L 5 AS 193/12 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 14 AS 512/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 193/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die dem Antragsteller notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten zu tragen.

Gründe:

I.

Der Antragsgegner wendet sich mit seiner Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau, das ihn verpflichtet hat, dem Antragsteller vorläufig höhere Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) für die Zeit vom 5. März bis 31. August 2012, längstens jedoch bis zu einer bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu bewilligen und an ihn auszuzahlen.

Der am ... 1963 geborene Antragsteller bewohnt eine 24,22 qm große Einzimmerwohnung, für die er eine monatliche Bruttowarmmiete i.H.v. 210 EUR zu zahlen hat. Er ist zudem Eigentümer eines in J. gelegenen Grundstücks. Dieses erwarb er 1996 zusammen mit seiner damaligen Ehefrau, 2005 kaufte er dieser ihren Miteigentumsanteil ab. Das auf dem Grundstück gelegene Haus ist vermietet. Der Antragsteller erzielt daraus Einnahmen i.H.v. 162 EUR (zzgl. Nebenkostenabschlägen i.H.v. 39,18 EUR) für die Vermietung von Räumlichkeiten zum Betrieb eines Friseursalons sowie 300 EUR (zzgl. Nebenkostenabschlägen i.H.v. 80 EUR) für die Vermietung einer Wohnung. Das Grundstück ist mit einer Grundschuld zu Gunsten der Kreissparkasse A.-B. i.H.v. 102.258,37 EUR belastet. Die dieser zu Grunde liegenden Darlehensverbindlichkeiten bediente der Antragsteller zuletzt mit monatlich 460 EUR.

Am 1. Dezember 2011 wurde dem Antragsteller ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Kreissparkasse A.-B. zum Zwecke der Zwangsvollstreckung in die Nettokaltmieteinnahmen i.H.v. monatlich 462 EUR wegen einer Forderung von 105.785,47 EUR zugestellt. Die Mieter zahlen seit diesem Zeitpunkt die Grundmiete direkt an die Kreissparkasse, die Nebenkostenabschläge weiterhin an den Antragsteller.

Mit Bescheid vom 22. Februar 2012 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 202,82 EUR/Monat für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2012. Auf den Bedarf (Regelleistung: 374 EUR; Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU)) rechnete er Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung i.H.v. 381,18 EUR an. Über den seitens des Antragstellers hiergegen eingelegten Widerspruch hat der Antragsgegner noch keine Entscheidung getroffen.

Am 5. März 2012 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt mit dem Begehren, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache ab Antragstellung bis 31. August 2012 monatliche Grundsicherungsleistungen i.H.v. 584 EUR zu gewähren. Die Mieteinnahmen seien nicht bedarfsmindernd zu berücksichtigen, da die Rückgängigmachung der Pfändung aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisiert werden könne.

Mit Beschluss vom 30. März 2012 hat das Sozialgericht dem Antrag in vollem Umfang stattgegeben. Im Wesentlichen hat es zur Begründung ausgeführt, die Mieteinnahmen stünden nicht als bereites Mittel zur Verwendung für den laufenden Bedarf zur Verfügung. Dem Antragsteller sei die Rückgängigmachung der Pfändung durch zivilrechtliches Vorgehen gegen den Pfändungs-und Überweisungsbeschluss vorliegend nicht im Rahmen seiner Selbstobliegenheit nach § 2 Abs. 1 S. 1 SGB II zuzumuten. Für eine Aufhebung des Beschlusses bzw. die Festlegung einer Pfändungsfreigrenze seien keine offenkundigen Erfolgsaussichten ersichtlich. Die Pfändung der Nettokaltmieten habe nach § 851b Absatz 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erfolgen dürfen. Auch eine besondere Härte nach § 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO liege nicht vor. Unter Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) im Urteil vom 21. Dezember 2004 (IXa ZB 228/03, Rn. 10, Juris) hat das Sozialgericht weiter ausgeführt, dem Schuldner dürften nicht die Aufgaben der Grundsicherung aufgebürdet werden. Der Gläubiger habe seinerseits einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch gegen den Staat, dass dieser eine effektive Zwangsvollstreckung ermögliche. Eine analoge Anwendung der §§ 811, 850 ff. ZPO komme nicht in Betracht, da keine gesetzliche Regelungslücke bestehe. Auch ein Antrag nach § 850i ZPO sei nicht erfolgversprechend. Diese Regelung beziehe sich im Hinblick auf die in der Gesetzesbegründung ersichtlichen Zwecke der Neuregelung nicht auf Mieteinnahmen als Erträge des Vermögens. Der Entwurf des Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes, der die Pfändungsgrenzen endgültig unabhängig von der Herkunft des Schuldnereinkommens gestalten wolle (vgl. BT-Drs. 17/2167, S. 14), sei bisher nicht umgesetzt worden. Auch die Umwandlung des Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto im Sinne des § 850k ZPO würde hier ins Leere laufen, da die Mieter die Zahlungen direkt an die Kreissparkasse leisteten.

Gegen den Beschluss hat der Antragsgegner am 30. April 2012 Beschwerde eingelegt nachdem er dem Antragsteller mit Schreiben vom 10. April 2012 mitgeteilt hatte, er werde in Ausführung des Beschlusses einen weiteren Betrag in Höhe von monatlich 381,18 EUR anweisen. Er verweist u.a. auf die Rechtsprechung des Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (Urteil vom 20. Oktober 2011, L 5 AS 1546/09), wonach eine Heiz-und Betriebskostenrückzahlung nicht der Zwangsvollstreckung unterliege. Vielmehr sei § 54 Abs. 4 des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches – Allgemeiner Teil (SGB I) analog anzuwenden. Diese Rechtsprechung sei auch auf andere Einkommensarten zu übertragen. Für den Antragsteller bestehe die Möglichkeit, die Frage des Pfändungsschutzes vor einem ordentlichen Gericht klären zu lassen, unter Umständen auch in einem Eilverfahren. Von dieser Möglichkeit habe er jedoch keinen Gebrauch gemacht. Es genüge, beim zuständigen Amtsgericht einen Antrag auf Feststellung, dass die Mieteinnahmen dem Pfändungsschutz unterlägen, zu stellen. Die Rechtsprechung des BGH könne als nicht mehr entscheidungserheblich herangezogen werden, da zum 1. Juli 2010 eine Änderung des § 850i ZPO erfolgt sei. Ausdrücklich seien nun auch "sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind" von der Regelung umfasst. Die Mieteinnahmen seien außerdem vergleichbar mit denen einer selbstständig tätigen Person, da auch eine Vermietung grundsätzlich gewerblich betrieben werden könne. Das Sozialgericht habe darauf verwiesen, dass diese rechtliche Bewertung durchaus auch so vertreten werde. Die Folgenabwägung, Leistungen vorläufig zu gewähren, sei daher zu Ungunsten des Antragstellers zu treffen.

Der Antragsgegner beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

den Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 30. März 2012 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.

Der Antragsteller hat Gelegenheit erhalten, zur Beschwerde Stellung zu nehmen. Mit Schriftsatz vom 22. Mai 2012 hat er angekündigt, Anträge und Begründung erfolgten mit gesondertem Schriftsatz. Ein solcher ist bis heute nicht eingegangen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG. Der Wert der Beschwerde übersteigt den Berufungswert des § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in Höhe von 750 EUR. Der Antragsgegner wendet sich gegen die Verpflichtung durch das Sozialgericht, die im Beschluss vom 30. März 2012 austenorierten Zahlungen vorläufig zu leisten.

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht den Antragsgegner verpflichtet, vorläufig an den Antragsteller Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen aus Vermietung und Verpachtung zu gewähren. Ein Anordnungsgrund und ein entsprechender -anspruch gegen den Antragsgegner liegen vor. Der Senat verweist nach eigener Prüfung insoweit vollinhaltlich auf die Ausführungen des Sozialgerichts (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Auch die in der Beschwerde benannten Argumente des Antragsgegners führen zu keinem anderen Ergebnis.

So ist die zitierte Rechtsprechung zur Pfändbarkeit eines Guthabens aus einer Betriebskostenabrechnung nicht übertragbar auf den hier vorliegenden Fall der Pfändung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. § 54 SGB I kann bereits deswegen keine Anwendung finden, da keine Regelungslücke besteht. Die Mieteinnahmen fallen unter § 851b ZPO. Danach ist die Pfändung von Miete und Pacht auf Antrag des Schuldners vom Vollstreckungsgericht insoweit aufzuheben, als diese Einkünfte für den Schuldner zur laufenden Unterhaltung des Grundstücks, zur Vornahme notwendiger Instandsetzungsarbeiten und zur Befriedigung von Ansprüchen unentbehrlich sind, die bei einer Zwangsvollstreckung in das Grundstück dem Anspruch des Gläubigers nach § 10 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung vorgehen würden. Das Gleiche gilt für die Pfändung von Barmitteln und Guthaben, die aus Miet- oder Pachtzahlungen herrühren und zu den in Satz 1 bezeichneten Zwecken unentbehrlich sind.

Ob ein Antrag nach § 850i ZPO dazu führen kann, dass die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung nicht der Pfändung unterliegen, ist - worauf der Antragsgegner zu Recht hingewiesen hat - in der Literatur umstritten. Dieser Streit jedoch führt nicht zu einer Folgenabwägung zu Lasten des Antragstellers. Seine Einkünfte fallen nicht unter die Regelung des § 850i ZPO, denn er betreibt die Vermietung gerade nicht gewerbsmäßig als selbstständig Tätiger.

Ein Teil der Literatur sieht auch Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung von § 850i ZPO erfasst (vgl. Musielak, ZPO, 9. Aufl. 2012, § 851i, Rn. 3). Andere erkennen in der Neufassung keine Änderung. "Sonstige Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind" seien danach weiterhin nur Einkünfte aus einer Erwerbstätigkeit. Erfasst würden vielmehr Ansprüche Selbstständiger für Dienste und Leistungen, die nicht von ihnen persönlich, sondern von den in ihren Unternehmen angestellten Personen erbracht werden (vgl. Stöber in Zöller, ZPO, 29. Aufl. 2012, § 850i, Rn. 1). Nach der Systematik des Gesetzes dürften jedoch nur Einkommen Erwerbstätiger von § 850i ZPO erfasst werden. § 850 ZPO befasst sich mit dem Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen. Die §§ 850a bis l ZPO enthalten Einzelheiten zu dessen Pfändbarkeit. § 851 ff ZPO regeln dagegen nicht pfändbare Forderungen, die kein Arbeitseinkommen sind (vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 22. Mai 2012, L 5 As 114/12 B ER, Rn. 125, Juris). Zudem ist zu berücksichtigen, dass offensichtlich der Gesetzgeber selbst in der Regelung des § 850i ZPO nur die Einkommen erwerbstätiger Schuldner im Auge hatte. Eine Änderung der §§ 850 ff ZPO mit der Maßgabe, dass nicht nur Erwerbseinkommen, sondern Einkommen aller Art geschützt werden soll, liegt - worauf das Sozialgericht bereits hingewiesen hatte - im Gesetzentwurf vor, ist allerdings noch nicht beschlossen (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes (GNeuMoP)) vom 16. Juni 2010, BT-Drs 17/2167, Art. 1 Nr. 4, S. 7) So sollen Mehrverdienste des Schuldners künftig unabhängig von ihrer Herkunft mit zusätzlichen Freibeträgen geschützt werden (vgl. BT-Drs. 17/2167 S. 11, 17).

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner gehalten ist, den Antragsteller in die Lage versetzen, seine Rechte gegenüber dem Pfändungsgläubiger wahrzunehmen (vgl. BSG, Urteil vom, 22. September 2009, B 4 AS 8/09 R, Rn. 23 zu einer unwirksamen Mieterhöhung). Dieses hat er bisher nicht hinreichend getan. Der Antragsteller wird insbesondere ohne Hilfe nicht in der Lage sein, einen schlüssigen, die Voraussetzungen für die Gewährung des geltend gemachten pfändungsfreien Anteils darlegenden (vgl. BGH, Urteil vom 31. Oktober 2007, XII ZR 112/05, Rn. 26, Juris) Antrag gemäß § 850i ZPO beim Amtsgericht einzureichen.

Auch die dem Antragsteller monatlich zufließenden Mietzahlungen (Nebenkostenvorauszahlungen) sind nicht als Einkommen auf seinen Bedarf anzurechnen. Ihnen stehen nach § 11b Abs. 1 Nr. 5 SGB II vom Einkommen abzusetzende Kosten gegenüber.

Die Beschwerde war mithin zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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