S 26 AS 3947/14 ER

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
26
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 26 AS 3947/14 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Fahrtkosten für eine Taxifahrt zu einem zweimal jährlich stattfindenden augenärztlichen
Kontrolltermin (Patient in Heilungsbewährung nach Tumorentfernung) von einem
Wohnort im Vogtlandkreis nach der Universitätsklinik Essen und zurück sind einem
Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht zugänglich. Es handelt sich schon nicht um
einen laufenden Bedarf.

Fahrten zu augenärztlichen Kontrolluntersuchungen im Nahbereich sowie die Fahrten
nach Essen sind im Rahmen der Prüfung des § 21 Abs. 6 SGG nicht als ein einheitlicher
Bedarf zu bewerten.

Fahrtkosten zu ärztlichen Behandlungsterminen sind grundsätzlich kein besonderer
Bedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II, da sie dem System der gesetzlichen Krankenversicherung
zuzuordnen sind. Auch soweit von dort Fahrtkosten nicht übernommen werden, besteht
regelmäßig kein Anspruch auf Kompensation durch einen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II
(Anschluss an SächsLSG, Beschluss vom 25.9.2013 - L 7 AS 83/12 NZB).

Soweit im Einzelfall eine Fahrtkostenübernahme nach § 21 Abs. 6 SGB II gleichwohl denkbar
erscheint, obliegt es dem Leistungsempfänger nach dem SGB II, Fahrtkosten zunächst bei
seiner gesetzlichen Krankenkasse geltend zu machen und ggf. mit Rechtsbehelfen durchzusetzen.
1. Der Antrag vom 12.9.2014 auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

2. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der sich im laufenden Leistungsbezug des Antragsgegners befindet, begehrt die Übernahme von Fahrtkosten für eine Taxifahrt zu einer ärztlichen Kontrolluntersuchung, die in der Universitätsklinik E. stattfinden soll.

Dort hielt sich der am 00.00.1971 geborene Antragsteller wegen eines Aderhautmelanoms vom 17.12.2012 bis zum 24.12.2012 stationär auf und wurde während dieses Aufenthalts erfolgreich am Auge operiert. Die Nachsorge findet vor Ort durch seine behandelnde Augenärztin in P. sowie die Augenklinik H. in P. statt. Daneben stellte sich der Antragsteller am 1.3.2013, 15.4.2013, 7.8.2013 und 5.2.2014 zur Verlaufskontrolle in der Universitätsklinik E. vor. Auf die vom Antragsteller vorgelegten ärztlichen Kontrollberichte vom 7.8.2013 und 5.2.2014 wird wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen. Die nächste Kontrolluntersuchung ist für den 29.10.2014 vorgesehen.

Mit Bescheid vom 76.2013 stellte das Landratsamt Vogtlandkreis – Sozialamt – einen Grad der Behinderung beim Antragsteller von 60 fest. Zugleich verneinte es das Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen B, G, aG, H, RF, BL, GL und 1.Kl.

Die gesetzliche Krankenkasse des Antragstellers (AOK Plus für Sachsen und Thüringen) übernahm letztmalig Kosten für die Kontrolluntersuchung am 7.8.2013. Die Übernahme der für die Untersuchung am 5.2.2014 angefallenen Fahrtkosten (Taxifahrt) in Höhe von 696,80 EUR lehnte sie mit Bescheid vom 17.3.2014 ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14.7.2014, auf den wegen der näheren Einzelheiten Bezug genommen wird, zurück.

Am 1.8.2014 beantragte der Antragsteller mittels eines dafür vorgesehenen Antragsvordrucks die Gewährung eines unabweisbaren laufenden besonderen Bedarfs. Darin gab er an, dass der Bedarf halbjährlich entstehe. Nächster Fälligkeitstermin sei der 29.10.2014, die Höhe des Bedarfs betrage 696,80 EUR. Zusätzlich stehe noch die Deckung dieses Bedarfes wegen der Fahrt vom 5.2.2014 aus.

Mit Bescheid vom 29.8.2014 lehnte der Antragsgegner im Wege des Überprüfungsverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – SGB X – die Gewährung eines Mehrbedarfs für unabweisbare laufende besondere Bedarfe in Härtefällen nach § 21 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II – für den Bewilligungszeitraum vom 1.3.2014 bis 31.8.2014 ab. Der geltend gemachte Bedarf von 696,80 EUR bestehe nicht, weil es sich bei den geltend gemachten Fahrtkosten nicht um einen langfristig und dauerhaft anfallenden Bedarf handele.

Mit Bewilligungsbescheid vom 1.8.2014 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 23.9.2014 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit vom 1.9.2014 bis zum 31.1.2015 ein monatliches Arbeitslosengeld, einschließlich eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende, in Höhe von 630,72 EUR.

Gegen den Ablehnungsbescheid vom 29.8.2014 ließ der Antragsteller mit Anwaltsschreiben vom 26.9.2014 Widerspruch einlegen, über den soweit erkennbar, noch nicht entschieden ist.

Am 12.9.2014 hat der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Chemnitz beantragt. Ihm gehe es um die Kosten für eine Taxifahrt nach E. Es handele sich um einen laufenden unabweisbaren Bedarf. Auf die Begleitung in Person eines Taxifahrers sei er angewiesen, da er wegen der Folgen der Augenuntersuchung allein keine Verkehrsmittel nutzen könne. Er sei bereits wegen der Fahrtkosten zu den Kontrolluntersuchungen nach P. sowie durch die Kosten für Augentropfen, für die er mit dem Regelbedarf aufkomme, stark belastet. Diese Kosten übernehme die Krankenkasse ebenfalls nicht. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf seine drei Schreiben zur Antragsbegründung Bezug genommen.

Sinngemäß ausgelegt und sachdienlich gefasst beantragt der Antragsteller,

den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, ihm im Leistungszeitraum vom 1.3.2014 bis 31.8.2014 sowie vom 1.10.2014 bis 31.10.2014 weitere Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende in Höhe von jeweils 696,80 EUR zu gewähren.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er führt im Wesentlichen aus, dass schon ein Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 29.8.2014 nicht eingelegt worden sei. Bezüglich der am 29.10.2014 entstandenen Kosten sei ein Antrag auf Übernahme nicht gestellt worden, so dass es an einem zugehörigen Hauptsacheverfahren fehle. Insgesamt sei unklar, welche Kostenübernahme der Antragsteller begehre. Wegen der längeren Abstände zwischen den Kontrolluntersuchungen liege kein laufender unabweisbarer Bedarf im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II vor. Zudem habe das Sächsische Landessozialgericht am 25.9.2013 – L 7 AS 83/12 NZB – entschieden, dass Aufwendungen für Fahrten zu ambulanten Behandlungen, die nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen würden, nicht vom Grundsicherungsträger zu erstatten seien.

Wegen der näheren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte (3 Bände) Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung waren.

II.

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Die Antragsauslegung ergibt, dass der Antragsteller im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nur die vorläufige Kostenübernahme für die Fahrten zur Universitätsklinik E. begehrt. Der Antragsteller bezieht sich in seiner Antragsbegründung zum einen auf seinen Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs. 6 SGB II vom 1.8.2014, in dem er nur diese Fahrtkosten nach E. aufführt. Darüber hinaus lässt sich dem weiteren Inhalt der Antragsbegründung entnehmen, dass es ihm – jedenfalls für das einstweilige Anordnungsverfahren – vor allem um die Übernahme der am 29.10.2014 anfallenden erheblichen Fahrtkosten geht und er in diesem Zusammenhang zugleich um eine Entscheidung über die noch offenen erheblichen Fahrtkosten für die Fahrt vom 5.2.2014 nachsucht. Die übrigen Kosten, einschließlich auch der Kosten für Augentropfen, fordert er weder ausdrücklich noch sinngemäß mit dem vorliegenden Antrag ein. Vielmehr stützt er damit seinen Vortrag von der Notwendigkeit der Übernahme der Fahrtkosten nach E., weil er von seinem Regelbedarf bereits diese weiteren Kosten decken muss.

Der so ausgelegte Antrag hat keinen Erfolg.

Nach § 86 b Abs. 2 Sätze 2 und 4 Sozialgerichtsgesetz – SGG – i.V. mit § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO – ergeht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis, wenn der Antragsteller den geltend gemachten Anspruch, den Anordnungsanspruch, und die Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung, den Anordnungsgrund, glaubhaft macht. Wann ein Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch im Einzelfall glaubhaft gemacht ist, richtet sich nach dem Maß, in dem grundrechtlich geschützte Belange betroffen sind. Beim Grundrechtsträger dürfen ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes keine schweren und unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Grundrechtsbeeinträchtigungen eintreten, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 – 1 BvR 569/05NVwZ 2005, 927 ff.). Zum Schutz elementarer Grundrechtsgüter kann es daher ausreichen, wenn die Prüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass das Bestehen des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruchs überwiegend wahrscheinlich ist. Der Schutz elementarer Rechtsgüter erfordert zumeist auch im Eilverfahren eine über eine lediglich summarische Prüfung hinausgehende Bewertung der Sach- und Rechtslage. Nur wenn eine hinreichende Prüfung insbesondere der Sachlage im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausnahmsweise nicht möglich, ist eine sog. Folgenabwägung vorzunehmen. Soweit Leistungen für die Vergangenheit im Streit stehen, besteht nach allgemeiner Auffassung kein Anordnungsgrund, soweit nicht Tatsachen für einen besonderen Nachholbedarf glaubhaft wurden, d.h. wenn die Nichtgewährung der begehrten Leistungen in der Vergangenheit in der Gegenwart (und Zukunft) fortwirkt und noch eine gegenwärtige Dringlichkeit und Notlage begründet (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 6.10.2010 – L 7 AS 777/09 R). Dies gilt insbesondere für Zeiten vor der Stellung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht.

Daran gemessen besteht zunächst für die Gewährung eines Mehrbedarfs im Wege der einstweiligen Anordnung wegen der Fahrtkosten, die für die Fahrt nach E. am 5.2.2014 anfielen, kein Anordnungsgrund. Es handelt sich um Leistungen für die Vergangenheit. Nach dem Vortrag des Antragstellers wurden die Taxikosten bis heute nicht bezahlt. Dass dem Antragsteller hieraus gegenwärtig irgendwelche Nachteile für seinen laufenden Lebensunterhalt drohen, ist nicht erkennbar. Laufende Leistungen zum Lebensunterhalt, einschließlich des Mehrbedarfs für Alleinerziehende, erhält der Antragsteller. Insofern wirkt die unterbliebene Leistung, selbst wenn sie, wofür allerdings nichts spricht, rechtswidrig wäre, nicht in die Gegenwart fort. Hinsichtlich der Kosten für die Fahrt am 29.10.2014 liegt entgegen der Auffassung des Antragsgegners schon ein ausdrücklicher "Antrag" vor. Bereits im Antragsformular des Antrags vom 1.8.2014 benannte der Antragsteller die Kosten für die beiden Untersuchungstermine im Februar und Oktober 2014. Eines solchen ausdrücklichen Antrags hätte es allerdings nicht bedurft. Bereits die Stellung des Fortzahlungsantrags für den Zeitraum vom 1.9.2014 bis 31.1.2015 löste eine umfassende Prüfungspflicht des Antragsgegners hinsichtlich der Deckung der Bedarfe aus, die zur Sicherung des Lebensunterhalts des Antragstellers notwendig sind. Das beinhaltet auch die Prüfung etwaiger Mehrbedarfe nach § 21 SGB II. Auch beim Mehrbedarf nach § 21 Abs. 6 SGB II handelt sich grundsätzlich nicht um einen eigenständigen und von der Höhe der Regelleistung abtrennbaren Regelungs- und Streitgegenstand (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.2013 – B 4 AS 6/13 R), auch wenn der Antragsgegner hierfür, wohl als Folge der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 9.2.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09 und 1 BvL 4/09, noch eigenständige Antragsformulare verwendet. Mit dem Widerspruch vom 26.9.2014 liegt inzwischen auch ein Rechtsmittel vor, mit dem sich der Antragsteller sinngemäß gegen die Nichtberücksichtigung des Mehrbedarfs in den Bewilligungsbescheiden zum Leistungszeitraum vom 1.9.2014 bis 31.1.2015 wendet.

Indes hat der Antragsteller auch diesbezüglich einen Anspruch auf die Gewährung des hier insbesondere in Rede stehenden Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II nicht glaubhaft gemacht.

Nach § 21 Abs. 6 SGG wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer – d.h. atypischer – Bedarf besteht. Vorliegend fehlt es bereits an dem Merkmal des laufenden Bedarfs. Zwar lässt sich dem Vortrag und den vorliegenden Unterlagen entnehmen, dass Fahrtkosten zu Kontrolluntersuchungen für die Dauer der Heilungsbewährung recht engmaschig und regelmäßig anfallen. Bei der Prüfung des Mehrbedarfs ist aber nur auf die Fahrten nach E. abzustellen. Zum einen bezieht sich der Antragsteller für den Mehrbedarf selbst nur auf die Fahrten nach E., während er die Kosten für die Fahrten zu den P. Untersuchungsterminen aus dem Regelbedarf bestreitet. Des Weiteren ragen diese Kosten im Vergleich zu den Untersuchungen, die in P. stattfinden, kostenmäßig deutlich heraus. Auch nimmt der Antragsteller hier ein Taxi in Anspruch, während er für die Fahrten nach P. offenbar den eigenen Pkw nutzt. Insgesamt unterscheidet sich daher der Charakter der Fahrten derart, dass diese nicht als ein einheitlicher Bedarf, sondern als unterschiedliche Bedarfe zu bewerten sind. Die Fahrtkosten für Fahrten nach E. fallen lediglich zweimal im Jahr, d.h. nur je einmal in einem Bewilligungszeitraum, an. Damit liegt im hier streitigen Bewilligungszeitraum vom 1.9.2014 bis 31.1.2015 ein nur einmaliger Bedarf vor, für den die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II ausscheidet.

Ob dem Antragsteller für diesen einmaligen Bedarf nach § 24 Abs. 1 SGB II ein Darlehen zu gewähren sein könnte, war hier nicht zu entscheiden. Weder hat der Antragsteller hier einen entsprechenden Antrag gestellt noch war den hier zu Tage tretenden Gesamtumständen ein Interesse des Antragstellers an der Gewährung eines Darlehens zu entnehmen.

Aber auch wenn man die Fahrt nach E. als laufenden Bedarf einordnen würde, bestünde kein Leistungsanspruch. Der Antragsteller macht hier Leistungen geltend, die an sich vorrangig dem Leistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind. So sieht der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen auch die Fahrtkostenübernahme zu einer ambulanten Behandlung vor (vgl. § 60 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V).

Das System der gesetzlichen Krankenversicherung steht dem gesetzlich versicherten Antragsteller als umfassendes vorrangiges Schutz- und Fürsorgesystem gegen das Risiko der Krankheit zur Verfügung. Die gesetzliche Krankenversicherung erfüllt den verfassungsmäßigen Auftrag, eine ausreichende medizinische Versorgung zu gewährleisten. Diese Versorgung ist damit grundsätzlich nicht Bestandteil der Grundsicherung nach dem SGB II, die im Wesentlichen das Risiko der (Langzeit-)Arbeitslosigkeit bzw. der unzureichenden Bedarfsdeckung durch erzieltes Erwerbseinkommen abdeckt und zudem als Sozialhilfeleistung dem Prinzip der Nachrangigkeit unterliegt. Dieses Neben- bzw. Nacheinander der Schutzsysteme steht einer Finanzierung von Krankheitskosten durch Grundsicherungsleistungen grundsätzlich entgegen (vgl. im Einzelnen: SächsLSG, Beschl. v. 25.9.2013 – L 7 AS 83/12 NZB). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass der notwendige Lebensunterhalt sowie eine ausreichende medizinische Versorgung insgesamt jeweils im Rahmen der dafür vorgesehenen Schutzsysteme gewährleistet sind. Soweit Leistungen im System der Krankenversicherung somit als nicht unbedingt notwendig ausgeschlossen werden, verbietet es sich, diesen Leistungsausschluss mit der Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II in vollem Umfang zu kompensieren. Der Betroffene ist vielmehr für Medikamente, Behandlungen oder Fahrtkosten zu Behandlungsterminen, für die die Krankenkassen nicht aufkommen, auf die im Regelbedarf vorgesehenen Mittel für die Gesundheitspflege und das Verkehrswesen beschränkt (vgl. BSG, Urt. v. 12.12.2013 – B 4 AS 6/13 R; Urt. v. 26.5.2011 – B 14 AS 146/10 R und SächsLSG, aaO.). Dass das System der Regelleistungen dabei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, hat das Bundesverfassungsgericht erst kürzlich mit Beschluss vom 23.7.2014 – 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 – klar gestellt. Zuvor hatte es etwa bereits entschieden, dass es verfassungsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass apothekenpflichtige nicht verschreibungspflichtige Medikamente grundsätzlich von der Versorgung durch die Krankenkassen ausgeschlossen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.12.2012 – 1 BvR 69/09). Diese Entscheidung lässt sich auf die Frage der Fahrtkosten, die nicht übernommen werden, durchaus übertragen.

Gesundheitsspezifische Bedarfe können daher vom Grundsatz her schon keine besondere – atypische – Bedarfslage im Sinne von § 21 Abs. 6 SGB II auslösen. Die hier geltend gemachten Fahrtkosten zu Kontrolluntersuchungen bieten keinen Anlass, im Einzelfall von diesem Grundsatz abzurücken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass zum Gesundheitsschutz ein flächendeckendes Netz von Einrichtungen der Gesundheitsversorgung im Nahbereich gehört. Dies dient in erster Linie der guten und jederzeitigen Erreichbarkeit der Einrichtungen, was sich wiederum günstig auf Fahrt- und Transportkosten auswirkt. Damit ist gewährleistet, dass auch wenig leistungsfähige Kranke ihre Behandlungstermine wahrnehmen können. Bei hoher Behandlungsfrequenz liegt wiederum ein Ausnahmefall vor, bei dem die Kostenübernahme durch die Krankenkasse eingreift. So ist dies jedenfalls dem Widerspruchsbescheid der AOK Plus vom 14.7.2014 zu entnehmen.

Aber selbst wenn man hier die Annahme zugrunde legte, dass die Fahrtkosten zu Kontrolluntersuchungen Gegenstand eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 6 SGB II sein können, erfordert das Merkmal der Unabweisbarkeit des Bedarfs zumindest, dass es dem gesetzlich Krankenversicherten obliegt, diese zunächst bei der gesetzlichen Krankenversicherung geltend zu machen und ggf. mit Rechtsbehelfen durchzusetzen, soweit diese nicht offensichtlich aussichtslos sind (vgl. SG Karlsruhe, Urt. v. 11.6.2014 – S 15 AS 2553/13). Dass Rechtsbehelfe hier nicht offensichtlich aussichtslos sind, folgt daraus, dass – wie bereits ausgeführt wurde – der Leistungskatalog der Krankenversicherung unter bestimmten Voraussetzungen auch die Fahrtkostenübernahme zu einer ambulanten Behandlung vorsieht (vgl. § 60 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V – in Verbindung mit den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 12 SGB V). Hinzu kommt, dass die gesetzliche Krankenkasse bereits Fahrtkosten für frühere Vorstellungstermine des Antragstellers in E. übernommen hatte.

Dieser Obliegenheit ist der Antragsteller hier nicht hinreichend nachgekommen. Er hat zwar für den Kontrolltermin am 29.10.2014 einen Antrag bei seiner Krankenkasse gestellt, der mit Bescheid vom 10.7.2014 abgelehnt wurde. Indes ist weder vorgetragen noch sonst erkennbar, dass der Antragsteller hiergegen weiter vorgegangen wäre und er dabei insbesondere um gerichtlichen Eilrechtsschutz nachgesucht hätte. Damit ist bezüglich der Ablehnung vom 10.7.2014 Bestandskraft eingetreten, weshalb sich auch eine Beiladung der Krankenkasse als möglicherweise verpflichteter anderer Leistungsträger nach § 75 Abs. 2 SGG verbietet. Aufgrund der eingetretenen Bestandskraft kann dieser nicht entsprechend § 75 Abs. 5 SGG zur Leistung verpflichtet werden.

Der vom Antragsteller vorgelegte Widerspruchsbescheid vom 14.7.2014 betrifft im Übrigen nur den Untersuchungstermin am 5.2.2014. Aber auch diesbezüglich ist nicht erkennbar, dass der Antragsteller Klage erhoben hätte. Auch vor diesem Hintergrund hat der Antragsteller die Unabweisbarkeit des geltend gemachten Bedarfs nicht glaubhaft gemacht.

Die Unabweisbarkeit des Bedarfs ist zudem in einer weiteren Hinsicht nicht glaubhaft gemacht. Hier liegen zwar ärztliche Überweisungen hinsichtlich der Kontrolluntersuchung an das Universitätsklinikum E. vor. Es ist aber weder vorgetragen noch sonst erkennbar, inwieweit diese weitere Kontrolluntersuchung am 29.10.2014 überhaupt einen medizinischen Mehrwert im Sinne einer unabweisbaren Notwendigkeit erbringen würde. Entsprechende ärztliche Äußerungen finden sich nicht in der Akte. Auch der Antragsteller hat dies nicht näher erläutert. Auf der anderen Seite stellte sich der Antragsteller bereits einige Male zur Nachkontrolle in der Universitätsklinik E. vor, (glücklicherweise) ohne dass sich ein Befund ergab. Dazu wird er nach wie vor durch seine behandelnde Augenärztin und in einer Augenklinik in P. engmaschig ärztlich kontrolliert. Dass diese weitere Kontrolluntersuchung in E. demgegenüber einen nennenswerten Gewinn bei der (Früh-)Erkennung von Tumorrezidiven oder Metastasen erbrächte, ist nicht ohne weiteres zu unterstellen. Der Untersuchungsbericht von der letzten Untersuchung in der Universitätsklinik E. am 5.2.2014 legt dies nicht unbedingt nahe. Dort wird über eine visuelle Untersuchung als auch über eine Ultraschalluntersuchung des Auges durch eine Augenfachärztin berichtet. Auch ohne ärztliche Spezialkenntnisse lassen sich hier keine besonderen Gerätschaften oder Untersuchungsmethoden erkennen, die die aufwändige Reise nach E. tatsächlich notwendig erscheinen ließen.

Dazu wäre auch die Höhe der Kosten zu hinterfragen. Der Antragsteller verfügt über ein eigenes Auto und eine Fahrerlaubnis. Dieses nutzt er offenbar auch für die Wahrnehmung der Kontrolltermine in P. Das Merkzeichen "B" für die Notwendigkeit einer Begleitperson wurde ihm nicht zuerkannt. Der Antragsteller hat hier zwar vorgetragen, dass die Sehfähigkeit infolge der Untersuchung zunächst eingeschränkt ist, was nachvollziehbar ist. Wie intensiv diese Einschränkung ist, wie lange diese anhält und entsprechend seine Fahrtüchtigkeit einschränkt, ist jedoch unklar. Entsprechende ärztliche Äußerungen liegen hier ebenfalls nicht vor. Und offenbar ist er nach den Untersuchungen in P. auch in der Lage, mit dem eigenen Pkw zurück zu seinem Wohnort zu fahren.

Nur zur Ergänzung sei klar gestellt, dass es für die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 4 SGB II an der Teilnahme an einer Maßnahme zur Teilhabe im Arbeitsleben fehlt.

Nach alledem ist ein Anordnungsanspruch auf höhere Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem SGB II im Monat Oktober 2014 nicht glaubhaft gemacht, weshalb der Antrag auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen war.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Prozesskostenhilfe war nicht zu gewähren, weil Kosten für eine anwaltliche Bevollmächtigung nicht angefallen sind und das Verfahren gerichtskostenfrei ist.
Rechtskraft
Aus
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