L 12 AS 1825/16 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 31 AS 941/16
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AS 1825/16 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 01.08.2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt monatlich höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) seitens des Beklagten. Sein Ziel sind monatlich weitere 87,00 EUR für Februar bis Juli 2016. Im Wesentlichen trägt der Kläger zur Begründung vor, der Gesetzgeber sei nicht berechtigt gewesen, die Regelleistungen ab 01.01.2016 ohne Berücksichtigung der am 10.09.2015 veröffentlichen Ergebnisse der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2013 zu berechnen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband habe errechnet, dass sich nach der EVS ein Regelsatz von 491,00 EUR ergebe. Ferner habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG; 1 BvL 10/12) den Gesetzgeber verpflichtet, die Entwicklung der Strompreise zu beachten und gegebenenfalls den Stromkostenanteil in den Regelsätzen zu erhöhen. Diesbezüglich sei der Gesetzgeber seit Juli 2014 untätig gewesen.

Mit Urteil vom 01.08.2016 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat die Berufung nicht zugelassen und ausgeführt, dass der Kläger grundsätzlich recht habe: Nach Vorliegen einer neuen EVS habe eine Neuermittlung der Regelsätze stattzufinden. Jedoch habe der Gesetzgeber nicht genügend Zeit gehabt, dies bei den Regelleistungen ab 01.01.2016 umzusetzen, zumal die Regelsätze ab 01.01.2016 spätestens am 01.11.2015 bekannt zu geben waren. In diesem Fall erfolge die Anpassung der Regelsätze gemäß § 20 Abs. 5 SGB II i.V.m. § 28a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) anhand der Preisentwicklung in den Ausgabepositionen der regelbedarfsrelevanten Güter und Dienstleistungen (70%) und der Entwicklung der Nettolöhne (30%). Dies habe das BVerfG in der vom Kläger zitierten Entscheidung ausdrücklich als Verfahren zur Anpassung der Regelsätze gebilligt. Dem Kläger seien seine Leistungen unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber ab 01.01.2016 festgelegten Regelleistungen bewilligt worden. Es gäbe keinen Anhaltspunkt dafür, dass diese Regelsätze evident zu niedrig seien. Auf die Einzelheiten der Entscheidung wird verwiesen.

Hiergegen hat der Kläger am 13.09.2016 unter Wiederholung seines Vortrages Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt. Er meint, in seinen Grundrechten verletzt zu sein und zwar insbesondere in seinem Grundrecht auf Gewährung existenzsichernder Leistungen. Gleichzeitig beantragt er, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

Der Beklagte verweist auf die Ausführungen des Sozialgerichts.

II.

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 01.08.2016 ist gemäß § 145 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, aber unbegründet.

Die Beschwerde ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Nach § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt und nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen sind (§ 144 Abs. 1 S. 2 SGG). Das ist hier der Fall, da sich die Klage auf monatlich weitere 87,00 EUR für die Monate Februar bis Juli 2016, folglich auf lediglich sechs Monate und danach auf einen Gesamtbetrag von 522,00 EUR richtet.

Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Die Berufung ist nicht gemäß § 144 Abs. 2 SGG zuzulassen, da keine der Voraussetzungen des §§ 144 Abs. 2 Nrn. 1-3 SGG erfüllt sind. Danach ist die Berufung nur zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht, oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Angelegenheit nach Nr. 1 der Vorschrift wäre nur anzunehmen, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter Natur aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Auflage 2014, § 144 Rn. 28). Ist lediglich ein tatsächlicher, individueller Sachverhalt zu beurteilen, so fehlt es an einer grundsätzlichen Bedeutung (LSG NRW Beschluss vom 26.03.2010, L 6 B 110/09 AS NZB, Rn. 15 juris). Eine Rechtsfrage ist auch dann nicht klärungsbedürftig, wenn sie sich unmittelbar aus dem Gesetz beantworten lässt oder höchstrichterlich bereits entschieden ist (vgl. BSG Beschluss vom 15.05.1997, 9 BVg 6/97 [zu § 160 SGG]; s. auch LSG NRW Beschluss vom 07.10.2011, L 19 AS 937/11 NZB, Rn. 17 juris).

Nach den vorgenannten Maßstäben wirft die Sache keine in der Rechtsprechung ungeklärte Rechtsfrage auf. Der Beklagte hat sich (lediglich) an das geltende Recht gehalten. Die Regelsätze i.S.d. § 27a Abs. 1 bis 4 SGB XII werden gem. § 28 SGB XII und dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz (RBEG) neu ermittelt oder, soweit eine Neuermittlung nicht erfolgt, gemäß § 28a SGB XII jährlich angepasst. Gemäß § 2 der Verordnung zur Bestimmung des für die Fortschreibung der Regelbedarfsstufen nach § 28a SGB XII maßgeblichen Prozentsatzes sowie zur Ergänzung der Anlage zu § 28 SGB XII für das Jahr 2016 (Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung (RBSFV) 2016) wird ab dem 01.01.2016 ein Regelbedarf in Höhe von monatlich 404,00 Euro für Alleinstehende anerkannt. Diesen Regelbedarf hat die Beklagte dem angefochtenen Bewilligungsbescheid vom 13.01.2016 zugrunde gelegt. Anhaltspunkte dafür, dass die Festsetzung des Regelbedarfs rechts- bzw. verfassungswidrig erfolgt wäre, sieht der Senat derzeit nicht (vgl. auch LSG NRW Beschluss vom 01.12.2016, L 19 AS 2235/16 B, Urteil vom 28.11.2016, L 19 AS 1372/15 sowie Beschluss vom 27.10.2016, L 9 SO 447/16 B; Bayerisches LSG Urteil vom 14.09.2016, L 16 AS 373/16 sowie Beschlüsse vom 21.07.2016, L 18 AS 405/16 B PKH und vom 24.08.2016, L 16 AS 222/16 B PKH).

Der genannte Regelbedarf in Höhe von monatlich 404,00 Euro wurde gemäß § 28a SGB XII aus der im Jahr 2015 festgesetzten Regelbedarfsstufe für Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, in Höhe von 399,00 Euro zum 01.01.2016 mit einer Veränderungsrate von 1,24% fortgeschrieben (§ 1 RBSFV 2016). Die Fortschreibung erfolgte in zutreffender Weise, weil eine Neuermittlung des Regelbedarfs durch den Gesetzgeber nach § 28 SGB XII bis zum 01.01.2016 nicht erfolgt ist und entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht bis zu diesem Zeitpunkt hätte erfolgen müssen. Das Gesetz sieht keinen festen Zeitpunkt für die Neufestsetzung der Regelbedarfsstufen vor (vgl. LSG NRW Beschluss vom 01.12.2016, L 19 AS 2235/16 B, Urteil vom 28.11.2016, L 19 AS 1372/15 sowie Beschluss vom 27.10.2016, L 9 SO 447/16 B; Gutzler in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Auflage 2014, Stand: 06.01.2016, § 28 SGB XII Rn. 26). Insbesondere hat der Senat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Neuermittlung durch den Gesetzgeber oder die am Ermittlungsverfahren beteiligten Behörden verschleppt worden wäre. Wie der Kläger selbst vorträgt, lag das Ergebnis der EVS 2013 erst im September 2015 vor. Vor Durchführung des Gesetzgebungsverfahrens entsprechend § 28 Abs. 1 SGB XII sind gemäß § 28 Abs. 3 SGB XII auf Grundlage der EVS zunächst u.a. umfangreiche Sonderauswertungen durchzuführen. Daraus ergibt sich nachvollziehbar, weshalb die Neuermittlung des Regelbedarfs aus der EVS 2013 erst für die Regelbedarfsstufen 2017 zum Abschluss gebracht werden konnte. Dieses gesetzliche Verfahren zur Ermittlung des Regelbedarfs steht auch im Einklang mit der Verfassung (so auch LSG NRW Beschluss vom 01.12.2016, L 19 AS 2235/16 B, Urteil vom 28.11.2016, L 19 AS 1372/15 sowie Beschluss vom 27.10.2016, L 9 SO 447/16 B unter Verweis auf BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13).

Soweit der Kläger seine Beschwerde auch darauf stützt, dass die Regelbedarfsstufen ab Januar 2016 nach einer Expertise des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V. vom 28.12.2015 zu niedrig festgelegt worden seien, überzeugt das den Senat nicht. Denn die Expertise stützt sich in erster Linie darauf, dass der Regelbedarf 2011 infolge einer Reihe von willkürlichen Eingriffen in die statistischen Grundlagen der EVS 2008 fehlerhaft festgelegt worden sei und die dadurch entstandene Bedarfsunterdeckung durch die Fortschreibung des Regelbedarfs in den Folgejahren von Jahr zu Jahr gewachsen sei (vgl. LSG NRW Beschluss vom 27.10.2016, L 9 SO 447/16 B). Dem steht gegenüber, dass nach der zitierten Rechtsprechung des BVerfG und des Bundessozialgerichts (Urteil vom 28.03.2013, B 4 AS 12/12 R) die Höhe des Regelbedarfs ab 01.01.2011 nicht in verfassungswidriger Weise zu niedrig bemessen worden ist. Im Verfahren vor dem BVerfG wurde der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband Gesamtverband e.V. bereits mit seiner Einwendung, dass die Regelungen zur Bestimmung der Höhe des Regelbedarfs für 2011 und 2012 verfassungswidrig seien, gehört. Das BVerfG ist dieser Auffassung nicht gefolgt (vgl. BVerfG Beschluss vom 23.07.2014, 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13).

Auch die weitere Begründung des Klägers, wonach das BVerfG in seiner Entscheidung vom 23.07.2014 den Gesetzgeber verpflichte, die tatsächliche Deckung existenzieller Bedarfe fortlaufend zu prüfen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn der Senat sieht keine Anhaltspunkte dafür, dass seit der Entscheidung des BVerfG eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz in der tatsächlichen Deckung der Bedarfe eingetreten wäre. Auch der Kläger hat keine Belege dafür genannt, dass trotz der jährlichen Fortschreibung des Regelbedarfs innerhalb der letzten zwei Jahre eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen entstanden wäre, auf die der Gesetzgeber vorzeitig durch eine Neufestsetzung des Regelbedarfs hätte reagieren müssen.

Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) ist ebenfalls nicht gegeben. Die Zulassung der Berufung wegen Divergenz erfordert, dass das Sozialgericht einen mit der Rechtsprechung z.B. des Bundessozialgerichts (BSG) nicht übereinstimmenden Rechtssatz seiner Entscheidung zu Grunde legt, insoweit eine die Entscheidung tragende Rechtsansicht entwickelt und mit dieser im Ergebnis der abweichenden Rechtsprechung im Grundsätzlichen widerspricht (vgl. BVerfG Beschluss vom 02.01.1995, 1 BvR 320/94; BSG Beschluss vom 29.11.1989, 7 BAr 130/88; BSG Beschluss vom 07.10.2009, B 1 KR 15/09). Dagegen genügt nicht ein Rechtsirrtum im Einzelfall, also z. B. eine fehlerhafte Subsumtion, eine unzutreffende Beurteilung oder das Übersehen einer Rechtsfrage (BSG Beschluss vom 27.01.1999, B 4 RA 131/98 B; BSG Beschluss vom 22.01.2008, B 3 KS 1/07 B); denn dann hat das Sozialgericht keinen Rechtssatz aufgestellt, der höherinstanzlicher Rechtsprechung im Grundsätzlichen widersprechen könnte. Es genügt auch nicht, dass das anzufechtende Urteil nicht den Kriterien entspricht, die ein höherinstanzliches Gericht aufgestellt hat, etwa wenn das Sozialgericht zwar einem aufgestellten Rechtssatz folgen will, diesen aber missversteht, ihn in seiner Tragweite verkennt oder sonst Vorgaben der obergerichtlichen Rechtsprechung im Einzelfall nicht übernimmt (BSG Beschluss vom 29.11.1989, 7 BAr 130/88; Beschluss vom 27.01.1999, B 4 RA 131/98 B). Vorliegend hat das Sozialgericht keinen von der zu beachtenden Rechtsprechung abweichenden abstrakten Rechtsgrundsatz aufgestellt. Es wendet die zu beachtende Rechtsprechung bzw. (lediglich) das Gesetz an.

Schließlich hat der Kläger einen Verfahrensmangel (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) nicht gerügt und damit nicht geltend gemacht (vgl. hierzu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O, § 144 Rn. 36). Ein solcher ist auch nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist abzulehnen. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet offensichtlich keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 73 a SGG i. V. m. § 114 Zivilprozessordnung.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

Mit diesem Beschluss ist das angefochtene Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 01.08.2016 rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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