L 4 AS 354/18

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 32 AS 332/15
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 4 AS 354/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2018 und der Bescheid vom 22. Juli 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 1. Oktober 2020 abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 27. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 zu gewähren.

Der Beklagte hat drei Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten. Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist noch die Frage, ob die Kläger für den Zeitraum vom 28. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 einen Anspruch auf die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gegen den Beklagten, hilfsweise auf die Gewährung von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) gegen die Beigeladene haben.

Die 1978 geborene, im streitgegenständlichen Zeitraum erwerbsfähige Klägerin zu 1. ist die Mutter des 1999 geborenen Klägers zu 2. und der 2013 geborenen Klägerin zu 3. Alle drei sind b. Staatsangehörige. Über den Vater des Klägers zu 2. liegen keine Erkenntnisse vor. Der Vater der Klägerin zu 3. ist Herr M., der ebenfalls die b. Staatsangehörigkeit hat und seit August 2011 mit der Klägerin zu 1. verheiratet war.

Die Klägerin zu 1. war im Zeitraum vom 15. September 2007 bis zum 31. Mai 2008 in H. amtlich gemeldet. Für den Zeitraum vom 1. Juni 2008 bis zum 31. Mai 2011 gibt es keine amtliche Meldung. Zum 1. Juni 2011 meldete sich die Klägerin erneut in H. an mit der Angabe, sie sei von B. zugezogen. Bereits zum 25. Februar 2010 meldete die Klägerin zu 1. allerdings unter der Anschrift in H. ein Gewerbe mit dem Gegenstand "Reinigung nach Hausfrauenart sowie Lagerarbeiten" an. Zum 1. Juni 2011 meldete sie, nunmehr unter der Anschrift in H., ihrer damaligen Wohnanschrift, wiederum ein Gewerbe an mit dem Gegenstand "Reinigung nach Hausfrauenart [ ] Lagerarbeiten". Das Gewerbe wurde zum 30. Juni 2012 abgemeldet.

Belege über Erwerbstätigkeiten der Klägerin zu 1. liegen in Form von Rechnungen, Quittungen und teilweise Zeugenaussagen vor für den Zeitraum vom 1. April 2010 bis zum 31. Oktober 2010 (Lagerarbeiten für Herrn H1, Entgelt insgesamt 8.700,- Euro), für die Monate Januar 2011 und Juni 2011 (Tätigkeit für den L., Entgelt 1.250,- Euro bzw. 359,- Euro) sowie die Zeiträume vom 23. Juni 2011 bis zum 31. Dezember 2011 und vom 1. Juni 2012 bis zum 12. Juli 2012 (Packarbeiten für die Firma S., Entgelt 6.932,- Euro bzw. 516,- Euro).

Der Kläger zu 2. ist seit dem 10. November 2012 in H. in der Wohnung der Klägerin zu 1. gemeldet. Im streitgegenständlichen Zeitraum besuchte er die Schule.

Am 25. November 2013 beantragte die Klägerin zu 1. für sich, den Kläger zu 2. und die Klägerin zu 3. Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 3. Dezember 2013 unter Bezugnahme auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Die Klägerin zu 1. habe ein Aufenthaltsrecht in Deutschland allein zum Zweck der Arbeitsuche. Hiergegen erhob die Klägerin zu 1. am 9. Dezember 2013 Widerspruch mit der Begründung, sie sei Unionsbürgerin und verheiratet. Die Familie habe dem Grunde nach Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem SGB II.

Am 4. April 2014 beantragten die Kläger beim Sozialgericht Hamburg den Erlass einer einstweiligen Anordnung (S 32 AS 1248/14 ER). Zur Begründung trugen sie vor, die Klägerin zu 1. habe von Januar 2011 bis Juni 2012 selbständig gearbeitet, könne jedoch nicht durchgängig Rechnungen vorlegen. Sie beabsichtige, sich von ihrem Ehemann, Herrn M., scheiden zu lassen. Sie lebten derzeit noch zusammen, gemeinsam mit den Klägern zu 2. und 3. sowie zwei weiteren Kindern von Herrn M ... Herr M. arbeite, versorge die Kläger jedoch nicht von seinem Einkommen. Er zahle auch keinen Unterhalt für die Klägerin zu 3. Die Klägerin zu 1. übersandte ein Schreiben von Herrn M. vom 15. April 2014 an ihre Anwältin, in dem dieser erklärt, er stimme einem Scheidungsantrag zu und lebe bereits seit Juli 2013 von der Klägerin zu 1. getrennt bzw. schlafe in einem getrennten Zimmer. Die Klägerin zu 1. übersandte außerdem Rechnungen für selbständige Tätigkeiten sowie einen Einkommenssteuerbescheid für 2012, der aber nur Einkommen des Herrn M., nicht der Klägerin zu 1., auswies. Mit Beschluss vom 9. Mai 2014 verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten zur vorläufigen Bewilligung von Leistungen in Höhe des Regelbedarfs ab dem 4. April 2014 bis zum 31. Juli 2014. Zur Begründung führte es aus, zum einen sei streitig, ob § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II mit europäischem Unionsrecht vereinbar sei. Zum anderen sei im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend feststellbar, ob die Kläger sich auf ein anderes Aufenthaltsrecht als das zur Arbeitssuche berufen könnten. In Betracht käme hier insbesondere ein von Herrn M. abgeleitetes Aufenthaltsrecht. Im Rahmen der Folgenabwägung sei der Beklagte zur vorläufigen Gewährung von Leistungen zu verpflichten. Der Beklagte gewährte sodann in Ausführung dieses Beschlusses Leistungen in Höhe von monatlich 548,- Euro (916,- Euro Bedarf abzüglich Einkommen aus Kindergeld), ohne einen Bewilligungsbescheid zu erlassen.

Am 17. Juni 2014 führte der Betreuungsdienst des Beklagten einen Hausbesuch bei den Klägern durch. In dem Protokoll des Hausbesuchs heißt es, die Klägerin zu 1. habe angegeben, in der Wohnung lebte sie mit den Klägern zu 2. und 3. sowie den beiden Kindern von Herrn M ... Herr M. halte sich nur noch ab und an in der Wohnung auf. Zusammenfassend ist ausgeführt: "Seitens des BD wurden hier augenscheinlich Hinweise gefunden, die auf einen dauerhaften Aufenthalt der Kundin und insgesamt vier Kinder, in dieser Wohnung schließen lassen. Für den dauerhaften Aufenthalt des Ehemannes wurden hier (außer einigen Bekleidungsstücken) kaum Hinweise gefunden."

Am 1. Juli 2014 nahm Herr M. eine Beschäftigung als Lagerhelfer bei der Firma K. auf, aus der er Einkommen in Höhe von monatlich 1.000,- Euro brutto erzielte. Das Arbeitsverhältnis endete zum 31. Oktober 2014. Ausweislich einer vom erkennenden Senat eingeholten Melderegisterauskunft war Herr M. seit dem 1. August 2014 nicht mehr unter der Adresse der Kläger gemeldet.

Am 22. Juli 2014 stellte die Klägerin zu 1. für sich und die Kläger zu 2. und 3. einen neuen Leistungsantrag beim Beklagten. Der Beklagte lehnte den Antrag noch am gleichen Tage wiederum unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Die Klägerin zu 1. habe ein Aufenthaltsrecht lediglich zum Zweck der Arbeitsuche. Hiergegen erhob die Klägerin zu 1. am 29. Juli 2014 Widerspruch mit der Begründung, sie habe seit ihrer Einreise zwei Jahre lang ein Gewerbe ausgeübt.

Am 8. August 2014 beantragte die Klägerin zu 1. erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht Hamburg (S 32 AS 2816/14 ER). Sie teilte mit, Herr M. würde seit dem 8. August 2014 nicht mehr in ihrer Wohnung leben. Mit Beschluss vom 15. August 2014 verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung, den Klägern vorläufig für die Zeit ab dem 8. August 2014 bis zum 31. Januar 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes zu gewähren. Zur Begründung hieß es, die Kläger hätten ein Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 6 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 und 2 Freizügigkeitsgesetz/EU (FreizügG/EU) glaubhaft gemacht. Nach Vorlage des Arbeitsvertrages des Herrn M. stehe diesem ab dem 1. Juli 2014 ein Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU zu. Der Klägerin zu 1. stehe als (Noch-)Ehepartnerin und den Klägern zu 2. und 3. als Kindern des Arbeitnehmers ein abgeleitetes Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 6, 3 Abs. 1 und 2 Freizügigkeitsgesetz/EU zu. Unbeachtlich sei, dass die Klägerin zu 1. mit ihrem Ehemann in Trennung lebe. Das abgeleitete Aufenthaltsrecht für Familienangehörige knüpfe nicht zusätzlich an ein Tatbestandsmerkmal des gemeinsamen Haushaltes an, sondern ende erst mit der rechtskräftigen Scheidung. Der Beklagte gewährte den Klägern in Umsetzung dieses Beschlusses Leistungen, ohne einen Bewilligungsbescheid zu erlassen. Er übersandte den Klägern ein Schreiben vom 21. August 2014, in dem es wörtlich hieß: "in Ausführung des Beschlusses des Sozialgerichts Hamburg vom 15.08.2014 (Az. S 32 AS 2816/14 ER) werden Ihnen vorläufig Leistungen gemäß anliegendem Berechnungsbogen ausgezahlt. Es wird auf folgendes hingewiesen: Unterliegen Sie im Beschwerde- oder Hauptsacheverfahren, werden die Leistungen in voller Höhe zurückgefordert. Dies gilt auch, wenn Sie den Antrag auf Einstweiligen Rechtsschutz oder die Klage zurücknehmen". Beigefügt waren diesem Schreiben Berechnungsbögen über die Höhe der Leistungen.

Die Ehe der Klägerin zu 1. wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Hamburg-Harburg vom 9. Oktober 2014 geschieden. Der Beschluss wurde der dortigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin zu 1. am 27. Oktober 2014 zugestellt. Mit Schreiben vom 4. November 2014 übersandte die Klägerin zu 1. den Beschluss an den Beklagten. Ferner legte sie einen neuen Mietvertrag über die bisherige Wohnung vor, der nur noch zwischen ihr und den Vermietern, nicht mehr auch mit Herrn M., abgeschlossen worden war und zum 1. Oktober 2014 beginnen sollte.

Mit Schreiben vom 18. Dezember 2014 übersandte der Beklagte den Klägern eine Neuberechnung der Leistungen, die in Ausführung des sozialgerichtlichen Beschlusses vom 15. August 2014 gezahlt wurden. Nunmehr wurden neben dem Regelsatz als Bedarf auch ein Mehrbedarf für Alleinerziehende sowie Unterkunftskosten in Höhe von insgesamt 398,67 Euro monatlich für August und September 2014 und in Höhe von 520,- Euro monatlich für die Zeit ab Oktober 2014 berücksichtigt. Gegengerechnet wurde Einkommen aus Kindergeld.

Mit Bescheid vom 14. November 2014 gewährte die Familienkasse N. Herrn M. Kindergeld für dessen 1999 bzw. 2001 geborenen Kinder N1 und F. für den Zeitraum ab Oktober 2013. Für den Zeitraum Oktober 2013 bis November 2014 wurde eine Nachzahlung in Höhe von 5.152,- Euro angekündigt. Am 19. November 2014 ging auf dem bei der H2 geführten Girokonto der Klägerin zu 1. eine entsprechende Überweisung von 5.152,- Euro ein. Am 28. November 2014 verfügte sie eine Barauszahlung von ihrem Konto in Höhe von 5.200,- Euro. Am 18. Dezember zahlte die Klägerin einen Betrag von 100,- Euro in bar auf ihr Konto ein.

Am 9. Januar 2015 stellte die Klägerin zu 1. für sich, den Kläger zu 2. und die Klägerin zu 3. einen Weiterbewilligungsantrag beim Beklagten. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22. Januar 2015 ab, wiederum unter Berufung darauf, dass allein ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche bestehen. Hiergegen erhoben die Kläger Widerspruch, über den der Beklagte noch nicht entschieden hat.

Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2015 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid vom 22. Juli 2014 zurück. Zur Begründung führte er aus, die Kläger hätten für die Zeit ab dem 1. Juli 2014 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin zu 1. verfüge über keinen Arbeitnehmerstatus und sei als b. Staatsangehörige vom Leistungsbezug ausgeschlossen. Die Ausübung der selbständigen Tätigkeiten sei nicht belegt worden. Auch der Arbeitnehmerstatus des Ehemannes sei nicht nachgewiesen worden.

Hiergegen hat die Klägerin zu 1. am 30. Januar 2015 Klage zum Sozialgericht Hamburg erhoben.

Ebenfalls am 30. Januar 2015 hat die Klägerin zu 1. erneut den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt (S 32 AS 331/15 ER). Im Rahmen des Eilverfahrens hat sie vorgetragen, das im November 2014 zugeflossene Kindergeld in Höhe von 5.152,- Euro habe sie Herrn M. ausbezahlt. Sie hat eine Bescheinigung des Herrn M. eingereicht, die wie folgt lautet: "Ich, M., habe von meiner Exfrau M.a im Dezember 2014 die Summe von 5.200,- EUR erhalten. Es handelt sich um das Kindergeld für meine Kinder N1 und F ... Als ich das Kindergeld beantragte, war ich noch mit meiner Frau zusammen, so dass das Geld noch auf ihr Konto kam."

Mit Beschluss vom 2. März 2015 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, weil die Kläger ihre Hilfebedürftigkeit nicht glaubhaft gemacht hätten. Die Klägerin zu 1. habe ihre Kontoauszüge nicht lückenlos vorgelegt. Zudem sei der Verbrauch des im November 2014 abgehobenen Betrages von 5.200,- Euro nicht hinreichend belegt worden. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Klägerin zu 1. diesen Betrag an Herrn M. gezahlt habe. Zum einen habe das ihr überwiesene Kindergeld nur 5.152,- Euro betragen, zum anderen hätten ihren Angaben zufolge die Kinder von Herrn M. bei ihr gelebt, sodass nicht ersichtlich sei, warum das Geld Herrn M. zustehen solle. Die Bareinzahlung in Höhe von 100,- Euro im Dezember 2014 lasse ferner darauf schließen, dass die Klägerin zu 1. über Einkommen verfüge, welches sie bisher gegenüber dem Gericht und dem Beklagten nicht angegeben habe. Ferner seien die Kläger von Leistungen nach dem SGB II auch ausgeschlossen, da sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe. Auf ein eigenes Recht als Arbeitnehmerin oder Selbstständige könne sich die Klägerin zu 1. nicht mehr berufen.

Die Kläger haben dagegen Beschwerde zum Landessozialgericht (L 4 AS 95/15 B ER) eingelegt und ausgeführt, die Klägerin zu 1. sei länger als ein Jahr als Selbständige tätig gewesen. Sie habe zum einen Unterbrechungen gehabt, wenn sie den Auftraggeber gewechselt habe. Zum anderen habe sie nicht alle Rechnungen aufbewahrt. Es sei aber nachgewiesen, dass sie Aufträge gehabt und sich damit drei Jahre lang über Wasser gehalten habe. Die Einzahlung in Höhe von 100,- Euro im Dezember 2014 stamme aus geliehenem Geld und sei erfolgt, da der Kontostand zu niedrig gewesen sei, um bevorstehende Abbuchungen zu decken. Mit Beschluss vom 27. April 2015 hat der erkennende Senat die Beschwerde zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, es fehle an Belegen über eine durchgehende selbständige Tätigkeit von über einem Jahr. Auch sei die aktuelle Arbeitssuche nicht dargelegt worden.

Zur Begründung ihrer Klage hat die Klägerin zu 1. auf ihre Ausführungen in den bisherigen gerichtlichen Verfahren verwiesen. Darüber hinaus hat sie vorgetragen, bis zur Scheidung könne sie ein Aufenthaltsrecht von Herrn M. ableiten. Sie könne zudem ein Aufenthaltsrecht von ihrem Sohn, dem Kläger zu 2., ableiten aufgrund von Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (VO 492/11/EU), weil er zur Schule gehe und sie die elterliche Sorge wahrnehmen müsse. Soweit der Beklagte nicht leistungsverpflichtet sein sollte, sei die Beigeladene aus § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII zur Leistung verpflichtet.

Am 28. April 2015 hat die Klägerin zu 1. dem Beklagten mitgeteilt, dass sie ab dem 4. Mai 2015 einen Minijob gefunden habe. Daraufhin hat der Beklagte den Klägern ab dem 4. Mai 2015 Leistungen bewilligt.

Mit Beschluss vom 12. Januar 2017 hat das Sozialgericht die Freie und Hansestadt Hamburg, Bezirksamt Hamburg Mitte, beigeladen. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2017 forderte das Sozialgericht die Kläger auf, mitzuteilen, wann der Scheidungsbeschluss der Klägerin zu 1. zugegangen sei. Außerdem bat es um Übersendung einer Liste aller Konten, die für die Kläger im streitigen Zeitraum verfügbar gewesen seien, sowie lückenloser Kontoauszüge aller Konten für diesen Zeitraum. Ferner sei mitzuteilen, wer im streitigen Zeitraum im Haushalt der Kläger gewohnt habe, insbesondere, wann Herr M. und seine beiden anderen Kinder ausgezogen seien. Die Kläger haben hierauf nicht geantwortet. Mit der Ladung zum Verhandlungstermin am 26. Oktober 2018 hat das Sozialgericht die Kläger unter Fristsetzung nach § 106a Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Beantwortung des Schreibens vom 8. Dezember 2017 und zur Vorlage der erbetenen Unterlagen bis zum 24. Oktober 2018 aufgefordert. Die Kläger haben die angeforderten Unterlagen erstinstanzlich nicht vorgelegt.

In der mündlichen Verhandlung am 26. Oktober 2018 hat die zuständige Kammervorsitzende des Sozialgerichts darauf hingewiesen, dass die Klage dahingehend auszulegen sei, dass sie für alle drei Kläger erhoben sein sollte, nicht lediglich für die Klägerin zu 1. Der Beklagtenvertreter hat sich damit einverstanden erklärt. Sodann hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom selben Tag abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, Streitgegenstand sei der Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Dezember 2014. Der Monat Januar 2015 sei nicht erfasst, da die Kläger am 9. Januar 2015 einen Weiterbewilligungsantrag gestellt hätten, der auf den Monatsanfang zurückwirke und den der Beklagte mit Bescheid vom 22. Januar 2015 abgelehnt habe. Der Bescheid vom 22. Januar 2015 sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Die Kläger hätten keinen Anspruch auf die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II, da sie nicht nachgewiesen hätten, dass sie die Leistungsvoraussetzungen erfüllten. Die Kläger trügen die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Insbesondere die Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen. Trotz Aufforderung des Gerichts hätten die Kläger weder eine Liste aller Konten noch vollständige Kontoauszüge vorgelegt. Ohne diese Unterlagen habe das Gericht die Hilfebedürftigkeit nicht prüfen können. Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zu 1. in der Vergangenheit selbständig tätig gewesen sei und dass es jedenfalls eine Bareinzahlung im Dezember 2014 gegeben habe, die nicht vernünftig erklärt worden sei, ergäben sich Zweifel an der Hilfebedürftigkeit der Kläger.

Das Urteil wurde dem Bevollmächtigten der Kläger am 15. November 2018 zugestellt. Am 14. Dezember 2018 haben die Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung führen sie aus, die Klage erfasse zulässigerweise auch den Monat Januar 2015. Den Klägern seien in Umsetzung des sozialgerichtlichen Eilbeschlusses im Verfahren S 32 AS 2816/14 ER Leistungen für den Zeitraum vom 8. August 2014 bis zum 31. Januar 2015 gezahlt worden. Der Weiterbewilligungsantrag vom 9. Januar 2015 habe so verstanden werden müssen, dass er sich auf Leistungen ab Februar 2015 beziehe. Bis zur Rechtskraft der Scheidung hätten die Kläger ein von Herrn M. abgeleitetes Aufenthaltsrecht gehabt. Herr M. sei am 8. August 2014 ausgezogen, ab diesem Zeitpunkt hätten nur noch die Kläger die Wohnung bewohnt. Die Kläger seien mit weiterem Vortrag zu ihrer Hilfebedürftigkeit im Berufungsverfahren nicht ausgeschlossen. Im streitgegenständlichen Zeitraum hätten sie lediglich über das Girokonto der Klägerin zu 1. bei der H2 verfügt. Zuvor habe die Klägerin zu 1. auch ein Konto bei der P. gehabt, dies sei aber bereits vor Juli 2014 gekündigt worden. Die Bareinzahlung in Höhe von 100,- Euro am 18. Dezember 2014 erkläre sich aus der erforderlichen Deckung für die Abbuchung des Stromversorgers am 23. Dezember 2014. Sie lasse nicht den Schluss zu, dass die Kläger über Einkommen verfügten, da ihr eine Abhebung in Höhe von 500,- Euro am 10. Dezember 2014 vorausgegangen sei.

Die Kläger haben vollständige Kontoauszüge des Girokontos bei der H2 für den Zeitraum von Juli 2014 bis Januar 2015 vorgelegt. Auf Nachfrage des Senats hat die P. mitgeteilt, dass das dortige Konto der Klägerin zu 1. zum 12. Mai 2014 geschlossen worden sei.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Beklagte im Wege eines Teilanerkenntnisses den Leistungsanspruch der Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 27. November 2014 (Rechtskraft des Scheidungsurteils) dem Grunde nach anerkannt. Die Kläger haben das Teilanerkenntnis angenommen und beantragen nunmehr, das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 26. Oktober 2018 und den Bescheid vom 22. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 1. Oktober 2020 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II auch für den Zeitraum vom 28. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 zu gewähren, hilfsweise eine entsprechende Verurteilung der Beigeladenen nach dem SGB XII.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er trägt vor, für die Zeit nach Rechtskraft der Scheidung seien die Kläger von Leistungen ausgeschlossen, da sie sich insoweit lediglich auf ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1. zum Zweck der Arbeitssuche berufen könnten. Art. 10 VO 492/11/EU könne kein über das Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche hinausgehendes "anderes" Aufenthaltsrecht im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II a.F. begründen.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag. Sie trägt vor, jedenfalls sei nicht sie leistungspflichtig, sondern allenfalls der Beklagte.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat der Senat die Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Prozessakten des Sozialgerichts Hamburg zu den Eilverfahren S 32 AS 1248/14 ER, S 32 AS 2816/14 ER und S 32 AS 331/15 ER beigezogen. Außerdem hat er in der mündlichen Verhandlung am 1. Oktober 2020 die Klägerin zu 1. befragt, insbesondere zu der Kindergeldzahlung im November 2014. Zu den weiteren Einzelheiten wird auf die Prozessakte und die beigezogenen Akten verwiesen, insbesondere auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

I. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 29. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 1. Oktober 2020. Nachdem der Beklagte den Leistungsanspruch der Kläger für den Zeitraum vom 1. Juli 2014 bis zum 27. November 2014 anerkannt hat, geht es zeitlich nur noch um den Zeitraum vom 28. November 2014 bis zum 31. Januar 2015.

II. Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§ 151 SGG) erhoben. Die Berufung ist auch begründet.

1. Die Klage, die das Sozialgericht zutreffend so ausgelegt hat, dass sie von Anfang an für alle drei Kläger erhoben worden war, ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zulässig. Dabei ist auch die Frage eines Leistungsanspruchs für den Monat Januar 2015 zulässiger Streitgegenstand des Verfahrens. Vorliegend geht es um eine vollständige Ablehnung von Leistungen. Bei einem Ablehnungsbescheid ist grundsätzlich der gesamte Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung Streitgegenstand, außer es tritt zwischenzeitlich ein Ereignis mit Zäsurwirkung ein. Zäsurwirkung kommt insbesondere einem neuen Leistungsantrag zu, wenn über diesen eine neue Verwaltungsentscheidung getroffen wird (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.2009 – B 14 AS 62/08 Rn. 17; Urteil vom 24.5.2017 B 14 AS 16/16 R). Der erste Ablehnungsbescheid erfasst dann nicht den Zeitraum, den der neue Bescheid erfasst (BSG, Urteil vom 28.10.2009 B 14 AS 62/08 Rn. 17). Hier haben die Kläger am 9. Januar 2015 einen Weiterbewilligungsantrag gestellt, über den der Beklagte mit Bescheid vom 22. Januar 2015 entschieden hat. Zwar wirkt ein Leistungsantrag grundsätzlich auf den Monatsersten zurück mit der Folge, dass auch die Zäsurwirkung entsprechend mit Monatsbeginn – hier also mit dem 1. Januar 2015 – anzunehmen wäre. Antragsteller auf Leistungen nach dem SGB II können jedoch im Rahmen ihrer Dispositionsfreiheit durch ihren Antrag bestimmen, ab welchem Zeitpunkt sie den Leistungsanspruch geltend machen (vgl. BSG, Urteil vom 28.10.2014 – B 14 AS 36/13 R, Rn. 19). Der Weiterbewilligungsantrag vom 9. Januar 2015 war bei verständiger Auslegung so zu verstehen, dass er auf die Gewährung von Leistungen ab Februar 2015 gerichtet war. Denn den Klägern waren in Ausführungen des Beschlusses des Sozialgerichts vom 15. August 2014 (S 32 AS 2816/14 ER) Leistungen erbracht worden, wobei die Leistungsverpflichtung des Beklagten im Beschluss auf die Zeit bis zum 31. Januar 2015 befristet worden war. Bei Weiterbewilligungsanträgen auf Leistungen nach dem SGB II stellt sich die Situation typischerweise so dar, dass diese noch während des letzten Monats eines laufenden Bewilligungszeitraums gestellt werden und erst für den Folgemonat gelten sollen. Nur durch eine frühzeitige Antragstellung kann gesichert werden, dass die Leistungen auch tatsächlich zu Beginn des ersten Monats des folgenden Bewilligungszeitraums zufließen. Daher sind Weiterbewilligungsanträge, die noch während eines laufenden Bewilligungszeitraums gestellt werden, in der Regel so zu verstehen, dass sie sich auf Leistungen für die Folgezeit beziehen. Vorliegend haben die Kläger zwar im Monat Januar 2015 Leistungen nicht auf der Grundlage eines Bewilligungsbescheids bezogen. Dennoch war die Situation aus ihrer Sicht vergleichbar: Ihnen waren Leistungen durch einen Gerichtsbeschluss für einen klar begrenzten Zeitraum zugesprochen worden und sie konnten damit rechnen, dass der Beklagte für diesen Zeitraum Leistungen erbringen würde. Für den vom Gerichtsbeschluss umfassten Zeitraum war aus ihrer Perspektive ein weiterer Antrag daher nicht erforderlich. Hingegen mussten die Kläger damit rechnen, dass der Beklagte mit Ablauf des von dem Beschluss erfassten Zeitraums – also mit Ende Januar 2015 – die Leistungen einstellen würde. Ihr Antrag vom 9. Januar 2015 ist vor diesem Hintergrund dahin zu verstehen, dass sie die Weitergewährung der Leistungen für die Zeit nach Ende Januar 2015, also ab dem 1. Februar 2015, geltend machen wollten.

2. Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 22. Juli 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Januar 2015 und des Teilanerkenntnisses vom 1. Oktober 2020 ist rechtwidrig, soweit die Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 28. November 2014 bis zum 31. Januar 2015 abgelehnt wird. Die Kläger haben nämlich auch für diesen Zeitraum einen Anspruch gegen den Beklagten auf Leistungen nach dem SGB II. Soweit der Senat im Tenor den Beklagten zur Gewährung von Leistungen bereits ab dem 27. – statt dem 28. – November 2014 verurteilt hat, handelt es sich um eine Zahlenverwechslung. Eine förmliche Berichtigung des Tenors erachtet der Senat für verzichtbar, da eine Leistungsverpflichtung für den 27. November 2014 ebenfalls bestand und vom Beklagten auch anerkannt worden ist.

a. Die Kläger gehörten im streitgegenständlichen Zeitraum zum leistungsberechtigten Personenkreis. Die Klägerin zu 1. erfüllte die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II, insbesondere war sie erwerbsfähig und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland (zur Hilfebedürftigkeit siehe unten c.). Der Kläger zu 2. und die Klägerin zu 3. sind ihre Kinder und lebten im streitgegenständlichen Zeitraum mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft gem. § 7 Abs. 3 Nr. 2 SGB II, waren also leistungsberechtigt nach § 7 Abs. 2 SGB II.

b. Dem Anspruch stand nicht der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II entgegen. Dabei ist die bis 31. Juli 2016 geltende Fassung vom 20. Dezember 2011 (a.F.) anwendbar. In dieser Fassung lautete § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II: "Ausgenommen sind 1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, 2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen, 3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes."

In Betracht kommt hier allein der Ausschlussgrund nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. Dessen Voraussetzungen liegen aber nicht vor, denn die Kläger konnten sich auch für die Zeit ab dem 28. November 2014 auf ein anderes Aufenthaltsrecht als ein solches zum Zweck der Arbeitssuche berufen.

Die Klägerin zu 1. kann zwar seit der Rechtskraft der Scheidung, die am 27. November 2014 eintrat, ein Aufenthaltsrecht nicht mehr von ihrem Exmann, Herrn M., ableiten. Auch dürfte sie wohl kein eigenständiges Aufenthaltsrecht aus ihrer vormaligen selbständigen Tätigkeit haben. Gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU bleibt das Freizügigkeitsrecht für Arbeitnehmer und Selbständige bestehen bei Einstellung einer selbständigen Tätigkeit infolge von Umständen, auf die der Selbständige keinen Einfluss hatte, nach mehr als einem Jahr Tätigkeit. Die Klägerin zu 1. war zwar nachgewiesenermaßen selbständig tätig, diese Tätigkeit weist jedoch große Lücken auf. Am Stück war sie lediglich gut sechs Monate tätig. Letztlich kann aber offenbleiben, ob die nachgewiesenen Tätigkeiten ausreichen, um ein dauerhaftes nachwirkendes Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1. zu begründen. Denn jedenfalls verfügte sie über ein von dem Kläger zu 2. abgeleitetes Aufenthaltsrechts aus Art. 10 der VO 492/11/EU.

Nach Art. 10 VO 492/11/EU können die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates, der im Hoheitsgebiet eines anderen Gebietsstaats beschäftigt oder beschäftigt gewesen ist, wenn sie im Hoheitsmitgliedsgebiet dieses Mitgliedsstaates wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedsstaates am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen. Hieraus leitet sich ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zunächst der Kinder ab: Kinder eines EU-Bürgers, die in einem Mitgliedstaat seit einem Zeitpunkt wohnen, zu dem dieser Bürger dort als Wanderarbeitnehmer ein Aufenthaltsrecht hatte, sind zum Aufenthalt in diesem Mitgliedstaat berechtigt, um dort weiterhin am allgemeinen Unterricht teilzunehmen (ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – EuGH –, vgl. Urteil vom 6.10.2020, Rechtssache C 181/19 zu Art. 10 VO 492/11/EU sowie Urteil vom 17.9.2002, Rechtssache C-413/99, und Urteil vom 23.2.2010, Rechtssache C-310/08, jeweils zur – inhaltsgleichen – Regelung in der Vorgängerverordnung (EWG) Nr. 1612/68). Der Kläger zu 2. ging im streitgegenständlichen Zeitraum zur Schule. Jedenfalls seit dem 10. November 2012 wohnte er mit der Klägerin zu 1., seiner Mutter, und deren damaligem Ehemann, Herrn M., zusammen. Von diesem Zeitpunkt bis zur Scheidung der Ehe war zwar die Klägerin zu 1. nicht mehr selbständig oder als Arbeitnehmerin tätig, wohl aber Herr M ... Für diesen ist eine Erwerbstätigkeit jedenfalls für die Zeit vom 1. Juli 2014 bis zum 31. Oktober 2014 nachgewiesen, möglicherweise bestand eine solche auch in davorliegenden Zeiträumen. Art. 10 VO 492/11/EU ist nicht nur auf eigene Kinder eines Wanderarbeitnehmers anwendbar, sondern auch auf die Kinder seines Ehepartners (vgl. EuGH, Urteil vom 15.12.2016 – Rs C-401/15 u.a., juris Rn. 64 dazu, dass der Schutz der VO 492/11/EU auch Stiefkinder erfasst). Infolgedessen hatte der Kläger zu 2. ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 der VO 492/11/EU. Da es sich hierbei um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht des Kindes handelt, das grundsätzlich bis zum Ende der Ausbildung besteht, ist es mit der Scheidung der Klägerin zu 1. von Herrn M. nicht erloschen.

Hatte der damals 15jährige Kläger zu 2. im streitgegenständlichen Zeitraum ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO 492/11/EU, so ergibt sich daraus auch ein Aufenthaltsrecht der Klägerin zu 1. Denn aus Art. 10 VO Nr. 492/11/EU leitet sich ein Aufenthaltsrecht auch jedes Elternteils ab, der die tatsächliche Sorge für ein Kind ausübt, das sein Schulbesuchsrecht wahrnimmt: Das einem Kind zuerkannte Recht, im Aufnahmemitgliedstaat weiterhin unter den bestmöglichen Voraussetzungen am Unterricht teilzunehmen, impliziert notwendig das Recht des Kindes auf gemeinsamen Aufenthalt mit der die elterliche Sorge tatsächlich wahrnehmenden Person (vgl. EuGH, Urteil vom 6.10.2020, Rechtssache C 181/19, und Urteil vom 23.2.2010, Rechtssache C-310/08).

Folglich standen dem Kläger zu 2. und der Klägerin zu 1. ein Aufenthaltsrecht unabhängig von dem Zweck der Arbeitssuche zu, sodass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. nicht greift. Soweit der Beklagte die Auffassung vertritt, ein Aufenthaltsrecht aus Art. 10 VO Nr. 492/11/EU sei kein "anderes" Aufenthaltsrecht im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. (so u.a. auch LSG Niedersachen-Bremen, Urteil vom 14.6.2018 – L 15 AS 258/16), vermag der Senat sich dem nicht anzuschließen (vgl. hierzu bereits den Beschluss des Senats vom 27.5.2016 – L 4 AS 160/16 B ER). Insbesondere ist die Prüfung eines anderen materiellen Aufenthaltsrechts nicht auf Aufenthaltsrechte nach dem FreizügG/EU in Umsetzung der RL 2004/38/EG beschränkt. Denn dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. ist nicht zu entnehmen, dass nur Aufenthaltsrechte aus dem FreizügG/EU einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. entgegenstehen. Vielmehr stellt § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. allein darauf ab, ob sich ein Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, ohne hinsichtlich eines anderen, vom Zweck der Arbeitssuche unabhängigen Aufenthaltsrechts weitere Voraussetzungen aufzustellen. Einem Ausschluss von SGB II-Leistungen entgegenstehende andere Aufenthaltsrechte können sich somit auch aus Art. 10 VO 492/2011/EU ergeben (ebenso BSG, Urteil vom 3.12. 2015 – B 4 AS 43/15 R; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27.1.2016 – L 19 AS 29/16 B ER; Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluss vom 17.2.2017 – L 6 AS 11/17 B ER). Allein dieses Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II a.F. dürfte im Übrigen auch in Einklang mit der Entscheidung des EuGH vom 6. Oktober 2020 (Rechtssache C-181/19) stehen, in der der EuGH entschieden hat, dass ein pauschaler Leistungsausschluss von Personen, die sich auf ein Aufenthaltsrecht gem. Art. 10 der VO 492/11/EU berufen können, gegen Europarecht verstoße.

Ist somit die Klägerin zu 1. nicht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II a.F. von Leistungen ausgeschlossen, so gilt dies auch für die Klägerin zu 3., die im Übrigen auch über ein Aufenthaltsrecht – abgleitet von ihrem Vater, Herrn M., oder von ihrer Mutter, der Klägerin zu 1. – verfügen dürfte.

c. Die Kläger waren im streitgegenständlichen Zeitraum auch hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II iVm § 9 SGB II).

Sie waren in der Berufungsinstanz mit Vorbringen zur Hilfebedürftigkeit nicht präkludiert. Nur für den Fall, dass erstinstanzlich Erklärungen oder Beweismittel durch das Sozialgericht zurückgewiesen wurden und dies zu Recht geschah, bleiben diese auch im Berufungsverfahren ausgeschlossen (§ 157a Abs. 2 SGG), ohne dass das Berufungsgericht eine eigene Prüfung vorzunehmen hätte. Die Kläger hatten erstinstanzlich die vom Sozialgericht unter Fristsetzung angeforderten Unterlagen gar nicht – d.h. weder vor noch nach Ablauf der gesetzten Frist – vorgelegt. Infolgedessen konnte das Sozialgericht erstinstanzlich auch keine Erklärungen oder Beweismittel nach § 106a Abs. 3 SGG zurückweisen. Für neue Erklärungen und Beweismittel, die im ersten Rechtszug entgegen einer hierfür gesetzten Frist nicht vorgebracht worden sind, gilt § 157a Abs. 1 SGG, d.h. diese können vom Berufungsgericht unter den Voraussetzungen des § 106a Abs. 3 SGG zurückgewiesen werden. Hiervon hat der Senat keinen Gebrauch gemacht.

Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass die Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht über ausreichend Einkommen oder Vermögen verfügten, um ihren Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Einkommen wurde in Form von Kindergeld für die Kläger zu 2. und 3. sowie Betreuungsgeld für die Klägerin zu 3. (monatlich 150,- Euro) erzielt. Dieses ist unzweifelhaft nicht ausreichend, um den Bedarf der Kläger zu decken. Tatsächlich finanziert haben sich die Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum aus den Zahlungen, die der Beklagte in Umsetzung der sozialgerichtlichen Eilentscheidung erbracht hat.

Der Geldeingang in Höhe von 5.152,- Euro auf dem Konto der Klägerin zu 1. am 19. November 2014 ist kein Einkommen im Sinne von § 11 SGB II. Aus dem Bescheid der Familienkasse N. vom 14. November 2014 ergibt sich eindeutig, dass es sich hierbei um das Kindergeld für die anderen beiden Kinder von Herrn M. (N1 und F.) handelte. Kindergeldberechtigt für diese beiden Kinder war nicht die Klägerin zu 1., sondern Herr M., an den auch der Bescheid vom 14. November 2014 adressiert war. Angesichts dessen stand das Geld rechtlich eindeutig Herrn M. zu. Es stand den Klägern auch tatsächlich nicht zur Verfügung. Der Senat glaubt der Klägerin zu 1., dass diese das Geld an Herrn M. weitergegeben hat. Dieser Vortrag wird durch eine schriftliche Bestätigung des Herrn M. bestätigt, zudem hat die Klägerin zu 1. in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar geschildert, dass sie sich massivem Druck durch Herrn M. ausgesetzt sah, ihm das Geld auszuhändigen. Der Umstand, dass Herr M. den Erhalt von 5.200,- Euro bestätigt hat, obwohl die Kindergeldzahlung nur 5.152,- Euro betrug, begründet angesichts der Geringfügigkeit der Differenz und der Plausibilität der Schilderungen im Übrigen keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die Klägerin zu 1. aus dem Kindergeldeingang auf ihrem Konto keine bereiten Mittel zur Finanzierung ihres Lebensunterhalts zur Verfügung standen.

Auch die Bareinzahlung auf das Konto der Klägerin zu 1. in Höhe von 100,- Euro am 18. Dezember 2014 veranlasst den Senat nicht zu der Annahme, die Kläger hätten über weiteres Einkommen verfügt. Es handelt sich lediglich um eine einzelne Bareinzahlung, zudem gibt es andere plausible Erklärungen für die Herkunft des Geldes. Die Einzahlung erfolgte zeitnah vor der zu erwartenden (da monatlich wiederkehrenden) und am 23. Dezember 2014 tatsächlich erfolgten Abbuchung der monatlichen Abschlagszahlung durch den Stromversorger in Höhe von 105,- Euro. Ohne diese Einzahlung hätte der Abschlag nicht bzw. nicht ohne Überziehung des Kontos abgebucht werden können, da das Konto zuvor lediglich ein Guthaben von 30,43 Euro aufwies. Es ist gerade bei Menschen in knappen finanziellen Verhältnissen häufig zu beobachten, dass eingehenden Gelder zeitnah abgehoben werden, aus ihnen dann später jedoch in Hinblick auf zu erwartenden Abbuchungen wieder Einzahlungen getätigt werden. So könnte es hier gewesen ein, da am 10. Dezember 2014 ein Betrag von 500,- Euro vom Konto abgehoben worden war. Ebenfalls nicht unplausibel ist, dass sich die Klägerin zu 1. im Wissen um die bevorstehende Abbuchung des Stromversorgers den Betrag von 100,- Euro ihrem Vortrag entsprechend geliehen hat, um kostspielige Rückbuchungen bzw. Zinsen für eine Kontoüberziehung zu vermeiden.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die Kläger erstinstanzlich trotz Aufforderung des Sozialgerichts und Fristsetzung nach § 106a SGG nicht alle Unterlagen vorgelegt haben, die zur abschließenden Prüfung des Leistungsanspruchs, insbesondere der Hilfebedürftigkeit, erforderlich waren. Die Verpflichtung des Beklagten, dennoch drei Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu tragen, begründet sich daraus, dass die Kläger im Ergebnis vollumfassend Erfolg hatten und dass der Beklagte auch nach Vorlage aller erforderlichen Unterlagen lediglich ein Teilanerkenntnis abgegeben hat.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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