L 2 AS 1522/15 B ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 39 AS 3225/15 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 2 AS 1522/15 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Duisburg vom 03.09.2015 wird zurückgewiesen. Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners, die Zahlungsrückstände der Antragstellerin aus dem Stromliefervertrag mit den Stadtwerken E in Höhe von 929,52 Euro zu übernehmen, zu Recht abgelehnt.

Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (Anordnungsanspruch) treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, weil die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat. Der Senat nimmt diesbezüglich zur Vermeidung von Wiederholungen nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen Beschluss Bezug (§ 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Er hält weiterhin an seiner Rechtsprechung fest, dass ein Anspruch auf Übernahme von Stromschulden durch Gewährung eines entsprechenden Darlehens nach § 22 Abs. 8 Zweites Buch Sozialbuch (SGB II) voraussetzt, dass zunächst alle zumutbaren Selbsthilfemöglichkeiten ausgeschöpft worden sind. Dies folgt aus § 2 Abs. 1 SGB II, der bestimmt, dass eine leistungsberechtigte Person zunächst sämtliche zur Verfügung stehenden anderen Mittel und Möglichkeiten einzusetzen hat, bevor öffentliche Leistungen zur Schuldentilgung in Anspruch genommen werden dürfen [vgl. Beschluss des erkennenden Senats vom 16.06.2014 - L 2 AS 932/14 B ER unter Hinweis auf die Rechtsprechung des 12. Senats des LSG NRW (Beschluss vom 08.10.2012 -. L 12 AS 1442/12 B ER RdNr. 20 bei juris]. Dieser Grundsatz der Vorrangigkeit der Selbsthilfemöglichkeiten gilt in besonderem Maße für die Übernahme rückständiger Energiekosten, da der Leistungsträger sonst zum Ausfallbürgen der Energieversorgungsunternehmen werden würde. Das Risiko des Energieversorgers, die von ihm an seinen Kunden erbrachten Leistungen auch abgegolten zu erhalten, muss deshalb zunächst in dem zu Grunde liegenden rein zivilrechtlichen Rechtsverhältnis geklärt werden, bevor ein etwaiger Einstand des Leistungsträgers und damit eine Risikoüberleitung auf den Steuerzahler in Betracht kommt (siehe auch Beschluss des erkennenden Senates vom 13.05.2013 - L 2 AS 313/13 B ER, RdNn. 48 bei juris).

Zumutbare Selbsthilfemöglichkeiten hat die Antragstellerin aber nicht hinreichend ausgeschöpft. Hierzu gehört jedenfalls, dass sich der Leistungsberechtigte bei einer angekündigten oder schon erfolgten Stromsperre zunächst an seinen Energieversorger wendet, um zu versuchen, mit diesem eine Ratenzahlungsvereinbarung zu treffen. Einen solchen ernsthaften Versuch hat die Antragstellerin aber nicht glaubhaft gemacht. Sie hat lediglich einen Kontoauszug der Stadtwerke E vom 10.04.2015 vorgelegt, in dem handschriftlich festgestellt wird: "Eine Ratenzahlung auf offene Abschläge wird abgelehnt." Unklar bleibt diesbezüglich, welchen konkreten Antrag die Antragstellerin zu diesem Zeitpunkt gestellt hat und aus welchen Gründen die Ablehnung erfolgt ist. Anhaltspunkte dafür, dass sich die Antragstellerin nach dem Schreiben vom 10.08.2015, mit dem die Stadtwerke E die Zahlung der angemahnten Rückstände und die Unterbrechung der Belieferung ab dem 18.08.2015 angekündigt haben, erneut an diese gewendet hat, um nunmehr eine Zahlungsregelung zu vereinbaren, sind nicht ersichtlich. Nach Aktenlage ist vielmehr davon auszugehen, dass sie sich ohne weitere Bemühungen eine Versorgungsunterbrechung durch den Energieversorger zu verhindern, unmittelbar und ausschließlich an den Antragsgegner gewendet hat, um von diesem ein Darlehen für die nunmehr auf insgesamt 929,52 Euro angewachsenen Stromschulden zu erhalten. Ein ernsthafter Wille zur Selbsthilfe ist aufgrund dieses Verhaltens nicht erkennbar.

Unabhängig davon hat die Antragstellerin auch keine hinreichenden Anstrengungen unternommen, die Stromversorgung durch einen Wechsel des Stromanbieters zu gewährleisten. Auch der Versuch eines Lieferantenwechsels ist nach Auffassung des Senates aber eine zumutbare Selbsthilfemaßnahme um eine baldige Wiederaufnahme der Stromversorgung zu erreichen. Der Netzbetreiber ist dann gemäß § 14 Abs. 4 der Verordnung über den Zugang zu Elektrizitätsversorgungsnetzen (Stromnetzzugangsverordnung) verpflichtet, eine Stromdurchleitung zum Letztverbraucher unverzüglich wiederherzustellen, und kann dies nicht vom Ausgleich von Zahlungsrückständen gegenüber dem bisherigen Stromanbieter abhängig machen.

Der Versuch eines Anbieterwechsels war der Antragstellerin auch zuzumuten, obwohl sie ein Pfändungsschutzkonto vorhält und sich in der Wohlverhaltensphase einer Verbraucherinsolvenz befindet. Dies wäre nur dann nicht der Fall, wenn ein Stromanbieterwechsel ohne Bonitätsprüfung praktisch unmöglich ist. Hiervon ist aber nicht auszugehen. Nach einer Internetrecherche des Senates gibt es durchaus auch Stromanbieter, die Neukunden - teilweise nur bei Vorkasse, teilweise aber auch ohne Vorkasse - ohne Bonitätsprüfung aufnehmen (vgl. z.B. www.bester-stromanbieter.net, www.schufa-nicht-notwendig.de, www.testsieger-berichte.de/2014/07/14stromanbieter-ohne Bonitätsprüfung). Die hierzu zum Teil zu leistenden Vorauszahlungen werden dabei zum Teil auch nur monatsweise angefordert und sind daher nicht als unzumutbare Vertragsbedingungen anzusehen. Der Kunde hat diesbezüglich die Möglichkeit, mit Hilfe eines online auszufüllenden Antrags eine Vielzahl von Stromanbietern anzufragen und die Möglichkeit eines Anbieterwechsels sowie die vertraglichen Bedingungen zu ermitteln. Angesicht dieser einfachen Möglichkeit, zumindest den Versuch eines Anbieterwechsels zu unternehmen, sieht der Senat die telefonische Anfrage der Antragstellerin bei zwei Stromanbietern mit der Bitte um Rückruf nicht als ausreichende Selbsthilfebemühung an. Der Umstand, dass dieser Rückruf nach Angaben der Antragstellerin nicht erfolgt ist, ist kein ausreichendes Indiz dafür, dass ein Stromanbieterwechsel für sie nahezu unmöglich ist und deshalb als zumutbare Selbsthilfemöglichkeit vor vornerein ausfällt. Jedenfalls eine schriftliche Anfrage bei verschiedenen Stromanbietern ist aus Sicht des Senates vor einer Inanspruchnahme des Antragsgegners erforderlich. Solche Anfragen hat die Antragstellerin bisher aber weder behauptet noch glaubhaft gemacht. Der Umstand, dass sie an einer psychischen Erkrankung leidet, schließt dies nicht aus, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese so schwerwiegend ist, dass die Antragstellerin aufgrund dieser Erkrankung nicht mehr dazu in der Lage ist, ihr eigenen Angelegenheiten zu regeln.

Eine Schuldenübernahme nach § 22 Abs. 8 SGB II durch den Antragsgegner kommt zudem auch bei Ausschöpfung der Selbsthilfemöglichkeiten nur dann in Betracht, wenn diese objektiv geeignet ist, die Energieversorgung (dauerhaft) zu sichern. Dies setzt voraus, dass die Antragstellerin prognostisch dazu in der Lage sein wird, die geforderten Abschlagszahlungen künftig weiter zu erbringen. Angesichts der Höhe der monatlichen Stromabschläge von 176,- Euro kann hiervon nicht ausgegangen werden. Angaben dazu, aus welchen Mitteln diese Stromabschläge künftig neben der aktuell noch zu übernehmenden Differenz der tatsächlichen Bruttokaltmiete zu den von dem Antragsgegner übernommen Kosten der Unterkunft und Heizung finanziert werden sollen oder welche Energiesparmaßnahmen sie eingeleitet hat, hat die Antragstellerin bisher nicht gemacht. Ohne eine Reduzierung des deutlich überhöhten Stromverbrauchs durch Maßnahmen zur sparsameren Energienutzung - wie beispielweise eine Energieberatung -, deren Notwendigkeit sich der Antragstellerin aufdrängen muss, ist aber bereits kurzfristig eine erneute Stromsperre zu erwarten. Da insbesondere die Stadtwerke E eine solche Energieberatung kostenlos anbieten, drängt bietet sich auch aus diesem Grund eine erneute Kontaktaufnahme mit diesen auf.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit einer Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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