S 17 SO 572/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
17
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 17 SO 572/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 06.04.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landschaftsverbandes Rheinland vom 18.10.2017 wird aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ab 01.04.2017 Hilfe zur Pflege und Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB XII zu gewähren. 2. Die außergerichtlichen Kosten des Klägers trägt der Beklagte.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten ab 01.04.2017 für die Unterbringung des Klägers in einem Alten- und Pflegeheim, hierbei insbesondere um die Berücksichtigung eines Bestattungsvorsorgevertrages bei der Berechnung des klägerischen Vermögens.

Der am. geborene, ledige und kinderlose Kläger ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 80 sowie den Merkzeichen G und B. Er ist pflegebedürftig nach dem Pflegegrad 2 und erhält Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung. Außerdem bezieht er eine Erwerbsminderungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von 1.084,89 EUR monatlich.

Seit Juni 2014 lebt der Kläger als Selbstzahler in einem Alten- und Pflegeheim, dem Senioren-Park. in J ...

Im November 2015 schloss der Kläger mit der Firma Bestattungen R ... und der Bestattungsvorsorge ... einen Bestattungsvorsorge-Treuhandvertrag über 8.000 EUR ab. Dem zugrunde lag ein Angebot/Kostenvoranschlag des Bestatters über zu erwartende Bestattungskosten in Höhe von 9.839,92 EUR.

Am 07.03.2017 beantragte der Kläger beim Beklagten die Übernahme der ungedeckten Heimpflegekosten nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), da sein Vermögen nunmehr aufgebraucht sei und er die Heimkosten nicht mehr alleine finanzieren könne. Als Vermögenswerte gab er am 15.03.2017 an: Girokonten 4.256,66 EUR, Sparkonto 35,81 EUR, drei unkündbare Lebensversicherungen aus betrieblicher Altersvorsorge sowie einen Anspruch aus dem 2015 abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrag über 8.000 EUR.

Mit Bescheid vom 06.04.2017 lehnte der Beklagte die Übernahme ungedeckter Heimpflegekosten ab. Der monatliche, nach Anrechnung seines Einkommens verbleibende Bedarf des Klägers betrage 293,56 EUR. Er verfüge über 7.787,13 EUR verwertbares Vermögen, wovon er zunächst den über den Schonbetrag von 5.000 EUR hinausgehenden Teil, also 2.787,13 EUR zur Deckung dieses Bedarfes einsetzen müsse. Bei der Berechnung des Vermögens rechnete die Beklagte dem Kläger 3.000 EUR aus seinem Bestattungsvorsorgevertrag über 8.000 EUR an. Bestattungsvorsorgeverträge bis zu einem Wert in Höhe von 5.000 EUR unterlägen der Härtefallregelung nach § 90 Abs. 3 SGB XII; der darüber hinausgehende Betrag von 3.000 EUR sei als verwertbares Vermögen einzusetzen. Der Kläger habe den Bestattungsvorsorgevertrag daher entsprechend abzuändern und auf 5.000 EUR zu reduzieren.

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 02.05.2017 Widerspruch. Er hält die Bestattungskosten in Höhe von 8.000 EUR für angemessen und damit für in voller Höhe gemäß § 90 Abs. 3 SGB XII zu verschonen. Die Angemessenheit einer Bestattungsvorsorge richte sich nach den örtlichen Gepflogenheiten auf Grundlage der Kosten einer durchschnittlichen bürgerlichen Bestattung am vorgesehenen Bestattungsort sowie nach den individuellen Wünschen des Vorsorgenden und den Besonderheiten des Einzelfalls.

Der Landschaftsverband Rheinland wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18.10.2017 als unbegründet zurück. Der vom Beklagten im Rahmen des § 90 Abs. 3 SGB XII berücksichtigte Betrag von 5.000 EUR für die Bestattungsvorsorge sei ausreichend für eine angemessene Bestattung. Es sei nicht notwendig Sozialhilfemittel aufzuwenden, um die finanziellen Mittel des Betroffenen in jedem erdenklichen Umfang zu schonen, den er vor seiner Sozialhilfebedürftigkeit für eine Beerdigung für angemessen erachtet habe. Eine würdevolle und der Persönlichkeit des Verstorbenen angemessene Bestattung sei auch am Wenigsten eine Frage des Geldes. Der in § 2 SGB XII verankerte Nachranggrundsatz verlange den Einsatz eigenen Vermögens.

Am 14.11.2017 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Düsseldorf. Er ist der Auffassung bei der Prüfung der Angemessenheit komme es nicht darauf an, ob eine Bestattung des Klägers auf Basis des von dem Beklagten anerkannten Betrages in Höhe von 5.000 EUR möglich sei, sondern darauf, dass die vom Kläger gewählte Bestattungsvorsorge sich innerhalb der Bandbreite eines wettbewerbsrechtlich orientierten Marktpreises bewege. Die Positionen aus dem Kostenvoranschlag des Bestatters seinen ortsüblich entsprechend dem in J ... durchschnittlichen Preisniveau und seinen vom Beklagten daher zu akzeptieren.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheides vom 06.04.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Landschaftsverbandes Rheinland vom 18.10.2017 zu verurteilen, dem Kläger ab 01.04.2017 Hilfe zur Pflege und Hilfe zum Lebensunterhalt in Einrichtungen nach den gesetzlichen Bestimmungen des SGB XII zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die getroffene Entscheidung weiterhin für zutreffend. Für die Prüfung der Angemessenheit der Bestattungsvorsorge sei zunächst auf die nach § 74 SGB XII zu übernehmenden Kosten einer Bestattung abzustellen. Hierzu zählten nur die mit der Durchführung der Bestattung untrennbar verbundenen Kosten, nicht aber Kosten die nur anlässlich des Todes entstünden, wie z.B. Traueranzeigen und Danksagungen. Der sich hieraus ergebende Kostenbetrag, der lediglich einfachsten Standard repräsentiere, sei dann unter Berücksichtigung etwaiger Gestaltungswünsche des Heimbewohners bis zur Grenze der Angemessenheit zu erhöhen. Die im Kostenvoranschlag vorgesehenen Friedhofsgebühren in Höhe von 3.529,00 EUR seien hier zu beanstanden. Nach der Friedhofsgebührensatzung der Gemeinde J ... betrügen die Kosten für ein Reihengrab samt Bestattungsgebühr, Benutzungsgebühr der Friedhofs- und Trauerhallen und Genehmigungsgebühr lediglich 2.682,00 EUR. Auch die Steinmetzkosten in Höhe von 1.800 EUR seien überzogen. Bei dem vom Beklagten anerkannten Vorsorgebetrage von 5.000 EUR verliebe dem Kläger nach Abzug der Friedhofsgebühren noch 2.318,00 EUR, die er für den Bestatter und Blumenschmuck aufwenden könne. Dies sei mehr als ausreichend für eine würdevolle Bestattung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat ab 01.04.2017 Anspruch auf Sozialhilfe zur Deckung seiner Restheimpflegekosten, soweit diese nicht durch sein Einkommen aus Altersrente und Pflegegeld aus der gesetzlichen Pflegeversicherung gedeckt sind. Insbesondere verfügt er ab dem 01.04.2017 auch über kein zumutbar einsetzbares Vermögen zur Deckung der Heimpflegekosten.

Der von der Beklagten geforderte Vermögenseinsatz steht nicht im Einklang mit § 90 Abs. 2 Nr. 9 und Abs. 3 SGB XII.

Gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte abhängig gemacht werden. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Buchstabe b) der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII sind kleinere Barbeträge oder sonstige Geldwerte in diesem Sinne 5.000,00 EUR seit dem 01.04.2017, vorher 2.600,00 EUR. Dieser Betrag ist deshalb vom Einsatz des Vermögens frei zu halten. Dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig und wurde vom Beklagten in seinen Berechnungen auch so gehandhabt; der Beklagte hat in seinem Bescheid einen Freibetrag von 5.000 EUR zugrunde gelegt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten darf die Sozialhilfe darüber hinaus hier auch nicht vom Einsatz des zum Zwecke der Bestattungsvorsorge vorgesehenen Vermögens aus dem abgeschlossenen Bestattungsvorsorgevertrag vom November 2015 abhängig gemacht werden, weil dies für den Kläger eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 SGB XII bedeuten würde. Die Höhe des Bestattungsvorsorgevertrages ist hier mit 8.000,00 EUR nicht unangemessen hoch.

Das BSG hat im Urteil vom 18.03.2008 (B 8/9 b SO 9/06 R) ausgeführt, dass bereits nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 11.12.2003 - 5 C 84/02) dem Wunsch des Menschen, für die Zeit nach seinem Tod durch eine angemessene Bestattung und Grabpflege vorzusorgen, Rechnung zu tragen und Vermögen aus einem Bestattungsvorsorgevertrag sowohl für eine angemessene Bestattung als auch für eine angemessene Grabpflege als Schonvermögen im Sinne der Härtefallregelungen anzusehen ist. Für diese Auffassung - so das BSG - spricht nicht zuletzt, dass die Bundesregierung eine Gesetzesinitiative des Bundesrates, mit der die ausdrückliche Privilegierung eines Bestattungsvorsorgevertrages im Gesetz vorgesehen war, mit der Begründung abgelehnt hat, die vorgesehene Regelung sei nicht erforderlich, weil bereits nach geltendem Recht mit der Härtefallregelung in § 90 Abs. 3 SGB XII sowie mit der Vorschrift des § 74 SGB XII eine menschenwürdige Bestattung für Sozialhilfeempfänger sicher gestellt sei (vgl. BT-Drucksache 16/239, S. 10, 15 und 17 zu Art. 3 Nr. 4).

Zur Bestimmung der Angemessenheit einer Bestattungsvorsorge ist zunächst auf die Kosten abzustellen, die die örtlich zuständige Behörde als erforderliche Kosten der Bestattung nach § 74 SGB XII zu übernehmen hat (Grundbetrag), denn insofern wird örtlichen Besonderheiten wie unterschiedlichen Friedhofskosten Rechnung getragen. Dabei ist hinsichtlich der Art der Bestattung (Erdbestattung, Feuerbestattung, etc.) in der Regel die Entscheidung des Heimbewohners zugrunde zu legen. Der sich hieraus ergebende Kostenbetrag, der lediglich den einfachsten Standard repräsentiert, ist unter Berücksichtigung etwaiger Gestaltungswünsche des Heimbewohners bis zur Grenze der Angemessenheit zu erhöhen (Erhöhungsbetrag). Dabei können die Kosten einer durchschnittlichen Bestattung als Richtschnur dienen (so: OVG NRW, Urteil vom 16.11.2009 - 12 A 1363/09). Nach den bereits vor acht Jahren gewonnenen Erkenntnissen des OVG NRW (a.a.O.) beliefen sich damals die Kosten für eine einfache Beerdigung (im Bundesdurchschnitt) auf zwischen 2.000,00 und 4.000,00 EUR, die Kosten für eine durchschnittliche Bestattung auf etwa 7.000,00 EUR; diese Erkenntnisse beruhten auf Veröffentlichungen der Verbraucherzentrale ("Was tun, wenn jemand stirbt?", 17. Auflage 2009, S. 56) und der Stiftung Warentest (Test Spezial "Bestattungen", erschienen im Oktober 2008, S. 50 f.). Vor diesem Hintergrund hatte das OVG NRW im Urteil vom 16.11.2009 bereits 6.000,00 EUR "jedenfalls als angemessen" festgestellt.

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist auch der vom Kläger für die Bestattungsvorsorge auf das Treuhandkonto überwiesene Betrag in Höhe von 8.000,00 EUR als angemessen anzusehen. In dem ersten Teil des Angebotes, der ausschließlich die Bestatterleistungen in Höhe von insgesamt 2.915 EUR betrifft, ist nicht erkennbar, dass irgendwo überflüssige Leistungen oder Leistungen aus dem oberen Preissegment aufgeführt wären. Insbesondere der größte Einzelposten (Lindensarg natur) bewegt sich mit 1.490,00 EUR im mittleren Preissegment. Selbst wenn man als Friedhofsgebühren nicht die im Angebot zugrunde gelegten 3.529,00 EUR sondern lediglich die in J ... für ein Reihengrab anfallenden Kosten in Höhe von 2.682,00 EUR zugrunde legt, verbleiben dem Kläger von den 8.000 im Treuhand hinterlegten EUR noch 2.403,00 EUR für Blumen, Grabmal, Traueranzeige, Grabpflege und sonstige Kosten. Dies erscheint insgesamt nicht unangemessen hoch. Darüber hinaus ist zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass er die Bestattungsvorsorge zu einem Zeitpunkt vorgenommen hat, zu dem er noch über erhebliches Vermögen verfügte und nachdem er noch fast eineinhalb Jahre als Selbstzahler seinen Heimaufenthalt finanzieren konnte. Auch hat er nicht den vollständigen Betrag des Bestattungsangebotes (9.839,92 EUR) als Bestattungsvorsorge angelegt, sondern lediglich 8.000,00 EUR. Insgesamt erscheint der Betrag von 8.000,00 EUR für eine Erdbestattung in J angemessen. Die Verwertung des bei der Deutschen Bestattungsvorsorge Treuhand AG hinterlegten Vermögens in Höhe von 8.000,00 EUR stellt eine Härte im Sinne von § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar, weil es sich um Vermögen aus einem angemessenen Bestattungsvorsorgevertrag handelt. Bei der von der Beklagten vorzunehmenden Vermögensberechnung ist demnach kein zu verwertender Betrag aus dem Bestattungsvorsorgevertrag einzustellen. Nimmt man die von der Beklagten bisher berücksichtigten 3.000 EUR aus Bestattungsvorsorge aus der Vermögensberechnung raus, verbleibt dem Kläger ein Vermögen von 4.787,13 EUR. Dieser Betrag liegt unterhalb des nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII geschützten Vermögens (5.000 EUR ab 01.04.2017). Dem Kläger steht demnach die Übernahme der ungedeckten Heimkosten ab 01.04.2017 zu.

Bei der Berechnung des laufenden Bedarfs des Klägers ab 01.04.2017 wird der Beklagte allerdings nochmals den tatsächlichen Pflegegrad des Klägers zu prüfen haben. In ihrer Bedarfsberechnung im angefochtenen Bescheid ist der Beklagte von Heimkosten und Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung nach dem Pflegegrad 3 ausgegangen und hat so einen monatlich verbleibenden Bedarf von 293,56 EUR ab 01.03.2017 ermittelt. Ausweislich der Antragsunterlagen bestand beim Kläger zu diesem Zeitpunkt jedoch nur eine Pflegebedürftigkeit nach dem Pflegegrad 2. Entsprechend verringern sich die Heimkosten um ca. 500 EUR monatlich (vgl. Preisliste für die stationäre Pflege Senioren-Park. J ..., Stand 01.01.2018: Pflegegrad 2: 2.913,32 EUR monatlich, Pflegegrad 3: 3.405,21 EUR monatlich). Entsprechend verringern sich jedoch auch die Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung (770 EUR bei Pflegegrad 2, 1262 EUR bei Pflegegrad 3). In welcher Höhe dem Kläger bei Pflegegrad 2 noch Pflegewohngeld zusteht ist ebenfalls vom Beklagten auszurechnen; es wird jedoch definitiv nicht höher ausfallen als bei der bisherigen Berechnung nach Pflegegrad 3, so dass der Kläger in jedem Fall einen monatlichen ungedeckten Bedarf hat, der von dem Beklagten ab 01.04.2017 zu gewähren ist.

Nach alledem war der Klage stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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