L 19 AS 1106/10 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 1003/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 1106/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.05.2010 wird zurückgewiesen. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller wohnte zusammen mit seiner Lebensgefährtin in der ca. 56 qm großen Wohnung N-straße 00, I. Nach dem Auszug der Lebensgefährtin wurde das Mietverhältnis von dem Antragsteller alleine fortgeführt. Laut Vermieterbescheinigung vom 29.01.2010 beträgt die Nettomiete 253,50 EUR zzgl. einer Betriebskostenvorauszahlung von 24,00 EUR, Gebühren einer Kabelnutzung von 15,00 EUR und einer Heizkostenvorauszahlung einschließlich Warmwasserkosten von 57,50 EUR (42,50 EUR + 15,00 EUR).

Der Antragsteller bezog im Jahr 2009 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die Antragsgegnerin stellte die Leistungen zum 30.09.2009 ein. Der Antragsteller übte in der Zeit 24.08.2009 bis 19.11.2009, 10.12. bis 19.01.2010, vom 08.03 bis 19.03.2010 sowie vom 22.03 bis 14.04.2010 eine Erwerbstätigkeit aus.

Am 21.01.2010 beantragte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Diesen Antrag lehnte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 10.02.2010 ab. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Durch Bescheide vom 26.05.2010 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsgegner u.a. für die Zeit vom 21.01. bis 31.01.2010 Leistungen nach dem § 22 SGB II in Höhe von 123,55 EUR sowie für die Zeit vom 01.03. bis 31.07.2010 in Höhe von 343,53 EUR mtl. Die Bescheide enthielten den Zusatz, dass die Miete in voller Höhe direkt an den Vermieter überwiesen werde. Im übrigen wies die Antragsgegnerin den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 01.06.2010 als unbegründet zurück.

Durch Bescheid vom 19.07.2010 bewilligte die Antragsgegnerin dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II, u.a. Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 343,53 EUR mtl., für die Zeit vom 01.08.2010 bis 31.01.2011. Die bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung überweist die Antragsgegnerin an den Vermieter.

Am 21.01.2010 kündigte der Vermieter das Mietverhältnis wegen eines Mietrückstandes für Dezember 2009 und Januar 2010 unter Berufung auf § 543 Abs. 2 Nrn. 3a und 3b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) fristlos. Am 19.02.2010 erhob der Vermieter eine Räumungs- und Zahlungsklage, die dem Antragsteller am 11.03.2010 zugestellt wurde. In der Klageschrift erfolgte nochmals eine fristlose Kündigung des Mietverhältnisses wegen Zahlungsrückständen für die Monate Dezember 2009, Januar und Februar 2010. Der Fortsetzung des Mietverhältnisses über den Zeitpunkt der Beendigung wurde widersprochen. Durch Urteil vom 01.06.2010 verurteilte das Amtsgericht X, 14 C 69/10, den Antragsteller zur Räumung der Wohnung sowie zur Zahlung eines Mietrückstandes für die Zeit vom 01.07.2009 bis 28.02.2010 in Höhe von 2.000,00 EUR und einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 350,00 EUR mtl., beginnend ab dem 01.03.2010. Hiergegen hat der Antragsteller Berufung eingelegt.

Am 10.05.2010 hat der Antragsteller beantragt, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die am 17.02.2010 bestehenden Mietrückstände in Höhe von 2.000,00 EUR und die Mieten für die Monate März bis Mai 2010 in Höhe von 350,00 EUR mtl. zu übernehmen und eine Mietübernahmeerklärung gegenüber dem Vermieter bis zum 11.05.2010 abzugeben.

Durch Beschluss vom 25.05.2010 hat das Sozialgericht Gelsenkirchen den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgewiesen. Ein Anordnungsanspruch sei nicht glaubhaft gemacht. Die Übernahme der Mietschulden sei nicht gerechtfertigt i.S.d. § 22 Abs. 5 SGB II, da die Kosten für die Unterkunft unangemessen hoch seien.

Am 01.07.2010 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.

Er hat beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 25.05.2010 zu ändern und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die am 17.02.2010 bestehenden Mietrückstände in Höhe von 2.000,00 EUR und die Mieten für die Monate März bis Mai 2010 in Höhe von 350,00 EUR mtl. zu übernehmen und eine Mietübernahmeerklärung gegenüber dem Vermieter abzugeben.

Auf Anfrage des Senats hat der Vermieter mitgeteilt, dass sich der Mietrückstand auf insgesamt 2.152,96 EUR belaufe. Dieser setze sich aus rückständigen Mieten für die Monate April bis August 2010 in Höhe von insgesamt 1.750,00 EUR sowie aus einer Nachforderung aus der Nebenkostenabrechnung für 2009 von 402,96 EUR zusammen. Er sei bereit, das Mietverhältnis trotz des ergangenen Räumungsurteils fortzusetzen, wenn die Antragsgegnerin den Mietrückstand vollständig ausgleiche und der Antragsteller mit ihm eine Ratenzahlungsvereinbarung hinsichtlich der Erstattung der Gerichts- und Anwaltskosten unter der Bedingung treffe, dass die Vollstreckung aus dem Räumungsurteil betrieben wird, wenn der Antragsteller mit der Ratenzahlung mehr als eine Woche in Verzug ist.

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruches (d. h. eines materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird) sowie das Vorliegen des Anordnungsgrundes (d.h. der Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten) voraus. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO -).

Soweit der Antragsteller die Übernahme der Miete für die Monate März, April und Mai 2007 von jeweils 350,00 EUR begehrt, ist der Antrag auf Erlass einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 SGG wegen fehlenden Rechtschutzbedürfnisses unzulässig. Denn die Antragsgegnerin hat durch Bescheid vom 26.05.2010 dem Antragsteller Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 343,53 EUR (350,00 EUR abzüglich eines Abschlags für Warmwasserbereitung) für diese drei Monate bewilligt und die Mieten in Höhe von 350,00 EUR mtl. an den Vermieter abgeführt.

Einen Anordnungsanspruch hinsichtlich der Übernahme der bestehenden Mietschulden nach § 22 Abs. 5 SGB II ist nicht glaubhaft gemacht. Danach können von der Antragsgegnerin Mietschulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, soweit dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit eintritt (§ 22 Abs. 5 Satz 2 SGB II). Vorliegend ist die Übernahme der Mietschulden, die der Vermieter im Beschwerdeverfahren nunmehr mit 2.152,96 EUR beziffert, nicht gerechtfertigt i.S.v. § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II. Dabei kann offen bleiben, ob das Sozialgericht zu Recht darauf abgestellt hat, dass die Sicherung der vom Antragsteller genutzten Wohnung wegen deren Kostenunangemessenheit nicht gerechtfertigt ist. Zwar spricht vieles dafür, dass die Kosten der vom Antragsteller genutzten Wohnung hinsichtlich ihrer Größe - 56 qm - sowie hinsichtlich des Quadratmeterpreises - 5,60 EUR (253,50:45)/5,07 EUR (253,50:50) - die Angemessenheitsgrenzen des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II überschreiten. Es bestehen jedoch erhebliche Zweifel, ob der von der Antragsgegnerin angesetzte Quadratmeterpreis von 4,40 EUR unter Zugrundelegung des Mietpreises für Wohnungen von 40 bis 60 qm Größe mit Heizung, Bad/WC der Gruppe IV des Mietspiegels 2009 den Anforderungen an ein schlüssiges Konzept (vgl. BSG Urteil vom 18.02.2010 - B 14 As 73/08 R - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen) genügt. Zwar ist einzuräumen, dass der Mietzins im konkreten Fall (5,60 EUR/5,07 EUR) höher als der Durchschnittsmietrichtwert von 4,97 EUR, ermittelte aus der Summe der Mietrichtwerte aller Baualterklassen geteilt durch die Anzahl der Baualtersklassen, ist. Jedoch überschreitet die Bruttokaltmiete, einschließlich der Kabelnutzungsgebühr von 292,50 EUR nicht den für die Stadt I geltenden Wert von 308,00 EUR nach § 12 Wohngeldgesetz, Mietstufe 2 (siehe zur Begrenzung der tatsächlichen Aufwendungen nach den Werten des WoGG: BSG Urteil vom 18.02.2010 - B 14 As 73/08 R - mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen).

Jedenfalls ist vorliegend die begehrte Schuldenübernahme zur Sicherung der bisherigen Wohnung nicht geeignet. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden, wenn trotz Schuldenübernahme langfristig der Erhalt der Wohnung nicht gesichert werden kann. Dies ist etwa dann der Fall, wenn eine wirksame Vermieterkündigung ausgesprochen worden ist und ein Räumungstitel vorliegt. Die darlehensweise Bewilligung staatlicher Transferleistungen (mit ungewisser Rückzahlung durch den Darlehensnehmer) hat den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit zu genügen. Sie ist nicht gerechtfertigt, wenn der Zweck der Transferleistung, nämlich die Sicherstellung der Unterkunft des Bedürftigen, nicht oder nicht mit der erforderlichen Sicherheit erreicht werden kann. Keinesfalls darf die Transferleistung dazu dienen, den Leistungsempfänger lediglich von zivilrechtlichen Erstattungsansprüchen eines Vermieters freizustellen (vgl. LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.02.2010 - L 5 AS 2/10 B ER - mit weiteren Rechtsprechungshinweisen).

Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft gemacht, dass durch die begehrte Bewilligung eines Darlehens in Höhe von 2.000,00 EUR die derzeit bewohnte Unterkunft mit der erforderlichen Sicherheit langfristig gesichert werden kann. Eine Begleichung der Mietrückstände führt nicht mehr zur Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung des Vermieters vom 21.01.2010. Nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB wird eine außerordentliche Kündigung nur dann unwirksam, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete befriedigt wird. Eine solche Befriedigung mit dem Ergebnis der Unwirksamkeit der Kündigung hätte also längstens zwei Monate nach Rechtshängigkeit der Zahlungs- und Räumungsklage vom 19.02.2010 erfolgen müssen. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Durch das Urteil des Amtsgerichts X vom 01.06.2010 ist das Mietverhältnis beendet worden.

Eine langfristige Sicherung der Wohnung ergibt sich auch nicht aus der Erklärung des Vermieters vom 10.08.2010. Der Vermieter hat sich in dieser Erklärung im Fall der Übernahme der Mietschulden seitens der Antragsgegnerin nicht zum Abschluss eines neuen Mietvertrages bereit erklärt, sondern ist nur unter Bedingung, dass der Antragsteller hinsichtlich der durch das Urteil vom 01.06.2010 auferlegten Kosten des Gerichtsverfahrens mit ihm eine Ratenzahlungsvereinbarung schließt und diese ordnungsgemäß bedient, bereit, vorläufig auf die Vollstreckung des Räumungstitels zu verzichten. Die (vorläufige) Aussetzung der Vollstreckung eines Räumungstitels, die von der Zahlungsmoral des Antragstellers abhängt, erfüllt aber nicht den mit der Bestimmung des § 22 Abs. 5 Satz 1 SGB II verfolgten Zweck der langfristigen Sicherung einer Unterkunft (vgl. hierzu auch LSG Sachsen-Anhalt Beschluss vom 23.02.2010 - L 5 AS 2/10 B ER).

Soweit nach Angaben des Vermieters eine Nachforderung aus Nebenkostenabrechnung für 2009 in Höhe von 402,96 EUR offen steht, hat sich der Antragsteller nach Aktenlage mit diesem Anliegen - Übernahme der Betriebskostennachforderung - unter Vorlage der entsprechenden Unterlagen nicht an die Antragsgegnerin gewandt (vgl. BSG Urteil vom 22.03.2010 - B 4 AS 62/09 R - zur Nachforderung von Betriebskosten nach Jahresabrechnung als gegenwärtiger Bedarf). Insoweit ist ein Anordnungsanspruch auf Übernahme der Betriebskostennachforderung nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II nicht glaubhaft gemacht, selbst wenn im Wege des Meistbegünstigungsgrundsatzes der Beschwerdeantrag des Antragstellers dahingehend ausgelegt wird, dass die Antragsgegnerin verpflichtet werden soll, alle offenen Forderungen des Vermieters aus dem Mietverhältnis zu übernehmen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist die Notwendigkeit gerichtlichen Eingreifens nur dann glaubhaft gemacht, wenn zuvor zumutbare Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, das erstrebte Ziel auch ohne Einschaltung des Gerichts zu erreichen. Hierzu gehört insbesondere die vorherige Kontaktaufnahme mit den zuständigen Verwaltungs- und Leistungsträgern (vgl. LSG NRW Beschluss vom 09.09.2009 - L 19 B 205/06 AS)

Den Antrag des Antragstellers auf Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abgabe einer Mietübernahmeerklärung gegenüber dem Vermieter legt der Senat dahingehend aus, dass der Antragsteller die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abgabe einer Erklärung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB begehrt. Danach wird eine Kündigung auch dann unwirksam, wenn sich eine öffentliche Stelle spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete zur Befriedigung verpflichtet. Insoweit ist im Hinblick auf das vom Vermieter eingeleitete Räumungsverfahren nachvollziehbar, dass der Antragsteller im erstinstanzlichen Verfahren zur Abgabe der "Mietübernahmeerklärung" eine Frist bis zum 11.05.2010 gesetzt hat. Da die Frist des § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB zwischenzeitlich abgelaufen ist und das Räumungsverfahren durch Urteil des Amtsgerichts vom 01.06.2010 erstinstanzlich beendet worden ist, liegt ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Abgabe einer Erklärung nach § 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB nicht vor. Da die Antragsgegnerin sich in den Bewilligungsbescheiden vom 26.05.2010 sowie vom 19.07.2010 verpflichtet hat, die volle Miete für die Monate März 2010 bis Januar 2011 an den Vermieter abzuführen, ist auch ein Anordnungsgrund hinsichtlich der Abgabe einer Mietübernahmeerklärung hinsichtlich der bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt. Das im Beschwerdeverfahren verfolgte Begehren bietet aus vorstehenden Gründen keine hinreichende Erfolgsaussicht (§§ 73a SGG, 114 ZPO).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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