L 7 AS 1571/15

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 27 AS 4027/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 1571/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 375/16 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung der Klägerinnen gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.08.2015 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerinnen begehren die endgültige Festsetzung und Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von Oktober 2011 bis Dezember 2011. Umstritten ist hierbei, in welcher Höhe vom Arbeitgeber der Klägerin zu 1) erstattete Fahrtkosten auf die Leistungen anzurechnen sind.

Mit Bescheid vom 16.06.2011 und Änderungsbescheid vom 21.09.2011 bewilligte der Beklagte den Klägerinnen für die Zeit vom 01.10.2011 bis zum 31.12.2011 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Bewilligung erfolgte im Hinblick auf das schwankende Einkommen der Klägerin zu 1) vorläufig. Der Beklagte teilte in dem Bescheid mit: "Sie erhalten erneut einen Bescheid, sobald über Ihren Antrag endgültig entschieden werden kann und ihr Anspruch von dem hier Bewilligten abweicht ( ...).Sofern sich keine Änderungen ergeben, erhalten Sie nur dann erneut einen Bescheid, wenn Sie dies beantragen ( ...)". Gegen diesen Bescheid legten die Klägerinnen am 10.10.2011 Widerspruch ein. Das Fahrgeld habe nicht als Einkommen angerechnet werden dürfen, weil es nicht dem Lebensunterhalt diene, sondern zweckbestimmt sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 23.08.2012, der dem Bevollmächtigten der Klägerinnen am 28.08.2012 zuging, wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Mit dem angegriffenen Bescheid sei der ursprüngliche Bewilligungsbescheid lediglich hinsichtlich der Heizkosten geändert worden. Hinsichtlich der Einkommensanrechnung verbleibe es bei der Bestandskraft des Bescheides vom 16.06.2011. Eine endgültige Leistungsfestsetzung für den streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum ist noch nicht erfolgt.

Am 28.09.2012 haben die Klägerinnen beim Sozialgericht Dortmund Klage erhoben mit dem Antrag,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2012 zur Leistung nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu verpflichten.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 07.08.2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klage sei unzulässig. Es fehle bereits das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerinnen eine Änderung der angegriffenen Bescheide durch einen Antrag auf endgültige Festsetzung erreichen und ggfs. gegen die endgültige Entscheidung gerichtlichen Rechtsschutz beantragen könnten.

Gegen das am 13.08.2015 zugestellte Urteil haben die Klägerinnen am 11.09.2015 Berufung eingelegt. Sie meinen, nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sei auch bei vorläufiger Leistungsbewilligung eine Klage auf endgültige Leistungen zulässig. Soweit die Voraussetzungen für eine Vorläufigkeit nicht mehr vorlägen, müsste eine endgültige Bescheidung erfolgen.

Die Klägerinnen beantragen schriftsätzlich,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 07.08.2015 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 21.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.08.2012 zu verurteilen, den Klägerrinnen Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage als unzulässig abgewiesen. Die Klage ist weder als auf die Bewilligung höherer vorläufiger Leistungen noch als auf die Bewilligung höherer endgültiger Leistungen gerichtete Klage zulässig.

Im Urteil vom 19.08.2015 - B 14 AS 13/14 R hat das BSG der Sache nach das Rechtsschutzbedürfnis auf Bewilligung höherer vorläufiger Leistungen verneint, wenn die spezifischen Voraussetzungen für eine vorläufige Leistungsbewilligung entfallen sind, weil eine endgültige Leistungsfeststellung möglich ist. Das BSG hat ausgeführt, dass bei der Möglichkeit endgültiger Leistungsfeststellung im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung keine Entscheidung über eine vorläufige Leistung mehr erfolgen darf. Sind die spezifischen Voraussetzungen für eine vorläufige Bewilligung nicht erfüllt, liege kein Grund für eine gerichtliche Entscheidung über vorläufige Leistungen anstelle einer endgültigen Klärung des Streits vor.

Aus dieser Entscheidung ist indes nicht zu folgern, dass zulässiger Streitgegenstand des gerichtlichen Verfahrens dann ohne Weiteres die Bewilligung endgültiger (höherer) Leistungen ist. Eine vorläufige Bewilligung ist nur eine Zwischenlösung, die auf eine Ersetzung durch eine endgültige Entscheidung angelegt ist. Vorläufig bewilligte Leistungen sind als aliud gegenüber endgültigen Leistungen anzusehen. Nach Wegfall der Voraussetzungen für die vorläufige Bewilligung von Leistungen hat das Jobcenter eine abschließende Entscheidung über die Leistung zu treffen und darf sich nicht auf eine Änderung der vorläufigen Bewilligung gem. § 48 SGB X beschränken (BSG, Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R mwN). Für eine endgültige Leistungsfestlegung durch das Gericht ohne vorherige Entscheidung der Verwaltung über den endgültigen Leistungsanspruch fehlen damit die besonderen Sachurteilsvoraussetzungen für eine Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG), die ein abgeschlossenes Verwaltungs- und Vorverfahren (§ 78 Abs. 1 SGG) über die begehrte Leistung erfordern. Eine allgemeine Leistungsklage wäre gem. § 54 Abs. 5 SGG unzulässig, weil über die endgültige zustehende Leistung ein Verwaltungsakt zu ergehen hat. Bei einem Streit über die endgültige Leistungshöhe ist der in §§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II (in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung), 328 Abs. 2 SGB III vorgeschriebene Weg gegenüber anderweitigen Entscheidungen über die Höhe des Leistungsanspruchs vorrangig (BSG, Urteil vom 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R).

Eine auf die endgültige Leistungsbewilligung gerichtete kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist bei Vorliegen vorläufiger Leistungsbescheide nur zulässig, wenn im Verwaltungsakt vorläufige Leistungen bewilligt worden sind und die Verwaltung eine endgültige Leistungsgewährung durch gesonderten Verfügungssatz zumindest konkludent abgelehnt hat (BSG, Urteile vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R Rn. 21 und vom 10.05.2011 - B 4 AS 139/10 R Rn. 16). Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Die Klägerinnen können sich nicht mit Erfolg auf das Urteil des BSG vom 06.04.2011 - B 4 AS 119/10 R berufen. Das BSG führt hier aus:

"Die Klage auf endgültige Leistungen ist im Gegensatz zur Auffassung des LSG gleichwohl nicht unzulässig. Zwar ist die vorläufige Leistung - wie vom LSG zutreffend ausgeführt - eine Leistung sui generis und ein aliud gegenüber der endgültigen Leistung (stRspr, vgl BSG Urteil vom 31.5.1989 - 4 RA 19/88 = SozR 1200 § 42 Nr 4 S 14; BSG Urteil vom 28.6.1990 - 4 RA 57/89 = BSGE 67, 104 (109 f) = SozR 3-1300 § 32 Nr 2 S 11 f; BSG Urteil vom 12.5.1992 - 2 RU 7/92 = SozR 3-1200 § 42 Nr 2 S 4 f; BSG Urteil vom 16.6.1999 - B 9 V 13/98 R = SozR 3-1200 § 42 Nr 8 S 25 mwN; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, § 328 RdNr 56). Materiell-rechtlich handelt es sich mithin um zwei verschiedene Ansprüche. Soweit das LSG die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gegen eine die vorläufige Bewilligung von Leistungen verfügende Entscheidung der Verwaltung jedoch in Ermangelung einer Klagebefugnis für unzulässig hält, verkennt es die Grenzen der Rechtsschutzgewährung gegen vorläufige Entscheidungen. Unabhängig von der jeweils zutreffenden Klageart ist auch gegen vorläufige Entscheidungen grundsätzlich gerichtlicher Rechtsschutz zu gewähren. Im Falle einer den Kläger im Verhältnis zur vorläufigen Bewilligung belastenden endgültigen Entscheidung kann er im Klageverfahren gegen die endgültige Entscheidung nicht mehr damit gehört werden, die Verwaltung habe nicht vorläufig bewilligen dürfen. Ist die vorläufige Bewilligung bestandskräftig geworden, ist sie auch im Rahmen eines Erstattungsbescheides nach § 328 Abs. 3 Satz 2 SGB III hinsichtlich der Vorläufigkeit nicht mehr überprüfbar (BSG Urteil vom 15.8.2002 - B 7 AL 24/01 R, SozR 3-4100 § 147 Nr 1). Der eine vorläufige Leistung bewilligende Bescheid ist mithin ebenso wie ein solcher über die Bewilligung von endgültigen Leistungen mit der Begründung anfechtbar, die Verwaltung habe rechtswidrig gehandelt, hier zu Unrecht vorläufige Leistungen anstatt endgültige bewilligt. Die zutreffende Klageart ist dann zu förderst die Anfechtungsklage (vgl Eicher in Eicher/Schlegel, SGB III, § 328 RdNr 92). Gleichwohl ist ein auf endgültige Leistungen gerichtetes Begehren in Gestalt der Leistungsklage nicht grundsätzlich unzulässig (§ 54 Abs 2 SGG - vgl BSG Urteil vom 21.7.2009 - B 7 AL 49/07 R, BSGE 104, 76 = SozR 4-4300 § 22 Nr 2; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB III, § 328 RdNr 315; aA Düe in Niesel/Brand, SGB III, 6. Aufl 2010, § 328 RdNr 30 f, der nur die Anfechtung für rechtlich zulässig hält) - ein Kläger ist wegen der Vorläufigkeit der Leistungsbewilligung nicht ausschließlich gehalten, ebenfalls nur Leistungen in vorläufiger Höhe zu beantragen, wenn die Verwaltung eine endgültige Leistungsgewährung durch gesonderten Verfügungssatz zumindest konkludent ablehnt."

Auch hieraus folgt: Nur wenn die letztgenannte konkludente Ablehnungsentscheidung hinsichtlich endgültiger Leistungen vorliegt, sind die prozessualen Voraussetzungen für eine zulässige Klage erfüllt. Fehlt es indes - wie hier - an jeglicher behördlicher Entscheidung über endgültige Leistungen - und sei es nur in Form der Ablehnung der Festlegung solcher Leistungen - ist auch nach der Rechtsprechung des BSG eine Klage auf (höhere) endgültige Leistungen unzulässig. Dies wird entgegen der Auffassung der Klägerinnen auch bestätigt durch das Urteil des BSG vom 10.05.2011 - B 4 AS 139/10, in der das BSG ausdrücklich festhält, dass bei einer ausschließlich vorläufigen Bewilligung auch nur vorläufige Leistungen Gegenstand des Verfahrens sind (Rn. 14 der Entscheidungsgründe), um die es den Klägerinnen vorliegend aber ausdrücklich nicht geht.

Nicht zutreffend ist zudem die Argumentation, die Rechtsauffassung des Senats sei mit Verfassungsrecht nicht vereinbar, weil sie den Rechtsschutz gegen vorläufige Leistungsbewilligungen verkürze. Wie der Senat ausgeführt hat, werden endgültige Entscheidungen, die vorläufige Entscheidungen ersetzen, nach § 96 SGG Gegenstand eines Klageverfahrens. Bis zu einer derartigen Entscheidung können höhere vorläufige Leistungen begehrt werden. Verweigert der Leistungsträger rechtswidrig den Erlass eines endgültigen Bewilligungsbescheides, kann der Betroffene bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen Untätigkeitsklage nach § 88 SGG erheben. Durch diese Rechtsschutzmöglichkeiten wird den Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG vollauf genügt.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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