L 4 AS 394/13

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 16 AS 3892/12
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 394/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. September 2013 geändert: Die Klage wird auch im Übrigen abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob der Beklagte bei der Berechnung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) Fortbildungskosten der Klägerin zur Osteopathin zu berücksichtigen hatte.

Die Klägerin ist ausgebildete Masseurin und medizinische Bademeisterin. Sie erhielt im Jahr 2012 vom Beklagten ergänzende Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid vom 21. März 2012 waren ihr für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 i.H.v. 325,16 EUR bewilligt worden. Gegen diesen Bescheid hat sie keinen Widerspruch eingelegt.

Mit Schreiben vom 22. Juni 2012 wandte sich die Klägerin an den Beklagten und bat um Berücksichtigung "erhöhter Werbungskosten", ausgelöst durch eine Fortbildung zur Os-teo¬pathin. Sie fügte ein Schreiben ihres damaligen Arbeitgebers bei, in welchem es heißt, er befürworte für die Klägerin die Weiterbildung zur Osteopathin und meine, dass Sie als motivierte und engagierte Mitarbeiterin diese Weiterbildung erfolgreich absolvieren werde. Die Verordnungszahl für Massagen habe in den letzten Jahren stark abgenommen, weshalb es fraglich sei, ob er die Klägerin weiterhin in seiner Praxis als Masseurin beschäftigen könne. Er sehe aber die Möglichkeit, sie im Bereich der Osteopathie stärker in seine Praxis zu integrieren. Er selbst könne der Klägerin leider die Weiterbildung nicht finanzieren.

Mit Bescheid vom 16. August 2012 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Berücksichtigung von erhöhten Werbungskosten im Rahmen der Einkommensbereinigung nach § 11 b Abs. 1 Nr. 5 SGB II ab. Dies sei weder nach den Vorschriften des Zweiten noch nach den Bestimmungen des Dritten Buches Sozialgesetzbuch möglich. Die fraglichen Kosten stünden zwar mittelbar mit der Tätigkeit der Klägerin im Zusammenhang. Eine Berücksichtigung im Rahmen der Absetzung von notwendigen Ausgaben nach § 11 b SGB II sei jedoch nicht möglich, da diese Ausgaben nicht unmittelbar zur Erzielung, Sicherung und Erhaltung des Arbeitseinkommens erforderlich seien. Es gelte lediglich die im Grundfreibetrag enthaltene Pauschale.

Mit Bescheid vom 2. Oktober 2012 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen für die Zeit vom 1. November 2012 bis 30. April 2013, ebenfalls ohne die von der Klägerin geltend gemachten Kosten zu berücksichtigen.

Die Klägerin erhob Widerspruch gegen beide Bescheide. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 2. Oktober 2012 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 14. März 2013 zurückgewiesen, der Widerspruch vom 19. August 2012 mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2013.

Bereits am 14. Dezember 2012 hatte die Klägerin wegen der Widerspruchsangelegenheit vom August 2012 vor dem Sozialgericht Hamburg Untätigkeitsklage erhoben, am 20. März 2013 außerdem Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 14. März 2013. Die Untätigkeitsklage hat sie später als Verpflichtungsklage fortgeführt.

Mit Urteil vom 26. September 2013 hat das Sozialgericht den Bescheid des Beklagten "vom 20. Oktober 2012" in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 14. März 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. August 2012 in Gestalt des Widerspruchbescheides vom 22. März 2013 abgeändert und den Beklagten verurteilt, die Fortbildungskosten der Klägerin zur Osteopathin und die Kosten für die erforderlichen Lehrgangsunterlagen und -bücher sowie die mit der Fortbildung verbundenen Reisekosten, welche im Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis 30. April 2013 von der Klägerin gezahlt worden sind, gemäß § 11 b Abs. 1 Nr. 5 SGB II als notwendige Ausgaben zur Einkommenserzielung zu berücksichtigen.

Die die Kosten für eine Kindertagesstätte betreffende weitergehende Klage hat das Sozialgericht abgewiesen.

In der Begründung heißt es, die angefochtenen Bescheide des Beklagten erwiesen sich zum Teil als rechtswidrig. Die Klägerin habe Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Fortbildungskosten zur Osteopathin dem Grunde nach. Gemäß § 11 b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB II seien die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben vom Einkommen abzusetzen. In Abgrenzung zum Steuerrecht sei es für das SGB II ausreichend, wenn die Ausgaben mit der Erzielung der Einnahmen verbunden seien. Es genüge, wenn sie dem Grunde und der Höhe nach bei vernünftiger Wirtschaftsführung anfielen. Diese Voraussetzungen seien hier erfüllt. Die Klägerin habe glaubhaft gemacht, dass für ihre Weiterbeschäftigung eine Aus- und Fortbildung zur Osteopathin dringliche Voraussetzung sei. Die Dringlichkeit ergebe sich aus den klaren Schilderungen des Arbeitgebers. Es sei plausibel, dass sich die Klägerin auf die geänderten Herausforderungen ihres Arbeitsalltages durch die Aufnahme einer Ausbildung zur Osteopathin habe einstellen müssen, um weiterhin wettbewerbsfähig auf dem Arbeitsmarkt vermittelt werden zu können. Die Kammer habe sich unter diesen Voraussetzungen der Argumentation der Klägerin nicht verschließen können, dass sie als ausgebildete Osteopathin mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Arbeitsstelle nicht verloren und diese dauerhaft gesichert hätte, zumal sie an einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankung der Schulter leide.

Das Urteil des Sozialgerichts ist dem Beklagten am 30. Oktober 2013 zugestellt worden. Am 28. November 2013 hat er Berufung eingelegt. Der Beklagte meint, das Sozialgericht habe § 11 b Abs. 1 S. 1 Nr. 5 SGB II zu Unrecht zu Gunsten der Klägerin angewandt und verweist insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19.6.2012, B 4 AS 173/11 R).

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. September 2013 aufzuheben, soweit es die streitgegenständlichen Bescheide abändert der Beklagte darin verurteilt wurde, die Fortbildungskosten der Klägerin zur Osteopathin und die Kosten für die erforderlichen Lehrgangsunterlagen und -bücher sowie die mit der Fortbildung verbundenen Reisekosten, welche im Zeitraum vom 1. Juni 2012 bis zum 30. April 2013 von der Klägerin gezahlt worden sind, gemäß § 11 b Abs. 1 Nr. 5 SGB II als notwendige Ausgaben zur Einkommenserzielung zu berücksichtigen und die Klage insoweit abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.

Die die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter als Einzelrichter einverstanden erklärt.

Die die Klägerin betreffenden Sachakten des Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie den Inhalt der Prozessakten wird wegen weiterer einzelner Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zulässige Berufung des Beklagten hat in der Sache Erfolg. Das Sozialgericht hätte den Beklagten nicht verurteilen dürfen, die Fortbildungskosten der Klägerin zur Osteopatin gemäß § 11 b Abs. 1 Nr. 5 SGB II als notwendige Ausgaben zur Einkommenserzielung zu berücksichtigen. Dabei kann offen bleiben, wie in diesem Zusammenhang der Umstand zu bewerten ist, dass die Klägerin gegen den Leistungsbescheid des Beklagten vom 21. März 2012 keinen Widerspruch eingelegt hat, dieser also bestandskräftig geworden ist. Die Berücksichtigung der von der Klägerin geltend gemachten Fortbildungskosten verbietet sich auch aus anderen Gründen. Entgegen ihrer Auffassung ist bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II ein solcher Betrag nicht vom Einkommen abzuziehen.

Vom zu berücksichtigende Einkommen sind nach § 11 b Abs. 1 Nr. 5 SGB II die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben abzusetzen. Der Absetzungsmöglichkeit durch diese Vorschrift ist insofern ein enger Rahmen gesetzt, als im SGB II eine kausale Verknüpfung allein zwischen den fraglichen Aufwendungen und der Erzielung des Einkommens gefordert wird. Im Recht der Grundsicherung sind mithin nur notwendige Ausgaben als Abzugsposten zu berücksichtigen, während es beispielsweise das Steuerrecht genügen lässt, wenn die Aufwendungen durch den Beruf des Steuerpflichtigen veranlasst sind. Eine Berücksichtigung von Aufwendungen kann allerdings geboten sein, wenn dies durch das zentrale Anliegen des SGB II, den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten bei der Aufnahme oder Beibehaltung einer Erwerbstätigkeit unterstützen, geboten ist. Im Hinblick auf das Vorbringen der Klägerin ist allerdings darauf hinzuweisen, dass das übergreifende Ziel des SGB II, die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten durch Aufnahme einer Erwerbstätigkeit von den Leistungen der Grundsicherung unabhängig zu machen, in erster Linie Gegenstand des Grundsatzes des Förderns (§ 14 SGB II) und der in den §§ 16 ff. SGB II geregelten Eingliederungsleistungen ist (BSGE, Urteil vom 19.6.2012, B 4 AS 163/11 R). Insoweit kam für die von der Klägerin geltend gemachte Bedarf im streitigen Zeitraum grundsätzlich ein Anspruch auf Leistungen nach § 16 Abs. 1 S. 2 SGB II in Betracht, über die im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden war (BSG, a.a.O.). Eine Berücksichtigung der fraglichen Kosten im Rahmen der Einkommensermittlung widerspricht diesem System, welches gerade auch eine Überwachung der öffentlich geförderten Eingliederungsleistungen ermöglichen soll (vgl. auch § 27 SGB II). Bei einer leistungserhöhenden Anrechnung der von der Klägerin aufzuwendenden Kosten ergäbe sich ein Wertungswiderspruch zu den Zwecken des arbeitsmarktbezogenen Leistungssystems des SGB II. Denn es wäre ihr im Ergebnis erlaubt, die besonderen dem Ausbildungsinteresse geschuldeten Bedarfe indirekt über eine Einkommensabsetzung zu decken.

Allerdings können im Einzelfall, worauf die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu Recht hingewiesen hat, auch Weiter- und Fortbildungskosten notwendige Ausgaben im Sinne von § 11 b Abs. 1 Nr. 5 SGB II sein (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. 2.2014, L 12 AS 4836/12). Maßgeblich für die Frage der Notwendigkeit der Ausbildungskosten ist dann deren Verknüpfung mit der während und im Rahmen der Ausbildung erfolgenden Tätigkeit und dem daraus erzielten Einkommen (a.a.O.). Einen solchen Zusammenhang hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zwar behauptet, er lässt sich den von ihr in das Verfahren eingeführten Äußerungen Ihres früheren Arbeitgebers jedoch nicht entnehmen. Dass die Ausbildung der Klägerin zur Osteopathin bereits im Jahr 2012 Voraussetzung ihres Einkommenserwerbs selbst als medizinische Bademeisterin und Masseurin gewesen sei, ergibt sich daraus nicht und ist auch vor dem Hintergrund nicht plausibel, dass die Ausbildung zur Osteopathin erst am Anfang stand und nach den Angaben der Klägerin bis heute noch nicht endgültig abgeschlossen ist.

Das angefochtene Urteil des Sozialgerichts war nach alledem aufzuheben und die Klage auch im Übrigen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 193 SGG.

Ein Grund, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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