L 32 AS 805/13 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 205 AS 14266/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 32 AS 805/13 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2013 aufgehoben. Der Antragstellerin wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht ab dem 2. Oktober 2012 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung oder Beiträge aus dem Vermögen bewilligt und Rechtsanwältin J K zu den Bedingungen eines ortsansässigen Rechtsanwalts beigeordnet. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Prozesskostenhilfe für ein Verfahren, in welchem die Antragstellerin die Übernahme von Gas- und Betriebskostennachforderungen für Zeiträume zwischen Januar 2010 und Juni 2011 sowie die laufenden Abschläge für die Gaskosten geltend macht.

Die Antragstellerin steht im Leistungsbezug nach dem SGB II bei der Antragsgegnerin. Sie forderte die Übernahme der Nachzahlungsforderungen für die Betriebskosten 2010 in Höhe von 210,59 EUR sowie für die Gasabrechnung für den Zeitraum Juli 2010 bis Juni 2011 mit einem Betrag von 20,58 EUR sowie die Übernahme der laufenden Abschläge auf die Gaskosten in Höhe von monatlich 55,00 EUR. Dies lehnte die Antragsgegnerin mit den Bescheiden vom 27. Januar und 10. Februar 2012 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 8. Mai 2012 ab. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass nach dem Umzug der Antragstellerin in die aktuelle Wohnung zum 9. August 2007 höhere Unterkunftskosten als bisher nicht zu übernehmen seien, weil die erforderliche Zusicherung im Sinne von § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II (a.F.) gefehlt habe und eine Erforderlichkeit des Umzugs nicht ersichtlich sei. Der Einwand des Stalkings der Antragstellerin sei nicht nachgewiesen. Insofern hätte der Antragstellerin die Möglichkeit gerichtlichen Rechtsschutzes offen gestanden.

Die Antragstellerin verfolgt ihr Begehren mit ihren Klagen vom 1. Juni 2012 weiter. Sie hat diese zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Sozialgerichts Berlin erhoben und die Widerspruchsbescheide, die Gasabrechnung vom 2. Juli 2011 eingereicht und im Übrigen auf die Begründung des Widerspruchsbescheides verwiesen. Sie hat auf wiederholte Aufforderung des Sozialgerichts die Einnahmen-Überschuss-Rechnung für ihre selbständige Tätigkeit am 2. Oktober 2012 vorgelegt.

Den zugleich mit der Klage gestellten Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe hat das Sozialgericht mit Beschluss vom 20. Februar 2013 abgelehnt und diese Entscheidung damit begründet, die Antragstellerin habe nicht hinreichend das Streitverhältnis dargestellt. Insbesondere ergebe sich aus ihren Ausführungen nicht, aus welchem Grunde die Übernahme der geltend gemachten Zahlungen umstritten sei. Dass sie meine, die Leistungen seien zu Unrecht abgelehnt worden, genüge den zu stellenden Anforderungen nicht. Eine Darstellung des Streitverhältnisses ohne jeden Tatsachenkern und ohne im Ansatz erkennbaren Grund für das empfundene Unrecht könne nach höchstrichterlicher Rechtsprechung keine Grundlage für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sein.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die am 22. März 2013 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin. Diese wurde mit Schreiben vom 11. Juni 2013 von der Bevollmächtigen der Antragstellerin begründet. Diese stützt ihre Auffassung zu den Erfolgsaussichten der Klage darauf, dass die geltend gemachten Kosten sämtlich im Sinne des § 22 Abs 1 SGB II angemessen seien.

Sie beantragt zudem die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren.

Die Antragsgegnerin hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten Band I und II der Antragsgegnerin, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

Die fristgerecht eingelegte Beschwerde ist statthaft.

Nach § 172 Abs. 1 SGG findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist. Nach § 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG ist die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe ausgeschlossen, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint.

§ 172 Abs. 3 Nr. 2 SGG regelt abschließend die Statthaftigkeit der Beschwerde gegen eine Ablehnung von Prozesskostenhilfe. Die insoweit weitergehende Vorschrift des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO findet, auch wenn nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG die Vorschriften der Zivilprozessordnung (ZPO) über die Prozesskostenhilfe entsprechend gelten, keine Anwendung. Dies erscheint im Hinblick darauf, dass § 172 SGG die Rechtsbehelfe gegen Beschlüsse für das sozialgerichtliche Verfahren erkennbar abschließend regelt, einen Verweis auf ZPO-Vorschriften, insbesondere zur Prozesskostenhilfe nicht enthält, dagegen aber eine eigene die Prozesskostenhilfe regelnde Bestimmung vorsieht, nicht zulässig. Dabei lässt sich der Senat insbesondere von der Rechtsprechung des BVerfG leiten, die gerade für Rechtsbehelfe Klarheit durch das geschriebene Gesetz verlangt (BVerfG – Plenum, Beschluss vom 30.04.2003, 1 PBvU 1/02). Für den Ausschluss der Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe im Klageverfahren kommt es nach der insoweit klaren Vorgabe des § 172 SGG ausschließlich auf den Gesichtspunkt der Bedürftigkeit und nicht darauf, ob in der Hauptsache die Berufung zulässig wäre, an (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 10. Auflage, § 172 Rdnr 6i m.w.N.).

Die Beschwerde ist auch begründet.

Das Sozialgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Unrecht abgelehnt, denn der Antrag ist zulässig und die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 ZPO erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Der Antrag ist zulässig. Er war nicht bereits deswegen abzulehnen, weil kein ausreichender Vortrag vorgelegen hätte. Zutreffend hat das Sozialgericht festgestellt, dass der Streitgegenstand hinreichend bezeichnet war. Darüber hinaus hat die anwaltlich zunächst nicht vertretene Antragstellerin hinreichend deutlich gemacht, worüber die Beteiligten streiten. Dieses von der ständigen Rechtsprechung verlangte Erfordernis dient der Möglichkeit, durch das Gericht die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung oder Verteidigung beurteilen zu können. Der Tatsachenkern war mit der hinreichenden Konkretisierung des Streitgegenstandes, der Gas- und Betriebskostenforderungen in konkreter Höhe mit klarer Genese und für konkrete Zeiträume durch die Klage und die dabei eingereichten Unterlagen mitgeteilt. Die rechtliche Bewertung bei ggf noch im Rahmen der Amtsermittlung denkbaren Untersuchungen zu diesem Streitgegenstand war der Kammer möglich und damit auch eine Beurteilung der Erfolgsaussichten. Angesichts der hinreichenden Konkretisierung des Streitgegenstandes und der ausdrücklichen Erklärung der Anfechtung der mit der Klage angegriffenen Bescheide und dem Verweis auf die Begründung im Widerspruchsverfahren, welche in den als Anlagen und damit als Klägervortrag eingereichten Widerspruchsbescheiden noch hinreichend erkennbar wird, ist der Streitstoff im vorliegenden Fall hinreichend verdeutlicht. Gründe, die letztendlich die Klageforderung tragen, müssen nicht vorgetragen sein. Insofern kann das Gericht – nach entsprechendem Gehör der Beteiligten – seine Entscheidung auch auf andere rechtliche und sogar auch tatsächliche Aspekte stützen, als dies die Beteiligten im Verfahren tun. Erkennbar hält die Antragstellerin die Gründe der Widerspruchsbescheide für fehlerhaft. Berücksichtigt man weiter, dass mit den Anträgen und den als Klägervortrag eingereichten Unterlagen erhebliche Erfolgsaussichten erkennbar sind, kann kaum davon ausgegangen werden, der Streitstoff sei für eine Beurteilung der Erfolgsaussichten nicht hinreichend dargetan, wiewohl eine stärkere Verdeutlichung dessen, was in der Sache als Unrecht angesehen werde, wünschenswert erscheint.

Im vorliegenden Fall bestehen nicht nur hinreichende sondern erhebliche Erfolgsaussichten. Die Klage erscheint zulässig. Es spricht auch einiges für Ansprüche der Antragstellerin in der Sache. Die von der Antragsgegnerin angeführte Begründung der Verweigerung der vollständigen Berücksichtigung der – wohl auch von ihr als angemessen angesehenen – Unterkunfts- und Heizungskosten erscheint wenig überzeugend. Zwar schreibt § 22 Abs 1 Satz 2 SGB II a.F. die Begrenzung der Unterkunftskosten auf die Höhe der bisherigen Unterkunftskosten als individuelle Angemessenheitsgrenze gerade dann vor, wenn ein nicht erforderlicher Umzug ohne Zusicherung in eine Wohnung mit dem Grunde nach angemessenen Unterkunftskosten erfolgt. Die Vorschrift regelt indes nicht, für welchen Zeitraum diese sanktionsähnliche Leistungsreduzierung (Lang/Link in Eicher/Spellbrink. SGB II, 2. Aufl., § 22 RdNr 47a unten) erfolgen darf. Rechtsstaatliche Erfordernisse bei der Gewährung der Grundsicherungsleistungen im Rahmen des Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum dürften es unzulässig erscheinen lassen, die Reduzierung der Unterkunftskosten, obwohl diese grundsicherungsrechtlich dem Grunde nach angemessen sind, ohne zeitliche Begrenzung aufrecht zu erhalten. Dies wird ganz überwiegend unter Erörterung verschiedener Lösungsmöglichkeiten vertreten. Diskutiert wird insofern in Anlehnung an die Vorschriften der §§ 31a Abs 1 Satz 5 SGB II (n.F.) die Jahresfrist, was wegen § 31 Abs 2 Nr 2 SGB II (n.F.) – unwirtschaftliches Verhalten eine erkennbare Vergleichbarkeit der gesetzgeberischen Motive aufweist, oder eine Zweijahresfrist (SG Berlin, Urteile vom 12.09.2008, S 82 AS 20480/08, und vom 16.07.2010, S 82 AS 7352/09). Selbst wenn man eine Dreijahresfrist annehmen wollte, könnten die hier geltend gemachten Ansprüche bei der inzwischen langen Dauer der Anmietung der aktuellen Wohnung für streitgegenständliche Zeiträume erfasst sein. Ohne feste Frist wird die Prüfung der Mietsteigerung der früheren Wohnung als Maßstab diskutiert (Lauterbach in Gagel, SGB II / SGB III, 49. Ergänzungslieferung 2013, § 22 SGB II RdNr 86 mwN). Dabei ist jedenfalls im Hinblick auf die nicht sehr große Differenz der Unterkunftskosten der früheren und der aktuellen Wohnung und die inzwischen erheblich verstrichene Zeit ebenfalls zu bedenken, dass die Kosten der früheren Wohnung zwischenzeitlich eine erhebliche Steigerung erfahren haben können, was im Rahmen der individuellen Angemessenheitsgrenze (st Rspr des BSG, etwa Urteil vom 24.11.2011, B 14 AS 107/10 R, RdNr 13 mwN) zu beachten sein dürfte (Lauterbach in Gagel, SGB II / SGB III, 49. Ergänzungslieferung 2013, § 22 SGB II RdNr 86 mwN).

Inwieweit ein Stalking, das von der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren als Umzugsmotiv bezeichnet worden war, eine Erfordernis des Wohnungswechsels begründete, dürfte ggf. weitere Aufklärung erfordern. Die Widerspruchsbescheide stellen nicht dar, welche Beweismittel insofern von Amts wegen verschafft oder von der Antragstellerin vorgelegt oder benannt sind, geschweige denn nehmen sie eine entsprechende Beweiswürdigung vor.

Die Antragstellerin ist zur Prozessführung nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in der Lage.

Ihre Vertretung durch einen Rechtsanwalt erscheint geboten.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO). Auch deshalb ist keine Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu gewähren.

Dieser Beschluss kann nicht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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