S 5 AL 2937/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 5 AL 2937/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Löst der Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis, um an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung teilzunehmen, so kann er sich ggf. auf einen wichtigen Grund berufen; eine Sperrzeit nach § 159 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB III tritt dann nicht ein. Allerdings obliegt es dem Arbeitnehmer, die Belastung für die Versichertengemeinschaft so gering wie möglich zu halten: Sofern zumutbar, hat er die berufliche Fortbildung daher in Teilzeit neben seiner Beschäftigung durchzuführen. Kommt eine berufsbegleitende Fortbildung nicht in Betracht, muss er sein Arbeitsverhältnis zum arbeitsrechtlich letztmöglichen Zeitpunkt kündigen, um die Arbeitslosigkeit kurz zu halten.
1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 9.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.8.2017 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld für die Zeit vom 1. - 10.9.2017 zu bewilligen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Berufung für die Beklagte wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist ein Anspruch auf Arbeitslosengeld ab dem 1.9.2017.

Der Kläger war seit dem 16.3.2016 bei der Privatbrauerei W. als Brauer beschäftigt. Mit Schreiben vom 3.7.2017 kündigte er das Arbeitsverhältnis zum 31.8.2017 und gab zur Begründung an, er wolle ab dem 11.9.2017 eine Meisterschule besuchen.

Am 5.7.2017 meldete sich der Kläger bei der Beklagten zum 1.9.2017 arbeitslos.

Mit Bescheid vom 9.8.2017 lehnte die Beklagte die Bewilligung von Arbeitslosengeld ab. Zur Begründung gab sie an, in der Zeit vom 1.9. – 23.11.2017 sei eine Sperrzeit eingetreten; während dieser Zeit ruhe der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis mit der Fa. W. selbst gelöst. Er habe voraussehen müssen, dass er dadurch arbeitslos wird. Sein Wunsch, sich beruflich weiterzubilden, reiche bei Abwägung mit den Interessen der Versichertengemeinschaft nicht aus, um die Arbeitsaufgabe zu rechtfertigen. Auch nach Ablauf der Sperrzeit habe der Kläger keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld: Er besuche ab dem 11.9.2017 eine Meisterschule und stehe daher ihren Vermittlungsbemühungen nicht zur Verfügung.

Hiergegen legte der Kläger am 15.8.2017 Widerspruch ein. Er machte geltend, in einem vergleichbaren Fall habe das Sozialgericht Karlsruhe mit Urteil vom 8.11.2016 entschieden, eine Sperrzeit trete nicht ein, wenn ein Arbeitnehmer seine Beschäftigung aufgibt, um an einer Bildungsmaßnahme teilzunehmen, die eine zusätzliche Befähigung vermittelt und die nicht berufsbegleitend ausgeübt werden kann. So verhalte es sich hier. Angesichts dessen stehe ihm ab dem 1.9.2017 Arbeitslosengeld zu.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.8.2017 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus, gemäß § 2 Abs. 5 SGB III habe ein Arbeitnehmer zur Vermeidung von Arbeitslosigkeit ein zumutbares Beschäftigungsverhältnis fortzusetzen – es sei denn, er habe einen wichtigen Grund für eine Arbeitsaufgabe. Dieser Grund müsse objektiv vorliegen, und zwar bereits zum Zeitpunkt der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses. Erfolge die Arbeitsaufgabe, um eine Weiterbildung zu absolvieren, sei ein wichtiger Grund nur anzuerkennen, wenn es sich hierbei um eine "abschlussorientierte Qualifizierungsmaßnahme" handele, für die der Arbeitnehmer bereits einen Bildungsgutschein erhalten hat oder sicher erhalten wird; nur dann sei von einem arbeitsmarktpolitischen Interesse an der Qualifizierung auszugehen. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Der Kläger hätte die Beschäftigung bei der Fa. W. ohne weiteres fortsetzen können. Sein privates Interesse, durch den Besuch der Meisterschule eine höhere berufliche Qualifikation zu erlangen, sei nachrangig gegenüber dem Interesse der Versichertengemeinschaft. Auch eine besondere Härte, die gemäß § 159 Abs. 3 SGB III eine Verkürzung der Sperrzeit rechtfertigen könnte, sei nicht ersichtlich.

Mit der am 28.8.2017 erhobenen Klage verfolgt der Kläger seinen Antrag weiter. Er trägt ergänzend vor, er habe eine Ausbildung zum Brauer und Mälzer abgeschlossen. Allerdings sei es von Anfang an sein Wunsch gewesen, sich zum Brauereimeister weiterzubilden. Für ihn habe keine Möglichkeit bestanden, diese Weiterbildung berufsbegleitend zu absolvieren: Nach seiner Kenntnis gebe es in Deutschland lediglich drei einschlägige Meisterschulen. Zwei davon böten Unterricht ausschließlich in Vollzeit an. An einer einzigen Schule (in K.) sei die Weiterbildung auch in Teilzeit möglich, nämlich am Freitag von 14:30 – 18:30 Uhr und am Samstag von 8:00 – 12:00 Uhr. Allerdings hätte er diese Teilzeit-Weiterbildung in K. nicht mit seiner Beschäftigung bei der Fa. W. vereinbaren können. Denn für seine Arbeitgeberin habe er von Montag bis Freitag ganztags gearbeitet, gelegentlich auch am Samstag. Zudem hätte er jeweils freitags und samstags die mehr als 300 km lange Strecke von seinem Wohnort nach K. und zurück fahren müssen. Dies wäre unzumutbar gewesen. Er habe sich daher für die P.-Schule in L. entschieden. Dort erfolge der Unterricht von Montag bis Freitag und umfasse 38 Stunden pro Woche. Nach Abschluss der zwei Semester dauernden Weiterbildung und Bestehen der Meisterprüfung werde er hervorragende Aussichten haben, eine adäquate Arbeitsstelle als Braumeister zu finden. Sein Arbeitsentgelt werde voraussichtlich deutlich höher sein als das zuletzt bezogene Arbeitsentgelt als Geselle. Durch die höheren Sozialversicherungsbeiträge profitiere davon auch die Beklagte. Angesichts dessen habe bei Abwägung seiner Interessen mit denen der Versichertengemeinschaft durchaus ein wichtiger Grund dafür bestanden, die Beschäftigung bei der Fa. W. aufzugeben. Eine Sperrzeit sei daher nicht eingetreten. Auch der Besuch der Meisterschule ab dem 11.9.2017 stehe einem Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht entgegen: Ein Arbeitsloser erhalte Arbeitslosengeld auch dann, wenn er an einer von der Agentur für Arbeit veranlassten Weiterbildungsmaßnahme teilnimmt. Es erscheine daher gerechtfertigt, ihm Arbeitslosengeld auch während des Besuchs der Meisterschule zu zahlen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 9.8.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.8.2017 zu verurteilen, ihm ab dem 1.9.2017 Arbeitslosengeld ohne Sperrzeit zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist zur Begründung auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Prozessakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1) Die Klage ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, allerdings nur für die Zeit vom 1. – 10.9.2017 (dazu a), nicht hingegen für die Zeit danach (dazu b).

a) Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat, wer (1.) arbeitslos ist, (2.) sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und (3.) die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 137 Abs. 1 SGB III). Diese Voraussetzungen hatte der Kläger vom 1. – 10.9.2017 unstreitig erfüllt.

Entgegen der Auffassung der Beklagten war auch keine Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe eingetreten:

Hat der Arbeitnehmer sich versicherungswidrig verhalten, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben, ruht der Anspruch für die Dauer einer Sperrzeit. Versicherungswidriges Verhalten liegt u.a. vor, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (§ 159 Abs. 1 S. 1 und 2 Nr. 1 SGB III).

Zwar hat der Kläger durch seine Kündigungserklärung das Beschäftigungsverhältnis mit der Fa. W. zum 31.8.2017 gelöst; dies war ursächlich für die Arbeitslosigkeit ab dem 1.9.2017. Auch handelte er vorsätzlich; denn er hatte keine konkrete Aussicht auf einen nahtlosen Übergang in eine Anschlussbeschäftigung. Das Verhalten des Klägers war aber durch einen wichtigen Grund gerechtfertigt.

Ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Es kommt darauf an, ob dem Arbeitnehmer bei Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden konnte. Löst der Arbeitnehmer sein Beschäftigungsverhältnis, um an einer Maßnahme der beruflichen (Aufstiegs-)Fortbildung teilzunehmen, so kann er sich ggf. auf einen wichtigen Grund berufen (SG Karlsruhe, Urteil vom 8.11.2016, S 17 AL 1291/16, Rdnr. 25 – nach Juris; Scholz in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, 6. Aufl., § 159 Rdnr. 169; Schweiger, NZS 2016, 213, 217). Dafür spricht, dass Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG die freie Wahl der Ausbildungsstätte gewährleistet und damit ebenso die Freiheit der beruflichen Fortbildung (Schweiger, a.a.O.). Auch die Beklagte erkennt in ihren internen Weisungen einen wichtigen Grund für eine Arbeitsaufgabe wegen einer "abschlussorientierten Qualifizierungsmaßnahme" an – allerdings nur, wenn der Arbeitnehmer hierfür einen Bildungsgutschein erhalten hat oder sicher erhalten wird. Ein sachlicher Grund für letztere Einschränkung ist für die Kammer indes nicht ersichtlich (so auch Schweiger, a.a.O., Seite 218). Allerdings obliegt es dem Arbeitnehmer, die Belastung für die Versichertengemeinschaft so gering wie möglich zu halten: Sofern zumutbar, hat er die berufliche Fortbildung daher in Teilzeit neben seiner Beschäftigung durchzuführen. Kommt eine berufsbegleitende Fortbildung nicht in Betracht, muss er sein Arbeitsverhältnis zum arbeitsrechtlich letztmöglichen Zeitpunkt kündigen, um die Arbeitslosigkeit kurz zu halten (Scholz, a.a.O.; Schweiger, a.a.O.). Nur wenn diese weiteren Voraussetzungen vorliegen, kann sich der Arbeitnehmer auf einen wichtigen Grund berufen.

Die Weiterbildung zum Brauer- und Mälzermeister – einem anerkannten Abschluss – kann grundsätzlich in Teilzeit oder in Vollzeit erfolgen. Der Kläger hat indes vorgetragen, eine Teilzeit-Weiterbildung werde nur von einer Schule in K. angeboten; der Unterricht finde dort am Freitag von 14:30 – 18:30 Uhr und am Samstag von 8:00 – 12:00 Uhr statt. Diese Teilzeit-Weiterbildung hätte er nicht mit seiner Beschäftigung bei der Fa. W. vereinbaren können, so der nachvollziehbare Vortrag des Klägers. Denn für seine Arbeitgeberin habe er von Montag bis Freitag ganztags gearbeitet, gelegentlich auch am Samstag. Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass der Kläger die Weiterbildung zumutbarerweise nur in Vollzeit – also nicht berufsbegleitend – absolvieren kann; auch die Beklagte behauptet nichts anderes. Ein nahtloser Übergang zwischen Beschäftigung und Weiterbildung war dem Kläger nicht möglich: Sein Arbeitsverhältnis mit der Fa. W. konnte er nur zum Monatsende kündigen (vgl. Ziff. 10.1 der Arbeitsbescheinigung vom 12.7.2017), hier also zum 31.8.2017. Die Weiterbildung in der P.-Schule in L. begann indes erst am 11.9.2017. Angesichts dessen hatte der Kläger einen wichtigen Grund dafür, seine Beschäftigung mit Ablauf des 31.8.2017 zu beenden.

b) Für die Zeit ab dem 11.9.2017 steht dem Kläger hingegen kein Arbeitslosengeld zu – weder Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit (dazu aa) noch Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung (dazu bb).

aa) Einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit hat nur, wer den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III). Den Vermittlungsbemühungen steht zur Verfügung, wer (1.) eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, (2.) Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann und (3.) bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nr. 1 anzunehmen und auszuüben (§ 138 Abs. 5 SGB III).

Nach Angaben des Klägers erfolgt der Unterricht in der P.-Schule in L. seit dem 11.9.2017 von Montag bis Freitag und umfasst 38 Stunden pro Woche. Eine Beschäftigung in einem zeitlichen Umfang von mindestens 15 Stunden pro Woche unter üblichen Bedingungen – also typischerweise werktags – kann der Kläger daneben nicht mehr ausüben. Dies sieht der Kläger auch selbst so. Angesichts dessen steht er seither den Vermittlungsbemühungen der Beklagten nicht mehr zur Verfügung.

Der Kläger kann sich auch nicht auf die Regelung des § 139 Abs. 3 SGB III berufen: Nimmt eine leistungsberechtigte Person an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung teil, für die die Voraussetzungen nach § 81 SGB III nicht erfüllt sind, schließt dies nach dieser Vorschrift die Verfügbarkeit nicht aus, wenn (1.) die Agentur für Arbeit der Teilnahme zustimmt und (2.) die leistungsberechtigte Person ihre Bereitschaft erklärt, die Maßnahme abzubrechen, sobald eine berufliche Eingliederung in Betracht kommt, und zu diesem Zweck die Möglichkeit zum Abbruch mit dem Träger der Maßnahme vereinbart hat.

Für eine derartige Vereinbarung des Klägers mit der P.-Schule ist nichts ersichtlich. Sie entspräche wohl auch nicht dem Willen des Klägers, der vorrangig seine Weiterbildung zum Brauer- und Mälzermeister abschließen möchte.

bb) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat auch, wer die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld bei Arbeitslosigkeit allein wegen einer nach § 81 SGB III geförderten beruflichen Weiterbildung nicht erfüllt (§ 144 Abs. 1 SGB III).

Die Beklagte hat die Weiterbildung des Klägers zum Brauer- und Mälzermeister nicht gefördert. Im Übrigen lägen auch die Voraussetzungen des § 81 SGB III hierfür nicht vor. Angesichts dessen steht dem Kläger kein Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung zu.

2) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Der Kläger hat seinen Klageantrag auf Arbeitslosengeld ab dem 1.9.2017 nicht befristet; ihm geht es also um Leistungen für die maximale Anspruchsdauer nach § 147 SGB III. Gemessen hieran fällt sein Obsiegen für 10 Tage nicht ins Gewicht und rechtfertigt keine Beteiligung der Beklagten an seinen außergerichtlichen Kosten.

3) Während die Berufung für den Kläger schon kraft Gesetzes statthaft ist, bedarf sie gemäß § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und S. 2 SGG für die Beklagte der Zulassung. Denn der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt für sie lediglich 394 EUR (10 Tage x 39,40 EUR); zu Leistungen für mehr als ein Jahr wurde sie nicht verurteilt. Es besteht indes kein Grund, gemäß § 144 Abs. 2 SGG die Berufung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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