L 4 AS 316/15

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 61 AS 1445/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 316/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten wird zurückgewiesen. Das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Juli 2015 wird zur Klarstellung wie folgt neu gefasst: Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2013 sowie des Bescheides vom 19. November 2013 verpflichtet, dem Kläger Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis zum 31. März 2013 in gesetzlicher Höhe ohne Anrechnung eines Einkommens aus selbständiger Tätigkeit zu bewilligen. Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Monate Oktober 2012 bis März 2013.

Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und betrieb seit dem 15. September 2003 ein Ladengeschäft für Telekommunikation und PC-Bedarf. Mit Bescheid vom 13. Juni 2012 bewilligte der Beklagte ihm vorläufige Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. April 2012 bis zum 30. September 2012. Dem lag eine Berechnung des voraussichtlichen Einkommens zugrunde, bei der der Beklagte die Angaben des Klägers komplett übernahm mit Ausnahme der Telefon- und Kfz-Kosten – diese wurden nur hälftig anerkannt. Der Betriebsgewinn wurde mit monatlich 665,50 Euro angesetzt.

Am 4. September 2012 beantragte er erneut Leistungen nach dem SGB II. Zu diesem Zeitpunkt lebte der Kläger in einer Wohnung im Erdgeschoss des Gebäudes K. in zu einer Bruttowarmmiete von 595,60 Euro.

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2012 forderte der Beklagte den Kläger zur Mitwirkung auf. Dem kam der Kläger nur teilweise nach.

Mit Bescheid vom 30. Oktober 2012 lehnte der Beklagte den Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II mit der Begründung ab, der Kläger sei nicht hilfebedürftig, da er seinen Lebensunterhalt durch das ihm zufließende Einkommen sichern könne. Aus dem beigefügten Berechnungsbogen ergab sich, dass der Beklagte von einem voraussichtlichen Gewinn des Klägers in Höhe von monatlich 1.532,- Euro ausging. Dem lag offenbar zugrunde, dass er Beklagte die Zahlen des Klägers, die gleichlautend zu der Schätzung für den vorherigen Bewilligungszeitraum waren, diesmal deutlich kritischer beurteilte: Personalkosten, Versicherungen, Kfz-Kosten, Abfallkosten und Vorsteuer wurden gar nicht, Bürokosten/Porto und Telefon nur hälftig anerkannt.

Hiergegen legte der Kläger am 8. November 2012 Widerspruch ein mit der Begründung, die abziehbaren Betriebsausgaben seien von dem Beklagten nicht angemessen berücksichtigt worden.

Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2013 zurück. "Vorläufige Leistungen" seien zu Recht abgelehnt worden. Der monatliche Bedarf des Klägers belaufe sich auf 969,60 Euro bzw. 977,60 Euro (Unterkunftskosten in Höhe von 595,60 Euro zuzüglich des Regelsatzes in Höhe von 374,- Euro/ab 1.1.2013: 382,- Euro). Die betrieblichen Einnahmen des Klägers hätten sich für den fraglichen Zeitraum auf insgesamt 48.960,- Euro belaufen. Die von ihm geltend gemachten Betriebsausgaben seien zum allergrößten Teil nicht nachgewiesen. Im Übrigen seien seitens des Klägers geltend gemachte Betriebskosten teilweise nicht als betrieblich bedingt anerkannt worden. Das betreffe die geltend gemachten Kosten für das Kraftfahrzeug, für geringfügig Beschäftigte, für betriebliche Versicherungen und Beiträge, für Steuern und gezahlte Vorsteuer, für laufende Betriebskosten und die betriebliche Abfallbeseitigung. Nur hälftig würden Büromaterial/Porto und Telefonkosten anerkannt. Insgesamt gehe der Beklagte von Betriebsausgaben im Zeitraum Oktober 2012 bis März 2013 von insgesamt 39.768,- Euro aus; es sei mithin ein Gewinn von 9.192,- Euro zugrunde zu legen sei. Dies bedeute ein monatliches Einkommen von 1.532,- Euro. Abzüglich der gesetzlichen Freibeträge in Höhe von 300,- Euro sei von einem anzurechnenden Einkommen in Höhe von 1.232,- Euro auszugehen, was den Bedarf des Klägers abdecke. Im Übrigen lägen die Voraussetzungen einer Leistungsversagung vor, weil der Kläger die auf seinen Antrag hin verlangten Unterlagen nicht vorgelegt habe.

Am 11. März 2013 stellte der Kläger einen weiteren Leistungsantrag. Hinsichtlich seiner persönlichen Verhältnisse gab er an, erneut geheiratet zu haben; seine Ehefrau Nesma ist seit dem 22. Februar 2013 unter seiner Adresse gemeldet. Hinsichtlich seiner Einkommensverhältnisse reichte der Kläger erneut eine Übersicht über die voraussichtlichen Einnahmen von Oktober 2012 bis März 2013 ein; gleichlautend wie bereits im September 2012. In der internen Überprüfung wurden aber diesmal die Personalkosten akzeptiert und die Büro-/Portokosten vollständig anerkannt, die geltend gemachten Beratungskosten jedoch nicht berücksichtigt. Das ergab einen Gewinn von 1.515,- monatlich; entsprechend erging am 12. April 2013 ein vorläufiger Leistungsbescheid an die Eheleute für die Monate April bis September 2013 über 71,60 Euro monatlich. Dem dagegen erhobenen Widerspruch des Klägers und seiner Frau wurde mit Bescheid vom 10. Mai 2013 Abhilfe geleistet; nunmehr setzte der Beklagte einen Gewinn von 325,58 Euro an und bewilligte vorläufig Leistungen in Höhe von 1.104,34 Euro monatlich. Dem lag die Auswertung der vorlegten betriebswirtschaftlichen Auswertung (BWA) 2012 zugrunde, die der Beklagte bis auf die Abschreibungen und die Hälfte der Kfz-Kosten übernahm. Ein Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2013 für August und September 2013 ging von einem monatlichen Betriebsgewinn in Höhe von 326,58 Euro aus.

Gegen den Widerspruchsbescheid vom 11. April 2013 hat der Kläger am 7. Mai 2013 Klage erhoben und die betriebswirtschaftlichen Auswertungen u.a. für die streitgegenständlichen Monate Oktober 2012 bis März 2013 vorgelegt sowie die entsprechenden Summen- und Saldenlisten. Hieraus ergaben sich Betriebseinnahmen in Höhe von 34.961,- Euro (monatlich 5.826,83 Euro) und betriebliche Ausgaben in Höhe von 36.116,- Euro; der monatliche Verlust betrug danach 192,50 Euro. Hierbei wurde ein Wareneinkauf von 25.144,- Euro zugrunde gelegt. Der Kläger hat geltend gemacht, er habe lediglich die üblichen gewerblichen Versicherungen unterhalten, darunter auch eine Betriebshaftpflichtversicherung. Er benötige eine geringfügig entlohnte Aushilfe, um ihn bei Abwesenheiten zu vertreten. Das Fahrzeug habe er für betriebliche Besorgungen benutzt. Telefonkosten einschließlich Mobilfunk und Internet würden sich auf etwa 100 Euro monatlich belaufen. Für Beratungskosten habe er monatlich seinem Buchhalter 169,- Euro gezahlt. Die von dem Beklagten im laufenden Klagverfahren vorgenommene Schätzung aufgrund der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums für Finanzen sei willkürlich. Die betriebswirtschaftliche Auswertung sei ordnungsgemäß erstellt worden. Soweit der Beklagte moniere, der Wareneinkauf korrespondiere nicht mit den Einnahmen, übersehe dieser die starke Konkurrenzsituation in dem Geschäftsumfeld seines früheren Geschäftes. In dem angrenzenden Einkaufszentrum gebe es fünf vergleichbare Geschäfte. Sofern er Bareinzahlungen auf sein Konto getätigt habe, sollte hiermit der Minus-Saldo ausgeglichen werden. Er habe auch – wegen der Leistungseinstellung durch den Beklagten – ein Darlehen von insgesamt 5.000,- Euro bei dem Zeugen Ahmad E. aufgenommen. Das in Teilbeträgen gewährte Darlehen (je 1.000,- Euro am 28.9.2012, 27.1.2012, 1.12.2012, 26.12.2012, 19.2.2013) sei in geringen Teilbeträgen auf sein Privatkonto eingezahlt worden. Das Darlehen habe er am 27. Mai 2014 in Gesamthöhe von 6.000,- Euro an den Zeugen zurückgezahlt. Weiter hat der Kläger eine Einnahmen-Überschuss-Rechnung vom 23. Mai 2015 für das Jahr 2013 vorgelegt, aus der sich ein betrieblicher Verlust von 4,04 Euro ergibt (Vorjahr 138,68 Euro). Ferner hat der Kläger die von seinem Steuerberater vorbereitete Umsatzsteuererklärung 2013 vorgelegt, die steuerpflichtige Einnahmen in Höhe von 37.952,- Euro ausweist.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Mit Bescheid vom 19. November 2013 sei der Leistungsantrag nunmehr endgültig abgelehnt worden. Ausgehend vom Wareneinkauf des Klägers im fraglichen Zeitraum in Höhe von 25.144,- Euro wurde nun erstmals ein Rohgewinnaufschlag von 150 % (Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen für das Kalenderjahr 2009-2012 Gewerbeklasse 47420.0 Telekommunikationsendgeräte und Mobilfunktelefone, Einzelhandel beim wirtschaftlichen Umsatz bis 300.000,- Euro jährlich; Bandbreite 41 % bis 1329 %) eingeführt, so dass Betriebseinnahmen in Höhe von 62.860,- Euro anzunehmen seien bei betrieblichen Ausgaben in Höhe von 31.641,- Euro. Hierbei seien die vom Kläger angesetzten 845,- Euro für geringfügig Beschäftigte nicht zu akzeptieren, sondern lediglich monatlich 89,- Euro an Versicherungsbeiträgen. Auch die geltend gemachten Steuerzahlungen von 308,- Euro (Umsatzsteuer) bzw. 313,- Euro (Kfz-Steuer) im Januar 2013 seien nicht zu berücksichtigen, ebenso wenig die Kosten für die Kfz-Versicherung im Oktober 2012 von 256,- Euro, sonstige laufende Betriebskosten von 321,- Euro sowie "sonstige Kosten" in Höhe von 2.115,- Euro. Hingegen seien 44,- Euro Nebenkosten des Geldverkehrs zum Ansatz zu bringen. Dieses zugrunde gelegt habe der Kläger monatliche Einnahmen in Höhe von 10.476,67 Euro bei monatlichen betrieblichen Ausgaben in Höhe von 5.273,50 Euro, was zu monatlichen Einkünften in Höhe von 5.203,17 Euro führe. Bereinigt um die Freibeträge bei Erwerbstätigen ergebe dieses 4.973,50 Euro anzurechnende Einkünfte. Das sei bedarfsdeckend. Die Erhöhung der Betriebseinnahmen beruhe auf § 3 Abs. 3 Satz 2 Alg II-V. Danach könnten Einnahmen bei der Berechnung angemessen erhöht werden, wenn anzunehmen sei, dass die nachgewiesene Höhe der Einnahmen offensichtlich nicht den tatsächlichen Einnahmen entspreche. Die seitens des Klägers genannten Einnahmezahlen seien nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Auch entsprächen die angegebenen Betriebseinnahmen nicht durchgehend den Bareinzahlungen. Damit habe der Kläger einen Tatbestand geschaffen, der eine Schätzung zulasse. Im Übrigen bestreite der Beklagte, dass der Kläger ein Darlehen erhalten habe. Mit dem nunmehr eingereichten auf den 10. September 2013 datierten Darlehensvertrag könnte keine ernst zu nehmende Rückzahlungsverpflichtung nachgewiesen werden. Die nunmehr vorgelegte auf den 23. Mai 2015 datierte Einnahmen-Überschuss-Rechnung habe keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit der Einschätzung des Einkommens mit Bescheid vom 19. November 2013. Es wäre Sache des Klägers gewesen, bis zum 31. Mai 2013 Angaben zu seinen tatsächlichen Einnahmen im Zeitraum Oktober 2012 bis März 2013 zu machen.

Mit Bescheid vom 4. März 2014 hat der Beklagte dem Kläger und seiner Frau endgültig Leistungen ab dem 1. April 2013 bewilligt, ausgehend von einem monatlichen Gewinn in Höhe von 381,67 Euro (um Freibeträge bereinigt 225,34 Euro). Am 30. April 2014 hat der Kläger das Geschäft aufgegeben und für 7.000,- Euro verkauft.

Das Sozialgericht hat den Zeugen E. im Termin der öffentlichen Sitzung vom 7. Juli 2015 vernommen. Auf das Protokoll wird verwiesen.

Mit Urteil vom 7. Juli 2015 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Oktober 2012 bis zum 31. März 2013 Leistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit zu gewähren. Das Gericht sei an die von dem Beklagten vorgenommene Einkommensschätzung nach § 3 Abs. 6 Alg II-V nicht gebunden. Aus den vorgelegten Unterlagen ergäben sich Bareinzahlungen auf das Geschäftskonto des Klägers mit der Endziffer 06 bei der Hamburger Sparkasse für den streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 31.100,- Euro. Hinzu kämen Bareinzahlungen bzw. eine Überweisung auf das Privatgirokonto des Klägers ebenfalls bei der Hamburger Sparkasse mit der Endziffer 96 im streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 5.550,- Euro. Letzterer Betrag könne allerdings nicht als Einkommen des Klägers herangezogen werden. Vielmehr stehe für das Gericht aufgrund der Vernehmung des Zeugen E. fest, dass diese Einzahlungen bzw. die Überweisung als Darlehenszahlungen des Zeugen an den Kläger anzusehen seien. Der Zeuge habe glaubhaft bekundet, aufgrund der wirtschaftlich schlechten Situation des Klägers diesem ein Darlehen von insgesamt 6.000,- Euro gewährt zu haben, bestehend aus fünf Barzahlungen in Höhe von jeweils 1.000,- Euro zwischen dem 28. September 2012 und dem 19. Februar 2013 zuzüglich der Überweisung eines Betrages in Höhe von 1.000,- Euro am 19. Februar 2013. Der Zeuge habe glaubhaft und widerspruchsfrei bekundet, er sei ein Landsmann des Klägers, kenne diesen noch von früheren politischen Aktivitäten und sei aufgrund seines Einkommens als Arztes wirtschaftlich in der Lage gewesen, den Kläger wegen der schlechten wirtschaftlichen Situation dessen Geschäftes zu unterstützen. Zwar stamme der diesen Zahlungen zu Grunde liegende Darlehensvertrag erst vom 10. September 2013, dies spreche aber nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen. Denn diesem wäre es ohne weiteres möglich gewesen, in Zusammenarbeit mit dem Kläger einen entsprechenden Vertrag weiter vorzudatieren, ohne dass dieses letztlich gerichtlich nachprüfbar gewesen wäre. Gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen spreche auch nicht der Begleittext der Überweisung vom 19. Februar 2013 in Höhe von 1.000,- Euro, die dort als "Spende" bezeichnet worden sei. Der Zeuge habe insoweit erklärt, möglicherweise habe seine Frau die Überweisung getätigt und sich in der Wortwahl geirrt. Für die Annahme eines Darlehens spreche letztlich auch der vorgelegte Kontoauszug des Zeugen, aus dem sich ergebe, dass ein Betrag in Höhe von 6.000,- Euro von dem Kläger am 27. Mai 2014 mit dem Stichwort "Privatdarlehen" auf das Konto überwiesen worden sei. Für die Glaubwürdigkeit spreche weiterhin, dass nach Angaben des Klägers dieser im April 2014 sein Ladengeschäft für 7.000,- Euro verkauft habe und demzufolge zur Darlehensrückzahlung in der Lage gewesen sei. Mithin sei von einem Einkommen aus der Selbständigkeit des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum in Höhe von 31.100,- Euro auszugehen. Dem stünden betriebliche Ausgaben in Höhe von 32.066,37 Euro entgegen. Unproblematisch sei hier der Wareneinkauf in Höhe von 25.144,- Euro, die Mietzahlungen in Höhe von insgesamt 5.919,- Euro sowie die Nebenkosten des Geldverkehrs in Höhe von 44,- Euro. Nach Auffassung des Gerichts seien weitere betriebliche Ausgaben in Höhe von 959,37 Euro anzuerkennen, die sich aus den Telefonkosten des Klägers in Höhe von 247,41 Euro, der gezahlten Umsatzsteuer in Höhe von 279,83 Euro, den Zahlungen für die Berufsgenossenschaft in Höhe von 33,47 Euro sowie den Aufwendungen für den Steuerberater in Höhe von 133,28 Euro zusammensetzten. Hinzu komme ein Betrag in Höhe von 265,38 Euro für die berufliche Haftpflichtversicherung des Klägers. Dieses zu Grunde gelegt, sei nicht davon auszugehen, dass der Kläger Einnahmen aus seiner selbständigen Tätigkeit erzielt habe; dafür spreche des Weiteren die Einnahmen-Überschuss-Rechnung für das Jahr 2013 vom 23. März 2015 sowie die Umsatzsteuererklärung für das Jahr 2013 mit zu versteuernden Einnahmen in Höhe von 37.952,- Euro.

Gegen das ihm am 13. Juli 2015 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 22. Juli 2015 Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend: Zu Unrecht sei das Sozialgericht von einer Einkommensschätzung nach § 3 Abs. 6 AlgII-V ausgegangen, tatsächlich gehe es um eine angemessene Erhöhung der Betriebseinnahmen nach § 3 Abs. 3 Satz 2 AlgII-V. Die Unterlagen des Steuerberaters des Klägers ergäben, dass dieser selbst die Einkünfte des Klägers als unplausibel und den 150 %-Aufschlag als angemessen erachtet habe. Tatsächlich findet sich in den Buchführungsunterlagen eine vom Steuerbüro Hirsch verfasste Seite, auf der Zweifel an der Buchführung des Klägers vermerkt sind. Hier werden der Rohgewinnaufschlag nach den Richtsätzen thematisiert, die Rechnungspositionen Privateinlage/Geldtransit problematisiert sowie Zweifel an der Existenz einer geringfügig Beschäftigten geäußert. Diese Notizen haben den Beklagten offenbar zu der strikten Handhabung dieses Bewilligungszeitraums veranlasst.

Der Beklagte und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Juli 2015 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger wendet ein, dass er dem Steuerberater das Zahlenwerk erläutert habe und durchaus ein Kassenbuch geführt habe.

Der Senat hat am 12. Oktober 2017 mündlich verhandelt. Der Kläger ist sodann aufgefordert worden, zur Buchungsposition "Privateinlagen" (4. Quartal 2012: 2.400,- Euro) vorzutragen. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter erklärt.

Der Kläger hat im Anschluss schriftsätzlich die Privateinlage erläutert; ihr liege eine Zahlung für einen Verwandten per Kreditkarte zugrunde, die dieser dem Kläger in bar zurückerstattet habe. Darüber ist vor dem Berichterstatter erneut mündlich verhandelt worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten sowie auf die Verwaltungsakte des Beklagten und die Buchführungsordner des Klägers verwiesen, die bei der Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

I. Über die Berufung konnte der Senat im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch den Berichterstatter als Einzelrichter entscheiden.

II. Gegenstand des Verfahrens ist der Zeitraum 1. Oktober 2012 bis 31. März 2013 und zunächst der Bescheid vom 30. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2013. Der Beklagte ging ausweislich des Widerspruchsbescheides offenbar davon aus, lediglich vorläufig entschieden zu haben; das war aber im Ausgangsbescheid nicht angelegt und passt bei einer Leistungsablehnung nicht, die als endgültiger Bescheid zu sehen ist (so auch Düe, in Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl. 2010, § 328 Rn. 4, mit Nachweisen zum Streitstand). Der Bescheid vom 19. November 2013 ist danach als wiederholende Verfügung zu sehen und ging ins Leere, ist aber aus Klarstellungsgründen in die Klage einzubeziehen.

III. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 SGG). Die Berufung ist aber unbegründet. Der Kläger kann Leistungen im streitigen Zeitraum ohne Anrechnung von Einkommen aus selbständiger Tätigkeit beanspruchen.

Die Einkommensermittlung richtet sich nach §§ 11 ff. SGB II und § 3 der Arbeitslosengeld II/Sozialgeldverordnung (AlgII-V). Nach § 3 Abs. 1 und 2 AlgII-V in der ab 1. Januar 2012 geltenden Fassung sind für die Berechnung von Einkommen aus selbständiger Arbeit die Betriebseinnahmen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen, und die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben (mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge) gegenüberzustellen. Es kommt danach auf Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum an, dieser umfasst hier den streitgegenständlichen Zeitraum. Der gewählte Zeitraum von sechs Monaten entspricht der Regelung des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II in der bis zum 31. Juli 2016 geltenden Fassung.

1. Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AlgII-V ist von den Betriebseinnahmen auszugehen. Diese betrugen nach der vorgelegten BWA 34.961,- Euro. Der Senat folgt nicht der Auffassung des Beklagten, der die Einnahmen des Klägers nach der Richtsatzsammlung des Bundesministeriums der Finanzen (BMF-Richtsatz für die Gewerbeklasse 47420.0) erhöhen will. Bei einer Bandbreite von 41% bis 1329% gilt danach ein durchschnittlicher Rohgewinnaufschlag von 150%; diesen wendet der Beklagte auf den Wareneinkauf des Klägers in Höhe von 25.144,- Euro an und kommt auf Einnahmen in Höhe von 62.860,- Euro. Der Senat hat dazu bereits ausgeführt (Beschluss vom 13.9.2017 – L 4 AS 252/17 B ER):

"Auch für eine Erhöhung der Betriebseinnahmen anhand eines Rohgewinnaufschlags entsprechend den Richtsätzen des Bundesministeriums der Finanzen, wie sie der Antragsgegner u.a. in dem Ablehnungsbescheid vom 2. März 2017 zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat, ist kein Raum. Es handelt sich um Richtsätze, die nicht für Zwecke der Einkommensberechnung nach dem SGB II, sondern als Hilfsmittel für die Finanzverwaltung erstellt werden, und die zudem eine weite Spanne (Richtsätze 2016 für Imbissbetriebe: Rohgewinnaufschlag 144 % – 376 %) aufweisen. Zudem lässt sich aus einer Abweichung der klägerischen Einnahmen von diesen Richtsätzen nicht darauf schließen, dass tatsächlich ein höheres Einkommen erzielt wird als angegeben. Hierfür fehlt es an jeglichen sonstigen Anhaltspunkten und eine Abweichung von den Richtsätzen kann auch schlicht Abbild der Unwirtschaftlichkeit der Betriebsführung sein."

Im Übrigen ist dem Beklagten entgegenzuhalten, dass er weder im vorausgehenden noch im nachfolgenden Bewilligungszeitraum auf diese Berechnungsweise nach den Richtsätzen abgestellt hat.

Der Senat teilt auch nicht die Zweifel des Beklagten an der Höhe der Betriebseinnahmen, die dieser darauf gestützt hat, dass bei Überprüfung der Monate Oktober bis Dezember 2012 der Wert der Bareinzahlungen auf das Geschäftskonto und das Privatkonto sowie die Kontogutschriften des Mobilfunkunternehmens T die angegebenen Betriebseinnahmen überschritten hätten. Das ist mit den Mechanismen der Privateinlagen nachvollziehbar erklärt (dazu sogleich).

Der Senat hält die Buchungsposition "Privateinlage" hier nicht für den Beleg weiterer Einnahmen des Klägers. Der Kläger hat vielmehr nachvollziehbar erläutert und belegt, dass es konkret um die Zahlung des Klägers für eine dritte Person gegangen war, die die verauslagte Summe an den Kläger erstattete und dieser den Betrag einzahlte. Letztlich ergab dies kein Einkommen und keinen Vermögenszuwachs für den Kläger, wurde aber als Privateinlage verbucht.

Schließlich teilt der Senat auch die Auffassung des Sozialgerichts hinsichtlich der Bewertung der finanziellen Unterstützung durch Herrn E. als Darlehen. Insoweit wird auf die Begründung des Urteils des Sozialgerichts verwiesen.

2. Die Ausgabenseite bewertet der Senat wie folgt:

a. Wareneinkauf (25.144,- Euro), Raumkosten (5.919,- Euro) und betriebliche Versicherungen (534,- Euro = Sachversicherung, Rechtsschutz) werden weder vom Beklagten noch vom Senat angezweifelt.

b. Die Kosten der geringfügigen Beschäftigung (845,- Euro) sind ebenfalls zu berücksichtigen; nachgewiesen durch Vorlage des Vertrages und kontinuierliche Buchung sowie Abführungen an die Knappschaft. Folgerichtig wurde diese Position im Bescheid vom 10. Mai 2013 für den Folgezeitraum auch wieder anerkannt.

c. Kfz-Kosten sind nicht anzuerkennen mangels nachgewiesener betrieblicher Notwendigkeit. Der Kläger hat kein Fahrtenbuch geführt oder Angaben zum Verhältnis oder Umfang der privaten und gewerblichen Nutzung gemacht, so dass eine Kilometerabrechnung nach § 3 Abs. 7 AlgII-V ausscheidet. Die Kfz-Kosten waren zwar zuvor stets zur Hälfte anerkannt worden, das Mitwirkungsschreiben vom 2. Oktober 2012 gab dem Kläger insoweit aber nähere Angaben auf – das dürfte die Änderung der Praxis rechtfertigen können. Dass im Folgezeitraum wieder die Hälfte der Kfz-Kosten anerkannt wurde, ist nicht nachvollziehbar, führt aber für den streitigen Zeitraum zu nichts.

d. Auch sonstige Kosten sind zu berücksichtigen. Aus den Belegen des Klägers ergibt sich regelmäßig ein Betrag von 169,- Euro monatlich an den Steuerberater, hinzu kommen zweimal 100,- Euro und einmal weitere 89,- Euro an den Steuerberater im Oktober und November 2012 sowie im März 2013 eine Zahlung von 66,64 Euro an einen weiteren Steuerberater. Kontoführung und Postenpreise machen monatlich 30,- Euro durchschnittlich aus. Das ergibt sich so auch aus den Summen- und Saldenlisten. Aus diesen Listen lassen sich Telefonkosten von 528,- Euro entnehmen, Betriebsaufwand und betrieblicher Bedarf in Höhe von 19,- Euro, Portokosten von 45,- Euro. Insgesamt beläuft sich das bei hälftiger Berücksichtigung der Telefonkosten – so auch die Handhabung der Beklagten in den anderen Bewilligungszeiträumen – auf einen Betrag in Höhe von 1.877,64 Euro.

e. Schließlich ist im Januar 2013 eine Umsatzsteuer-Nachzahlung für das Jahr 2011 erfolgt, ausweislich des vorhandenen Belegs und dem Eintrag in der Summen- und Saldenliste in Höhe von 279,89 Euro. Auch dies ist zu berücksichtigen.

3. Nach allem ergibt sich folgende Rechnung:

Einkünfte 34.961,- Euro Ausgaben 25.144,- Wareneinkauf 5.919,- Raumkosten 534,- Versicherungen 845,- geringf. Beschäftigung 1.877,- sonst. Kosten 279,- USt Gewinn 363,-: 6 = 60,50 monatlich

Um Freibeträge (§ 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II: 100 Euro) bereinigt, ergeben sich keine monatlich anrechenbaren Einkünfte.

IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt aus dem Ausgang in der Hauptsache.

Die Revision ist mangels des Vorliegens der Voraussetzungen nicht nach § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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