L 16 AS 613/13

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 945/11
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 613/13
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Anspruch auf Wertersatz für geleistete Arbeit im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit nach § 16 SGB II aF verjährt gemäß § 45 SGB I innerhalb von vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in der Anspruch entstanden ist. Dabei ist aufgrund der im Urteil des BSG vom 13.04.2011 (B 14 AS 98/10 R) gebotenen arbeitstäglichen Betrachtungsweise auf das Kalenderjahr abzustellen, in dem die Arbeitsleistung erbracht worden ist.
2. Wann der Kläger Kenntnis von einem möglichen Anspruch hatte, ist unerheblich.
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18. Juni 2013 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.



Tatbestand:


Der Kläger begehrt vom Beklagten Wertersatz für geleistete Arbeit im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung.

Der 1949 geborene Kläger stand seit 13.10.2005 bis zu seiner Verrentung zusammen mit seiner Ehefrau im Leistungsbezug beim Beklagten bzw. dessen Rechtsvorgänger.

Vom 14.11.2005 bis 30.04.2006 war er im Rahmen einer Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung bei der Stadt A-Stadt im Bauhof - Abteilung städtische Gärtnerei - für 1,50 EUR die Stunde als ungelernter Landschaftsgärtner zwischen 72,75 Stunden und 138 Stunden monatlich beschäftigt. Zusätzlich erhielt er in diesen Monaten mit seiner Ehefrau Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vom Beklagten. Der Kläger legte kein Rechtsmittel gegen die Zuweisung ein.

Mit Schreiben vom 23.05.2011 forderte der Kläger den Beklagten unter Berufung auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 13.04.2011 (B 14 AS 98/10 R) auf, Wertersatz für die geleistete Arbeit in Höhe des Tariflohnes zu zahlen. Es habe sich nicht um eine zusätzliche Arbeit gehandelt, da andernfalls regulär entlohnte Arbeitskräfte hätten eingestellt werden müssen. Generell habe es sich bei den Arbeitsgelegenheiten um eine verkappte Form des Menschenhandels und der Sklaverei gehandelt.
Am 02.12.2011 rief der Kläger das Sozialgericht Regensburg an und beantragte, den Beklagten zu verurteilen, ihm 5.381,58 EUR zu bezahlen.
Ihm stehe nach der Rechtsprechung des BSG ein Wertersatz in Höhe des einschlägigen Tariflohnes zu. Der Arbeitsgelegenheit habe es am Merkmal der Zusätzlichkeit gefehlt, so dass seine Arbeitsleistung rechtsgrundlos das Vermögen des Beklagten bereichert habe. Tatsächlich habe er für die Stadt A-Stadt Tätigkeiten eines Landschaftsgärtners verrichtet, unter anderem:
* Fällen von Bäumen auf städtischen Grünflächen
* Anpflanzen von Blumen, Sträuchern und Bäumen
* Pflege der Blumenbeete und Grasflächen auf den öffentlichen Grünanlagen
* Pflege und Wässerung der im Stadtgebiet aufgestellten Pflanzkübel
* Laub kehren auf öffentlichen Flächen
* Winterdienst verrichten auf öffentlichen Flächen
* Gehwege und Straßen säubern
* Maschinen reinigen und pflegen und im Bauhof aufräumen
* Leeren der öffentlichen Abfallbehälter
sowie alle weiteren anfallenden Arbeiten in der Gärtnerei und im Bauhof, die auch von den regulär dort Beschäftigten ausgeführt worden seien. Sein Lohnanspruch sei nach Stufe 2 der Entgeltgruppe E 2 TöVD Bereich VKA Tarifgebiet West zu berechnen und betrage pro Stunde 9,92 EUR. Die Differenz zu den bereits bezogenen Leistungen nach dem SGB II seien ihm zu erstatten, wobei ihm Leistungen, die seiner Frau erbracht worden seien, nicht entgegengehalten werden könnten.
Der Beklagte erklärte, die Arbeitsgelegenheit habe lediglich zusätzliche landschaftsgärtnerische Tätigkeiten erfasst. Unabhängig davon habe er an den Kläger und seine Ehefrau bereits höhere Leistungen erbracht, als sich aus einem Bruttoeinkommen nach TVöD in Stufe 2 E 1, nach der der Kläger einzustufen wäre, ergeben würde.
Mit Urteil vom 18.06.2013 wies das Sozialgericht Regensburg nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Klage als unbegründet ab. Die Klage sei als Leistungsklage zulässig. Als Anspruchsgrundlage für den begehrten Wertersatz komme ausschließlich ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch als gewohnheitsrechtlich anerkanntes und aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut in Betracht, dessen Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen grundsätzlich denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs entsprechen würden. Allerdings könne im Falle des Klägers dahingestellt bleiben, ob ihm dem Grunde nach ein Ersatz für eine rechtsgrundlos erbrachte Arbeitsleistung zustehe, weil es der Arbeitsgelegenheit am Merkmal der Zusätzlichkeit gefehlt habe. Denn jedenfalls sei ein möglicher Erstattungsanspruch des Klägers verjährt. Der Bereicherungsanspruch unterliege der Regelverjährung von drei Jahren nach § 195 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), wobei die Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres zu laufen beginne, in dem der Anspruch entstanden sei. Vorliegend habe danach die Verjährungsfrist mit Ablauf des Jahres 2006 zu laufen begonnen und sei im Jahr 2011 deutlich verstrichen gewesen. Auch nach § 45 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I), der die Verjährung von Sozialleistungen regele, verjährten Ansprüche vier Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres und damit vor Geltendmachung des Anspruchs auf Wertersatz. Das Urteil wurde dem Kläger am 02.08.2013 zugestellt.
Mit Schreiben vom 28.08.2013, eingegangen beim Sozialgericht Regensburg am selben Tag, hat der Kläger Berufung eingelegt. Die Einrede der Verjährung sei vom Beklagten bisher nicht erhoben worden und greife auch nicht. Denn der Beginn der Verjährung setze Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen voraus, die bei ihm erst durch die Urteile des BSG vom 13.04.2011 (B 14 AS 98/10 R und B 14 AS 101/10 R) und vom 27.08.2011 (B 4 AS 1/10 R) entstanden sei. Im Übrigen wiederholte er seine Ausführungen zur Begründung des Anspruchs.
Der Beklagte hat mit Schreiben vom 19.03.2013 zur Berufung Stellung genommen und auf Nachfrage des Senats erklärt, dass sich der Zuweisungsbescheid aus dem Jahr 2005 nicht mehr in den Akten befinde. Die Einrede der Verjährung sei im Termin vor dem Sozialgericht erhoben, aber offensichtlich nicht protokolliert worden. Dies werde nun ausdrücklich nachgeholt.

In der mündlichen Verhandlung am 19.03.2014 hat der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 18.06.2013 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen 5.381,58 Euro an ihn zu zahlen.

Der Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben und beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.



Entscheidungsgründe:


Die form- und fristgerecht eingelegte sowie statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143,151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.
Das Klagebegehren, einen Wertersatz in Höhe von 5.381,58 EUR im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs zu erhalten, macht der Kläger zulässig im Wege der reinen Leistungsklage nach § 54 Abs. 5 SGG geltend (BSG, Urteil vom 13.04.2011 - B 14 AS 101/10 R und zuletzt vom 22.08.2013 - B 14 AS 75/12 R).

Anspruchsgrundlage für das klägerische Leistungsbegehren kann allein ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch als gewohnheitsrechtlich anerkanntes und aus allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts abgeleitetes eigenständiges Rechtsinstitut sein. Dieser Anspruch gleicht eine mit der Rechtslage nicht übereinstimmende Vermögenslage aus und verschafft dem Anspruchsinhaber ein Recht auf Herausgabe des Erlangten, wenn eine Leistung ohne Rechtsgrund oder ohne eine sonstige rechtsgrundlose Vermögensverschiebung erfolgt ist (Urteile des BSG vom 28.09.2006 - B 3 KR 20/05 R und vom 29.9.2009 - B 8 SO 11/08 R). Anspruchsvoraussetzungen und Rechtsfolgen entsprechen, soweit sie nicht spezialgesetzlich geregelt sind, denen des zivilrechtlichen Bereicherungsanspruchs. Entsprechend § 818 Abs. 2 BGB ist der Erstattungsanspruch für rechtsgrundlos erbrachte Arbeit auf den Ersatz ihres Wertes gerichtet.

Diesen Anspruch macht der Kläger geltend, indem er vorträgt, er habe nach Zuweisung in eine Arbeitsgelegenheit gegen Mehraufwandsentschädigung Arbeiten geleistet, die sich als rechtsgrundlos erwiesen hätten, weil es am Merkmal der Zusätzlichkeit gefehlt habe.

Die Leistungsklage ist aber unbegründet, weil auch ein etwaiger Anspruch inzwischen verjährt ist. Insbesondere kann sich der Kläger nicht mit Erfolg darauf berufen, er habe erst durch verschiedene Urteile des BSG im Jahre 2011 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen erlangt, weswegen für den Beginn der Verjährung auf diesen Zeitpunkt abzustellen sei.

Das Sozialgericht hat dahinstehen lassen, ob die Verjährung nach § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB (drei Jahre) oder nach § 45 SGB I (vier Jahre) zu beurteilen ist. Der Senat schließt sich hinsichtlich der Frage, wann der hier im Raum stehende öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch verjährt ist, der Auffassung des BSG im Urteil vom 28.09.2006 (B 3 KR 20/05 R) an, wonach ein Bereicherungsanspruch in Rechtsanalogie zu den §§ 45 Abs. 1 SGB I, 113 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) einer vierjährigen Verjährungsfrist unterliegt, die mit Ablauf des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist.

In diesen Vorschriften ist auch der Beginn der Verjährung jeweils eigenständig geregelt. Lediglich für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten danach die Vorschriften des BGB sinngemäß (§§ 45 Abs. 2 SGB I und 113 Abs. 2 SGB X). Gemäß § 45 SGB I verjähren Ansprüche auf Sozialleistungen in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie entstanden sind. Erstattungsansprüche von Leistungsträgern untereinander verjähren nach § 113 Abs. 1 Satz 1 SGB X in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über dessen Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat. Für den Beginn der Verjährung eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs außerhalb eines Erstattungsverhältnisses nach den §§ 102 ff SGB X ist auf § 45 SGB I und damit auf die Entstehung des Erstattungsanspruchs abzustellen.

Denn § 113 SGB X ist anders als § 45 SGB I auf die besondere Konstellation des Erstattungsanspruchs zwischen zwei Leistungsträgern zugeschnitten. Soweit überhaupt eine analoge Anwendung denkbar wäre, müsste berücksichtigt werden, dass sich die Kenntnis von der Leistungspflicht gemäß § 113 Abs. 1 SGB X entsprechend der Regelung in § 111 Satz 1 SGB X nicht auf das Erstattungsverhältnis bezieht, sondern auf das Verhältnis, in dem Sozialleistungen erbracht worden sind und auf die Kenntnis von dieser Leistungserbringung (Kater in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, 79. Erg.Lief. 2013, § 113, Rn. 10; Roller in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2013, Rn. 7). Bezogen auf den vorliegenden Fall kann sich dies nur auf die Erbringung der SGB II Leistungen beziehen, deren Rückabwicklung der Kläger begehrt. Von der Rechtsprechung wird bei einer analogen Übertragung auf andere Sachverhalte überwiegend auf die Entstehung des Erstattungsanspruchs abgestellt (Kater, a.a.O., Rn. 5 ff; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.09.2011 - L 5 KR 2152/10).

Die zivilrechtliche Rechtsprechung, auf die sich der Kläger beruft, ist auch deshalb nicht entsprechend anzuwenden, weil die prozessuale Situation in einem sozialgerichtlichen Verfahren nicht mit der in einem Zivilprozess vergleichbar ist. Anders als im zivilgerichtlichen Verfahren können nämlich Versicherte und Leistungsempfänger jederzeit ohne Kostenrisiko Klage zu den Sozialgerichten erheben (vgl. § 183 SGG). Im Übrigen bezieht sich nach der zivilgerichtlichen Rechtsprechung zu § 199 BGB die erforderliche Kenntnis nur auf die Person des Schuldners und nicht auf die rechtliche Einschätzung der Erfolgsaussichten des Rechtsstreits (vgl. hierzu Urteile des BGH vom 18.01.1994 - VI ZR 190/93 - und 23.09.2008 - XI ZR 395/07). Die anspruchsbegründenden Tatsachen und die Person des infrage kommenden Schuldners als Voraussetzung für eine Klageerhebung waren vorliegend dem Kläger aber zu jedem Zeitpunkt bekannt.

Unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt ergibt sich also ein späterer Verjährungsbeginn als der Ablauf des Kalenderjahres, in dem der - mögliche - Anspruch des Klägers entstanden ist.

Dies wäre aber spätestens mit der rechtsgrundlosen Erbringung der Arbeitsleistung im Jahre 2006 der Fall gewesen. Tatsächlich wäre nach der Rechtsprechung sogar arbeitstäglich zu berücksichtigen, welche Aufwendungen der Beklagte an jedem einzelnen Tag (insbesondere durch die Erbringung von Leistungen nach dem SGB II) hatte und welcher Vermögensvorteil (durch die rechtsgrundlos erbrachte Arbeitsleistung) diesem jeweils gegenüberstand (BSG vom 13.04.2011, a.a.O.). Das bedeutet, dass etwaige Ansprüche, die dem Kläger aufgrund einer rechtsgrundlos erbrachten Arbeitsleistung in den Jahren 2005 und 2006 zugestanden hätten, spätestens mit Ablauf des Jahres 2010 und damit vor der Geltendmachung des Anspruchs beim Sozialgericht verjährt waren.
Nachdem damit ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger aus der Wahrnehmung der Arbeitsgelegenheit vom 14.11.2005 bis zum 30.04.2006 bei der Stadt A-Stadt im Bauhof noch Ansprüche gegen den Beklagten geltend machen kann, braucht auch nicht mehr entschieden zu werden, ob es sich bei der vom Kläger erbrachten Arbeitsleistung um eine Arbeitsgelegenheit gehandelt hat, die den Anforderungen des § 16 Abs. 3 Satz 2 SGB II genügte. Auch die wohl nicht mehr aufklärbare Frage, auf welcher Grundlage die Zuweisung zu der Arbeitsgelegenheit erfolgt ist und ob dem Anspruch entgegensteht, dass der Kläger die Arbeit widerspruchslos verrichtet hat (vgl. hierzu insbesondere BSG vom 22.08.2013, B 14 AS 75/12 R, braucht vom Senat nicht mehr entscheiden zu werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Unterliegen in der Hauptsache.

Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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