L 31 AS 318/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
31
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 193 AS 1217/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 31 AS 318/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Frage, ob Unionsbürger trotz der Vorschrift des § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB II einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur im Rahmen einer Folgenabwägung entschieden werden.
2. Ob der von der Bundesregierung eingelegte Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) im Hinblick auf SGB II-Leistungen wirksam ist, hängt nicht (nur) von der Zulässigkeit des Vorbehalts ab. Entscheidend ist, ob der betroffene Signatarstaat – hier Spanien – Einspruch gegen den Vorbehalt eingelegt oder diesen – auch stillschweigend – akzeptiert.
3. Die Frage, ob der Leistungsausschluss gegen EU-Recht verstößt, kann angesichts einer mittlerweile gefestigten aber widersprüchlichen Judikatur der Landessozialgerichte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht entschieden werden.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 01. Februar 2013 wird zurückgewiesen. Der Antragsgegner und Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L A, K , B, gewährt.

Gründe:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 01. Februar 2013, mit dem dieses den Antragsgegner verpflichtet hat, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 14. Januar 2013 bis zu der Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. Juni 2013, zu gewähren, ist zulässig, aber unbegründet. Jedenfalls im Ergebnis erweist sich der Beschluss des Sozialgerichts Berlin als rechtmäßig, so dass die Beschwerde zurückzuweisen war.

Der 1987 geborene Antragsteller ist s Staatsangehöriger und verfügt über ein Diplom im Studienfach Elektrotechnik (Bachelor) der Universität V. Vom 01. September 2010 bis 28. Februar 2011 absolvierte er in Deutschland ein Praktikum bei der R GmbH. Unter dem 23. November 2012 stellte das Bezirksamt Neukölln von Berlin dem Antragsteller eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU aus, in der als Zeitpunkt der Anmeldung der 26. August 2012 angegeben ist.

Am 07. Dezember 2012 beantragte er beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er gab an, bedürftig zu sein, was er durch die Vorlage von Kontoauszügen belegte. Zu seinen Wohnverhältnissen gab er an, mit einem Landsmann und einer weiteren Untermieterin in einer 5 Zimmer Wohnung in B zu wohnen, in der er einen 30 m² großen Wohnflächenanteil zur Verfügung habe. Der Mietzins betrage 800,00 Euro warm. Er habe davon die Hälfte abzüglich des von der Untermieterin zu zahlenden Mietzinses von 230,00 Euro, mithin 285,00 Euro, an Miete zu zahlen.

Mit Bescheid vom 07/09. Januar 2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie führte aus, das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland ergebe sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II seien Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergäbe, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Leistungsausschluss habe bisher nicht für Staatsangehörige der Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens gegolten. Die Bundesrepublik Deutschland habe nunmehr für Leistungen nach dem SGB II einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen erklärt. Dieser sei zum 19. Dezember 2011 in Kraft getreten. Damit finde der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für Staatsangehörige der Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens Anwendung. Demzufolge gehöre auch der Antragsteller nicht mehr zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II.

Am 14. Januar 2013 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Mit Beschluss vom 01. Februar 2013 hat das Sozialgericht dem Antrag im Wesentlichen stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller sei als s Staatsangehöriger nicht vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. S sei Vertragsstaat des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 (EFA). Das Abkommen gehe dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R). An dieser Rechtslage habe sich auch dadurch nichts geändert, dass die Bundesregierung im Hinblick auf SGB II Leistungen mit Wirkung vom 19. Dezember 2011 einen Vorbehalt erklärt habe. Dieser Vorbehalt sei nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts (Beschluss des 20. Senats Az.: L 20 AS 2047/12 B ER ) unwirksam. Allerdings seien dem Antragsteller wegen der Vorläufigkeit des einstweiligen Rechtsschutzes nur 85 v. H. des Regelbedarfs zzgl. der Mietaufwendungen vorläufig zu bewilligen.

Gegen diesen ihm am 06. Februar 2013 zugestellten Beschluss wendet sich der Antragsgegner und macht geltend, dass der Vorbehalt wirksam sei.

Mit Beschluss vom 20. Februar 2013 hat der Senat auf Antrag des Beschwerdeführers die Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts vom 01. Februar 2013 ausgesetzt.

Auf Anforderung des Senats hat der Antragsteller aktuelle Bewerbungen nebst Rückmeldungen der angeschriebenen Firmen zu einer Tätigkeitsaufnahme in Deutschland vorgelegt, so u.a. Bewerbungen vom 18. Februar 2013, vom 08. Februar 2013, vom 06. Februar 2013, vom 01. Februar 2013, vom 28. Januar 2013, vom 12. Februar 2013, vom 24. Januar 2013 und vom 17. Januar 2013.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Nach § 86 b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Voraussetzung ist, dass sowohl ein Anordnungsanspruch (d. h. ein nach der Rechtslage gegebener Anspruch auf die einstweilig begehrte Leistung) wie auch ein Anordnungsgrund (im Sinne der Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung) bestehen. Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG i. V. m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung). Wegen des vorläufigen Charakters einer einstweiligen Anordnung soll durch sie eine endgültige Entscheidung in der Hauptsache grundsätzlich nicht vorweggenommen werden. Bei seiner Entscheidung kann das Gericht sowohl eine Folgenabwägung vornehmen wie auch eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache anstellen. Drohen aber ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, dürfen sich die Gerichte nur an den Erfolgsaussichten orientieren, wenn die Sach- und Rechtslage abschließend geklärt ist. Ist dem Gericht dagegen eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist allein anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 1 BvR 596/05 , zitiert nach juris).

Eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren orientiert an den Erfolgsaussichten der Hauptsache ist vorliegend nicht möglich, da sich die Sach- und Rechtslage nicht abschließend aufklären lässt. Zwar ist die einfachgesetzliche Rechtslage im vorliegenden Fall überschaubar. Danach bestehen keine Bedenken, dass der Antragsteller die Grundvoraussetzungen des Leistungsbezuges nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erfüllt. Denn es bestehen keine ernsthaften Zweifel, dass er erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und sich auch rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland aufhält. Letzteres gilt zumindest unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2010, in der ausgeführt ist, dass ein Aufenthaltsrecht nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II sich bereits aus dem Vorliegen der Freizügigkeitsbescheinigung ergebe, soweit die Ausländerbehörde diese noch nicht zurückgenommen habe. Auf die materielle Berechtigung zum Aufenthalt komme es nicht an. Der Senat kann an dieser Stelle im einstweiligen Rechtsschutzverfahren offen lassen, ob dieser Rechtsansicht zu folgen sein wird und ob das Bundessozialgericht sich bereits endgültig zu dieser von früherer Rechtsprechung abweichender Ansicht bekannt hat.

Einfachgesetzlich besteht auch kein Zweifel, dass der Antragsteller von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen ist. Nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU) kommt vorliegend ein Recht auf Einreise und Aufenthalt lediglich nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alternative zur Arbeitssuche in Betracht. Dies hat der Antragsteller im Verfahren so auch angegeben. Andere Freizügigkeitsrechte sind nicht ersichtlich. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob die Tätigkeit als Praktikant ein Freizügigkeitsrecht als Arbeitnehmer begründet hätte, da diese fünfmonatige Tätigkeit mehr als ein Jahr beendet ist (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 2 Freizügigkeitsgesetz/EU). Weiter scheidet auch ein Freizügigkeitsrecht als Familienangehöriger nach § 3 Freizügigkeitsgesetz/EU aus. Als nicht erwerbstätiger Freizügigkeitsberechtigter nach § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU kann der Antragsteller schon deshalb nicht angesehen werden, weil dieses einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel voraussetzt. Ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4 a Freizügigkeitsgesetz/EU besteht ebenfalls nicht. Damit ist unzweifelhaft, dass der Antragsteller nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von den Leistungen ausgeschlossen ist.

Problematisch erscheint die Vereinbarkeit dieses Ausschlusses mit europäischem Recht und Völkerrecht.

Soweit das Sozialgericht sich in der angefochtenen Entscheidung darauf bezogen hat, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auf Staatsangehörige eines Vertragsstaates des EFA nicht anzuwenden sei, kann die Kammer dem so nicht folgen. Die Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2010 (B 14 AS 23/10 R) bezog sich noch auf einen Zeitraum, in dem die Bundesregierung noch keinen Vorbehalt im Hinblick auf die SGB II Leistungen zum Europäischen Fürsorgeabkommen eingelegt hatte. Den Entscheidungen des Landessozialgerichts, die diesen Vorbehalt als unzulässig ansehen (vgl. z.B. Beschluss des 20. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. September 2012 L 20 AS 2047/12 B ER und Beschluss des 19. Senats vom 9. Mai 2012 L 19 AS 794/12 B ER , zitiert nach juris), kann der Senat nicht folgen. Die Entscheidungen prüfen lediglich die Zulässigkeit eines Vorbehaltes nach Art. 16 b des EFA. Zwar sind in dieser Vorschrift die Voraussetzungen eines zulässigen Vorbehaltes niedergelegt. Die zitierte Rechtsansicht verkennt aber, dass die Wirksamkeit – nicht allein die Zulässigkeit - eines völkerrechtlichen Vorbehaltes nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts nicht lediglich davon abhängt, ob er nach dem Abkommen zulässig wäre oder nicht. Letztlich hängt die Wirksamkeit eines solchen Vorbehaltes vom Verhalten der anderen Abkommensstaaten ab und nicht von Entscheidungen nationaler Gerichte des den Vorbehalt erklärenden Staates. Diese könnten nach Auffassung des Senats über Leistungsansprüche der aus dem Abkommen Berechtigten erst dann entscheiden, wenn die betroffenen Abkommensstaaten über die Annahme oder die Ablehnung des Vorbehaltes entschieden haben. Zwar sind unzulässig ausdrücklich oder a contrario ausgeschlossene Vorbehalte und solche, die mit Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar sind. Die Entscheidung darüber liegt jedoch bei jedem Abkommensstaat und muss durch Einspruch geltend gemacht werden. Bei Einsprüchen ist weiter zwischen einem so genannten einfachen und einem qualifizierten Einspruch zu unterscheiden. Ein einfacher Einspruch betrifft eine einzelne Vertragsbestimmung, der qualifizierte Einspruch das gesamte Vertragswerk. Soweit bei multilateralen Verträgen früher die ausdrückliche Annahme des von einem anderen Staat erklärten Vorbehalts durch die anderen Signatarstaaten als Voraussetzung für die Rechtswirksamkeit des Vorbehaltes gefordert wurde, dürfte nach heutiger Lehre und Praxis eine stillschweigende Annahme möglich sein (vgl. zum Ganzen: Wolfram, Karl, in Lexikon des Rechts Völkerrecht , 2. Auflage, Seite 399; Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 9. Auflage, Seite 223, letzterer insbesondere zur stillschweigenden Annahme eines Vorbehaltes). Vor diesem rechtlichen Hintergrund lässt sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht klären, ob der Vorbehalt wirksam ist (die Zulässigkeit des Vorbehalts bejahend, Beschluss des 29. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 07. Juni 2012 L 29 AS 920/12 B ER, Rn. 42 ff , zitiert nach juris). Nach Auffassung des Senats kann also über die Wirksamkeit des möglicherweise auch unzulässig erklärten Vorbehaltes nicht entschieden werden, ohne dass die Haltung des anderen Vertragsstaates zu diesem Vorbehalt in Hinblick auf einen Einspruch oder qualifizierten Einspruch bekannt ist. Die Haltung Spaniens zu dem von der Bundesrepublik erklärten Vorbehalt ist dem Senat nicht bekannt. Er wird auch keine Ermittlungen im einstweiligen Anordnungsverfahren zu diesem Sachverhalt anstellen, so dass die völkerrechtliche Frage der Verdrängung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II durch das EFA als offen und im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zu klären angesehen werden muss.

Im Hinblick auf die Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit Europarecht haben bereits etliche Senate des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg und weitere Landessozialgerichte der Bundesrepublik entschieden. Dabei geht es um die Frage, ob der Ausschluss mit Vorschriften der Richtlinie 2004/38/EG und der VO (EG) Nr. 883/2004 vereinbar ist. Beide europäischen Rechtsnormen datieren vom 29. April 2004; sie scheinen Entgegengesetztes zu regeln. Die Argumente des Für und Wider eines Leistungsausschlusses sind in den verschiedenen Entscheidungen dargelegt (vgl. z.B. Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 5. März 2012 –L 29 AS 414/ 12 B ER; 27. April 2012 – L 14 AS 736/ 12 B ER; 20. September 2012 - L 20 AS 2047/12 B ER, zitiert nach juris).

Nach dieser bereits gefestigten unterschiedlichen Judikatur steht jedenfalls für den erkennenden Senat fest, dass die Problematik der Vereinbarkeit des Leistungsausschlusses mit Europarecht im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht geklärt werden kann. Beide Rechtsansichten stützen sich auf nachvollziehbare Argumente. In einem Hauptsacheverfahren würde der Senat sich zu entscheiden haben. Letztlich kann eine Klärung aber nur durch eine rechtsvereinheitlichende Rechtsprechung des Bundessozialgerichts herbeigeführt werden, die bisher nicht vorliegt.

Damit steht für den Senat fest, dass vorliegend nicht nach den Erfolgsaussichten in der Hauptsache entschieden werden kann, weil diese als offen bezeichnet werden müssen und die schwierigen Rechtsfragen in einem Eilverfahren weder tatsächlich noch rechtlich zu klären sind.

Deshalb besteht für den erkennenden Senat geradezu die Verpflichtung, anhand einer Folgenabwägung zu entscheiden. Jedes andere Vorgehen verstößt nach Auffassung des Senats gegen die vom Bundesverfassungsgericht dargelegten Grundsätze für den einstweiligen Rechtsschutz in Sozialgerichtsverfahren (vgl. BVerfG, a. a. O.).

Damit sind abzuwägen die Folgen, die eintreten würden, wenn die Anordnung nicht erginge, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellen würde, dass der Antragsteller einen entsprechenden Anspruch gehabt hätte, mit den Folgen, die entstünden, wenn die Leistung einstweilen zugesprochen würde, sich im Hauptsacheverfahren aber ergäbe, dass ein Anspruch nicht bestanden hatte. Bei dieser Folgenabwägung sind sämtliche Belange von Antragsteller und Antragsgegner vor dem Hintergrund der ihnen zustehenden Rechte und Grundrechte gegeneinander abzuwägen.

Auf der Seite des Antragsgegners und Beschwerdeführers ist zunächst festzustellen, dass er die Leistungen, die er an den Antragsteller auszahlt, wohl auch dann nicht wird wiedererlangen können, wenn sich im Hauptsacheverfahren herausstellen sollte, dass der Antragsteller keinen Anspruch gehabt hätte. Dies ergibt sich aus der Hilfebedürftigkeit des Antragstellers im Hinblick auf Leistungen in Deutschland. Der endgültige Verlust dieser Gelder wiegt bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen durchaus schwer, da es rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht, dass eine an Gesetz und Recht gebundene Verwaltung an Nichtberechtigte leisten muss, ohne Aussicht, diese Beträge im Erfolgsfall in der Hauptsache zurück erhalten zu können.

Vor diesem Hintergrund muss der Antragsteller erhebliche Rechtsverletzungen geltend machen können, die ihm drohen würden, wenn er die Leistung nicht erhielte. Nach Auffassung des Senats steht hier das Freizügigkeitsrecht des Antragstellers nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 2. Alternative zur Arbeitssuche – Freizügigkeitsgesetz/EU ganz im Vordergrund. Dieses Freizügigkeitsrecht soll allen Unionsbürgern innerhalb der Union ermöglichen, einen Arbeitsplatz in einem Mitgliedsstaat zu finden und so die eigene berufliche Zukunft europaweit zu gestalten. Vor dem Hintergrund der auch grundgesetzlich geschützten Berufsfreiheit nach Art. 12 Grundgesetz(GG) ist damit auch ein Grundrecht betroffen. Allerdings ist dem Freizügigkeitsgesetz/EU nicht zu entnehmen, ob dieses Freizügigkeitsrecht auch dann bestehen soll, wenn der Unionsbürger die Arbeitssuche im Ausland nicht selbst finanzieren kann. Eher dagegen spricht die Regelung in § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU, nach der nicht erwerbstätige Unionsbürger nur dann ein Freizügigkeitsrecht besitzen, wenn sie aus eigenen Mitteln für ihren Unterhalt aufkommen können und Krankenversicherungsschutz nachweisen. Allerdings ist dem Gesetz auch nicht sicher zu entnehmen, dass das Freizügigkeitsrecht zur Arbeitssuche bei notwendiger Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen eingeschränkt sein soll. Ohne Zweifel ist der Antragsteller in seinem Recht auf Freizügigkeit zur Arbeitssuche betroffen, wenn der Senat seinen Antrag auf Leistungen zur Sicherung der Existenzgrundlagen ablehnen würde. Denn ihm bliebe dann de facto nichts anderes übrig, als auszureisen und Sozialhilfeleistungen in seinem Heimatland Spanien zu beziehen. Würde der Antragsteller in einem späteren Hauptsacheverfahren obsiegen, wäre sein Recht auf Freizügigkeit zur Arbeitssuche in nicht wieder gutzumachender Weise beeinträchtigt, da eine Arbeitssuche für vergangene Zeiten schlechthin unmöglich ist. Damit dürften dem Antragsteller bei Nichterlass der einstweiligen Anordnung bei Obsiegen in der Hauptsache nicht wieder gutzumachende Nachteile entstehen.

Im Hinblick auf die vorzunehmende Folgenabwägung überwiegt dies die Nachteile des Antragsgegners, der mit der nahen Möglichkeit rechnen muss, zu Unrecht erbrachte Leistungen nicht wieder zurückzuerhalten. Dennoch muss der Senat in die Folgenabwägung auch einstellen, dass es zumindest möglich erscheint, dass der Antragsteller, bei einem Verlust des Rechtsstreits in der Hauptsache, später finanziell in der Lage sein wird, die ihm zu Unrecht ausgekehrten Sozialleistungen zurückzuzahlen. Insofern bestehen für den Antragsgegner bei Erlass der einstweiligen Anordnung nicht schon jetzt nicht wieder gutzumachende Nachteile. Es erscheint lediglich wahrscheinlich, dass er die erbrachten Sozialleistungen nicht zurückerhalten wird. Dem Antragsteller dagegen drohen im Hinblick auf das Freizügigkeitsrecht zur Arbeitssuche nicht wieder gutzumachende Nachteile. Dies führt bei der Folgenabwägung des Senats dazu, dass vorläufig Leistungen mit einem Abschlag, wie das Sozialgericht dies getan hat, zu bewilligen sind.

Gegen das Ergebnis dieser Folgenabwägung spricht auch nicht, dass ein Freizügigkeitsrecht allein zur Inanspruchnahme von Sozialleistungen eines anderen Staates im Freizügigkeitsgesetz/EU sicher nicht geregelt ist. Vorliegend kann aber nicht zweifelhaft sein, dass der Antragsteller sich tatsächlich zur Arbeitssuche in Deutschland aufhält. Er hat dies mit der Vorlage einer Vielzahl von Bewerbungen und Absagen glaubhaft gemacht.

An dieser Stelle sieht der Senat Anlass für den Hinweis, dass er im Rahmen der anzustellenden Folgenabwägung anders entscheiden würde, wenn der tatsächliche Aufenthalt zur Arbeitssuche oder ein anderes Freizügigkeitsrecht nicht glaubhaft gemacht werden. Dazu reicht keineswegs die Behauptung des jeweiligen Antragstellers, er suche Arbeit. Vielmehr ist dies durch entsprechende Bemühungen nachzuweisen. Suchte ein Antragsteller nämlich nicht ernsthaft Arbeit in Deutschland, müsste von einer Einwanderung in die Sozialleistungssysteme des deutschen Staates ausgegangen werden. Dafür, dass eine solche Einwanderung zulässig ist, spricht nach Auffassung des Senats nichts. Dies ergibt sich zwingend aus § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU, der ein Einreise- und Aufenthaltsrecht ohne Erwerbstätigkeit von der Möglichkeit, sich selbst zu unterhalten, und damit vom Vorhandensein entsprechender finanzieller Mittel, abhängig macht.

Im Rahmen der Folgenabwägung ist auch nicht auf die Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU als ein das Freizügigkeitsrecht deklaratorisch feststellendes Dokument abzustellen, mit dem das BSG (Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 23/10 R, Rn. 14, zitiert nach juris) den rechtmäßigen Aufenthalt in der Bundesrepublik begründet. Diese formelle Rechtsposition reicht nicht aus, um bei deren Verletzung von überwiegenden Nachteilen des Antragstellers auszugehen.

Dabei verkennt der Senat nicht, dass durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Arbeitnehmereigenschaft ohnehin gewisse "Missbrauchsmöglichkeiten" bestehen. Denn zur Begründung der Arbeitnehmereigenschaft und damit eines Freizügigkeitsrechts reicht es, dass der Arbeitnehmer eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt. Es ist nicht erforderlich, dass er mit dieser Tätigkeit das Existenzminimum erarbeiten kann. Eine Ausnahme besteht danach nur dann, wenn die Tätigkeit der Arbeitnehmer einen so geringen Umfang hat, dass sie als völlig untergeordnet und unwesentlich angesehen werden muss (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, a.a.O., dort Rn 18 mit umfangreichen Nachweisen, zitiert nach juris). Nach der diesem Urteil zugrunde liegenden Fallgestaltung reicht ein monatliches Entgelt von 100,00 Euro bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden bereits aus. Würde der Antragsteller eine solche geringfügige Tätigkeit ausüben, wäre es vollkommen unstreitig, dass der Antragsgegner so genannte "Aufstockungsleistungen" nach dem SGB II erbringen müsste. Dennoch hält der Senat es für zwingend erforderlich, dass Antragsteller im einstweiligen Rechtsschutzverfahren eine ernsthafte Arbeitssuche glaubhaft machen, um von einem beeinträchtigten Freizügigkeitsrecht von § 2 Abs. 2 Nr. 1 –zur Arbeitssuche- Freizügigkeitsgesetz/EU überhaupt ausgehen zu können.

Entgegen anderslautenden Rechtsauffassungen sieht der Senat ein Recht des Antragstellers auf Existenzsicherung (Art. 1 GG Menschenwürde , Art. 2 GG Recht auf körperliche Unversehrtheit ) nicht als betroffen an. Denn im vorliegenden Fall kann der Antragsteller problemlos in sein Heimatland Spanien zurückkehren und dort existenzsichernde Leistungen in Anspruch nehmen. Es ist nicht im Ansatz erkennbar, warum es einem Unionsbürger unzumutbar sein sollte, in sein Heimatland zurückzukehren. Schützen die Rechtsvorschriften der Europäischen Union eine Freizügigkeit innerhalb des Gebietes der Vertragsstaaten, so versteht es sich von selbst, dass diese Freizügigkeit auch im Hinblick auf eine Rückkehr in das eigene Land besteht. Dies gilt umso mehr, als kein Anhalt dafür besteht, dass die europäischen Rechtsvorschriften eine Zuwanderung von Unionsbürgern in das Land mit den besten Sozialleistungen zuließen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Zuzug nur erfolgen soll, um diese Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Nach Auffassung des Senats wäre daher eine Rückkehr jederzeit zumutbar. Für zukünftige Fälle ist darauf hinzuweisen, dass deshalb ein Recht auf Existenzsicherung im Rahmen der Abwägung nicht dazu führen würde, dass der Antragsgegner leistungspflichtig werden würde.

Die Höhe der zu erbringenden Leistungen hat das Sozialgericht zutreffend bestimmt. Hiergegen wendet sich der Antragsgegner auch nicht. Der Antragsteller selbst hat sich ebenfalls nicht gegen den 15 prozentigen Abzug gewandt, der allerdings auch nach Auffassung des Senats zutreffend ist.

Dem Antragsteller war auch Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes A zu bewilligen, weil der Antragsgegner Rechtsmittel eingelegt hatte (§ 118 ZPO).

Die Aufhebung der Vollstreckung aus dem Beschluss des Sozialgerichts Berlin mit Beschluss des Senats vom 20. Februar 2013 hat sich damit erledigt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Der Beschuss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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