernahme von Passbeschaffungskosten liegt keine besondere, atypische Lebenslage vor, die eine Nähe zu den anderen im Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist. Denn die Übernahme von Passbeschaffungskosten weist keine Nähe zu den Hilfen bei Gesundheit (Fünftes Kapitel des SGB XII), der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen (Sechtes Kapitel), der Hilfe zur Pflege (Siebtes Kapitel) oder der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten (Achtes Kapitel) auf.

Die Verpflichtung zur Passbeschaffung ist insbesondere keine besondere soziale Schwierigkeit im Sinne des § 67 SGB XII. Denn die §§ 67 ff. SGB XII enthalten ein spezielles Hilfsangebot für Personen, bei denen komplexe Problemlagen vorliegen (Bieback in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 3. Aufl. 2010, § 67 Rn. 1), die sich durch eine Verbindung von besonderen Lebensverhältnissen mit sozialen Schwierigkeiten kennzeichnen (§ 1 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten vom 24.01.2001, BGBl. I S. 179). Die Gesetzgebung hat insoweit insbesondere die persönliche Betreuung sowie Hilfen zur Erlangung zur Sicherung des Arbeitsplatzes oder zur Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung im Blick (§ 68 Abs. 1 Satz 1 SGB XII; vgl. auch § 1 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung der Hilfe zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten). Eine komplexe Problemlage in diesem Sinne ist hier nicht gegeben.

2. Kosten werden im Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

3. Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht angreifbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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