L 16 AS 847/12

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 11 AS 542/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 847/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 51/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.Der Leistungsausschluss für Arbeit suchende EU Bürger in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist nicht von Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits RL 2004/38 gedeckt, weil es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht um Sozialhilfeleistungen handelt.
2.Der Leistungsausschluss verstößt bei Personen, die vom persönlichen Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 erfasst sind, gegen Art. 4 VO (EG) 883/2004.
3.Ein italienischer Staatsangehöriger, der in der Vergangenheit Beiträge zur deutschen Rentenversicherung entrichtet hat, kann daher auch nach einem mehrjährigem Aufenthalt in Italien und Wiedereinreise in die Bundesrepublik Deutschland nicht wirksam von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden.
I. Das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22. Oktober 2010 und der Bescheid des Beklagten vom 02.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2012 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger vom 01.05.2012 bis zum 17.06.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 585,93 Euro zu gewähren.

II. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt mit seiner Berufung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) vom 01.05.2012 bis zum 17.06.2012, wobei zwischen den Beteiligten im Wesentlichen streitig ist, ob er als italienischer Staatsangehöriger von diesen Leistungen ausgeschlossen ist.

Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Ausweislich des in den Akten befindlichen Versicherungsverlaufs der Deutschen Rentenversicherung Schwaben war er im Zeitraum 01.09.1981 bis 10.10.2003 in der Bundesrepublik Deutschland versicherungspflichtig beschäftigt beziehungsweise im Leistungsbezug nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Insgesamt sind Pflichtbeitragszeiten zur gesetzlichen Rentenversicherung für 244 Monate entrichtet.

Am 21.06.2011 beantragte der Kläger beim Beklagten Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nach dem SGB II. Bei der Antragstellung gab er an, er habe in den letzten zehn Jahren in Italien gelebt und dort gearbeitet. Seit Januar 2011 sei er wieder in Deutschland. Er habe bei seiner Schwester gewohnt, von der er auch finanziell unterstützt worden sei. Seit dem 16.06.2011 halte er sich in B-Stadt auf. Die am 04.07.2011 ausgestellte Bescheinigung zur Freizügigkeitsberechtigung nach § 5 Abs. 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) gibt als Datum der letzten Einreise den 17.11.2010 an.

Mit Bescheid vom 11.07.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger die Regelleistung nach dem SGB II ab 16.06.2011 bis zum 31.12.2011 und mit Bescheid vom 30.11.2011 ab 01.01.2012 bis zum 30.06.2012.

Am 28.02.2012 teilte das Bezirkskrankenhaus B-Stadt mit, dass der Kläger dort seit dem 27.02.2012 für voraussichtlich vier Wochen stationär behandelt werde. Nach Verlängerung der Behandlung um zwei Wochen erfolgte die Entlassung am 10.04.2012.

Mit Bescheid vom 02.04.2012 hob der Beklagte die Leistungsbewilligung ab 01.05.2012 vollständig auf. Der Kläger sei von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da er sich nur zum Zwecke der Arbeitsuche in der Bundesrepublik aufhalte. Auch aus dem Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) könne ein Anspruch des Klägers auf Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts nicht mehr begründet werden, da die Bundesrepublik Deutschland zwischenzeitlich einen Vorbehalt erklärt habe. Die Leistungsbewilligung werde wegen der insoweit eingetretenen Änderung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben.

Der Kläger legte gegen den Aufhebungsbescheid keinen Widerspruch ein.

Am 02.05.2012 ging beim Beklagten ein Weiterbewilligungsantrag vom 30.04.2012 ein, der mithilfe der Drogenhilfe S. gemeinnützige GmbH (B-Stadt) ausgefüllt und von dieser dem Beklagten gefaxt worden war. In dem Antragsformular ist vorgedruckt als Ende des laufenden Bewilligungsabschnitts der 30.04.2012 angegeben. Mit einem ergänzenden Schreiben vom 30.04.2012 teilte die Drogenhilfe mit, dass der Kläger seit 17.04.2012 dort übernachte, aber keine weiteren Leistungen in Anspruch nehme.

Der Antrag wurde mit Bescheid des Beklagten vom 02.05.2012 abgelehnt. Der Kläger sei von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Den hiergegen mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 14.05.2012 erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.05.2012 als unbegründet zurück.

Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Augsburg (Klageerhebung am 14.06.2012) berief sich der Kläger auf seine Unionsbürgerschaft. Er könne als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates der Europäischen Union nicht rechtswirksam von Leistungen zur Sicherung seines Lebensunterhalts ausgeschlossen werden. Für Unionsbürger bestehe ein von der Freizügigkeit unabhängiges, allein aus der Unionsbürgerschaft folgendes Freizügigkeitsrecht nach Art. 21 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), so dass der Ausschluss bei einem Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche bei Angehörigen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union grundsätzlich ins Leere laufe. Er verstoße auch gegen das Diskriminierungsverbot aus Art. 24 Abs. 2 i.V.m. Art. 14 Abs. 4 b der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeits-RL 2004/38), wonach Unionsbürger, die zur Arbeitsuche eingereist sind, nicht ausgewiesen werden können, solange sie ihre Arbeitsuche und eine begründete Aussicht auf ein Beschäftigungsverhältnis nachweisen können. Zwar sei der Aufnahmestaat nicht zur Erbringung von Sozialhilfeleistungen verpflichtet, bei den Leistungen nach dem SGB II handle es sich aber nicht in erster Linie um Fürsorgeleistungen sondern um finanzielle Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Darüber hinaus sei der Leistungsausschluss auch nicht mit dem Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 i.V.m. Art. 70 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vereinbar, das jegliche auf die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Union gestützte Diskriminierung einer von ihrem Geltungsbereich erfassten Person im Rahmen von Leistungen der sozialen Sicherheit verbiete. Jedenfalls ergebe sich ein Leistungsanspruch aus Art. 1 EFA vom 11.12.1953. Der von der Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 erklärte Vorbehalt hinsichtlich der Leistungen nach dem SGB II und dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) sei unwirksam, da es sich bei den zum 01.01.2005 in Kraft getretenen Regelungen des SGB II nicht um ein in diesem Sinne "neues" Gesetz gehandelt habe. Schließlich garantiere Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums auch für ausländische Staatsangehörige, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, der zeitlich unbegrenzte Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sei daher verfassungswidrig.

Am 18.06.2012 trat der Kläger eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs des Beklagten an, weswegen er Leistungen nur noch für den Zeitraum ab 01.05.2012 bis 17.06.2012 geltend machte.

Der Beklagte vertrat weiter die Auffassung, dass der Kläger, soweit für ihn kein anderes Aufenthaltsrecht als der Aufenthalt zum Zweck der Arbeitsuche greife, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei.

Mit Urteil vom 22.10.2012 wies das Sozialgericht Augsburg die Klage gegen den Bescheid vom 02.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.05.2012 ab. Der Kläger sei gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, dessen Voraussetzungen erfüllt seien, von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Der Leistungsausschluss beruhe zulässig auf Art. 24 Abs. 2 der Freizügigkeits-RL 2004/38 und verstoße nicht gegen gemeinschaftsrechtliche Regelungen. Insbesondere ergebe sich auch aus Art. 21 AEUV kein unbegrenztes Aufenthaltsrecht. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Leistungen nach dem SGB II um Sozialhilfe im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 oder um Leistungen zur Erleichterung des Zugangs zum Arbeitsmarkt gemäß Art. 39 Abs. 2 EG-Vertrag beziehungsweise jetzt Art. 45 Abs. 2 AEUV handle. Denn jedenfalls sei es nach Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) legitim, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe erst dann gewähre, wenn eine tatsächliche Verbindung zum jeweiligen Arbeitsmarkt des Aufnahmestaates bestehe. Eine solche Verbindung zum deutschen Arbeitsmarkt seit seiner Wiedereinreise im November 2010 habe der Kläger aber weder vorgetragen noch sei eine solche ersichtlich. Vielmehr habe er angegeben und auch nachgewiesen, dass er ab Einreise seinen Lebensunterhalt nur durch die finanzielle Unterstützung seiner Schwester finanziert habe. Er könne sich damit nicht auf den Diskriminierungsschutz des Art. 45 AEUV beziehungsweise Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 berufen. Der Ausschluss verstoße auch nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 4 VO Nr. 883/2004, da deren Anwendungsbereich von vornherein nur Leistungen gemäß Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 umfasse, nicht aber die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 VO Nr. 883/2004. Art. 70 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 seinerseits habe keinen weitergehenden Anwendungsbereich, der geeignet wäre, entgegen des Wortlauts den Gleichbehandlungsgrundsatz auch auf diese Leistungen zu erweitern. Schließlich verstoße der Ausschluss auch nicht gegen das EFA. Es handle sich bei der erstmaligen Mitteilung des SGB II einschließlich des Leistungsausschlusses in § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II um eine formlose Mitteilung und keinen völkerrechtlichen "Vertrag" gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, der eines gesonderten Zustimmungsgesetzes bezogen auf die Mitteilung des Vorbehalts bedurft hätte. Die Rechtsgrundlage im Artikel 16 a des Abkommens sehe auch keine Ausschlussfristen vor. Auch aus Art. 1 in Verbindung mit Art. 20 GG lasse sich kein weitergehender Anspruch herleiten.

Gegen das Urteil hat der Kläger am 22.11.2012 Berufung eingelegt. Die Begründung folgt im Wesentlichen der Klagebegründung. Zur Frage, ob der Vorbehalt wirksam mitgeteilt worden ist, hat er darauf hingewiesen, dass nach dem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.10.2010 (B 14 AS 23/10 R) die Aufzählung der Fürsorgegesetze im Anhang I EFA keine konstitutive Wirkung habe, so dass es sich bei der Neubekanntmachung des Vorbehalts vom 19.12.2011 nicht um eine erstmalige Mitteilung, sondern um eine unzulässige Herauslösung aus einer bereits vorbehaltlos eingegangenen Verpflichtung gehandelt habe. Gleiches gelte, wenn man das Arbeitslosengeld II als Nachfolgeleistung für das ebenfalls nicht mitgeteilte Bundessozialhilfegesetz ansehe. Der Vorbehalt verstoße auch in der Sache gegen völkerrechtliche Verträge, hier Art. 19 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK), da er mit Ziel und Zweck des Abkommens unvereinbar sei.

Der Beklagte hat mit Schreiben vom 03.01.2013 zur Berufung Stellung genommen.

In der mündlichen Verhandlung am 19.06.2013 hat der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 02.05.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2012 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 22.10.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 01.05.2012 bis zum 17.06.2012 zu gewähren und hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen und hilfsweise die Revision zuzulassen.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogenen Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig und begründet.

Der Kläger macht einen Leistungsanspruch gegen den Beklagten ausdrücklich nur für die Zeit vom 01.05.2012 bis 17.06.2012 geltend. Diese Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) zulässig und begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten ab 01.05.2012 bis 17.06.2012 einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von 374 EUR monatlich (Mai 2012) beziehungsweise anteilig in Höhe von 211,93 EUR im Juni 2012.

1.
Gegenstand der Klage ist der Ablehnungsbescheid vom 02.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.05.2012. Gegen den zuvor am 02.04.2012 ergangenen Aufhebungsbescheid hat der Kläger keinen Widerspruch eingelegt, so dass dieser Bescheid bestandskräftig geworden ist (§ 77 SGG).

Erhoben ist ein Widerspruch, wenn jemand hinreichend deutlich zu erkennen gibt, mit der Verwaltungsentscheidung nicht einverstanden zu sein und deren nochmalige Überprüfung durch die Verwaltung verlangt. Dabei muss die Formulierung "Widerspruch" auch nach erfolgter Rechtsbehelfsbelehrung nicht zwingend verwendet werden (Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, § 83 SGG, Rdnr. 4). Ist das Rechtsmittel nicht eindeutig bezeichnet, ist die Erklärung unter Heranziehung von § 133 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auszulegen, wobei maßgebend der erklärte Wille ist, der sich danach bestimmt, wie der Empfänger nach den Umständen, insbesondere nach der recht verstandenen Interessenlage die Erklärung verstehen muss (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, vor § 60, Rnr. 11 a, sog. objektiver Empfängerhorizont).

Vorliegend hatte der Beklagte keine Veranlassung, den innerhalb der offenen Widerspruchsfrist eingegangenen Weiterbewilligungsantrag als Widerspruch zu behandeln. Dies ergibt sich nach dem ersten Anschein schon daraus, dass der Kläger für sein Begehren das vom Beklagten (im Zusammenhang mit der Leistungsaufhebung) zentral versandte Formular zur Stellung eines Weiterbewilligungsantrags verwendet hat. Auch wenn dort als Ende des letzten Bewilligungszeitraums der 30.04.2012 angegeben war, hat der Kläger - trotz Unterstützung durch die Drogenhilfe - gerade nicht auf die Leistungsaufhebung Bezug genommen. Dass dies bewusst erfolgt ist, wird bestätigt durch das Vorbringen des Bevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung, nach seiner Erfahrung würden von Verbänden wie der Drogenhilfe auch bei noch offener Widerspruchsfrist im Zweifel neue Anträge gestellt und keine Widersprüche eingelegt, weil Anträge in der Regel schneller bearbeitet würden. Eine andere Auslegung ergibt sich weder aus dem Vorbringen des Klägers, der im Schreiben vom 12.06.2013 angegeben hat, keine genaue Erinnerung mehr zu haben, noch aus dem Meistbegünstigungsgrundsatz. Ein Widerspruch gegen eine Leistungsaufhebung mag wegen der zusätzlich zu prüfenden Voraussetzungen der §§ 45 ff. Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) für den Aufhebungszeitraum der einfachere Weg sein, (erneut) zu einer Bewilligung zu gelangen. Allerdings sind die Rechtsfolgen von vornherein auf den Aufhebungszeitraum befristet, während ein Weiterbewilligungsantrag die Möglichkeit bietet, für einen Bewilligungszeitraum von regelmäßig sechs Monaten erneut Leistungen zu erhalten.

Der Leistungsanspruch des Klägers ist damit anhand der Leistungsvoraussetzungen des § 7 SGB II zu überprüfen.

2.
Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung vom 20.12.2011 erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht vollendet haben (Nr. 1), erwerbsfähig (Nr. 2) und hilfebedürftig (Nr. 3) sind sowie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (Nr. 4). Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln sichern kann.

3.
Der Kläger hat das 15. Lebensjahr, aber noch nicht die Altersgrenze nach § 7a SGB II vollendet und war erwerbsfähig. Anhaltspunkte dafür, dass er wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande gewesen ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 8 Abs. 1 SGB II), liegen nicht vor. Ihm war aufgrund der Freizügigkeitsbescheinigung auch uneingeschränkt die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gestattet (§ 8 Abs. 2 SGB II). Schließlich war er im geltend gemachten Umfang hilfebedürftig und hatte im streitgegenständlichen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland, was sich bereits aus der Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 FreizügG/EU ergibt (BSG, Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R). Er war auch nicht gemäß § 7
Abs. 4 SGB II oder § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von den Leistungen ausgeschlossen.

4.
Die Voraussetzungen des Ausschlussgrundes gemäß § 7 Abs. 4 SGB II liegen bereits tatbestandlich nicht vor. Danach erhält Leistungen nach diesem Buch nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Der Leistungsanspruch besteht aber gemäß § 7 Abs. 4 S. 3 SGB II weiter, wenn jemand voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V -) untergebracht ist. Vorliegend war der stationäre Aufenthalt des Klägers im Bezirkskrankenhaus B-Stadt schon vor Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums am 10.04.2012 beendet. Bei der anschließenden Betreuung durch die Drogenhilfe B-Stadt hat es sich um keine stationäre Unterbringung gemäß § 7 Abs. 4 SGB II gehandelt. Der Kläger hat lediglich das Notschlafangebot (im Sinne einer Obdachlosenunterkunft) in Anspruch genommen. Ein innerer Zusammenhang mit der späteren stationären Unterbringung in B-Stadt bestand nicht.

5.
Er ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

5.1
Zwar sind die Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II (in der Fassung vom 20.12.2011) erfüllt.

Ausgenommen von den Leistungen nach dem SGB II sind danach

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,
3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Der Kläger ist nicht leistungsberechtigt nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) und hält sich seit Ende des Jahres 2010 bzw. spätestens Anfang 2011 in der Bundesrepublik auf, so dass die Tatbestände aus § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 3 SGB II nicht erfüllt sind. Er kann aber in der Zeit ab 01.05.2012 bis 17.06.2012 sein Aufenthaltsrecht nur auf den Tatbestand der Arbeitsuche stützen (Nr. 2).
Nach Art. 45 AEUV, (ex Art. 39 EG-Vertrag - EGV -) gilt für Unionsbürger das Freizügigkeitsrecht im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten. Der AEUV zählt zum Primärrecht der Europäischen Union. Basis ist der EWG-Vertrag aus 1957 mit Änderungen durch den Vertrag von Maastricht (EGV), den Vertrag von Nizza und den Vertrag von Lissabon. Seinen heutigen Namen erhielt der AEUV mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 01.12.2009. Das Freizügigkeitsrecht wird insbesondere gewährleistet durch die Vorgaben der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (sog. Freizügigkeits-RL 2004/38; ABl. der EU vom 30.04.2004, L 158/77). Die Freizügigkeits-RL 2004/38 enthält in Art. 7 umfassende Regelungen über das Recht auf Einreise und Aufenthalt für freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, die inhaltsgleich in die nationalen Regelungen (dort insbesondere § 2 FreizügG/EU) übernommen wurden. Danach sind gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt unter anderem Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, zur Arbeitsuche oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU). Nicht erwerbstätige Unionsbürger und ihre Familienangehörigen, die den Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, haben das Recht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU, wenn sie über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügen (§ 4 FreizügG/EU).

Der Kläger verfügte danach lediglich über ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche. Ein anderweitiges Aufenthaltsrecht, das den Anwendungsbereich des Leistungsausschlusses von vornherein nicht eröffnen würde, ergibt sich in seinem Fall weder nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) noch nach den Regelungen des Aufenthaltsgesetztes (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2013 - B 4 AS 54/12 R -).

Insbesondere ist er nicht als Arbeitnehmer, Selbstständiger oder Nicht-Erwerbstätiger freizügigkeitsberechtigt. Er war seit seiner erneuten Einreise in Deutschland nicht abhängig beschäftigt oder selbstständig erwerbstätig, sondern arbeitsuchend und verfügte nicht über ausreichende Existenzmittel. Aufgrund der bisherigen Dauer des aktuellen Aufenthalts hat er auch noch kein Daueraufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. § 4a FreizügG/EU erworben. Ein von seiner Schwester abgeleitetes Aufenthaltsrecht als Familienangehöriger würde voraussetzen, dass es sich bei ihr um eine Verwandte absteigender oder aufsteigender Linie handelt, was bei Geschwistern nicht der Fall ist. Andere in Deutschland lebende Verwandte des Klägers sind von ihm nicht angegeben worden. Ein von der Arbeitsuche unabhängiges Aufenthaltsrecht des Klägers ergibt sich auch nicht aus seiner früheren Beschäftigung. Sowohl ein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer (§ 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU) als auch ein Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU oder § 4a FreizügG/EU erlöschen spätestens nach einer Abwesenheit von mehr als zwei Jahren (§ 4a Abs. 7 FreizügG/EU). Der Kläger hat sich für einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren (nach seinen Angaben sogar länger) in Italien und nicht in Deutschland aufgehalten. Darüber hinausgehende nachwirkende Aufenthaltsrechte ergeben sich weder aus der Freizügigkeits-RL 2004/38 (insbesondere Art. 16 Abs. 4) noch aus früheren nationalen Regelungen.

Auch Art. 21 AEUV (ex Art.18 EGV) gewährt kein von der Arbeitsuche unabhängiges Aufenthaltsrecht. Danach hat zwar jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitliedsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten. Dieses Recht gilt aber nicht absolut sondern nur vorbehaltlich der im Vertrag und den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen.

Eine solche Beschränkung ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 b Freizügigkeits-RL 2004/38. Danach gewähren die Mitgliedstaaten den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, denen das Aufenthaltsrecht nicht schon aufgrund anderer Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts zuerkannt ist, sowie deren Familienangehörigen das Aufenthaltsrecht nur unter der Bedingung, dass sie für sich und ihre Familienangehörigen über eine Krankenversicherung, die im Aufnahmemitgliedstaat alle Risiken abdeckt, sowie über ausreichende Existenzmittel verfügen, durch die sichergestellt ist, dass sie während ihres Aufenthalts nicht die Sozialhilfe des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen müssen (vgl. auch Urteil des EUGH vom 07.09.2004 - Trojani - Rs. C-456/02 - Slg 2004, I-07573). Im Ergebnis hat daher das Sozialgericht zu Recht festgestellt, dass der Kläger aus Art. 21 AEUV kein übergeordnetes Aufenthaltsrecht herleiten kann, das ihn ohne Prüfung weiterer gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen berechtigen würde, Leistungen nach dem SGB II zu beantragen.

5.2.
Gleichwohl kann der Kläger nicht wirksam von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden.

Der generelle Leistungsausschluss ist nicht von der Ermächtigung in Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 gedeckt (vergleiche bereits die Bedenken im Beschluss des Senats vom 21.12.2010 - L 16 AS 767/10 B ER -). § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist europarechtskonform auszulegen mit der Folge, dass der Leistungsausschluss auf den Kläger nicht anwendbar ist, weil er im Fall des Klägers gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 verstößt, auf dessen Schutz sich der Kläger berufen kann. Der Kläger kann außerdem aus Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 einen Anspruch darauf herleiten, Leistungen nach dem SGB II unter den gleichen Bedingungen zu erhalten wie deutsche Staatsangehörige. Ob daneben auch ein beachtlicher Verstoß gegen die Regelungen des europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.12.1953 (EFA) vorliegt, braucht im Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 nicht mehr geklärt zu werden. Ebenfalls nicht zu entscheiden ist über die Frage, ob der Kläger seinen Anspruch unabhängig vom gemeinschaftsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot auch aus dem aus Art. 1 i.V.m. dem in Art 20 GG (Sozialstaatsprinzip) abgeleiteten Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums herleiten kann (vgl. Beschluss des Senats vom 14.08.2012, a.a.O.).
Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen EU-Bürger befristet oder zeitlich unbefristet von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen werden können, ist höchstrichterlich nach wie vor nicht entschieden. In den anhängigen Revisionsverfahren B 4 AS 9/13 R und B 14 AS 16/13 R (jeweils Sprungrevisionen des Sozialgerichts Berlin) ist noch keine Entscheidung ergangen. Das BSG hat in seinen Entscheidungen vom 19.10.2010 (a.a.O.) und 30.01.2013 (a.a.O.) jeweils Zweifel an der europarechtlichen Zulässigkeit des Ausschlusses geäußert, soweit dieser nicht nach dem Grad der Verbindung des arbeitsuchenden Unionsbürgers zum Arbeitsmarkt des Aufnahmestaats und seinem beruflich möglichen Zugang zum Arbeitsmarkt differenziere und arbeitsuchende Unionsbürger zeitlich unbefristet von SGB II-Leistungen ausschließe. Vor diesem Hintergrund sei § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II als Ausschlussregelung von existenzsichernden Sozialleistungen jedenfalls eng auszulegen. Es hat in den entschiedenen Fällen einen Anspruch anderweitig hergeleitet (im Urteil vom 19.10.2010 aus dem EFA, im Urteil vom 30.01.2013 und zuvor schon in einer Entscheidung vom 25.01.2012 (B 14 AS 138/11) aus einem anderweitigen Aufenthaltsrecht). Die obergerichtliche Rechtsprechung ist nach wie vor gespalten, wobei bezogen auf die aktuelle Rechtslage nach der Erklärung eines Vorbehalts durch die Bundesregierung (mit Wirkung zum 19.12.2011) bisher nur vorläufige Entscheidungen der Landessozialgerichte in Eilrechtssachen vorliegen. Aktuell haben sich der 5. Senat und der 31. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg der Auffassung der Vorinstanz angeschlossen, dass der Ausschluss als zulässig und wirksam anzusehen ist (vgl. insoweit die Beschlüsse vom 27.03.2013 - L 5 AS 273/13 B ER - und vom 25.03.2013
- L 31 AS 362/13 B ER, jeweils mit umfangreicher Rechtsprechungsübersicht; zur Gegenmeinung zuletzt Schleswig-Holsteinisches LSG im Beschluss vom 01.03.2013 (L 6 AS 29/13 B ER und L 6 AS 29/13 B ER PKH; veröffentlicht jeweils in juris).

5.2.1
Der Leistungsausschluss ist im vorliegenden Fall nach Überzeugung des Senats nicht durch Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 gerechtfertigt. Art. 24 Freizügigkeits-RL 2004/38 gewährleistet einerseits in Abs. 1 ein Recht auf Gleichbehandlung dahingehend, dass vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und dem abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats genießt. Andererseits ist gemäß Abs. 2 der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während eines längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren.
Bei den streitgegenständlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II handelt es sich aber nicht um Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38, sondern um besondere beitragsunabhängige Leistungen gemäß Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 VO (EG) 883/2004, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen.
Die Frage, ob es sich bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II um Sozialhilfeleistungen handelt, kann nicht anhand des Fürsorgebegriffs des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11.12.1953 geklärt werden (so auch Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 01.03.2013, a.a.O.). Zwar handelt es sich bei den Leistungen zum Lebensunterhalt nach der Rechtsprechung des BSG um Fürsorgeleistungen im Sinne des EFA (Urteil vom 19.10.2010, a.a.O.). Allerdings ist der Begriff der Fürsorge wesentlich weiter gefasst als der der Sozialhilfe.
Ausweislich der Begriffsbestimmung in Art. 2 Abs. a Nr. i EFA meint "Fürsorge" im Sinne des Abkommens jede Fürsorge, die am Vertrag beteiligte Länder nach den in dem jeweiligen Teile ihres Gebietes geltenden Rechtsvorschriften gewähren und wonach Personen ohne ausreichende Mittel die Mittel für ihren Lebensbedarf sowie die Betreuung erhalten, die ihre Lage erfordert. Ausgenommen sind lediglich beitragsfreie Renten und Leistungen zugunsten der Kriegsopfer und der Besatzungsgeschädigten. Diese Voraussetzungen erfüllen neben der Sozialhilfe nach dem SGB XII auch die hier streitgegenständlichen Leistungen nach dem SGB
II.

Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 ist nach der Rechtsprechung des EuGH als Ausnahme von dem in Art. 18 AEUV normierten Grundsatz der Gleichbehandlung, der in Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 lediglich einen besonderen Ausdruck findet, eng und im Einklang mit den Vertragsbestimmungen, einschließlich der über die Unionsbürgerschaft und die Freizügigkeit der Arbeitnehmer auszulegen (vgl. zuletzt Urteil des EuGH vom 21.02.2013 - C-46/12 - juris). Dies gilt ausdrücklich auch für den Begriff der Sozialhilfe. Der EuGH hat zwar in seinem Urteil vom 04.06.2009 (Vatsouras und Koupatantze - C-22/08 und C-23/08 - Slg. 2009, I-4585, Rdnr. 45f.) die Vereinbarkeit von Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 mit dem höherrangigen Gemeinschaftsrecht grundsätzlich bejaht, allerdings mit der Einschränkung, dass als "Sozialhilfeleistung" im Sinne von Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 nicht solche finanzielle Leistungen angesehen werden dürfen, die - unabhängig von ihrer Einstufung nach nationalem Recht - den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen. Ob die im deutschen Recht vorgesehenen Leistungen zur Grundsicherung nach dem SGB II Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 darstellen oder den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, hat der EuGH im Ergebnis zwar offen gelassen, weil dies zu prüfen Aufgabe der nationalen Behörden und gegebenenfalls der innerstaatlichen Gerichte sei (a.a.O., Rdnr. 41); er hat aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Tatsache, dass die Erwerbsfähigkeit eine Zugangsvoraussetzung für die Leistungen nach dem SGB II sei, ein Hinweis darauf sein könne, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern solle (vgl. hierzu auch Spellbrink/G. Becker in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 7, Rdnr. 54).
Auch das BSG hat die Frage, ob die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II im Sinne der zitierten Rechtsprechung den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen oder Sozialhilfeleistungen darstellen, bisher nicht entschieden, wobei der 4. Senat des BSG in seiner Entscheidung vom 30.01.2013 inzwischen ausgeführt hat, dass die Einordnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts als Sozialhilfeleistungen i.S. von Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 jedenfalls fraglich sei (a.a.O. Rdnr. 25).
Entscheidend ist nach Überzeugung des Senats, dass das Gemeinschaftsrecht selbst zwischen "Sozialhilfe" und "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" unterscheidet, wobei letztere Leistungen mit "Hybridcharakter" darstellen, die zwar insofern Merkmale der Sozialhilfe aufweisen, als sie beitragsunabhängig und bedarfsorientiert ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren. Zusätzlich gewähren sie aber einen Schutz gegen diejenigen Risiken, die von den in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind. Dazu gehören auch Leistungen bei Arbeitslosigkeit.
Um eine solche Leistung handelt es sich bei den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Ziel der Leistungen ist nicht nur die Sicherung des Lebensunterhalts, sondern auch die Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit durch Eingliederung in Arbeit (§ 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB II). Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll die Eigenverantwortung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und Personen, die mit ihnen in einer Bedarfsgemeinschaft leben, stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Sie soll erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen. Eine Trennung der Leistungen nach dem SGB II in Leistungen zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.03.2013 - L 5 AS 273/13 B ER -, SG Nürnberg, Beschluss vom 04.07.2012 - S 10 AS 494/12 ER -) ist nicht möglich und würde der besonderen Zielsetzung der Leistungen nach dem SGB II nicht gerecht.
Schließlich hat der europäische Gesetzgeber den Begriff der beitragsunabhängigen Sonderleistungen in Kenntnis und neben den reinen Sozialhilfeleistungen eingeführt. Es handelt sich in jeder Hinsicht um ein aliud (Kador in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 70 VO (EG) 883/2004, Rdnr. 27; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 01.10.2012 - L 7 AS 3836/12 B ER; Husmann in "Reaktionen in der Freizügigkeits-RL 2004/38 und dem deutschen Sozialleistungsrecht auf die Rechtsprechung des EuGH", NZS 12/2009,652; im Ergebnis offen Schreiber in Schreiber/Wunder/Dern, VO (EG) Nr. 883/2004, Art. 70, Rdnr. 1 und in Europäische Sozialrechtskoordinierung und Arbeitslosengeld II-Anspruch, NZS 17/2012, 647).

5.2.2.
Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II ist daher europarechtskonform auszulegen, wobei der Grundsatz der gemeinschaftskonformen Auslegung verlangt, "dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, dass mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt" (EuGH, Urteil vom 04.07.2006 - C 122/04 - Adeneler - Slg. 2006, I-06057, Rdnr. 111).
Auch das allgemeine Diskriminierungsverbot aus Art. 18 AEUV gebietet eine einschränkende europarechtskonforme Auslegung dahingehend, dass ein Mitgliedstaat Unionsbürgern Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, unter den gleichen Voraussetzungen zu gewähren hat wie Inländer. Dies ist der Fall, wenn der Unionsbürger in gleicher Weise wie der Inländer eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates vorweisen kann (Kador in jurisPK-SGB I, 2. Aufl., Art. 70 VO (EG) 883/2004, Rdnr. 28). Es ist jedoch legitim, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wurde (Urteil vom 04.06.2009 - Vatsouras/Koupatantze - C-22/08, C-23/08 - juris Rdnr. 36 ff. unter Hinweis auf Urteile vom 15.09.2005 - C 258/04 - Ioannidis - Slg 2005, I-8275, Rdnr. 21, vom 23.03.2004 - C 138/02 - Collins - Slg 2004, I - 2703, und vom 11.07.2002 - C-224/98 - D Hoop - Slg. 2002, I-6191).
Danach ist der Leistungsausschluss im zu entscheidenden Fall wegen Verstoßes gegen Art. 4 der Verordnung (EG) 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gewährleisteten Anspruchs auf Gleichbehandlung und aufgrund des in Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 verankerten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf den Kläger nicht anwendbar.
Die Verordnung (EG) 883/2004 ist mit ihrem Inkrafttreten am 01.05.2010 an die Stelle der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14.06.1971 über die Anwendung der sozialen System der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige getreten, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, getreten. Sie ist gemäß Art. 288 AEUV allgemein verbindlich und gilt in jedem Mitgliedstaat unmittelbar, ohne dass es eines innerstaatlichen Umsetzungsaktes bedarf. Ihre Regelungen gehen derjenigen des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vor. Die VO (EG) 883/2004 bildet den Kern des europäischen koordinierenden Sozialrechts. Dieses beinhaltet verschiedene Grundprinzipien, denen das allgemeine Prinzip der Nichtdiskriminierung (bzw. Gleichbehandlung) zugrunde liegt (Art. 18 AEUV - ex Art.12 EGV -). Innerhalb der Verordnung ist dieses Prinzip in Art. 4 verankert. Danach haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Angehörigen dieses Mitgliedstaates. Der persönliche Anwendungsbereich ist gegenüber der VO (EWG) Nr. 1408/71 insofern erweitert, als er nicht mehr auf Arbeitnehmer, Selbständige, Studierende und deren Angehörige beschränkt ist (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 bzw. Art. 1 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71). Der sachliche Anwendungsbereich umfasst wie bereits unter Geltung der VO (EWG) Nr. 1408/71 neben den "klassischen" Zweigen der sozialen Sicherung (Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004) auch die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70 (Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004).
Der Kläger unterfällt als Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates (Italienische Republik) dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung (Art. 2 Abs. 1 VO (EG) 883/2004). Auch der sachliche Anwendungsbereich der VO (EG) 883/2004 ist für ihn eröffnet. Für den Kläger galten bis zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland Ende 2003 und gelten mehrere der in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Rechtsvorschriften. Er war damals aufgrund einer mehrjährigen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung gegen Krankheit und Invalidität, Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten versichert. Er hat Anwartschaften in den Leistungszweigen der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung und der Rentenversicherung erworben, die unmittelbar im Anschluss an den streitgegenständlichen Zeitraum zu der Bewilligung einer Rehabilitationsmaßnahme durch den Rentenversicherungsträger geführt haben.
Auf die Frage, ob auch eine abstrakte Unterworfenheit unter ein System der sozialen Sicherheit den persönlichen Anwendungsbereich und damit einen Rechtsanspruch auf beitragsunabhängige Sonderleistungen gemäß Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70 VO (EG) 883/2004 begründen könnte, kommt es in seinem Fall nicht an.
Der Senat teilt nicht die Auffassung der Vorinstanz, dass sich auch in den Fällen, in denen der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist, kein Anspruch auf Gewährung beitragsunabhängiger Geldleistungen ergebe, weil der Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 4 VO (EG) 883/2004 nur auf die in Art. 1 l) i.V.m. Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Rechtsvorschriften Bezug nimmt (wie hier Schreiber in Schreiber/Wunder/Dern, VO (EG) Nr. 883/2004, Einleitung, Rdnr. 18).

Zwar gewährt auch Art. 4 VO (EG) 883/2004 nach seinem Wortlaut Gleichbehandlung nur aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates im Sinne der Verordnung, bezogen also auf Rechtsvorschriften im Sinne der Legaldefinition des Art. 1 l), was dafür sprechen könnte, den Anwendungsbereich von Art. 4 VO (EG) 883/2004 auch nur auf Leistungen der in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherung zu begrenzen. Eine solche Auslegung wäre aber weder mit dem Wortlaut noch mit Sinn und Zweck der Regelung zu vereinbaren. Schließlich sprechen auch systematische und historische Überlegungen für eine Öffnung des Anwendungsbereichs des Art. 4 für die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 70 VO (EG) 883/2004.

Aus Art. 3 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 selbst ergibt sich zunächst die (uneingeschränkte) Anwendbarkeit der gesamten Verordnung. Eine der Regelung in Art. 3 Abs. 5 VO (EG) 883/2004 vergleichbare Ausnahme für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen enthält die Vorschrift nicht. Eine Auslegung dahingehend dass nur die Regelungen des Art. 70 VO (EG) 883/2004 anwendbar sein sollen, lässt sich dem Wortlaut nicht entnehmen. Auch Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 in Verbindung mit Art. 7 VO (EG) 883/2004 enthält ausdrücklich nur eine Regelung betreffend die Aufhebung des Exportverbots. Dass das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 VO (EG) 883/2004 auf Personen, die dem persönlichen Anwendungsbereich unterliegen, auch in Bezug auf die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen anwendbar ist, kann daher bereits mit einem Umkehrschluss (vgl. Schreiber in NZS 17/2012, 647) aus Art. 70 Abs. 3 VO (EG) 883/2004 begründet werden (so auch Kador, a.a.O.).

Ein anderes Ergebnis ergibt sich auch nicht aus einem Vergleich mit der Vorgängerregelung (VO (EWG) 1408/71), deren persönlicher Anwendungsbereich von vornherein auf Arbeitnehmer, Selbständige und Studierende beschränkt war. Personen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus der Arbeitsuche ergab, waren damit in aller Regel bereits vom Personenkreis nicht erfasst. Die amtliche Begründung zum Erlass der VO (EG) 883/2004 (Erwägungsgründe) stellt klar, dass eine Neuregelung vor allem im Sinne einer Aktualisierung und Vereinfachung erforderlich gewesen sei, da wegen der mehrfachen Änderungen der Verordnung in der Vergangenheit und der daraus resultierenden Komplexität der Regelungen durch die Neufassung eine Aktualisierung und Vereinfachung erreicht werden solle (Ziffer 3). Wegen der großen Unterschiede hinsichtlich des persönlichen Geltungsbereichs der nationalen Rechtsvorschriften sollte ferner der Grundsatz festgelegt werden, dass diese Verordnung auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, für die die Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie auf ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen Anwendung findet (Ziffer 7). Ausdrücklich wird auf die fehlende Exportierbarkeit der besonderen beitragsunabhängigen Leistungen hingewiesen (Ziffer 37), nicht aber auf eine fehlende Anwendbarkeit des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine derart elementare Ausnahme, die (abgesehen von den Regelungen in Art. 70 VO (EG) 883/2004 selbst) zu einer vollständigen Nichtanwendung der Verordnung gleichkommen würde, gerade im Zusammenhand mit einer Erweiterung des persönlichen Anwendungsbereichs kommentarlos eingeführt werden sollte.

Eine derart restriktive Auslegung würde auch der unter Geltung der VO (EWG) 1408/71 zu Art. 24 Abs. 2 Freizügigkeits-RL 2004/38 entwickelten Rechtsprechung des EuGH zur Möglichkeit von Zugangsbeschränkungen für Leistungen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, elementar widersprechen. Bereits vor Inkrafttreten der VO (EG) 883/2004 hatte der EuGH mehrfach klargestellt, dass ein Mitgliedstaat eine solche Beihilfe Unionsbürgern unter den gleichen Voraussetzungen zu gewähren hat wie Inländern. Dies ist der Fall, wenn der Unionsbürger in gleicher Weise wie der Inländer eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates vorweisen kann (Urteil vom 04.06.2009, a.a.O.; Kador in: jurisPK-SGB I, 2. Aufl. 2011, Art. 70 VO (EG) 883/2004; Geiger, in info also 2010, 147, 151). Ob eine Bindung an den deutschen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorliegt, ist danach eine Frage des Einzelfalls und von den innerstaatlichen Gerichten unter Berücksichtigung von Zweck und Voraussetzung der jeweiligen Leistung zu überprüfen. Ausschlaggebende Kriterien sollen sein, ob der Betroffene bereits schon einmal in einem Arbeitsverhältnis in Deutschland gestanden hat. Falls dies nicht der Fall ist, könnten Kriterien sein, ob er die deutsche Sprache spricht, eine Wohnung in Deutschland unterhält und hier seinen Wohnsitz hat und ob er sich aktiv um Arbeit bemüht.

Entsprechend ist auch die überwiegende Kommentierung bereits damals davon ausgegangen, dass Personen, die dem persönlichen Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 unterlagen, auch in Bezug auf die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen nicht vollständig ausgeschlossen werden konnten (Husmann in "Diskriminierungsverbot und Gleichbehandlungsverbot des Art. 3 VO 1408/71 und der Art. 4 und 5 VO 883/2004" in ZESAR 2010, 97, 100).

Der Gleichbehandlungsanspruch des Klägers aus Art. 4 VO 883/2004 könnte auch durch eine gegenteilige Auslegung von Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 nicht mehr beseitigt werden, weil es sich bei der VO (EG) 883/2004 bezogen auf Leistungsansprüche um eine gegenüber Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 speziellere und damit vorrangig zu prüfenden Norm handelt (Schreiber in NZS, a.a.O.,651; vgl. auch Art. 8 Abs. 1 VO 883/2004). Allerdings steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der Kläger vorliegend eine Bindung an den deutschen Arbeitsmarkt im Sinne der Rechtsprechung des EuGH vorweisen kann und daher auch aus Art. 24 Abs. 1 Freizügigkeits-RL 2004/38 einen Anspruch darauf herleiten kann, die Leistungen nach dem SGB II unter den gleichen Voraussetzungen zu erhalten wie deutsche Staatsangehörige. Der Kläger hat praktisch sein gesamtes bisheriges Erwerbsleben (244 Monate, d.h. mehr als 20 Jahre) in Deutschland verbracht. Er hat aufgrund seiner Rentenanwartschaft unter den Voraussetzungen der §§ 10, 11 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) einen Anspruch auf Leistungen der Rehabilitation mit dem Ziel, Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern (§ 9 Abs. 1 SGB VI). Auch die Leistungen nach dem SGB II dienen der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben (vgl. § 1 idF vom 13.05.2011, gültig ab 01.04.2011). Die Grundsicherung für Arbeitsuchende soll es Leistungsberechtigten ermöglichen, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht und erwerbsfähige Leistungsberechtigte bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen und den Lebensunterhalt sichern, soweit sie ihn nicht auf andere Weise bestreiten können. Dazu umfasst die Grundsicherung für Arbeitsuchende Leistungen zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit insbesondere durch Eingliederung in Arbeit und zur Sicherung des Lebensunterhalts. Dieses Ziel würde verfehlt, wenn der Kläger die demselben Zweck dienenden Leistungen nach dem SGB II nicht erhalten würde.

5.3.
Der Kläger hat damit gegen den Beklagten als zuständigen Wohnortträger einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II unter denjenigen Voraussetzungen, die auch für inländische deutsche Arbeitsuchende gelten. Er war im Umfang des in der Vergangenheit bereits bewilligten Regelsatzes hilfebedürftig gemäß § 9 Abs. 1 SGB II. Er nahm in dieser Zeit zwar das Übernachtungsangebot der Drogenhilfe S. in Anspruch, erhielt darüber hinaus aber keine ergänzenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, so dass vom 01.05.2012 bis zum 13.06.2012 ein ungedeckter Bedarf in Höhe des Regelsatzes eines alleinstehenden Erwachsenen (364 EUR monatlich) ohne Berücksichtigung von Unterkunftskosten und ohne Anrechnung von Einkommen und Vermögen (siehe oben) verblieb. Für die Zeit ab 01.06.2012 bis 17.06.2012 ist diese Leistung anteilig zu erbringen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfragen und der Vielzahl der auch von den Obergerichten vertretenen Meinungen ist die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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