L 7 SO 1832/18

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 13 SO 2377/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 1832/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Kann ein an Diabetes mellitus Typ I erkrankter Jugendlicher seine Erkrankung ohne Unterstützung Erwachsener beobachten und behandeln, liegt keine wesentliche körperliche Behinderung vor. Behandelt der Jugendliche seine Diabetes-Erkrankung nicht entsprechend dem Therapieplan, ist hierdurch auch nicht die Annahme gerechtfertigt, dass eine wesentliche körperliche Behinderung droht. Sind Leistungen allein wegen einer wesentlichen seelischen Behinderung zu erbringen, verbleibt es bei der Leistungspflicht des Trägers der Jugendhilfe.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15. März 2018 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.

Tatbestand:

Streitig ist im Berufungsverfahren noch die Erstattung von Kosten in Höhe von 59.667,04 Euro für Leistungen der Jugendhilfe, die der Kläger in der Zeit vom 16. April 2014 bis 31. Juli 2015 zugunsten der Hilfeempfängerin Y. R. erbracht hat.

Die Hilfeempfängerin wurde 1997 geboren. Im Sommer 2003 wurde bei ihr erstmals ein Diabetes mellitus Typ I diagnostiziert.

Nach der Scheidung der Eltern der Hilfeempfängerin wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht durch das Amtsgericht B. mit Beschluss vom 27. Oktober 2005 auf den Vater der Hilfeempfängerin übertragen. Zuletzt lebte die Hilfeempfängerin bei ihrem Vater in S. an der R. im Zuständigkeitsbereich des Klägers.

Die Eltern der Hilfeempfängerin beantragten beim Kläger erstmals im Januar 2013 die Gewährung von Jugendhilfe nach dem Achten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) in Form von Heimerziehung nach § 34 SGB VIII. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Hilfeempfängerin sei nicht in der Lage, im Alltag mit ihrem Diabetes verantwortungsvoll umzugehen, was in den vergangenen Monaten zu fast wöchentlichen Aufenthalten im Krankenhaus geführt habe. Sie könne bzw. wolle sich nicht in das Familienleben einfügen, was täglich zu Streitigkeiten führe, wobei die Hilfeempfängerin die Diabetes-Erkrankung gezielt als Druckmittel einsetze. Zu Hause könne die Situation mit dem Zucker und dem Benehmen nicht gemeistert werden.

Es wurde eine Unterbringung der Hilfeempfängerin im CJD (Christliches Jugenddorfwerk Deutschlands) B. geplant. Das CJD bietet Kindern und Jugendlichen mit chronischen Gesundheitsstörungen unter anderem die Möglichkeit einer medizinisch-schulischen oder medizinisch-beruflichen Rehabilitation, wobei diese Maßnahmen auch bei gleichzeitig bestehenden jugendpsychiatrischen Indikationen möglich sind. Insbesondere junge Menschen mit Diabetes mellitus Typ I sollen dort Hilfe durch eine langfristige medizinische, pädagogische und psychologische Betreuung erhalten. In der Betreuung von Diabetikern arbeitet das CJD sehr stark mit speziell entwickelten Projekten, durch die das Krankheitsmanagement und die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen gefördert werden (vgl. http://www.cjd-B ...de/krankheitsbilder/diabetes/, recherchiert am 30. Oktober 2019).

Der Kläger bewilligte ab 18. April 2013 Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII in Form der vollstationären Unterbringung im CJD B. und Übernahme der Unterbringungskosten (Bescheid vom 25. April 2013). Den Vater der Hilfebedürftigen zog der Kläger zu einem Kostenbeitrag heran.

Durch den Kinder- und Jugendarzt Dr. S. vom CJD B. wurde unter dem 5. November 2013 (Bl. 51 der Pflegschaftsakten) bescheinigt, dass es täglich zu Hyperglykämien bzw. Hypoglykämien sowie einem Auslassen der regelmäßigen Blutzuckermessungen, die ein Diabetesmanagement und die Diabetesbehandlung unmöglich machten, komme. Die Hilfeempfängerin widersetze sich den ärztlichen Anordnungen. Aufgrund ihres Verhaltens bestehe die Gefahr einer diabetischen Entgleisung sowohl im Sinne einer Hypoglykämie als auch im Sinne einer langdauernden Hyperglykämie. Grundlage für das massive Missmanagement und die damit einhergehende Gefährdung seien kinder- und jugendpsychiatrischen Diagnosen (kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, Bindungsstörung mit Enthemmung im Kindesalter).

Mit Beschluss vom 6. November 2013 entzog das Amtsgericht Laufen der gemeinsam mit dem Vater sorgeberechtigten Mutter vorläufig das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII für die Hilfeempfängerin, ordnete insoweit Ergänzungspflegschaft an und übertrug die entzogenen Rechte auf das Landratsamt B. Land.

Durch das CJD B. wurde der Ergänzungspflegerin am 10. März 2014 mitgeteilt, dass die Rehamaßnahme für die Hilfeempfängerin seitens der Einrichtung aufgrund mehrerer Eskalationen beendet werden müsse. Am 15. März 2014 wurde die Hilfeempfängerin aus dem CJD B. entlassen und zunächst von ihrer Großmutter in B. aufgenommen.

Der Kläger stellte daraufhin die Hilfe zur Erziehung in Form der vollstationären Unterbringung mit Ablauf des 15. März 2014 ein (Bescheid vom 20. März 2014).

Auf Antrag des Vaters der Hilfeempfängerin gewährte der Kläger ab 16. April 2014 Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 30 SGB VIII in Form der Kostenübernahme für den Einsatz eines Erziehungsbeistandes. Es erfolge eine Unterstützung durch eine Fachkraft des Humanistischen Regionalverbandes B. (Bescheid vom 22. April 2014).

Vom 17. Mai 2014 bis 19. Mai 2014 wurde die Hilfeempfängerin wegen einer Ketoazidose im städtischen Klinikum der Stadt B. behandelt.

Am 20. Mai 2014 wurde sie vom Kinder- und Jugendnotdienst der Beklagten in Obhut genommen. Am 10. Juli 2014 wechselte die Hilfeempfängerin in den Clearingbereich des Kinder- und Jugendnotdienstes (VHS-Bildungswerk GmbH), wo sie ab 15. August 2014 in die "Maßnahme der beruflichen Integration" aufgenommen wurde.

Das Amtsgericht B ... entzog mit Beschluss vom 1. August 2014 dem Kindesvater vorläufig das Aufenthaltsbestimmungsrecht, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Zuführung zu medizinischen Behandlungen und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen nach §§ 27 ff. SGB VIII für die Hilfeempfängerin, ordnete die Ergänzungspflegschaft an und übertrug die entzogenen Rechte auf den Ergänzungspfleger, das Landratsamt B. Land.

Der Kläger bewilligte auf Antrag der Ergänzungspflegerin für die Hilfeempfängerin ab 1. August 2014 Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII in Form der vollstationären Unterbringung im Kinder- und Jugendnotdienst in B. und Übernahme der Unterbringungskosten (Bescheid vom 14. August 2014).

Insbesondere aufgrund von Ketoazidosen wurde die Hilfeempfängerin wiederholt stationär in der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums behandelt, so vom 14. bis 15. August 2014, vom 3. bis 5. September 2014, vom 13. bis 15. September 2014, vom 22. bis 25. September 2014 und vom 6. bis 9. Oktober 2014 (Berichte vom 5. September 2014 [Bl. 835/836 der Pflegschaftsakten], 15. September 2014 [Bl. 837 der Pflegschaftsakten], 24. September 2014 [Bl. 838/840 der Pflegschaftsakten], 8. Oktober 2014 [Bl. 841/842 der Pflegschaftsakten] und 23. Oktober 2014 [Bl. 843/844 der Pflegschaftsakten]). Dabei wurde zuletzt eine wegen der auf eine Non-Compliance der Hilfeempfängerin zurückzuführenden diabetischen Entgleisungen maximale Gesundheitsgefährdung gesehen und ein längerer stationärer Aufenthalt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie für dringend notwendig erachtet. Darüber hinaus wurde die Hilfeempfängerin in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Fachklinikums B. vom 15. bis 22. August 2014 stationär behandelt, wo neben einem Typ-1-Diabetes mellitus eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen, eine Bindungsstörung im Kindesalter mit Enthemmung und ein Cannabinoide Abusus diagnostiziert wurden (Bericht vom 21. August 2014, Bl. 830/833 der Pflegschaftsakten).

Mit Beschluss des Amtsgerichts Laufen vom 8. Oktober 2014 wurde das Amt für Kinder, Jugend und Familien B. Land als Pfleger entlassen und das Jugendamt B ... zum neuen Pfleger bestellt und mit ergänzendem Beschluss vom 14. Oktober 2014 der Umfang des Wirkungskreises der Ergänzungspflegschaft auf die Rechte, die der Mutter mit Beschluss vom 6. November 2013 vorläufig entzogen worden waren, festgelegt.

Vom 2. bis 4. November 2014 wurde die Hilfeempfängerin erneut in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Fachklinikums B. stationär behandelt (Bericht vom 10. November 2014 [Bl. 810/812 der Pflegschaftsakten]).

Am 14. November 2014 wurde die Hilfeempfängerin aus dem Clearingbereich des Kinder- und Jugendnotdienstes in die Wohngruppe "R. gGmbH" entlassen, in die sie jedoch nicht einzog. Der Kläger gewährte hierfür ab 15. November 2014 Hilfe zur Erziehung in Form der vollstationären Unterbringung in der Einrichtung R. gGmbH in B. (Bescheid vom 28. November 2014).

Mit Beschluss des Amtsgerichts B ... vom 14. November 2014 wurde die vorläufige, mit Freiheitsentziehung verbundene Unterbringung der Hilfeempfängerin in einer geschlossenen Einrichtung der Kinder- und Jugendpsychiatrie genehmigt. Die Hilfebedürftige war daraufhin vom 14. November 2014 bis 18. Dezember 2014 in der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Fachklinikums B. untergebracht (Berichte vom 17. Dezember 2014 [Bl. 524/527 Pflegschaftsakten] und vom 23. Dezember 2014 [Bl. 818/821 der Pflegschaftsakten]).

Anschließend wurde sie in die Einrichtung H. gGmbH in B. aufgenommen. Nach deren Satzung vom 12. Dezember 2014 ist Zweck der Gesellschaft die Förderung von Jugend und des Schutzes von Ehe und Familie, Hilfen für seelisch, psychisch oder geistig behinderte und von Behinderung bedrohter Personen sowie die Hilfe für hilfsbedürftige Personen.

Vom 9. bis 11. Januar 2015, vom 24. Januar bis 3. Februar 2015, vom 22. bis 24. Februar 2015 und vom 11. bis 23. März 2015 wurde die Hilfeempfängerin erneut insbesondere aufgrund Ketoazidosen in der Kinder- und Jugendklinik des Klinikums W. behandelt (Berichte vom 17. April 2015 [Bl. 582/583 der Pflegschaftsakten], vom 24. Februar 2015 [Bl. 551/552 der Pflegschaftsakten], vom 13. März 2015 [Bl. 565/568 der Pflegschaftsakten]).

Mit Änderungsbescheid vom 5. März 2015 gewährte der Kläger der Hilfeempfängerin ab 1. Dezember 2014 Hilfe zur Erziehung in Form der vollstationären Unterbringung in der Einrichtung H. gGmbH in B ...

Ab 31. März 2015 wechselte die Hilfeempfängerin in ein betreutes Wohnen in der Einrichtung H ... Der Kläger bewilligte ab 31. März 2015 Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 SGB VIII in Form des betreuten Jugendwohnens in der Einrichtung H. in B. in Form der Kostenübernahme für den Lebensunterhalt, die Unterkunft und die Betreuung (Bescheid vom 15. Mai 2015).

Es fanden weitere stationäre Aufenthalte aufgrund der Diabetes-Erkrankung in der Kinder- und Jugendklinik vom 27. bis 30. April 2015, vom 8. bis 11. Mai 2015 und vom 2. bis 4. Juni 2015 statt (Bericht [Datum unbekannt, Bl. 656, 568 der Pflegschaftsakten], Berichte vom 11. Mai 2015 [Bl. 584 der Pflegschaftsakten], vom 4. Juni 2015 [Bl. 626/627 der Pflegschaftsakten]).

Ab Ende Juni 2015 hielt sich die Hilfeempfängerin bei ihrer Mutter in O. auf. Die vom Kläger gewährte Jugendhilfe wurde daraufhin zum 31. Juli 2015 eingestellt und die Bescheide vom 11. März 2015 und 14. August 2014 mit Wirkung ab 1. August 2015 aufgehoben (Bescheide vom 4. August 2015 und vom 26. August 2015).

Für die Zeit bei ihrer Mutter bewilligte der Kläger ab 16. September 2015 Hilfe zur Erziehung in Form der Kostenübernahme für den Einsatz eines sozialpädagogischen Familienhelfers und für die Zeit einer Unterbringung im Albert-Schweitzer-Kinderdorf in H vom 1. Oktober 2015 bis 5. November 2015 Hilfe zur Erziehung in Form der vollstationären Unterbringung. Mit Ablauf des 5. November 2015 stellte der Kläger die gewährte Hilfe zur Erziehung aufgrund der Volljährigkeit der Hilfeempfängerin ein.

Am 23. März 2016 verstarb die Hilfeempfängerin an multiplem Organversagen.

Bereits mit Schreiben vom 3. März 2015 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte geltend, es bestünden sowohl konkurrierende Ansprüche (§§ 27, 34 SGB VIII bzw. §§ 53, 75, 13 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB XII]) als auch gleichartige Leistungen (Heimunterbringung mit Versorgung, Betreuung und therapeutischen Inhalten plus Erziehungsbeistand), weshalb das SGB XII anzuwenden sei. Da sich die Hilfeempfängerin zuletzt in der Einrichtung der Beklagten aufgehalten habe, sei nach § 98 Abs. 2 Satz 1 SGB XII der Fachbereich Eingliederungshilfe der Stadt B. örtlich zuständig. Es werde daher gebeten, die örtliche Zuständigkeit ab 16. April 2014 anzuerkennen und den Vorgang in die eigene Bearbeitung zu übernehmen.

Auf den Einwand der Beklagten mit Schreiben vom 11. März 2015, dass Ansprüche nach §§ 53 ff. SGB XII das Vorliegen einer geistigen oder körperlichen Behinderung voraussetzten, verwies der Kläger mit Schreiben vom 20. Mai 2015 auf das Vorliegen einer körperlichen Behinderung aufgrund der Diagnose Diabetes mellitus Typ I, die sich zunehmend manifestiere und verschlimmere, da die Hilfeempfängerin nicht in der Lage sei, angemessen damit umzugehen. Die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft sei dadurch schwer eingeschränkt.

Weil die Beklagte nach weiterem Schriftwechsel ihre Zuständigkeit weiterhin ablehnte, hat der Kläger am 4. August 2017 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben und eine Verurteilung der Beklagten zur Erstattung von Kosten für die erbrachten Inobhutnahmen und Hilfen zur Erziehung für die Zeit vom 16. April 2014 bis 5. November 2015 nebst angemessener Verzinsung begehrt. Die sachliche Zuständigkeit habe bei der Eingliederungshilfe der Beklagten gelegen, da aufgrund des Diabetes mellitus Typ I in Kombination mit der mangelnden Einsicht des jungen Menschen auch eine zumindest drohende körperliche Behinderung vorgelegen habe und daher auch ein Anspruch nach § 53 SGB XII gegeben gewesen sei. Die durch die Jugendhilfe erbrachten ambulanten und vollstationären Leistungen hätten das Ziel gehabt, die Hilfeempfängerin für ihre Krankheit zu sensibilisieren und für sie so lange Lebensunterhalt, Unterkunft und Betreuung sicherzustellen. Aus dem Hilfeverlauf habe sich für das Jugendamt ergeben, dass eine rein ambulante Verlaufskontrolle mit gegebenenfalls Einnahmekontrolle ohne den gesetzten engeren Betreuungsrahmen nicht zielführend gewesen sei. Die Teilhabebeeinträchtigung habe durch die andauernde Selbstgefährdung und die letzten Endes auch nicht zu vermittelnde Einsicht in die ernsthafte Kontrolle der gesundheitlichen Werte bestanden. Dementsprechende Hilfeformen wären auch im Rahmen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII möglich gewesen. Eine wesentliche Behinderung sei nicht notwendig. Nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII bedeute dies den Nachrang der Jugendhilfe, weshalb Kostenerstattung nach § 104 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) geltend gemacht werde. Die Hilfeempfängerin habe sich zum 16. April 2014 im Stadtgebiet der Beklagten bei ihrer Großmutter aufgehalten. Die Ausschlussfrist des § 111 SGB X greife nicht, da der Beklagten die Lage durch "KE-Antrag" am 3. März 2015 bekannt gewesen sei. Durch die unterlassene Kostenerstattung habe der Kläger finanzielle Nachteile. In der Zeit vom 16. April 2014 bis 5. November 2015 seien rund 71.000 Euro Kosten durch Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII bzw. Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII (Heimunterbringung) entstanden. Zuletzt hat der Kläger den Nettoaufwand für den Zeitraum vom 16. April 2014 bis 5. November 2015 auf 68.892,44 Euro beziffert und entsprechende Erstattung begehrt.

Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat geltend gemacht, ein nach § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X erforderliches Konkurrenzverhältnis sei nicht gegeben. Ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII habe der Hilfeempfängerin im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zur Seite gestanden. Die Hilfeempfängerin sei zwar seit ihrem 5. Lebensjahr an Diabetes mellitus I erkrankt, was auch eine Insulingabe erforderlich gemacht habe. Es könne jedoch unter keinen Umständen angenommen werden, dass bei der Hilfeempfängerin eine wesentliche Beeinträchtigung der Teilhabefähigkeit im Sinne von § 53 SGB XII bestanden habe, für die als Ursache das Krankheitsbild Diabetes mellitus Typ I in Betracht komme. Denn die Einhaltung der erforderlichen Behandlungspflege hätte der Hilfeempfängerin im Hinblick auf ihre Erkrankung ein weitestgehend normales Leben ermöglicht. Dass die Hilfeempfängerin auch gewusst habe, wie sie mit ihrer Erkrankung verantwortungsbewusst umzugehen habe, könne dem Verwaltungsvorgang des Klägers entnommen werden. Das Problem habe allein in der fehlenden Befolgung ärztlicher Verordnungen bestanden. Soweit hier Bedarfe im Zusammenhang mit dem Diabetesmanagement (Krankenbeobachtung) erforderlich gewesen seien, wären diese nach entsprechender ärztlicher Verordnung dem Bereich der Behandlungssicherungspflege zulasten der gesetzlichen Krankenkasse zuzuordnen gewesen. Dementsprechend sei es bei den durch den Kläger bewilligten Jugendhilfemaßnahmen auch nicht um Maßnahmen im Sinne von § 54 Abs. 1 SGB XII gegangen. Vielmehr seien diese auf die Deckung des erzieherischen Bedarfs der Hilfeempfängerin gerichtet gewesen, weil eine angemessene Versorgung und Erziehung der Hilfeempfängerin in der Familie nicht gewährleistet gewesen sei. Die örtliche Zuständigkeit des Klägers für die von ihm erbrachten Leistungen der Jugendhilfe folge demnach aus § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. Ergänzend beruft sich die Beklagte darauf, dass auch bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung von Eingliederungshilfe mangels örtlicher Zuständigkeit keine Kostenerstattungspflicht der Beklagten bestünde. Maßgebend für die örtliche Zuständigkeit des Klägers sei der gewöhnliche Aufenthalt der Hilfeempfängerin im Zeitpunkt der Aufnahme in das CJD B ... Ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt sei nicht begründet worden. Eine Unterbrechung der "Einrichtungskette" könne frühestens im Zusammenhang mit dem Aufenthalt der Hilfeempfängerin in O. bei ihrer Mutter ab Juni 2015 gesehen werden, auf den aber ab 28. September 2015 weitere stationäre Aufenthalte in H. gefolgt seien.

Mit Urteil vom 15. März 2018 hat das SG die Beklagte verurteilt, dem Kläger 59.667,04 Euro zu erstatten. Im Übrigen hat das SG die Klage abgewiesen. Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit sei eröffnet, da allein § 104 Abs. 1 SGB X als Anspruchsgrundlage in Betracht komme, so dass gemäß § 114 Satz 2 SGB X für den Rechtsweg der Anspruch gegen den erstattungspflichtigen Leistungsträger – hier also gegen den Träger der Sozialhilfe – maßgebend sei. Als Erstattungsstreit zwischen einander im Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehenden juristischen Person des öffentlichen Rechts sei die Klage als allgemeine Leistungsklage statthaft und zulässig. Die Klage sei auch für die Zeit bis 31. Juli 2015 begründet. Die Voraussetzungen des § 104 Abs. 1 SGB X lägen vor. Die Leistungspflicht des Klägers als zuständigem örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe folge aus §§ 86 Abs. 2, 27, 34 SGB VIII. Die gleichzeitige Leistungspflicht der Beklagten für sozialhilferechtliche Eingliederungshilfe an die Hilfeempfängerin folge aus §§ 53, 54 SGB XII i.V.m. § 55 SGB IX. Die Unterstützung der Hilfeempfängerin durch Pädagogen und Ärzte, um ihr Verhalten zu ändern, berühre den pädagogischen Kernbereich grundsätzlich nicht, da sie keine pädagogischen Aufgaben übernähmen. Schon seit dem Jahr 2013 habe bei der Hilfeempfängerin eine jedenfalls drohende körperliche Behinderung vorgelegen. Bei der Hilfeempfängerin seien aufgrund ihrer schlechten Mitarbeit schon vor dem Jahr 2014 immer wieder Krankenhausaufenthalte wegen Ketoazidosen erforderlich gewesen, insbesondere mehrfach akut im Jahr 2013 in der Kinderklinik M ... In den Arztberichten, die aus späterer Zeit vorlägen, verwiesen die Ärzte darauf, dass die Hilfeempfängerin mit Glück noch ohne bleibende Folgeschäden geblieben sei. Dies zeige, dass bei dem Verhalten der Hilfeempfängerin jederzeit solch bleibende Schäden gedroht hätten. Die Ketoazidosen hätten jeweils lebensbedrohliche Situationen dargestellt, und dazu geführt, dass sie auf Dauer in ihrer Teilhabe beeinträchtigt gewesen sei. Die Hilfeempfängerin sei zu keinem Zeitpunkt so stabil gewesen, um verantwortungsvoll mit ihrer Erkrankung umzugehen. Gerade die körperliche Komponente mit potentiell permanenter Gefährdung von Leib und Leben resultiere aus der körperlichen Behinderung der Hilfeempfängerin. Ohne weitere Hilfe sei es der Hilfeempfängerin nicht möglich gewesen, einen geregelten Schulbesuch sicherzustellen, weshalb sie auch in dieser Hinsicht in ihrer Teilhabe wesentlich beeinträchtigt gewesen sei. Die durch ihre Behinderung hervorgerufenen Beeinträchtigungen hätten den erfolgreichen Besuch des Unterrichts an der Regelschule ohne Unterstützung nicht mehr zugelassen. Im Konkurrenzverhältnis der jeweiligen Ansprüche nach dem SGB VIII bzw. dem SGB XII sei die Leistungspflicht des Klägers als Jugendhilfeträger im Verhältnis zur sozialhilferechtlichen Hilfepflicht der Beklagten nachrangig, so dass sich der nach § 104 Abs. 1, 3 SGB X bestehende Erstattungsanspruch gegen die Beklagte richte. Diese sei zunächst ab 16. April 2014 der (sachlich und) nach § 98 SGB XII örtlich zuständige Träger der Sozialhilfe gewesen. Selbst wenn die Hilfeempfängerin die Absicht gehabt habe, den Aufenthalt nicht dauerhaft bei der Großmutter zu begründen, sei dieser jedenfalls zukunftsoffen bis auf weiteres erfolgt. Da erneut ein zukunftsoffener Verbleib bei der Mutter erfolgt sei, der in O. einen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe, sei die Beklagte nur für den Zeitraum vom 16. April 2014 bis 31. Juli 2015 örtlich zuständige Trägerin.

Gegen das ihr am 26. April 2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 22. Mai 2018 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Ein Vorrang-Nachrang-Verhältnis im Sinne des § 104 Absatz 1 Satz 1 SGB X ergebe sich nicht aus der Konkurrenzregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII. Mit Blick auf die Erkrankung der Hilfeempfängerin – Diabetes mellitus Typ I – komme vorliegend nur eine körperlich wesentliche Behinderung gemäß § 1 Satz 2 Nr. 3 Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglHV) in Betracht. Eine körperlich wesentliche Behinderung im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII bei der Hilfeempfängerin sei danach nicht ersichtlich. Vielmehr könne davon ausgegangen werden, dass die Hilfeempfängerin bei Einhaltung der erforderlichen Sicherungspflege nicht wesentlich anders gelebt hätte als andere Jugendliche in ihrem Alter. Die Hilfeempfängerin habe gewusst, wie sie mit der Krankheit umzugehen habe. Für eine schwere Diabetes-Erkrankung sei hingegen nichts ersichtlich. Für einen gut eingestellten oder gut einstellbaren Diabetes mellitus Typ I lasse sich das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung im Sinne des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII nicht grundsätzlich bejahen. Eine drohende wesentliche Behinderung sei ebenso nicht erkennbar, da es sich bei einer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ I nicht um eine regelmäßig progrediente Erkrankung handele, die eine Verschlechterung von Beeinträchtigungen als wahrscheinlich erwarten ließe. Das Problem der Hilfeempfängerin habe allein in der fehlenden Akzeptanz ihrer Erkrankung verbunden mit einem selbstverletzenden Verhalten gelegen. Die gewährten Maßnahmen der Jugendhilfe seien zur Bewältigung der seelischen Erkrankung nicht geeignet gewesen. Weil eine regelmäßige Kontrolle der Diabetes-Behandlung in den jeweiligen Einrichtungen ebenso nicht realisierbar gewesen sei, sei es immer wieder zu Entgleisungen mit nachfolgenden Klinikaufenthalten gekommen. Die Bedarfe im Zusammenhang mit der auf dem selbstverletzenden Verhalten beruhenden fehlenden Compliance seien im Anschluss an einen erneuten Klinikaufenthalt im Juni 2015 nach entsprechender ärztlicher Verordnung schließlich durch die Krankenhauspflege realisiert worden, deren Leistungen dem Bereich der Behandlungssicherungspflege zulasten der gesetzlichen Krankenkasse zuzuordnen seien. Mit Blick auf die seelische oder psychische Gesundheitsbeeinträchtigung der Hilfeempfängerin könne zwar angenommen werden, dass für den streitigen Zeitraum neben dem Anspruch auf Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII auch ein Anspruch auf Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder nach § 35a SGB VIII und nach §§ 53 ff. SGB XII bestanden habe. Insoweit gehe die Verpflichtung des Klägers zur Leistung von Jugendhilfe jedoch gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII vor. Selbst wenn in dem Diabetes mellitus Typ I auch eine drohende wesentliche körperliche Behinderung im Sinne von § 53 Absatz 1 Satz 1 SGB XII, § 1 Nr. 3 EinglHV zu sehen sei, habe dies nicht den Vorrang der Leistungen der Eingliederungshilfe vor der Jugendhilfe zur Folge. Die Leistungen der Jugendhilfe und der Sozialhilfe seien nicht gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich. Die in Rede stehenden Leistungen der Jugendhilfe (Erziehungsbeistand, Inobhutnahme, Heimerziehung bzw. sonstige betreute Wohnform) bezögen sich nicht auf eine drohende wesentliche körperliche Behinderung, sondern auf die erzieherischen Bedarfe und gegebenenfalls auf die seelische Gesundheitsbeeinträchtigung der Hilfeempfängerin. Die Hilfeempfängerin hätte zweifellos der Betreuung ihrer Eltern anvertraut werden können, wenn eine intakte Familie vorhanden gewesen wäre. Die Unterbringung und Betreuung der Hilfeempfängerin außerhalb der eigenen Familie sei auch unter diesem Gesichtspunkt ausschließlich der Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII zuzuordnen. Selbst wenn man das Vorliegen einer wesentlichen Behinderung in der Person der Hilfeempfängerin annehmen würde, sei ursächlich für die dauerhafte Unterbringung der Hilfeempfängerin außerhalb der Familie nicht die Erkrankung der Hilfeempfängerin an Diabetes mellitus Typ I, sondern bestehende Erziehungs- und Betreuungsdefizite der Eltern. Vom Leistungsumfang der Eingliederungshilfe grundsätzlich nicht umfasst seien Maßnahmen der medizinischen Behandlungspflege, die in den Bereich der Krankenversicherung fielen. Aufgrund der fehlenden Compliance hätte die Jugendliche zur Diabetesbehandlung angeleitet werden müssen. Eine solche Krankenpflegeleistung stelle aber keine Kleinigkeit dar und sei daher durch eine Pflegefachkraft abzusichern, die auch von den Einrichtungsträgern der Eingliederungshilfe nicht vorzuhalten seien. Es handele sich vielmehr um eine Leistung der gesetzlichen Krankenkassen, die im Juni 2015 auf Anregung der Amtsvormünderin nach entsprechender ärztlicher Verordnung durch die Hauskrankenpflege realisiert worden sei. Schließlich habe die Hilfeempfängerin ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt vor der Aufnahme in die Einrichtung des Kinder- und Jugendnotdienstes der Stadt B ... im Mai 2014 nicht im Zuständigkeitsbereich der Beklagten gehabt. Die Unterbringung bei ihrer Großmutter sei nur vorübergehend gewesen. Sie habe einzig zur Überbrückung des Zeitraums bis zum Beginn der erforderlichen stationären Maßnahme gedient.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 15. März 2018 abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger hält zur Begründung an seinem Klagevorbringen fest. Die Erstattungsvoraussetzungen des § 104 Absatz 1 Satz 1 SGB X lägen vor. Aus den vorliegenden Hilfeplänen und Berichten ergebe sich unzweifelhaft, dass auch Betreuer und Ärzte zu dem Schluss gelangt seien, dass jeweils akute gesundheitliche Gefährdungen für die Hilfeempfängerin aufgrund des Krankheitsbildes Diabetes mellitus Typ I bestanden hätten. Der Kläger habe diejenigen Maßnahmen ergriffen, die er im Rahmen des Hilfeverlaufs als geeignet und notwendig angesehen habe, möglichst ohne dabei die Hilfeempfängerin zu überfrachten. Reine ambulante Verlaufskontrollen mit gegebenenfalls Einnahmekontrollen ohne den gesetzten engeren Betreuungsrahmen seien damals als nicht ausreichend angesehen worden. Im Rahmen von dann stationären Hilfen hätten entsprechend den gesetzlichen Vorgaben auch Lebensunterhalt, Unterkunft und Betreuung sichergestellt werden müssen. Dass in der Retrospektive eine Maßnahme kritisch bewertet werde und Anpassungen vorgenommen werden müssten, liege in der Natur der Sache. Unabhängig davon, welche konkrete Maßnahme die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII in der jeweiligen Maßnahme nach Abwägung für eher angemessen halte, seien einander vergleichbare Leistungen nach dem SGB VIII und dem SGB XII, insbesondere nach § 53 SGB XII, vorhanden.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die beigezogenen Akten des Klägers sowie die Pflegschaftsakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist sie gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegt worden. Die Berufung bedurfte auch nicht der Zulassung, da der gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG maßgebliche Beschwerdewert bei Erstattungsstreitigkeiten in Höhe von 10.000,00 Euro überschritten ist. Im Streit steht noch eine Erstattungsforderung in Höhe von 59.667,04 Euro.

II. Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klage ist auch hinsichtlich des im Berufungsverfahren nur noch streitigen Erstattungsbetrages i.H.v. 59.667,04 Euro für die in der Zeit vom 16. April 2014 bis 31. Juli 2015 vom Kläger erbrachten Jugendhilfeleistungen unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung für von ihm erbrachte Leistungen der Jugendhilfe.

1. Die Klage ist zulässig. Richtige Klageart ist die allgemeine Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 5 SGG ohne vorherige Durchführung eines Vorverfahrens, weil aufgrund des zwischen den Beteiligten bestehenden Gleichordnungsverhältnisses ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Der Kläger hat den Zahlungsanspruch auch konkret beziffert.

2. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der ihm durch die Leistungen der Jugendhilfe in Form von Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII und Hilfen zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII (Erziehungsbeistand und Heimunterbringung/sonstige betreute Wohnform) für den Zeitraum vom 16. April 2014 bis 31. Juli 2015 entstandenen Kosten in Höhe von 59.667,04 Euro.

Als Anspruchsgrundlage für das Erstattungsbegehren des Klägers kommt einzig § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X in Betracht. Andere spezialgesetzliche Vorschriften wie auch die weiteren allgemeinen Erstattungsansprüche nach den §§ 102 ff. SGB X sind von vornherein nicht einschlägig.

Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, grundsätzlich der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte. Ein Erstattungsanspruch besteht nach § 104 Abs. 1 SGB X also dann, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass - wie hier - die Voraussetzungen des § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen. Erstattungspflichtig ist dann der Leistungsträger, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit dieser Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Kenntnis erlangt hat (Satz 1). Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre (Satz 2). Voraussetzung eines Erstattungsanspruchs auf dieser Grundlage ist also das Bestehen miteinander konkurrierender, auf dieselbe Leistung gerichteter Leistungsverpflichtungen zweier unterschiedlicher Sozialleistungsträger (BVerwG, Urteil vom 02. März 2006 – 5 C 15/05BVerwGE 125, 95-100 Rdnr. 7). Zwischen den Leistungen, die tatsächlich erbracht worden sind, und den Leistungen, welche der vorrangig verpflichtete Sozialleistungsträger schuldet, muss dabei Gleichartigkeit bestehen. Das ist dann der Fall, wenn die Leistungen demselben Zweck dienen, soll doch die Vorschrift die Erbringung zweckidentischer Leistungen vermeiden (Pattar in Schlegel/Voelzke, jurisPK SGB X, 2. Auflage 2017, § 104 Rdnr. 30).

a) Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs nicht erfüllt. Es fehlt bereits an einer vorrangigen Leistungspflicht der Beklagten neben einer Leistungspflicht des Klägers.

aa) Der Kläger war für den Hilfefall der Hilfeempfängerin der sachlich und örtlich zuständige Träger der (erbrachten) Leistungen der öffentlichen Jugendhilfe.

Die sachliche Zuständigkeit des Klägers ergibt sich grundsätzlich aus § 85 Abs. 1 SGB VIII. Für die Gewährung von Leistungen und die Erfüllung anderer Aufgaben nach dem SGB VIII ist danach der örtliche Träger sachlich zuständig, soweit nicht der überörtliche Träger sachlich zuständig ist. Sind die in Abs. 2 der Vorschrift geregelten Zuständigkeiten des überörtlichen Trägers vorliegend nicht einschlägig, folgt die Bestimmung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe aus § 1 Abs. 1 Kinder- und Jugendhilfegesetz für Baden-Württemberg (LKJHG). Danach ist der Kläger als Landkreis örtlicher Träger der öffentlichen Jugendhilfe.

Die örtliche Zuständigkeit des Klägers folgt aus § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII. Nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII ist der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich im Fall verschiedener gewöhnlicher Aufenthalte der Elternteile der personensorgeberechtigte Elternteil seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, was auch dann gilt, wenn ihm einzelne Angelegenheiten der Personensorge entzogen sind. Haben die Eltern verschiedene gewöhnliche Aufenthalte und steht ihnen die Personensorge gemeinsam zu, so richtet sich gemäß Satz 2 der Vorschrift die Zuständigkeit nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Elternteils, bei dem das Kind oder der Jugendliche vor Beginn der Leistung zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Bevor der Hilfeempfängerin vom Kläger ab 18. April 2013 Hilfe zur Erziehung in Form der vollstationären Unterbringung im CJD gewährt wurde, hatte sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt bei ihrem Vater in S. an der R. und damit im Zuständigkeitsbereich des Klägers. Die örtliche Zuständigkeit des Klägers ist auch nach Beendigung des Aufenthalts im CJD für sämtliche, jedenfalls bis 31. Juli 2015 vom Kläger erbrachten Jugendhilfeleistungen erhalten geblieben. Maßgeblich ist nach § 86 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII der gewöhnliche Aufenthalt vor Beginn der Leistung. Zum Verständnis des Begriffs der "Leistung" hat das BVerwG den sogenannten zuständigkeitsrechtlichen Leistungsbegriff entwickelt. Danach sind alle zur Deckung eines qualitativ unveränderten, kontinuierliche Hilfe gebietenden jugendhilferechtlichen Bedarfs erforderlichen Maßnahmen und Hilfen eine einheitliche Leistung, zumal wenn sie im Einzelfall nahtlos aneinander anschließen, also ohne beachtliche (vgl. § 86a Abs. 4 Satz 2 und 3 SGB VIII) zeitliche Unterbrechung gewährt werden. Dies gilt auch dann, wenn bei dem vielfach auf einen längeren Zeitraum angelegten Hilfeprozess sich die Schwerpunkte innerhalb des Hilfebedarfes verschieben und für die Ausgestaltung der Hilfe Modifikationen, Änderungen oder Ergänzungen bis hin zu einem Wechsel der Hilfeart erforderlich werden, die Hilfegewährung im Verlauf des ununterbrochenen Hilfeprozesses also einer anderen Nummer des § 2 Abs. 2 SGB VIII zuzuordnen oder innerhalb des SGB VIII nach einer anderen Rechtsgrundlage zu gewähren ist (BVerwG, Urteil vom 9. Dezember 2010 – 5 C 17/09 – juris Rdnr. 15). Als unbeachtlich ist entsprechend § 86a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII eine Unterbrechung von bis zu drei Monaten zu bewerten. Die Hilfeempfängerin hat von dem Kläger ab 18. April 2013 bis 31. Juli 2015 ohne beachtliche Unterbrechung von mehr als drei Monaten Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII erhalten, so dass die örtliche Zuständigkeit des Klägers für die Jugendhilfeleistungen im genannten Zeitraum nicht entfallen ist.

bb) Ein gegen die Beklagte bestehender Leistungsanspruch der Hilfeempfängerin war nicht vorrangig.

Zwar hatte die Hilfeempfängerin grundsätzlich zugleich einen Anspruch auf Erbringung von Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII.

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach der Besonderheit des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX in der bis 31. Dezember 2017 gültigen Fassung vom 19. Juni 2001 sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Von einer Behinderung bedroht sind nach § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB XII Personen, bei denen der Eintritt der Behinderung nach fachlicher Erkenntnis mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Nach Satz 2 gilt dies für Personen, für die vorbeugende Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit nach den §§ 47 und 48 erforderlich ist, nur, wenn auch bei Durchführung dieser Leistungen eine Behinderung einzutreten droht. Der Anspruch besteht dann auf die in § 54 SGB XII i.V.m. den dort in Bezug genommenen Vorschriften des SGB IX beschriebenen Leistungen.

Der Personenkreis der behinderten Menschen wird in §§ 1-3 EinglHV konkretisiert. Bei der Hilfeempfängerin lag eine körperlich wesentliche Behinderung nach § 1 EinglHV nicht vor. Die dort aufgeführten körperlichen Gebrechen lagen bei der Hilfeempfängerin nicht vor, insbesondere war sie weder in ihrer Bewegungsfähigkeit durch eine Beeinträchtigung des Stütz- oder Bewegungssystems in erheblichem Umfang eingeschränkt (§ 1 Nr. 1 EinglHV), noch war ihr körperliches Leistungsvermögen infolge Erkrankung, Schädigung oder Fehlfunktion eines inneren Organs oder der Haut in erheblichem Umfang eingeschränkt (§ 1 Nr. 3 EinglHV). Zwar kann eine Diabetes mellitus Typ I-Erkrankung als eine Fehlfunktion eines inneren Organs angesehen werden. Ein in erheblichem Umfang eingeschränktes körperliches Leistungsvermögen der Hilfeempfängerin lag jedoch nicht vor. Denn anders als Kleinkinder, die ohne Unterstützung Erwachsener ihre Diabeteserkrankung nicht beobachten und behandeln können (vgl. Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2017 – L 7 SO 3798/17 ER-B – juris Rdnr. 12), war die Hilfeempfängerin hierzu grundsätzlich in der Lage. Unbeachtlich ist, dass die Hilfeempfängerin im Zustand der wiederholt aufgetretenen Ketoazidosen in ihrer körperlichen Leistungsfähigkeit eingeschränkt gewesen ist. Denn dabei handelte es sich um akute Krankheitszustände, die keine länger als sechs Monate anhaltende körperliche Funktionseinschränkung und damit keine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX darstellten. Den vorliegenden medizinischen Berichten sind Hinweise für eine unabhängig von den Ketoazidosen bestehende dauerhafte Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit nicht zu entnehmen. Insbesondere bestand nach dem Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Fachklinikums B. vom 21. August 2014 in somatischer Hinsicht ein stabiler Allgemeinzustand und regelrechter Ernährungszustand. Die Herztöne waren rein, rhythmisch, normofrequent. Es bestanden keine Luftnot, keine Rasselgeräusche und auch keine Ödeme. Neurologisch wurde eine eutrophe Muskulatur und normaler Muskeltonus, keine Hinweise auf latente oder manifeste Paresen, eine seitengleiche Sensibilität sowie ein unauffälliger Stand und Gang beschrieben. Nach dem Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin vom 5. September 2014 war die Hilfeempfängerin bei Entlassung in stabilem Allgemeinzustand und zeigte sich unbeeinträchtigt. Auch in den darüber hinaus vorliegenden Berichten sind keine Befunde, die Anhaltspunkte für das Vorliegen einer eingeschränkten körperlichen Leistungsfähigkeit bieten würden, beschrieben. Soweit die Hilfeempfängerin im Rahmen des stationären Aufenthalts vom 27. bis 30. April 2015 in der Kinder- und Jugendklinik über schnelle Ermüdung und einen "Leistungsknick" geklagt hat, bietet auch dies keinen Hinweis für eine anhaltende Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit. Denn es bestand eine Gastritis, nach deren medikamentöser Behandlung die Beschwerden deutlich abnahmen. Als Erklärung für die Schwäche wurde eine latente EBV-Infektion gesehen. Liegt danach schon eine körperliche Behinderung im Sinne von § 1 EinglHV nicht vor, kann dahinstehen, ob für die in § 1 Nr. 1 bis 6 EinglHV genannten Personen eine unwiderlegbare Vermutung zugunsten einer wesentlichen Behinderung besteht, die Wesentlichkeit also nicht gesondert zu prüfen ist (so Bieback in Grube/Wahrendorf/Bieback, 6. Aufl. 2018, SGB XII § 53 Rdnr. 41, a.A. Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 53 SGB XII Rdnr. 25).

Der Senat kann entgegen der Auffassung des SG auch nicht feststellen, dass die Hilfeempfängerin von einer körperlich wesentlichen Behinderung (§ 53 Abs. 2 SGB XII) bedroht gewesen wäre. Allein aufgrund der Erkrankung der Hilfeempfängerin an Diabetes mellitus Typ I ist eine drohende wesentliche Behinderung nicht erkennbar, da es sich bei einer Erkrankung an Diabetes mellitus Typ I nicht um eine regelmäßig progrediente Erkrankung handelt, die eine Verschlechterung von Beeinträchtigungen als wahrscheinlich erwarten lässt (LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 24. April 2017 – L 8 SO 50/16 B ER – juris Rdnr. 49). Der Diabetes mellitus Typ I der Hilfeempfängerin war gut einstellbar, was der Senat den vorliegenden medizinischen Berichten entnimmt. Insbesondere zeigte sich nach dem Bericht der Kinder- und Jugendklinik vom 11. Mai 2015 nach Infusionstherapie aufgrund beginnender ketoazidotischer Entgleisung ein rascher Rückgang der Azidose mit Normalisierung von pH und Basenüberschuss. Bei Fortsetzung des vorhandenen Subkutanschemas bewegten sich die Blutzuckerwerte rasch im normoglykämischen Bereich. Auch nach dem Bericht vom 15. September 2014 wurde der Insulinplan nach Normalisierung des Säure-Basen-Status unverändert fortgeführt, worunter es zu einer Normalisierung der Blutzuckerwerte ohne Auftreten von Hypoglykämien kam. Im Bericht vom 8. Oktober 2014 wurde ausgeführt, dass sich in den vergangenen Aufenthalten mehrfach bestätigt habe, dass das aktuelle s.c.-Insulin-Schema bei korrekter Anwendung zu adäquaten Blutzuckerwerten führe, was die Bewertung des Senats zusätzlich stützt. Nach dem Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 21. August 2014 wurde zudem ein gutes Verständnis der Hilfeempfängerin für ihre Grunderkrankung und die Fähigkeit, ihre Insulintherapie korrekt zu applizieren, gesehen. Nach alledem kann nicht davon ausgegangen werden, dass bei Befolgung der verordneten Therapie mit hoher Wahrscheinlichkeit eine körperliche Behinderung zu erwarten gewesen wäre. Die immer wieder aufgetretenen Ketoazidosen waren ausweislich der Arztberichte jeweils durch die mangelnde Therapiecompliance bedingt und wurden als Selbstverletzung im Rahmen der emotional-instabilen Persönlichkeitsakzentuierung gesehen (Bericht des Asklepios Fachklinikums B. vom 10. November 2014). Vom die Gewährung von Eingliederungshilfe rechtfertigenden Drohen einer körperlich wesentlichen Behinderung kann jedoch nicht ausgegangen werden, wenn diese voraussichtlich durch ein Verhalten des Anspruchstellers mit entsprechenden medizinischen Auswirkungen herbeigeführt werden wird. Insoweit kann schon von einer hohen Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Behinderung keine Rede sein, da – bei Anwendung der erforderlichen medizinischen Therapie – mit ebenso hoher Wahrscheinlichkeit der Eintritt einer körperlichen Behinderung vermieden werden kann. Im Übrigen liegt der Zweck der Eingliederungshilfe nicht in der medizinischen Krankenbehandlung. Insofern stellt auch § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB XII klar, dass von einer drohenden Behinderung nur auszugehen ist, wenn auch bei Durchführung vorbeugender Gesundheitshilfe und Hilfe bei Krankheit eine Behinderung einzutreten droht. Im Übrigen könnte auch die Notwendigkeit von Eingliederungsleistungen nicht festgestellt werden, wenn der Eintritt einer körperlich wesentlichen Behinderung bereits durch einfache Krankenbehandlung vermieden werden kann. Sofern das Verhalten, welches geeignet ist, eine körperlich wesentliche Behinderung herbeizuführen, wie im Fall der Hilfeempfängerin im Rahmen einer psychischen Erkrankung auftritt, ist vielmehr zu prüfen, ob Leistungen der Eingliederungshilfe aufgrund des Vorliegens einer seelischen Behinderung in Betracht kommen.

Für das Vorliegen einer geistig wesentlichen Behinderung bei der Hilfeempfängerin, die nach § 2 EinglHV eine Schwäche der geistigen Kräfte voraussetzt, bestehen keine Anhaltspunkte.

Festzustellen ist allerdings das Vorliegen einer seelisch wesentlichen Behinderung. Nach § 3 EinglHV sind seelische Störungen, die eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit im Sinne des § 53 Absatz 1 Satz 1 SGB XII zur Folge haben können, unter anderem körperlich nicht begründbare Psychosen (Nr. 1) sowie Neurosen und Persönlichkeitsstörungen (Nr. 4). Bei der Hilfeempfängerin bestand nach dem Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Fachklinikums B. vom 21. August 2014 eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen sowie eine Bindungsstörung im Kindesalter mit Enthemmung. Es wurde eine Entwicklung einer emotional-instabilen Persönlichkeitsakzentuierung gesehen. Nach dem Bericht vom 17. Dezember 2014 wurde darüber hinaus ein ADHS diagnostiziert. Bereits durch den Kinder- und Jugendarzt Dr. S. wurden in der Bescheinigung vom 5. November 2013 eine kombinierte Störung des Sozialverhaltens und der Emotionen sowie eine Bindungsstörung mit Enthemmung im Kindesalter angegeben. Dass durch die bestehenden seelischen Störungen eine wesentliche Einschränkung der Teilhabefähigkeit bedingt war, zeigt sich schon daran, dass es während der stationären Maßnahmen aufgrund des Verhaltens der Hilfeempfängerin immer wieder zu Eskalationen gekommen ist, die beispielsweise zur Beendigung der Rehamaßnahme durch das CJD B. oder zur stationären Aufnahme in die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Fachklinikums B. zur Krisenintervention bei dissozialem aggressivem Verhalten gegenüber einer Betreuerin (Bericht vom 10. November 2014) geführt haben.

Aufgrund des Vorliegens einer wesentlichen seelischen Behinderung waren die Voraussetzungen für die Erbringung von Eingliederungshilfe nach § 53 Abs. 1 SGB XII gegeben. Insoweit war die Leistungspflicht der Beklagten jedoch nachrangig gegenüber der Leistungspflicht des Klägers. Das Verhältnis des Jugendhilferechts zum Sozialhilferecht wird in § 10 Abs. 4 SGB VIII bestimmt. Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gehen grundsätzlich Leistungen nach dem SGB VIII Leistungen nach dem SGB XII vor. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII sieht von diesem Grundsatz zwar eine Ausnahme vor. Danach gehen u.a. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII: wer noch nicht 27 Jahre alt ist), die körperlich oder geistig behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Leistungen nach dem SGB VIII vor. Eine körperliche oder geistige Behinderung konnte bei der Hilfeempfängerin jedoch, wie ausgeführt, nicht festgestellt werden. Für die bestehende seelische Behinderung bleibt es danach bei der Leistungspflicht des Klägers.

b) Selbst wenn das Vorliegen oder Drohen einer wesentlichen körperlichen Behinderung unterstellt wird, käme ein Erstattungsanspruch des Klägers nicht in Betracht. Der Nachrang der Leistungen der Jugendhilfe besteht nach § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII nur für Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII für junge Menschen, die körperlich (oder geistig, was hier nicht vorliegt) behindert oder von einer solchen Behinderung bedroht sind. Das Rangverhältnis zwischen Jugendhilfe und Sozialhilfe besteht dabei nur, soweit bei den Ansprüchen auf Jugendhilfe bzw. auf Sozialhilfe beide Leistungen gleich, gleichartig, einander entsprechend, kongruent, einander überschneidend oder deckungsgleich sind (BVerwG, Urteil vom 2. März 2006 – 5 C 15/05BVerwGE 125, 95-100 Rdnr. 8 und Urteil vom 23. September 1999 – 5 C 26/98BVerwGE 109, 325-330; ebenso BSG, Urteil vom 24. März 2009 – B 8 SO 29/07 RBSGE 103, 39-45 = SozR 4-2800 § 10 Nr. 1 Rdnr. 17; Luthe in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 2. Auflage 2018, § 10 Rdnr. 15).

Die von dem Kläger erbrachten Leistungen waren jedoch keine Leistungen, die aufgrund einer körperlichen Behinderung der Hilfeempfängerin erforderlich gewesen wären und der Eingliederung der Hilfeempfängerin gedient hätten, weshalb es an einer Vergleichbarkeit der von dem Kläger erbrachten Leistungen mit solchen nach dem SGB XII in Betracht kommenden Eingliederungsleistungen fehlt. Die vom Kläger als Träger der öffentlichen Jugendhilfe als geeignet und notwendig festgestellten und auch erbrachten Jugendhilfeleistungen in Form eines Erziehungsbeistandes nach § 30 SGB VIII, Inobhutnahmen nach § 42 SGB VIII sowie Heimerziehung bzw. sonstige betreute Wohnform nach § 34 SGB VIII stellen keine Leistungen dar, die nach dem SGB XII als Leistungen der Eingliederungshilfe für körperlich behinderte Menschen hätten erbracht werden können. Dies ergibt sich schon aus der Zielrichtung und Zweckbestimmung der erbrachten Jugendhilfeleistungen.

Zweckrichtung der Inobhutnahme (§ 42 SGB VIII) als zeitlich befristeter Krisenintervention durch das Jugendamt ist die sozialpädagogische Unterstützung durch intensive pädagogische Hilfestellung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen und die dazu erforderliche Befugnis, vorläufig Funktionen der elterlichen Sorge wahrzunehmen. Die gewährte Hilfe zur Erziehung in Form der Heimerziehung gemäß § 34 SGB VIII dient der Förderung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch die Verbindung von Alltagsleben mit pädagogischen und therapeutischen Angeboten mit den drei Zielen der Rückkehr in die Familie, der Vorbereitung der Erziehung in einer anderen Familie oder als auf längere Zeit angelegte Lebensform zur Vorbereitung auf ein selbständiges Leben. Sie ist eine die elterliche Erziehung ergänzende und unterstützende, diese notfalls auch ersetzende Hilfe, die nur bei erzieherischem Bedarf infolge einer erzieherischen Mangelsituation gegeben ist. Die Erziehungsbeistandschaft gemäß § 30 SGB VIII ist ein Beratungs- und Unterstützungsangebot u.a. für Jugendliche, das auf Verhaltensänderungen beim Jugendlichen einschließlich des Sozial- und Leistungsverhaltens in der Schule und die (Wieder )Herstellung tragfähiger Familienbeziehungen abzielt, indem diesem eine kontinuierliche Begleitperson zur Seite gestellt wird. Sie dient auch dazu, eine Fremdunterbringung zu vermeiden (zum Ganzen Bayerischer Verwaltungsgerichtshof [VGH], Urteil vom 29. März 2010 – 12 BV 08.942 – juris Rdnr. 40).

Zweck der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ist es hingegen, Personen, die durch eine Behinderung wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt sind, vor den Folgen ihrer Behinderung zu behüten oder diese jedenfalls zu mildern mit dem Ziel, den jungen Menschen in die Gesellschaft zu integrieren. Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII hätten demnach im Fall der Hilfeempfängerin bei Vorliegen der unterstellten körperlichen Behinderung aufgrund der Diabetes-Erkrankung darauf ausgerichtet sein müssen, die aufgrund der Erkrankung bestehende Beeinträchtigung der Teilhabe an der Gesellschaft zu verhindern, zu beseitigen oder zu mildern. Ein derartiger Zweck wird mit Jugendhilfeleistungen in Form eines Erziehungsbeistandes, Inobhutnahmen und Heimerziehung nach den Zielen dieser Leistungen, die auf Entwicklung und Verhaltensprobleme ausgerichtet sind, grundsätzlich nicht verfolgt.

Auch hat der Kläger die Leistungen nicht mit einer der Zweckrichtung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII entsprechenden Intention erbracht. Zwar war die festgehaltene Zielsetzung aller erfolgten Maßnahmen immer auch das Diabetesmanagement der Hilfeempfängerin. Insoweit wurde jeweils ein eigenverantwortlicher Umgang der Hilfeempfängerin mit der Erkrankung angestrebt (vgl. Erhebungsbögen Teil 1 Bl. 60, 72, Hilfeplan Bl. 127 VA). Die Maßnahmen zielten damit aber weder auf eine körperliche Behinderung der Hilfeempfängerin noch auf eine Eingliederung der Hilfeempfängerin, sondern auf deren Verhalten, welches durch erzieherische Maßnahmen beeinflusst werden sollte. Eine Überwachung der Diabeteserkrankung sowie Anleitung und Kontrolle der Diabetesbehandlung und Ermöglichung oder Verbesserung der Teilhabe an der Gesellschaft waren nicht Gegenstand und Ziel der Maßnahmen. Diese wären auch gar nicht erforderlich gewesen, weil der Diabetes gut einstellbar war und die Hilfeempfängerin insbesondere nach dem Bericht der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 21. August 2014 auch wusste, wie sie damit umzugehen hatte. Hilfemaßnahmen waren vielmehr erforderlich aufgrund der seelischen Erkrankung, welche maßgeblich für die Vernachlässigung der Diabetestherapie durch die Hilfeempfängerin war, was sich beispielsweise aus dem Bericht der Kinder- und Jugendpsychiatrie des Asklepios Klinikums B. vom 10. November 2014 wie auch schon aus dem Bericht des Dr. S. vom 5. November 2013 ergibt. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die entsprechenden Einrichtungen für derartige Maßnahmen geeignet gewesen wären. Ein Kinder- und Jugendnotdienst, der Kinder und Jugendliche in Notsituationen vorübergehend unterstützen soll, ist nicht für die Erbringung von Maßnahmen für die dauerhafte Eingliederung körperlich behinderter Menschen geeignet. Auf der Internetseite der Beklagten (https://www.stadt-B ...de/dienstleistungen/service/kinder-und-jugendnotdienst) heißt es: "Der Kinder- und Jugendnotdienst ist eine vorübergehende Unterbringung, damit sich junge Menschen nicht auf der Straße aufhalten müssen. Im Kinder- und Jugendnotdienst können junge Menschen ihre Sorgen und Nöte besprechen. Gemeinsam mit den Eltern oder anderen Personen, die für die jungen Menschen die Verantwortung tragen, werden dann Lösungen gesucht und beraten. Ein dauerhafter Aufenthalt im Kinder- und Jugendnotdienst ist nicht möglich." Auf der Internetseite des VHS-Bildungswerkes (https://bildungswerk.de/ueber-uns/standorte/B.-an-der-havel/kinder-und-jugendnotdienst/) heißt es zum Kinder- und Jugendnotdienst der Stadt B ...: "Zielsetzung ist die Gefahrenabwendung durch Schutz und Deeskalationsstrategien seitens des Kinder- und Jugendnotdienstes, die Unterstützung Minderjähriger und deren Sorgeberechtigten in Notsituationen, Definition praktikabler und realistischer Perspektiven sowie die Stabilisierung und Stützung des Minderjährigen durch Beratung und Begleitung. Der Kinder- und Jugendnotdienst der Stadt B. besteht aus dem Krisenbereich, in dem ein zeitweiliger Verbleib möglich ist und zwei Clearingbereichen, in denen die Kinder und Jugendlichen so lange verbleiben können, bis ihre weitere Perspektive geklärt ist." Dauerhafte Lösungen und eine Eingliederung insbesondere aufgrund körperlicher Behinderung beeinträchtigter Jugendlicher sind von der Zielsetzung nicht umfasst. Auch der Zweck der H. GmbH, bei der die Hilfeempfängerin im Rahmen der Heimerziehung untergebracht war, ist nach deren Gesellschaftsvertrag ausdrücklich nur die Erbringung von Hilfen für seelisch, psychisch oder geistig behinderte und von Behinderung bedrohter Personen. Auf der Internetseite des Humanistischen Regionalverbandes B./B. e.V (https://www.humreg.de/familien.html), deren Mitarbeiterin Dipl.-Psych. H. als Erziehungsbeistand eingesetzt war, ist ausgeführt: "Der Erziehungsbeistand bietet die Möglichkeit, Eltern und ihren heranwachsenden Kindern (ab 12 Jahren) aus Krisen herauszuhelfen. Ziel ist es, die Familie zu erhalten und das soziale Umfeld mit einzubeziehen. Inhalt dieser Hilfeform sind das Bearbeiten von Eltern-Kind-Problemen und Schwierigkeiten in der Schule, Unterstützung des Kindes / Jugendlichen beim aktiven Übernehmen von Verantwortung, der Veränderung von Verhaltensweisen und der Verselbständigung. Das Spektrum der (Arbeits-) Methoden umfasst Gespräche, Einzel- und Gruppenunternehmungen, freizeitpädagogische Aktivitäten und Familienarbeit." Auch diese Maßnahme zielte danach nicht auf die Erbringung von Leistungen wegen einer körperlichen Behinderung.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

4. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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