L 7 AS 253/14

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AS 495/13
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 253/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 41/14 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Schülerbeförderungskosten stellen als zusätzliche Leistung zu Regelbedarf und KdU das Existenzminimum sicher. Dies ergibt eine verfassungskonforme Auslegung im Sinn des BVerfG der einschlägigen Vorschriften im SGB II.
2. Besucht ein nach dem SGB II leistungsberechtiges Kind nicht die nächstgelegene Schule, so verliert es seinen Anspruch auf Schülerbeförderungskosten nicht, wenn Fahrtkosten in gleicher Höhe oder höher zu der anderen Schule entstehen.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31. Januar 2014 wird zurückgewiesen.

II. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenständlich sind als Leistungen nach dem SGB II Kosten der Schülerbeförderung für den Kläger in Höhe von monatlich 66,50 EUR für den Zeitraum September 2012 bis einschließlich Juli 2013 durch den Beklagten.

Der 2000 geborene Kläger lebt mit seiner Mutter und seinem 1993 geborenen Bruder in einer Bedarfsgemeinschaft, die seit Jahren Leistungen nach dem SGB II bezieht.

Nachdem die Bedarfsgemeinschaft im Jahr 2008 von B. in den Zuständigkeitsbereich des Beklagten gezogen war, besuchten der Kläger und sein Bruder zunächst die Schule in B-Stadt. Im Frühjahr 2011 bestand der Kläger die Aufnahmeprüfung an der staatlichen Realschule in B-Stadt nicht.

Im Mai wechselten der Kläger und sein Bruder dann zu Schule in W., wobei er eine Klasse zurückgesetzt wurde, er also nochmals die 6. Klasse absolvierte. Die Fahrtkosten für das Schuljahr 2011/2012 wurden dem Kläger und seinem Bruder auf Grund eines im Verfahren L 7 AS 62/12 vor dem Senat geschlossenen Vergleichs vom 15.06.2012 dergestalt erstattet, dass der Beklagte für die Brüder die Fahrtkosten für die monatliche Schülerbeförderungskarte zur nächstgelegenen Schule nach B-Stadt übernahm, abzüglich der im Gesetz vorgesehenen fünf Euro monatlich.

Am 20.08.2012 beantragten der Kläger und sein Bruder für das Schuljahr 2012/2013 erneut die Übernahme von Fahrtkosten für den Besuch der Schule in W., wobei sie ihren Antrag jedoch in der Höhe beschränkten auf Kosten für Schülermonatskarten zur nächstgelegenen Schule in B-Stadt in Höhe von 71,50 EUR monatlich, abzüglich der im Gesetz vorgesehenen fünf Euro, also 66,50 EUR monatlich.

Der Beklagte lehnte mit Bescheid vom 05.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2013 die Übernahme von Beförderungskosten für das Schuljahr 2012/2013 vollumfänglich ab.

Auf Grund der hiergegen erhobenen Klage verurteilte das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 31. Januar 2014 den Beklagten, für den Kläger und dessen Bruder Kosten der Schülerbeförderung in Höhe von 66,50 EUR monatlich für den Zeitraum September 2012 bis einschließlich Juli 2013 zu übernehmen.

Der Kläger und sein Bruder hätten nach § 28 Abs. 4 SGB II Anspruch auf Übernahme von Schülerbeförderungskosten in Höhe von 66,50 EUR monatlich. Bei der Schule in W. handle es sich zwar nicht um die nächst gelegene Schule eines Bildungsganges im Sinne von § 28 Abs. 4 SGB II. Die W.Schule als solche stelle keinen eigenen Bildungsgang dar. Da sich im nur 15 Kilometer entfernten B-Stadt staatliche Schulen jedes Bildungsganges befänden, welche grundsätzlich für den Kläger und seinen Bruder in Frage kämen, handle es sich bei der W.Schule nicht um die nächstgelegene Schule des "Bildungsganges" im Sinne von § 28 Abs. 4 SGB II.

Dass nicht die nächstgelegene, sondern eine weiter entfernte Schule besucht werde, schließe den Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II jedoch nicht aus. Das in Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz (GG) verfassungsrechtlich gewährleistete elterliche Erziehungsrecht, das insbesondere auch die Wahl der Schule mit einschließe, lasse eine Auslegung dahingehend, dass beim Besuch einer weiter entfernten Schule gar keine Leistungen gewährt werden, nicht zu. Auch der Zweck des Gesetzes spräche gegen einen vollständigen Ausschluss. Die Vorschrift des § 28 Abs. 4 SGB II sei eingeführt worden, weil Kosten, die für einen Schulweg anfallen, nach dem Willen des Gesetzgebers gerade nicht aus dem Regelbedarf bestritten werden sollten. Darauf liefe es aber hinaus, schlösse man Kinder vom Anspruch nach § 28 Abs. 4 SGB II vollständig aus, die - aus welchen Gründen auch immer - nicht die im Sinne der landesrechtlichen Regelung nächstgelegene Schule besuchten. § 28 Abs. 4 SGB II solle Lücken in den Gesetzen der Länder für Leistungsberechtigte nach dem SGB II zu schließen.

Eine mit dem Gleichheitssatz unvereinbare ungerechtfertigte Besserstellung gegenüber Nichtleistungsempfänger sehe das Gericht bei einer solchen Auslegung von § 28 Abs. 4 SGB II nicht. Der Grund für die unterschiedliche Behandlung von Leistungsempfängern und Nichtleistungsempfängern läge gerade in der Hilfebedürftigkeit, die im SGB II Voraussetzung für den Empfang von Leistungen sei. Im Übrigen bestünde dieser Unterschied auch bei Schülern ab der 11. Klasse, deren Gruppe in der Gesetzesbegründung ausdrücklich genannt sei. Auch bei dieser Gruppe sei es so, dass Personen, die unter das SGB II fielen, ein Anspruch auf Schülerbeförderungskosten gemäß § 28 Abs. 4 SGB II hätten. Nichtleistungsempfänger hingegen seien nach dem Bayerischen Schulwegkostenfreiheitsgesetz (BaySchKFrG) vom Erstattungsanspruch weitgehend ausgenommen, Art. 3 Abs. 2 BaySchKFrG.

Der Anspruch sei auch nicht wegen Kostenübernahme nach Landesrecht oder durch Dritte ausgeschlossen. Schülerbeförderungskosten würden beim Besuch einer staatlichen Schule im B-Stadt nach dem Bayerischen Schulwegkostenfreiheitsgesetz übernommen. Denn unter den Anwendungsbereich der Schülerbeförderungsordnung fielen neben öffentlichen Schulen nach Art. 1 BaySchKFrG nur staatlich anerkannte Schulen, nicht hingegen Schulen mit staatlicher Genehmigung, wie es die W.Schule sei. Eine Anrechnung könne ohnehin nur erfolgen, wenn eine Kostenübernahme durch Dritte auch tatsächlich erfolgt, was hier unbestritten nicht der Fall sei.

Die Höhe des Anspruchs ergebe sich aus den Kosten einer Schülermonatskarte vom Wohnort des Klägers zur nächstgelegenen Schule nach B-Stadt in Höhe von 71,50 EUR, abzüglich eines Eigenanteils von 5,00 EUR, also monatlich 66,50 EUR. Beförderungskosten in dieser Höhe seien tatsächlich auch entstanden. Selbst unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten durch Nutzung von Mitfahrgelegenheiten fielen jeden Monat mindestens der Betrag an, den eine Schülermonatskarte vom Wohnort zur nächstgelegenen Schule nach B-Stadt im Schuljahr 2012/2013 auch gekostet habe. Als zumutbare Eigenleistung gelte dabei in der Regel ein Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich, § 28 Abs. 4 Satz 2 SGB II, so dass der Umfang des Anspruchs 66,50 EUR monatlich betrage, vgl. § 1 Schülerbeförderungsverordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.09.1994.

Hiergegen hat der Beklagte Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht lediglich im Hinblick auf den Kläger eingelegt und die Verurteilung durch das Sozialgericht zu Übernahme der Beförderungskosten für den Bruder des Klägers wegen besonderer Umstände akzeptiert.

Die Berufung hat der Beklagte im Wesentlichen damit begründet, dass das Sozialgericht in seinem Urteil die Vorschrift des § 28 Abs. 4 SGB II zu weitgehend ausgelegt habe. Der Wortlaut von § 28 Abs. 4 SGB II sei eindeutig. Fiktive Schülerbeförderungskosten dürften danach nicht übernommen werden. Ein Anspruch entstände nur beim tatsächlichen Besuch der nächstgelegenen Schule, was sich aus der Formulierung "die für den Besuch der nächstgelegenen Schule ... tatsächlichen Aufwendungen" ergebe. Dies sei auch die Rechtsauffassung des Bayerischen Staatsministeriums für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen im Schreiben vom 22.07.2013 Aktenzeichen VI 1/6541.01/1/179. Träfe die vom Sozialgericht vorgenommene Auslegung der Vorschrift zu, hätte der Gesetzgeber die Worte "für den Besuch " weglassen müssen.

Im Übrigen habe der BayVGH mit Beschluss vom 04.02.2013 Az. 7 ZB 12.2438 entschieden, dass beim Besuch einer weiter entfernten Schule als der nächstgelegenen grundsätzlich überhaupt kein Anspruch auf Übernahme von Beförderungskosten nach der Schulbeförderungsverordnung bestünde. Würden nun die Beförderungskosten nach dem SGB II übernommen, würde dies dazu führen, dass bedürftige Kinder bessergestellt würden als nichtbedürftige, was einen Verstoß gegen Art. 3 GG bedeuten würde. Bedürftige könnten es sich bei teilweiser Übernahme der Beförderungskosten letztlich leisten, eine vermeintlich bessere Schule zu besuchen, was vielen Nichtbedürftigen verwehrt bliebe, die die gesamten Kosten tragen müssten. Gerade Beziehern unterer Einkommensschichten, an denen sich die Regelungen der Sozialgesetze orientierten, sei die Kostentragung im Regelfall nicht möglich.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 31.01.2014 betreffend den Kläger aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 05.05.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.04.2013 insoweit abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Auslegung des § 28 Abs. 4 SGB II, wie sie das Sozialgericht vorgenommen habe, sei zutreffend und verfassungskonform. Eine Auslegung von § 28 Abs. 4 SGB II dergestalt, dass ein SGB II-Empfänger überhaupt keine Leistungen für Schülerbeförderungskosten bekomme, wenn er nicht die nächstgelegene Schule besuche, verstoße gegen Art. 6 Abs. 2 GG.

Mit Schreiben vom 17.06.2014 hat die Klägerseite eine Aufstellung mit im Schuljahr 2013/2013 tatsächlich angefallenen Fahrtkosten in Höhe von insgesamt 1.234,18 EUR übermittelt.

Im Erörterungstermin vom 02.06.2014 haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht entschieden, dass der Kläger Anspruch auf Übernahme der Schulbeförderungskosten für die Monate September 2012 bis einschließlich Juli 2013 in Höhe von 66,50 EUR monatlich hat.

Streitgegenstand ist der Bescheid vom 05.02.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2013, mit dem der Beklagte die Übernahme der im Schuljahr 2012/2013 anfallenden Schülerbeförderungskosten vollständig abgelehnt hat. Bei den Kosten der Schülerbeförderung für den Kläger handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand, der isoliert und unabhängig von übrigen Grundsicherungsleistungen geltend gemacht werden kann (vgl. BSG Urteil vom 10.09.2013, Az B 4 AS 12/13 R).

Der Kläger ist - wovon auch der Beklagte ausgeht und wie es der Senat festgestellt hat - leistungsberechtigt nach dem SGB II, vgl. §§ 19, 7 SGB II.

Nachdem der Kläger die Schülerbeförderungskosten für das Schuljahr 2012/2013 auch rechtzeitig im August 2012 beantragt hat, steht ihm ein Kostenerstattungsanspruch gegen den Beklagten zu (BSG a.a.O. Rz 16), den er im Rahmen einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage durchsetzen kann (BSG a.a.O. Rz 16).

Der Anspruch des Klägers, der Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II und zudem Schüler ist, ergibt sich aus § 28 Abs. 4 SGB II.

Gemäß § 28 Abs. 4 SGB II werden bei Schülerinnen und Schülern, die für den Besuch der nächstgelegenen Schule das gewählte Bildungsgangs auf Schülerbeförderung angewiesen sind, die dafür erforderlichen tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt, soweit sie nicht von Dritten übernommen werden und es der leistungsberechtigten Person nicht zugemutet werden kann, die Aufwendungen aus dem Regelbedarf zu bestreiten. Als zumutbare Eigenleistung gilt in der Regel ein Betrag in Höhe von 5,00 EUR monatlich.

Diese Voraussetzungen liegen vor, da § 28 Abs. 4 SGB II im Sinne der vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze (vgl. Bundesverfassungsgericht Urteil vom 09.02.2010, Az 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) verfassungskonform ausgelegt (vgl. zur Möglichkeit der verfassungskonformen Auslegung von § 28 Abs. 4 SGB II Beschluss des BayLSG vom 15.03.2012, Az L 7 AS 1012/11 NZB Rz 15) werden muss (so auch ausdrücklich Bundesverfassungsgericht Beschluss vom 23.07.2014, Az 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 Rz 125, 132). Entscheidend ist insoweit aus verfassungsrechtlicher Sicht nur, dass existenzsichernde Bedarfe insgesamt tatsächlich gedeckt sind (BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, Az 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 Rz 115).

Zutreffend hat das Sozialgericht zunächst festgestellt, dass es sich bei der vom Kläger besuchten Schule nicht um die nächstgelegene Schule im Sinne dieser Vorschrift handelt, da es sich bei der W.Schule um eine Schule des jeweiligen Bildungsgangs im Sinne der Vorschrift handelt und die W.Schule als Schule mit besonderer Prägung bzw. mit besonderem Schulprofil keinen eigenständig wählbaren Bildungsgang, sondern um eine freiwillig gewählte Option innerhalb des auf Grund des Alters des Schülers allein wählbaren Bildungsgangs handelt (vgl. auch Landessozialgericht B.-Brandenburg Beschluss vom 29.06.2012, Az L 28 AS 1153/12 B ER).

Zutreffend hat das Sozialgericht aber dann eine Auslegung von § 28 Abs. 4 SGB II dahingehend vorgenommen, dass die Kosten für die Schülerbeförderung zur nächstgelegenen Schule auch dann erstattet werden müssen, wenn ein Leistungsberechtigter nach dem SGB II eine weiter entfernte Schule besucht. Überzeugend hat das Sozialgericht dargelegt, dass sich eine solche Auslegung aus dem Gesetzeszweck ergibt und unter verfassungsmäßigen Aspekten zwingend ist.

Schülern, die Leistungen nach dem SGB II beziehen, sollte es durch die Vorschrift des § 28 Abs. 4 SGB II ermöglicht werden, ihre Existenzminimum dadurch abzudecken, dass Schülerbeförderungskosten, die nicht im Regelbedarf enthalten sind, zusätzlich zum Regelbedarf vom zuständigen Land übernommen werden. Dieser Gesetzeszweck würde nicht erfüllt, wenn ein Schüler - aus welchen Gründen auch immer - nicht die nächstgelegene, sondern eine etwas weiter entfernte Schule besucht.

Denn nach § 28 Abs. 1 S. 1 SGB II werden Bedarfe für Bildung und Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neben dem Regelbedarf nach Maßgabe der Absätze 2 bis 7 gesondert berücksichtigt (vgl. BSG Urteil vom 10.09.2013, Az B 4 AS 12/13 R). Sie sind mithin zusätzlich zum Regelbedarf bzw. anknüpfend an die Forderung des BVerfG (BVerfG vom 09.02.2010 - 1 Bvl 1/09 ua - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr. 12, Rz 203) ggf. auch ausschließlich zur Gewährleistung des Existenzminimums zu erbringen, wenn nur durch sie allein Hilfebedarf ausgelöst wird. Dies wird auch in der Begründung zum Entwurf des RBEG/SGBII/SGB XII-ÄndG ausdrücklich unterstrichen, wenn es dort heißt, dass die materielle Ausstattung von Schülerinnen und Schülern für die Teilnahme an schulischen Aktivitäten sowie außerschulischer Bildung durch gesonderte und zielgerichtete Leistungen zu gewährleisten sei. Die Bedarfe seien vorbehaltlich des § 19 Abs. 3 S. 3 SGB II selbständig zu gewähren (BT-Drucks 17/3404, S 104).
Auch die systematische Betrachtung belegt die Notwendigkeit der Übernahme von Schülerbeförderungskosten zusätzlich zum Regelbedarf (vgl. allgemein zur Übernahme von Mobilitätskosten auch BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, Az 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 Rz 125, 145). Zwar bleiben die Bildungs- und Teilhabeleistungen Bestandteil der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Kindern und Jugendlichen, also der Maßnahmen zur Sicherung deren Existenzminimums (BSG Urteil vom 28.03.2013, Az B 4 AS 12/12 R Rz 44). Sie sind jedoch mit Ausnahme der Leistungen nach § 28 Abs 3 SGB II (persönlicher Schulbedarf) gemäß § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II gesondert zu beantragen. Dies spricht dafür, dass auch nach der Vorstellung des Gesetzgebers Bildungs- und Teilhabeleistungen eigenständig als Ergänzung zum Regelbedarf einklagbar sein sollen. Die Regelung des § 37 Abs. 1 S. 2 SGB II begründet keine Zweifel an dieser Auslegung. Insoweit folgt der Gesetzgeber lediglich der Rechtsprechung des BSG zur Rechtslage vor dem 01.01.2011. Es hatte eine gesonderte Antragstellung für den persönlichen Schulbedarf nicht für erforderlich gehalten, weil dieses Begehren vom Antrag auf Alg II/Sozialgeld umfasst sei (ausführlich BSG vom 23.03.2010, Az B 14 AS 6/09 R - BSGE 106, 78 = SozR 4-4200 § 37 Nr. 2, RdNr. 14 f). Die Möglichkeit der isolierten Einklagbarkeit entspricht auch dem Sinn und Zweck der Leistungen für Bildung und Teilhabe. Sie sollen dazu dienen, besondere Bedarfslagen bei Kindern und Jugendlichen im Einzelfall und unabhängig von der übrigen Bedarfsgemeinschaft gezielt zu decken (BT-Drucks 17/3404, S 104). Wenn der Gesetzgeber zur verfassungsrechtlich gebotenen Sicherstellung des Existenzminimums einem leistungsberechtigten Schüler neben dem Regelbedarf einen eigenständigen Anspruch auf Schülerbeförderungskosten geben wollte, bedeutet dies, dass - wenn tatsächlich Beförderungskosten zur nächstgelegenen Schule entstehen, dem Schüler Leistungen in dieser Höhe auch zustehen. Dadurch, dass ein Schüler dann von seinem ihm grundrechtlich zustehenden Recht auf freie Schulwahl Gebrauch macht, verliert er diesen Anspruch nicht.
Entgegen der Auffassung des Berufungsklägers verstößt eine solche Auslegung von § 28 Abs. 4 SGB II auch nicht gegen das Gleichheitsgebot in Art. 118 der Bayerischen Verfassung (BV) und in Art. 3 Grundgesetz (GG).
Zwar hat der BayVGH - wie der Berufungskläger dargelegt hat - mit Beschluss vom 04.02.2013, Az 7 ZB 12.2438 entschieden, dass Kosten für den Besuch einer anderen als der nächstgelegenen Schule nach bayerischem Landesrecht nicht zu erstatten sind. Der bayerische Gesetzgeber hat nach dieser Rechtsprechung des BayVGH die Schülerbeförderungskostenfreiheit Ansprüche auf Schülerbeförderungskosten insgesamt ausgeschlossen, wenn nicht die nächstgelegene Schule, sondern eine andere Schule besucht wird. Nach Auffassung des BayVGH ergibt sich aus der Verfassung des Freistaats Bayern kein allgemeiner Anspruch auf Subventionierung von Ausbildungskosten, wie es die Kostenfreiheit des Schulwegs darstellt. Wenn dann ein Schüler von seinem Recht auf freie Schulwahl in der Weise Gebrauch macht, dass der Schüler nicht die nächstgelegene Schule besucht, so darf ihm und seinen Eltern nach Auffassung des BayVGH auch ohne Verstoß gegen Art. 118 Abs. 3 BV zugemutet werden, die finanziellen Folgen dieser Entscheidung selbst zu tragen.
Diese Rechtsprechung des BayVGH betrifft jedoch ausschließlich bayerisches Landesrecht und ist für die Auslegung der bundesgesetzlichen Vorschrift des § 28 Abs. 4 SGB II nicht relevant. Insoweit geht es hier zudem um eine andere Vergleichsgruppe. Nach dem SGB II soll das Existenzminimum eines Leistungsberechtigten sichergestellt werden, zu dem auch Schülerbeförderungskosten grundsätzlich gehören. Zwar sieht § 28 Abs. 4 SGB II in Übereinstimmung mit den bayerischen landesrechtlichen Vorschriften vor, dass grundsätzlich die nächstgelegene Schule zu besuchen ist. Jedoch ist hier zu berücksichtigen, dass Leistungsberechtigte nach dem SGB II - anders als bei der landesrechtlichen Vorschrift - bei der ihnen grundgesetzlich zustehenden freien Schulwahl benachteiligt werden, wenn ihnen Leistungen für die Schülerbeförderung vorenthalten werden, wie sie beim Besuch einer öffentlichen Schule zwingend anfallen würden. Ein Schüler, der leistungsberechtigt nach dem SGB II ist, soll nach den Vorstellungen des Bundesgesetzgebers von diese finanziellen Folgen seiner Entscheidung geschützt sein und ihm zumindest das Existenzminimum - bestehend aus dem Regelbedarf und zusätzlich den Schülerbeförderungskosten - bleiben.

Soweit der Beklagte eine Ungleichbehandlung mit Geringverdienern sieht, ist lediglich darauf zu hinzuweisen, dass an der Schnittstelle zwischen Bedürftigkeit nach dem SGB II und geringem Verdienst regelmäßig Situationen entstehen, wo sich Geringverdiener entscheiden müssen, wie sie die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen wollen. Eine Verpflichtung des Staates, ihnen zusätzliche Mittel zur Verfügung zustellen, entsteht erst, wenn das Existenzminimum nicht mehr gewährleistet werden kann. Davon unabhängig ist, wie die Sicherstellung des Existenzminimums für nach dem SGB II Leistungsberechtigte erfolgt.

Allerdings können im Rahmen der spezialgesetzlichen Regelung des § 28 Abs. 4 SGB II bei der Festsetzung der Höhe der Leistung Ausgaben für die Schülerbeförderung nur insoweit berücksichtigt werden, als sie für die Fahrt zur nächstgelegenen Schule des jeweiligen Schultyps tatsächlich entstehen (unter Anrechnung anderer verfügbarer Unterstützungsleistungen). Denn bei verfassungskonformer Auslegung von § 28 Abs 4 SGB II, kann der Anspruch aus § 28 Abs. 4 SGB II nicht mehr umfassen, als dieser seinem Wortlaut nach ergibt, also höchstens die Fahrtkosten zur nächstgelegenen Schule (vgl. Landessozialgericht B.-Brandenburg Beschluss vom 29.06.2012, Az L 28 AS 1153/12 B ER und Landessozialgericht B.-Brandenburg Beschluss vom 05.09.2012, Az L 14 BK 2/12 B ER). Die Kosten sind demgemäß aufgrund des Wortlautes von § 28 Abs. 4 SGB II gedeckelt auf die tatsächlich notwendigen Schülerbeförderungskosten. Diese betragen - wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat -, im streitgegenständlichen Zeitraum 66,50 EUR monatlich.

Nachdem der Kläger keine höheren Leistungen als diese begehrt, kann dahingestellt bleiben, ob sich gegebenenfalls ein Anspruch auf höhere Leistungen als zur nächstgelegenen Schule aus § 21 Abs. 6 SGB II ergeben würde. Einen solchen Anspruch könnte der Kläger nicht isoliert, sondern nur abhängig von den sonstigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltend machen (offen gelassen in BSG Urteil vom 10.09.2013, Az B 4 AS 12/13 R; ablehnend BSG vom 18.02.2010, Az B 4 AS 29/09 R und BSG Urteil vom 26.05.2011, Az B 14 AS 146/10 R). Allerdings dürfte ein Anspruch auf höhere Fahrtkosten als zur nächstgelegenen Schule aus § 21 Abs. 6 SGB II daran scheitern, dass es sich bei Schülerbeförderungskosten um keinen im Einzelfall notwendigen, laufenden, nicht nur einmaligen besonderen Bedarf handelt (vgl. BSG Urteil vom 10.09.2013, Az B 4 AS 12/13 R Rz 27 ff), da das Elternrecht auf Wahl der Schule nicht so weit geht, dass hierdurch vom zuständigen Leistungsträger mehr als nur die existenznotwendige Leistung erbracht werden müsste. In diesem Fall sind höhere Fahrtkosten nicht existenznotwendig und damit nicht "notwendig" i.S.v. § 21 Abs 6 SGB II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass der Beklagte und Berufungskläger im Berufungsverfahren keinen Erfolg hatte.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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