L 4 AS 276/19 B

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 28 AS 448/18
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 4 AS 276/19 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers wird der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 1. April 2019 aufgehoben. Die Landeskasse hat dem Kläger die ihm im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Gründe:

I.

Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Auferlegung eines Ordnungsgeldes in Höhe von 50,00 EUR.

In der Hauptsache, einem seit dem 12. Februar 2018 anhängigen Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Halle, begehrt der Kläger vom Beklagten höhere Kosten der Unterkunft und Heizung im Rahmen der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum vom 1. August 2017 bis zum 30. Juni 2018. Nachdem der Kläger nach Erlass des angefochtenen Bescheids vom 11. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18. Januar 2018 weitere Unterkunftskosten durch Nachweise belegt hatte, bewilligte ihm der Beklagte mit Änderungsbescheiden vom 24. Januar 2018, 1. Februar 2018, 13. Februar 2018, 15. März 2018 und 19. April 2018 höhere Leistungen. Mit Schreiben vom 31. Juli 2018 bat das SG um Mitteilung, ob der Kläger den Rechtsstreit nach der Gewährung weiterer Unterkunftskosten durch die Änderungsbescheide für erledigt erkläre. Dieser reagierte hierauf, auch nach Erinnerung, nicht.

Das SG beraumte für den 15. März 2019 einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage unter Anordnung des persönlichen Erscheinens des Klägers an. Das Ladungsschreiben vom 11. Februar 2019 wurde diesem ausweislich der Zustellungsurkunde am 13. Februar 2019 durch Einwurf in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Ladungsschreibens Bezug genommen.

Unter dem 11. März 2019 teilte der Kläger mit, dass er den Termin nicht wahrnehmen könne, da er am 18. September 2018 einen Arbeitsunfall erlitten habe und mindestens bis zum 15. März 2019 krankgeschrieben sei. Mit Schreiben vom 12. März 2019 teilte das SG ihm mit, dass eine Verlegung des Termins nur bei Nachweis der Wege- oder Verhandlungsunfähigkeit durch ein ärztliches Attest möglich sei.

Zu dem Termin am 15. März 2019 erschien für den Kläger niemand. Das SG forderte den Kläger mit Schreiben vom 18. März 2019 auf, sein Ausbleiben zu entschuldigen.

Mit Beschluss vom 1. April 2019 hat das SG gegen den Kläger ein Ordnungsgeld in Höhe von 50,00 EUR festgesetzt. Dieser sei zum Termin am 15. März 2019 nicht erschienen und habe sein Fernbleiben nicht entschuldigt. Sein Erscheinen sei erforderlich gewesen, um den Streitgegenstand bestimmen zu können.

Gegen den ihm am 5. April 2019 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 3. Mai 2019 Beschwerde erhoben. Er habe den Termin wegen Krankheit nicht wahrnehmen können. Er hat eine Arbeitsunfähigkeitsfolgebescheinigung des Facharztes für Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. H. vom 14. März 2019 vorgelegt, wonach er vom 14. März bis zum 11. April 2019 arbeitsunfähig gewesen sei.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 1. April 2019 aufzuheben.

Der Beschwerdegegner hat sich zum Verfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogene Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Diese ist Gegenstand der Beratung des Senats gewesen.

II.

Die Beschwerde des Klägers ist erfolgreich.

Sie ist gemäß §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Sie ist auch begründet, denn das SG hätte gegen den Kläger kein Ordnungsgeld festsetzen dürfen.

Bleibt ein Beteiligter, dessen persönliches Erscheinen nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG angeordnet worden ist, im Termin aus, so kann gegen ihn Ordnungsgeld wie gegen einen im Vernehmungstermin nicht erschienenen Zeugen festgesetzt werden (§ 141 Abs. 3 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO), der über § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren Anwendung findet). Die Auferlegung eines Ordnungsgeldes setzt mithin zum einen voraus, dass der Beteiligte unter Anordnung des persönlichen Erscheinens und Hinweis auf die Folgen seines Ausbleibens (§ 111 Abs. 1 Satz 2 SGG) ordnungsgemäß geladen worden ist, zum anderen, dass er ohne rechtzeitige genügende Entschuldigung (§ 381 Abs. 1 Satz 1 ZPO) zum Termin weder erschienen ist noch einen geeigneten Vertreter entsandt hat (§ 141 Abs. 3 Satz 2 ZPO).

Der Senat hat bereits Zweifel, ob diese formellen Voraussetzungen für die Verhängung des Ordnungsgeldes vorliegen. Der Kläger ist ordnungsgemäß mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens geladen worden; in der Ladung wurde auch auf die Folgen des Ausbleibens hingewiesen. Zwar ist er im Termin am 15. März 2019 nicht erschienen. Unter dem 11. März 2019 und somit vor dem Termin hat er jedoch sein Ausbleiben angekündigt und entschuldigt. Zwar dürfte die schriftliche Mitteilung des Klägers über dessen Arbeitsunfähigkeit ohne ärztliche Bescheinigung gegenüber dem Gericht nicht der erforderlichen "genügenden Entschuldigung" entsprechen. Jedoch hat der Kläger im Beschwerdeverfahren eine entsprechende fachärztliche Bescheinigung nachgereicht. Ob tatsächlich Verhandlungsunfähigkeit des Klägers vorlag oder eine nachträgliche Glaubhaftmachung aller Erfordernisse im Beschwerdeverfahren wegen § 381 Abs. 1 Satz 3 ZPO noch möglich ist, kann letztlich jedoch dahinstehen.

Denn aus § 141 Abs. 3 Satz 1 ZPO ergibt sich, dass das Gericht bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen Ermessen nicht nur in Bezug auf die Höhe des Ordnungsgeldes (Auswahlermessen), sondern auch im Hinblick auf das "ob" der Festsetzung (Entschließungsermessen) hat. Bei der pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens hat es sich am Zweck der Vorschrift zu orientieren. Dieser liegt nach dem heutigem Verständnis nicht etwa darin, den nicht erschienenen Beteiligten wegen der Nichtbefolgung gerichtlicher Anordnungen und damit der vermeintlichen Missachtung des Gerichts zu bestrafen. Vielmehr soll das Erreichen des mit der Anordnung des persönlichen Erscheinens verbundenen Zwecks sichergestellt werden (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 10. November 1997, 2 BvR 429/97, juris Rn. 8; Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 22. Juni 2011, I ZB 77/10, juris Rn. 16 m.w.N.; Bundesarbeitsgericht (BAG), Beschluss vom 20. August 2007, 3 AZB 50/05, juris Rn. 6). Ein Ordnungsgeld kann daher nur festgesetzt werden, wenn das unentschuldigte Ausbleiben des Beteiligten die Sachaufklärung erschwert und dadurch den Prozess verzögert (vgl. BGH, a.a.O.). Die Festsetzung bedarf einer Abwägung sämtlicher Umstände des Einzelfalls unter Einbeziehung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

An einer diesen Grundsätzen entsprechenden Abwägung des SG fehlt es im angefochtenen Beschluss. Das SG hat sich nicht genügend mit der Notwendigkeit der Festsetzung auseinandergesetzt. Wenn es ausführt, dass das Erscheinen des Klägers "erforderlich gewesen wäre, um den Streitgegenstand bestimmen zu können", so hat es nur berücksichtigt, dass die Anwesenheit der Klägers zur Sachverhaltsaufklärung beigetragen hätte. Dies ist jedoch (auch) eine Voraussetzung der Anordnung des persönlichen Erscheinens nach § 111 Abs. 1 Satz 1 SGG. Gänzlich unberücksichtigt sind die Begleitumstände seines Ausbleibens, wie z.B. das nicht genügend nachgewiesene Ausbleiben oder eine eventuelle Wiederholungsgefahr geblieben.

Auch eine Verzögerung des Rechtsstreits ist für den Senat nicht ersichtlich. Das SG hätte den Rechtsstreit auch ohne Anwesenheit des Klägers entscheiden können. Es ergeben sich keine objektiven Anhaltspunkte dafür, dass seine Anwesenheit im Termin zur Klärung von umstrittenen Tatsachen notwendig war. Soweit der Kläger weitere Kosten der Unterkunft und Heizung, als bislang vom Beklagten berücksichtigt, nicht nachgewiesen hat, hätte der Rechtsstreit ohne weiteren Vortrag durch Urteil oder Gerichtsbescheid entschieden werden können.

Der Beschluss war folglich aufzuheben. Es steht nicht im Ermessen des erkennenden Senats, die Sache zurückzuverweisen oder selbst eine Sachentscheidung zu treffen.

Da der Kläger mit seiner Beschwerde gegen das Ordnungsgeld erfolgreich war, fallen die Kosten der Staatskasse in entsprechender Anwendung von § 46 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) i.V.m. § 467 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) zur Last (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 2. Februar 2010, L 2 KA 25/09 B, juris Rn. 17; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 8. März 2010, L 5 AS 1114/09 B, juris Rn. 17; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 2. September 2013, L 2 AS 816/13 B, juris Rn. 20; Leitherer in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Kommentar zum SGG, 12. Auflage 2017, § 111 Rn. 6c).

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angegriffen werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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