L 4 SO 2/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 28 SO 69/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 SO 2/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten, ob dem Kläger ein Mehrbedarfszuschlag wegen kostenaufwendigerer Ernährung zusteht.

Der Kläger ist am 13. Dezember 1945 geboren. Er bezieht Altersrente und ergänzend von der Beklagten Grundsicherung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII).

Der Kläger ist multimorbide. In ärztlichen Äußerungen ist insbesondere auch von Psoriasis, Allergien, abdominellen Beschwerden und Dysphagie die Rede.

Im Juli 2012 beantragte der Kläger bei der Beklagten einen Mehrbedarfszuschlag, nachdem das Institut b. aufgrund eines sogenannten IgG4-Tests verschiedene Nahrungsmittelunverträglichkeiten festgestellt hatte. Nach dem Testbericht vom 10. Mai 2012 wird dem Kläger empfohlen, bestimmte Lebensmittel nur alle drei oder vier Tage zu essen, Banane, Kuhmilch, Paprikaschoten, Schafsmilch, Spinat, Stutenmilch, Tomaten und Ziegenmilch für zwei Monate zu meiden sowie Sellerie mindestens drei Monate lang zu mei-den. Am 27. Juli 2012 bescheinigte die Hausärztin des Klägers unter Hinweis auf die Tes¬tung von b. multiple Nahrungsmittelallergien bei Psoriasis vulgaris und eine Verstärkung der Psoriasis bei Aufnahme dieser Nahrungsmittel; es sei eine aufwendigere Kost bei nur geringerer Lebensmittelauswahl erforderlich.

Mit Bescheid vom 19. Oktober 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gewährung eines Mehrbedarfs für kostenaufwendigere Ernährung ab: Nach Stellungnahme des Gesundheits-amtes bestehe kein Mehrbedarf. Es werde eine nach Verträglichkeit abgewandelte Normal-kost (Weglassen bestimmter Nahrungsmittel) empfohlen. Ein krankheitsbedingter Mehr¬bedarf sei nur bei schweren Verläufen als Einzelfallentscheidung zu bewilligen. Diese Vor-aussetzungen seien beim Kläger nicht gegeben.

Der Kläger erhob Widerspruch und machte geltend, er dürfe Milch und Milchprodukte nicht verzehren. Ersatzlebensmittel seien wesentlich teurer.

Mit Widerspruchsbescheid vom 24. Januar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück: Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Mehrbedarfs nach § 30 Abs. 5 SGB XII. Er bedürfe aufgrund seiner Lebensmittelallergien lediglich einer abgewandelten Form der Normalkost. Ausreichend sei das Weglassen bestimmter Lebens-mittel, wobei die Firma b. lediglich von einem zeitlich begrenzten Weglassen bestimmter Lebensmittel ausgehe.

Der Widerspruchsbescheid ist dem Kläger am 29. Januar 2013 zugestellt worden. Am 13. Februar 2013 hat er vor dem Sozialgericht Hamburg Klage erhoben.

Der Kläger hat geltend gemacht, er müsse Milchprodukte meiden. Dies sei wegen bestehender Osteoporose ein Problem.

Das Sozialgericht hat zum Gesundheitszustand des Klägers diverse Befundberichte eingeholt. In dem Bericht von Dr. K. vom 17. Juni 2013 heißt es, der Kläger habe passager eine abdominelle Beschwerdesymptomatik mit Blähbauch, Unwohlsein und Meteorismus berichtet. Er bemerke eine Verschlechterung nach Einnahme von bestimmten Le¬bensmitteln und vermute Lebensmittelunverträglichkeiten und Arzneimittelinteraktionen. In diesen Phasen habe er unter einer Verschlechterung der Hauterscheinungen und seiner Gelenkbeschwerden gelitten. In dem beigefügten Bericht des Facharztes für Orthopädie Dr. D. vom 31. Januar 2012 ist unter anderem als Diagnose "Dermatitis durch aufge¬nommene Nahrungsmittel, alle Milchprodukte, Nüsse" genannt.

Das Sozialgericht hat außerdem Beweis erhoben durch Einholung eines ökotrophologischen Gutachtens durch Prof. Dr. B. vom 7. April 2014. Diese hat insbeson¬dere die Diagnosen Psoriasis, Allergien, abdominelle Beschwerden und Dysphagie in Betracht gezogen sowie auf eine möglicherweise bestehende Laktoseintoleranz hingewiesen. Aufgrund der danach dem Kläger zu empfehlenden Diät ergäben sich keine Mehrkosten. Auf das Gutachten (Blatt 158-165 der Prozessakten) wird Bezug genommen.

Mit Urteil vom 18. November 2014 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen: Es lasse sich beim Kläger ein Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 SGB XII nicht begründen. Die Sachverständi¬ge habe die vom Gericht eingeholten ärztlichen Berichte ausgewertet und die danach aus er-nährungswissenschaftlicher Sicht relevanten Diagnosen, das seien die Schuppenflechte, Allergien, abdominelle Beschwerden und Dysphagie einer Bewertung unterzogen, ob diese ein Abweichen von einer normalen Vollkosternährung nach den Empfehlungen der Deut-schen Gesellschaft für Ernährung begründeten. In ihrem Gutachten habe die Sachverstän-dige überzeugend und nachvollziehbar ausgeführt, dass die attestierten Erkrankungen einer leichten Vollkosternährung bedürften und dass eine solche keine besonderen Mehrkosten verursache; auch aus Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Gewährung von Kran¬ken-kost¬zulagen in der Sozialhilfe lasse sich ein kostenaufwendigerer Mehrbedarf nicht ableiten.

Das Urteil ist dem Kläger am 5. Dezember 2014 zugestellt worden. Am 5. Januar 2015 hat er Berufung eingelegt.

Der Kläger macht schriftlich geltend, es sei bisher nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass er höhere Kosten deswegen habe, weil er bestimmte Lebensmittel, insbesondere Milchprodukte, durch wesentlich teurere Lebensmittel ersetzen müsse. In der mündlichen Verhandlung hat er ergänzend ausgeführt, dass er an einer Allergie gegen Kuhmilcheiweiß leide.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 18. November 2014 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 19. Oktober 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2013 zu verpflichten, ihm einen Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.

Die Sachakten der Beklagten haben vorgelegen. Auf ihren sowie auf den Inhalt der Prozess-akten wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist nach den Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft. Dem steht § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG nicht entgegen. Es dürfte, da die Beklagte die Bewilligung eines Mehrbedarfszuschlags uneingeschränkt abge¬lehnt hat und bestimmte Bewilligungszeiträume im Sozialhilferecht nicht in Rede ste¬hen, um wiederkehrende Leistungen für mehr als ein Jahr gehen (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch sonst ist die Berufung form- und fristgerecht eingelegt.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Ein Anspruch des Kläger auf Mehrbedarfszuschlag zur Grundsicherung nach § 30 Abs. 5 SGB XII ist nicht gegeben. Zu Recht hat das Sozialgericht daher die Klage abgewiesen. Darauf wird Bezug genommen. In der ersten Instanz sind die medizinischen Sachverhalte, soweit sie vom Kläger vorgebracht und sonst ermittelt werden konnten, umfassend ausgewertet und gewürdigt worden. Ein Mehrbedarf für eine Krankenkost hat sich daraus nicht ergeben.

Zudem ist festzuhalten, dass beim Kläger eine Laktoseintoleranz, wie sie zunächst in Be¬tracht gezogen worden ist, nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung vor dem Landdessozialgericht gar nicht besteht, so dass sich die Frage eines daraus resultierenden Mehrbedarfs in seinem Falle nicht stellt (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 14.2.2013, B 14 AS 48/12 R). Allerdings könnte eine Kuhmilchallergie, wie der Kläger sie nunmehr behauptet, zu ähnlichen Einschränkungen bei der Ernährung führen wie eine Laktose¬intoleranz, die frei-lich nach neueren Erkenntnissen zu ernährungsbedingten Mehrkosten gar nicht führt. Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Krankheitsbild einen Mehrbedarf auslöst, kann zunächst auf die "Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V. zur Ge-währung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe" zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 57). Auch wenn das Bundessozialgericht z.B. in seinen Entscheidungen vom 22. November 2011 (B 4 AS 138/10 R) und vom 14. Februar 2013 (B 14 AS 48/12 R) betont, dass es sich bei den Empfehlungen nicht um ein sog. antizipiertes Sachverständigengutachten handele, ist allerdings nicht zweifelhaft, dass die Empfehlungen zumindest eine wichtige Orien¬tierungshilfe darstellen (so bereits BVerfG, Beschl. v. 20.06.2006 – 1 BvR 2673/05; BSG, Urt. v. 22.11.2011 – B 4 AS 138/10 R; BSG, Urt. v. 14.02.2013 – B 14 AS 48/12 R). Im Dezember 2014 hat der Deutsche Verein seine Empfehlungen zu den Krankenkostzulagen überarbeitet und erstmals auch Aussagen zu Mehrbedarfen bei Laktose- und Fruktoseintoleranzen getroffen und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass im Regelfall die Ernährung bei Bestehen dieser Unverträglichkeiten nicht kostenaufwendiger sei (Empfehlungen, S. 8).

Einer näheren Untersuchung der Auswirkungen dieser Erkenntnisse auf den Fall des Klägers bedarf dies jedoch schon deswegen nicht, weil es für die von ihm behauptete Kuhmilchaller-gie keinen direkten medizinischen Hinweis gibt, auch nicht in den von ihm zum Beleg ge-nannten Entlassungs¬berichten des Krankenhauses E ... Hier ist lediglich von einem Verdacht auf Nahrungs¬mit¬telunverträglichkeit gegenüber Mais, Rind, Fisch, Avocado, Banane, Paprika, Sellerie, Spi¬nat, Tomate, Sojabohne und Mandel die Rede (Entlassungsberichte des Krankenhauses E. vom 23.9.2014 und vom 10.12.2014), und eine Vorstellung beim niedergelassenen Dermatologen zur Durchführung spezieller Allergie-Nahrungs¬mittelteste soll der Kläger, der deswegen beim Bundes¬wehr¬krankenhaus in Hamburg vorstellig gewor¬den war, abgelehnt haben (Bericht des Krankenhauses B. vom 9.2.2015). Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger erklärt, sich in diesem Zusammenhang nicht mehr weiter untersuchen lassen zu wollen. Unter diesen Voraussetzungen sieht sich der Senat nicht veranlasst, selbst weitere Ermittlungen anzustellen (vgl. BSG, Urt. v. 9.6.2011, B 8 SO 11/10 R, Rn. 24).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund, die Revision zuzulassen, ist nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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