L 5 B 1136/08 ER AS

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 55 AS 2465/08 ER
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 5 B 1136/08 ER AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2008 wird als unzulässig verworfen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die am 3. Dezember 2008 durch die Antragstellerin eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Hamburg vom 5. November 2008 ist unzulässig.

Nach § 172 Abs. Abs. 3 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in seiner ab 1. April 2008 geltenden Fassung ist die Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgeschlossen, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre. Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der ab 1. April 2008 geltenden Fassung ist die Berufung zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro übersteigt. Das gilt gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft. Beides ist hier nicht der Fall.

Die Antragstellerin macht einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine Schülermonatskarte in Höhe von EUR 27,50 monatlich ab Oktober 2008 geltend. Begrenzt wird der Zeitraum einer einstweiligen Regelung auf dem Gebiet der Grundsicherung für Arbeitsuchende durch den dem streitigen Rechtsverhältnis zugrunde liegenden laufenden Bewilligungszeitraum (LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2008 – L 6 AS 458/08 ER – Juris). Selbst wenn man hier nicht auf den bei Beantragung der Leistung laufenden Bewilligungszeitraum bis zum 31. Dezember 2008 (Bewilligungsbescheid vom 30. Juli 2008), sondern auf den aktuellen, bis zum 30. Juni 2009 andauernden Bewilligungszeitraum (Bewilligungsbescheid vom 24. November 2008) abstellt, wird der erforderliche Beschwerdewert von mehr als EUR 750,- nicht erreicht, und es sind auch nicht Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen.

Die Zulässigkeit der Beschwerde ergibt sich auch nicht aus einer entsprechenden Anwendung der in § 144 Abs. 2 SGG genannten Zulassungsgründe. Das SGG sieht für die Beschwerde weder eine Zulassung der Beschwerde durch die Sozialgerichte noch eine Nichtzulassungsbeschwerde vor, über die die Landessozialgerichte zu entscheiden hätten. Auch eine fiktive Prüfung, ob eine Zulassung nach § 144 Abs. 2 SGG zu erfolgen hätte, wenn es sich nicht um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern um ein Hauptsacheverfahren handeln würde, kommt nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.

Bereits der Wortlaut des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG deutet darauf hin, dass eine Beschwerde nur dann zulässig sein soll, wenn in der Hauptsache die Berufung kraft Gesetzes nach § 144 Abs. 1 SGG – und nicht erst nach ausdrücklicher Zulassung – zulässig wäre (ebenso LSG Nordrhein-Westfalen, Beschlüsse vom 10. April 2008 – L 9 B 74/08 AS ER – und vom 2. Juli 2008 – L 7 B 192/08 AS ER – Juris). Denn in einem Hauptsacheverfahren wäre die Berufung bei Vorliegen eines der in § 144 Abs. 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe nicht "zulässig", sondern "zuzulassen" (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 8. September 2008 – L 13 AS 178/08 ER – Juris).

Soweit hiergegen eingewandt wird, dass der Wortlaut eindeutiger – etwa wie bei § 127 Abs. 2 S. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) – hätte formuliert werden können (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 21. Oktober 2008, a.a.O.), ist dem zwar zuzustimmen. Sinn und Zweck der gesetzlichen Neuregelung sprechen aber dennoch für die hier vertretene Auslegung (so auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. April 2008 a.a.O.; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschlüsse vom 8. September 2008, a.a.O. und vom 29. September 2008 – L 8 SO 80/08 ER – mit weiteren Nachweisen). Nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers ist die zum 1. April 2008 in Kraft getretene Beschränkung der Beschwerdemöglichkeit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zur Entlastung der Landessozialgerichte erfolgt (BT-Drs. 16/7716 S. 22 zu Art.1 Nr. 29 Buchstabe b). Dieses Ziel ist nicht nur im Sinne einer allgemeinen Absichtserklärung genannt worden, die für die Auslegung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ohne Bedeutung wäre. Vielmehr hat der Gesetzgeber konkretisierend deutlich gemacht, dass er die Entlastung der Landessozialgerichte auch durch die Anhebung des Schwellenwertes für die Berufung für natürliche Personen auf 750 EUR und – korrespondierend damit – durch den Ausschluss der Beschwerde in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erreichen wollte, wenn in der Hauptsache eine Berufung nicht zulässig wäre (a.a.O. S. 2). Es liefe deshalb dem Entlastungswillen des Gesetzgebers zuwider, wenn man eine fiktive Prüfung möglicher Zulassungsgründe fordern würde. Vielmehr wird der Entlastungseffekt besser erreicht, wenn sich die Zulässigkeit einer Beschwerde ohne weiteres aus dem Beschwerdewert oder der Art und Dauer der im Streit stehenden Leistungen, d. h. aus § 144 Abs. 1 SGG ergibt.

Hinzu kommt, dass die in § 144 Abs. 2 SGG aufgeführten Zulassungsgründe erkennbar auf das Hauptsacheverfahren zugeschnitten und auf das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht übertragbar sind. Eine fiktive Prüfung in dem Sinne, ob in einem Hauptsacheverfahren mit gleichem Streitgegenstand ein Zulassungsgrund gegeben wäre, ist schon deshalb nicht sinnvoll, weil oft nicht klar sein wird, ob es überhaupt ein Hauptsacheverfahren geben wird und welche tatsächlichen Feststellungen und rechtlichen Erwägungen einer dort ergehenden Entscheidung zugrunde gelegt würden. Insofern scheidet es in aller Regel schon aus Sachgründen aus, den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG) fiktiv festzustellen. Die Prüfung des Zulassungsgrundes des Verfahrensmangels (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) wäre bezogen auf das Hauptsacheverfahren bereits tatsächlich nicht möglich.

Auch eine fiktive Prüfung, ob die Rechtssache in der Hauptsache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG), ist wegen der unterschiedlichen Funktion und Zielsetzung von Eil- und Hauptsacheverfahren nicht sachgerecht. Die einer Entscheidung in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu Grunde liegenden Erwägungen entsprechen weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht denen des Verfahrens der Hauptsache. Da es im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausschließlich darum geht, unter Beachtung der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 Grundgesetz) eine vorläufige Regelung zu treffen, werden Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung hier in aller Regel gerade nicht abschließend entschieden. Vielmehr wird in derartigen Fällen die vorläufige Entscheidung in der Regel auf Grund einer überschlägigen Prüfung der Sach- und Rechtslage oder einer Folgenabwägung getroffen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Auflage, § 86b Rn. 29a), während die endgültige Entscheidung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleibt, in dem das Gericht den Streitgegenstand und die entscheidungserheblichen Tatsachen feststellen und die für die Beurteilung des Sach- und Streitstandes wesentlichen Rechtsfragen abschließend beantworten muss. Auch aus diesem Grund wäre es nicht gerechtfertigt, die Beschwerdemöglichkeiten im Eilverfahren davon abhängig zu machen, ob in einem entsprechenden Hauptsacheverfahren eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu klären wäre.

Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus dem vom LSG Niedersachsen-Bremen in dem genannten Beschluss vom 21. Oktober 2008 (a.a.O.) angestellten Vergleich mit den Regelungen der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Es trifft zwar zu, dass § 146 Abs. 4 VwGO in seiner in der Zeit vom 1. März 1993 bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausdrücklich ausschloss, wenn im Verfahren zur Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte, und dass der Gesetzgeber diese Regelung mit Wirkung zum 1. Januar 1997 zu Gunsten einer reinen Zulassungsbeschwerde aufgehoben hat. Hierbei handelte es sich jedoch um eine reine Folgeänderung zur Einführung der allgemeinen Zulassungsberufung (BT-Drs. 13/3993 S. 14), die es im Bereich des SGG nicht gibt und die zudem bereits mit Wirkung zum 1. Januar 2002 wieder aufgehoben wurde. Begründet wurde die erneute Gesetzesänderung ausdrücklich damit, dass sich die Zulassungsbeschwerde in der Praxis nicht bewährt und insbesondere nicht zu einer Entlastung, sondern vielmehr sogar zu Verfahrensverzögerungen geführt habe (BT-Drs. 14/6393 S. 14). Der Gesetzgeber hat somit auf die vielfache Kritik an der alten Regelung reagiert, die sich vor allem darauf bezog, dass die Zulassungsgründe für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht recht passten und die beabsichtigte Entlastung der Gerichte nicht eingetreten war (Kopp/Schenke, VwGO, 13. Aufl., § 146 Rn. 28; Kienemund NJW 2002, 1231, 1234). Vor diesem Hintergrund spricht nichts für die Annahme, dass der Gesetzgeber trotz dieser negativen Erfahrungen mit einer Zulassungsprüfung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren diese für den Bereich des SGG wieder einführen wollte.

Entgegen der Ansicht des LSG Niedersachsen-Bremen (Beschluss vom 21. Oktober 2008, a.a.O.) ist auch der Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht geeignet, die dort vertretene Ansicht zu stützen. Dass der Gesetzgeber den Vorschlägen des Deutschen Sozialgerichtstages nicht gefolgt ist, die Beschwerde gegen Beschlüsse in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auszuschließen, "wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte" (wie dies in § 146 Abs. 4 VwGO in der vom 1. März 1993 bis 31. Dezember 1996 geltenden Fassung bestimmt war) und den Sozialgerichten die Zulassung einer Beschwerde entsprechend § 144 Abs. 2 SGG einzuräumen, ist vor dem Hintergrund der oben genannten Motive, die den Gesetzgeber zur erneuten Änderung der VwGO ab 1. Januar 2002 bewegt haben, eher dahin zu verstehen, dass er die von ihm gewählte Formulierung für ebenso geeignet hielt und eine Zulassungsbeschwerde – und damit die Prüfung von Zulassungsgründen – gerade nicht einführen wollte.

Etwas anderes ergibt sich schließlich nicht aus dem Umstand, dass das Sozialgericht in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses eine Beschwerde als zulässig bezeichnet hat, da eine unrichtige Belehrung einen nach dem Gesetz nicht gegebenen Rechtsbehelf nicht eröffnen kann (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 66 Rn. 12a).

Auch die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe hat keinen Erfolg. Dabei kann vorliegend offen bleiben, ob die Beschwerde bereits nach § 73a SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO ausgeschlossen ist, weil der Beschwerdewert von mehr als EUR 750,- nicht erreicht wird (vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – L 8 AS 4968/08 PKH-B – Juris; a.A. z.B. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. August 2007 – L 5 B 573/07 AS PKH – Juris). Denn die Beschwerde ist bereits unzulässig, weil es der Antragstellerin hierfür an einem Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Da das Verfahren für die Antragstellerin gerichtskostenfrei ist (§ 183 S. 1 SGG), kann Ziel eines Antrags auf Prozesskostenhilfe nur die Beiordnung eines Rechtsanwalts sein (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl., § 73a Rn. 9). Da das Verfahren der ersten Instanz jedoch abgeschlossen ist und ein Rechtsanwalt nicht mitgewirkt hat, kommt die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht mehr in Betracht, sodass die Antragstellerin kein schutzwürdiges Interesse an der Überprüfung der sozialgerichtlichen Entscheidung mehr hat.

Mangels einer hinreichenden Erfolgsaussicht im Beschwerdeverfahren konnte auch hierfür keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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