L 7 KA 101/11 KL

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
7
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 7 KA 101/11 KL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist vom Landessozialgericht nur noch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden sowie der Streitwert festzusetzen.

Die Beteiligten stritten um die Aufnahme der Klägerin in den Kreis stellungnahmeberechtigter Verbände nach § 63 Abs. 3c Satz 4 SGB V.

Am 15. Juli 2010 beschloss der Beklagte eine "Bekanntmachung zur Ermittlung der stellungnahmeberechtigten Organisationen für Entscheidungen über die Richtlinie zur Übertragung von heilkundlichen Tätigkeiten im Rahmen von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3 c SGB V". Die maßgeblichen Verbände der Pflegeberufe wurden zur Meldung aufgefordert und um Erklärung gebeten, ob sie in das Stellungnahmeverfahren einbezogen werden sollen. Das Merkmal "maßgeblicher Verband" sei durch Vorlage der Satzungen oder Statuten und durch Angabe der Mitgliederzahl glaubhaft zu machen. Aufgrund der eingehenden Meldungen werde der Beklagte über den Kreis der stellungnahmeberechtigten Organisationen entscheiden. Die Bekanntmachung wurde am 3. August 2010 im Bundesanzeiger Nr. 114, Seite 2654, veröffentlicht.

Am 1. Oktober 2010 meldete die Klägerin sich beim Beklagten und bat um Aufnahme in den Kreis der stellungnahmeberechtigten Verbände. Als mit Abstand mitgliedstärkster Interessenverband der Pflegeberufe, der darüber hinaus auch die Interessen weiterer Gesundheitsberufe vertrete, sei man sehr an einer Beteiligung am Verfahren und der Abgabe einer Stellungnahme interessiert. Die Klägerin habe über 2,1 Millionen Mitglieder. Der Fachbereich Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen, in dem die Pflege- und Gesundheitsberufe organisiert seien, umfasse ca. 345.000 Mitglieder.

Mit Beschluss vom 21. Oktober 2010 legte der Beklagte den Kreis der stellungnahmeberechtigten Organisationen für Richtlinien nach § 63 Abs. 3c SGB V fest. Ein uneingeschränktes Stellungnahmerecht räumte der Beklagte folgenden Organisationen ein:

- Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste bpa e.V. - Dekanekonferenz Pflegewissenschaft e.V. - Deutscher Pflegerat DPR e.V.

Der Klägerin wurde kein Stellungnahmerecht eingeräumt, weil sie "ihrer Aufgabenstellung nach prioritär gewerkschaftliche arbeitnehmerseitige Interessenvertretung Wahrnimmt". Kein Stellungnahmerecht räumte der Beklagte außerdem der Bundesarbeitsgemeinschaft leitender Pflegepersonen e.V., der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V. sowie der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V. ein. Mit Schreiben vom 12. November 2010 gab der Beklagte der Klägerin Kenntnis vom Beschluss vom 21. Oktober 2010.

Zur Begründung ihres dagegen erhobenen Widerspruchs brachte die Klägerin im Wesentlichen vor: Sie sei als maßgeblicher Verband der Pflegeberufe im Sinne von § 63 Abs. 3c SGB V einzustufen und daher kraft Gesetzes zur Stellungnahme berechtigt. Gewerkschaften seien bereits ihrer Definition nach Interessenverbände von Arbeitnehmern. Die Klägerin habe im großen Umfange Angehörige der Pflegeberufe als Mitglieder, was sie zu einem maßgeblichen Verband der Pflegeberufe mache. Nicht notwendig sei es, dass der Verband ausschließlich Interessen von Angehörigen der Pflegeberufe vertrete. Die Beteiligung sei nach dem Willen des Gesetzgebers zu gewährleisten, um die Auswirkungen des Modellvorhabens auf das Berufsbild sowohl der Ärzte als auch der betroffenen Berufsgruppe der Pflege zu berücksichtigen. Nach § 46 Nr. 1 d der Satzung sei die berufliche Interessenvertretung eine Aufgabe der Gewerkschaft ver.di. Auch der Gesetzgeber räume der Klägerin Sachkompetenz im Bereich der Pflegeberufe ein. Dies zeige sich daran, dass die Klägerin im Rahmen der Gesetzgebung im zweiten Teil der öffentlichen Anhörungen am 21. Januar 2008 ausdrücklich als sachverständiger Verband zu den für die Pflegeberufe relevanten Themenfeldern Stärkung der Versorgung, Pflegestützpunkte, Pflegezeit, Pflegebegriff und demenzielle Versorgung eingeladen worden sei. Ebenso sei die Klägerin auch beim vierten Teil der öffentlichen Anhörungen am 23. Januar 2008 als sachverständiger Verband beteiligt gewesen. Auch vor dem Bundesverfassungsgericht habe die Klägerin im Verfahren zum Altenpflegegesetz als Berufsverband Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Dass die Klägerin als Gewerkschaft auch die Interessen der abhängig beschäftigten Mitglieder berücksichtige, ändere nichts an der Stellungnahmeberechtigung. Letztlich sei entscheidend, dass die Beteiligung der Verbände wegen der Auswirkungen auf das Berufsbild der betroffenen Berufsgruppen der Pflege geschehe. Hiermit habe der Gesetzgeber die Rechte der hinter den Verbänden stehenden Angehörigen der Berufsgruppen stärken wollen.

In seiner Sitzung vom 21. Juli 2011 (schriftlicher Bescheid vom 25. Juli 2011) beschloss der Beklagte, den Widerspruch der Klägerin zurückzuweisen. Die Klägerin sei kein maßgeblicher Verband der Pflegeberufe im Sinne von § 63 Abs. 3 c Satz 4 SGB V.

Mit der am 25. August 2011 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.

Am 20. Oktober 2011 beschloss der Beklagte die "Richtlinie über die Festlegung ärztlicher Tätigkeiten zur Übertragung auch Berufsangehörige der Alten- und Krankenpflege zur selbständigen Ausübung von Heilkunde im Rahmen von Modellvorhaben nach § 63 Abs. 3c SGB V". Im Rahmen der Erarbeitung des Beschlusses hatten die vier genannten als stellungnahmeberechtigt anerkannten maßgeblichen Verbände der Pflegeberufe Stellungnahmen abgegeben.

Am 25. bzw. 26. Februar 2013 haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt.

II.

Nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist die Kostenentscheidung gemäß § 197 a Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in Verbindung mit § 161 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nach billigem Ermessen zu treffen. Billigem Ermessen entspricht es, die Klägerin mit den Kosten des Verfahrens zu belasten. Die Klage hatte keine Erfolgsaussicht, denn die Klägerin ist – nach dem in diesem Verfahrensstadium vorhandenen Erkenntnisstand des Berichterstatters – kein "maßgeblicher Verband der Pflegeberufe" im Sinne von § 63 Abs. 3c Satz 4 SGB V und hatte daher keinen Anspruch auf Aufnahme in den Kreis der stellungnahmeberechtigten Verbände.

Unerheblich ist zunächst, dass die Klägerin im Gesetzgebungsverfahren im Rahmen der Anhörung vor dem Ausschuss für Gesundheit als "sachverständiger Verband" fungierte (vgl. BT-Drs. 16/8525, S. 84 bis 86). Neben dutzenden weiterer Verbände und einer Fülle von Sachverständigen bezog der Ausschuss für Gesundheit die Klägerin in seine Anhörung zum Entwurf des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes (BT-Drs. 16/7439) mit ein. Zur Information über einen Gegenstand seiner Beratung kann ein Ausschuss öffentliche Anhörungen von Sachverständigen, Interessenvertretern und anderen Auskunftspersonen vornehmen (§ 70 Abs. 1 Satz 1 GO BT). Es liegt auf der Hand, dass der Kreis der "Sachverständigen, Interessenvertreter und anderen Auskunftspersonen" in diesem Sinne wesentlich weiter ist als der Kreis der stellungnahmeberechtigten "maßgeblichen Verbänden der Pflegeberufe" im Sinne von § 63 Abs. 3c Satz 4 SGB V, was schon ein Blick auf den sehr großen Kreis der vor dem Ausschuss Angehörten zeigt; allein zu Anhörung am 21. Januar 2008 wurden neben der Klägerin ca. 60 weitere Verbände eingeladen, darunter u.a. auch der Bundesverband der Deutschen Industrie e.V., der Bundesverband der Berufsbetreuer e.V. und der Bundesverband Medizintechnologie e.V. Es verbietet sich daher, auf die Anhörung im Gesetzgebungsverfahren auf eine Stellungnahmerecht im Sinne von § 63 Abs. 3c Satz 4 SGB V zu schließen.

Davon abgesehen sind die Gesetzgebungsmaterialien zum Zweck des Gesetzes nicht sehr ergiebig. § 63 Abs. 3c Satz 3 bis 5 SGB V waren im Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 16/7439) nicht enthalten und wurden auf Vorschlag des Ausschusses für Gesundheit in das Gesetz eingefügt (vgl. BT-Drs. 16/8525, S. 64). Zur Begründung dafür heißt es (a.a.O., S. 105), die Übertragung der Regelungskompetenz auf den Gemeinsamen Bundesausschuss diene der einheitlichen Handhabung und der Akzeptanz der Regelung. Wegen der Auswirkungen auf das Berufsbild sowohl der Ärzte als auch der betroffenen Berufsgruppen der Pflege seien die Bundesärztekammer und die maßgeblichen Verbände der Pflegeberufe bei der Erstellung der Richtlinien zu beteiligen. Die Ausgestaltung der Modellvorhaben im Einzelnen bleibe den Vertragspartnern der Modellvorhaben vorbehalten.

Die Stellungnahmeberechtigung der "maßgeblichen Verbände der Pflegeberufe" dient danach einer Berücksichtigung der "Auswirkungen auf das Berufsbild ( ) der betroffenen Berufsgruppen der Pflege". Zur Beurteilung dieser Auswirkungen sind nur diejenigen Verbände in der Lage, die konkreten und nicht nur allgemeinen Fachbezug zu Pflegeberufen haben. Es erscheint ohne Weiteres sachgerecht, diesen Fachbezug anhand der jeweiligen Satzung zu beurteilen, denn grundsätzlich wird davon auszugehen sein, dass die für einen Verband (wie einen Verein oder eine Gewerkschaft) wesentlichen Grundentscheidungen, zu denen sein Zweck gehört, in der Satzung definiert sind (vgl. für den Verein Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Aufl., Anm. 2 zu § 25).

§ 5 der Satzung der Klägerin ("Zweck, Aufgaben und Ziele") schweigt in Bezug auf Belange der Pflegeberufe und definiert allgemeine gewerkschaftliche Ziele. Nach § 46 Nr. 1 der Satzung nehmen die Fachbereiche der Klägerin die Aufgaben der fachbezogenen mitglieder- und betriebsnahen Interessenvertretung wahr. Als "Fachbereich 3" fungiert der "Fachbereich Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen" (§ 22 Nr. 3 c der Satzung). In der gesamten Satzung der Klägerin ist keine Bezugnahme auf Belange der Pflegeberufe enthalten. Zwar vertritt die Klägerin gewerkschaftlich unzweifelhaft über ihren Fachbereich 3 auch die in ihr organisierten Angehörigen von Pfegeberufen. Zu einem "maßgeblichen Verband der Pflegeberufe" wird die Klägerin dadurch jedoch nicht. Es fehlt der konkrete Fachbezug, der bei den anderen vom Beklagten zugelassenen Stellungnahmeberechtigten ohne Weiteres bejaht werden kann. Besonders deutlich wird dies etwa beim Deutschen Pflegerat e.V., der als Bundesarbeitsgemeinschaft der Pflegeorganisationen und des Hebammenwesens Partner der Spitzenorganisationen der Selbstverwaltung im Gesundheits- und Sozialwesen ist und die Belange des Pflege- und Hebammenwesens in Deutschland vertritt (vgl. die Präambel der Satzung des Deutschen Pflegerat e.V., http://www.deutscher-pflegerat.de/dpr.nsf/0ACCACB623A6A603C12572A30035BC45/$File/DPR%20Satzung%202011-12.pdf).

Die Gesetzessystematik bestätigt, dass es gerechtfertigt ist, nur Fachverbände als "maßgebliche Verbände der Pflegeberufe" zuzulassen und nicht auch die Klägerin als Gewerkschaft des Dienstleistungssektors allgemein. Denn sofern das Gesetz für die Entscheidungsfindung des Gemeinsamen Bundesausschusses die Beteiligung oder Stellungnahme Dritter vorsieht, handelt es sich dabei stets um Sachkundige mit besonderem Fachbezug.

Ein echtes Beteiligungsrecht sieht § 137 Abs. 3 Satz 5 SGB V vor in Zusammenhang mit Beschlüssen des Beklagten zu spezifischen Qualitätssicherungsanforderungen für zugelassene Krankenhäuser im Sinne von § 137 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB V. Das Beteiligungsrecht erstreckt sich auf die Bundesärztekammer, den Verband der privaten Krankenversicherung und "die Berufsorganisationen der Pflegeberufe". Letztere werden repräsentiert durch den Deutschen Pflegerat e.V., zu dessen Mitgliedern u.a. die Arbeitsgemeinschaft christlicher Schwesternverbände und Pflegeorganisationen in Deutschland e.V., der Berufsverband Kinderkrankenpflege Deutschland e.V., der Deutsche Berufsverband für Pflegeberufe und der Deutsche Pflegeverband, mithin fachgebundene und damit auch fachkundige Berufsverbände gehören (vgl. auch Hess, GesR 2011, S. 588 [591 r. Sp.]).

Die Ebene der Stellungnahmeberechtigung kennt das Gesetz, insbesondere in den §§ 91 und 92 SGB V, in verschiedenen Bereichen. Sie dient dazu, die Rechtsstellung derjenigen Unternehmen, Organisationen und Institutionen gegenüber dem Beklagten zu stärken, die nicht in die Organisationsstruktur des Beklagten integriert sind, aber durch seine Entscheidungen in ihren rechtlichen oder wirtschaftlichen Interessen tangiert werden (vgl. Hess, a.a.O., S. 592). Bei den Stellungnahmeberechtigten handelt es sich durchweg um fachlich eingegrenzte, besonders hervorgehobene und spezialisierte Gruppen, vgl. etwa § 91 Abs. 5 (Ärzte-, Psychotherapeuten- und Zahnärztekammer), § 92 Abs. 1a Satz 6 (Spitzenorganisationen der Zahntechniker), § 92 Abs. 3a Satz 1 (u.a. maßgebliche Dachverbände der Ärztegesellschaften), § 92 Abs. 5 i.V.m. § 111b Abs. 1 (u.a. für die Wahrnehmung der Interessen der Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen auf Landesebene maßgebliche Verbände), § 92 Abs. 7 Satz 2 i.V.m. § 132a Abs. 1 (für die Wahrnehmung der Interessen von Pflegediensten maßgebliche Spitzenorganisationen auf Bundesebene), § 92 Abs. 7a (u.a. Spitzenorganisationen der Hilfsmittelhersteller), § 92 Abs. 7b (maßgebliche Organisationen der Hospizarbeit und der Palliativversorgung) und § 92 Abs. 7c (maßgebliche Organisationen der Leistungserbringer der Soziotherapieversorgung).

Der Blick auf andere Vorschriften, die mit § 63 Abs. 3c Satz 4 SGB V vergleichbar sind, belegt damit, dass Tätigkeitsfeld und Zweck der Klägerin zu allgemein sind; als Gewerkschaft nimmt sie Arbeitnehmerinteressen wahr und ist nicht vergleichbar mit dem Spezialisierungsgrad der sonst im Gesetz aufgeführten stellungnahmeberechtigten sachkundigen Organisationen.

Der Streitwert war nach § 197 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes auf 5.000,- Euro festzusetzen.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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