L 22 R 549/11

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 29 R 139/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 549/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 05. April 2011 geändert. Der Bescheid vom 20. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 wird aufgehoben. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten. Im Übrigen haben die Beteiligen einander keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Verrechnung mit einer Beitragsforderung der Beigeladenen gegen einen Anspruch auf Rentenzahlung gegenüber der Beklagten.

Der im März 1937 geborene Kläger schuldet der Beigeladenen Beiträge für 1999 von 3.540,24 Euro (Bescheid vom 22. März 2000) nebst Säumniszuschlägen für 2000 von 331,32 Euro (Bescheid vom 08. Februar 2001), für 2001 von 411,08 Euro (Bescheid vom 05. Februar 2002), für 2002 von 408,00 Euro (Bescheid vom 05. Februar 2003) und für 2003 von 404,00 Euro (Bescheid vom 10. Februar 2004) nebst Zwangsvollstreckungskosten von 55,91 Euro.

Der Kläger bezieht von der Beklagten ab 01. April 2002 Regelaltersrente mit einem Zahlbetrag ab 01. Januar 2008 von 1.151,18 Euro, ab 01. Juli 2008 von 1.160,41 Euro, ab 01. Januar 2009 von 1.159,77 Euro, ab 01. Juli 2009 von 1.202,90 Euro, ab 01. Januar 2011 von 1.198,90 Euro, ab 01. Juli 2011 von 1.210,82 Euro und ab 01. Juli 2012 von 1.238,14 Euro.

Die mit dem Kläger in einem Haushalt lebende Ehefrau I S erhält Altersrente für Frauen mit einem Zahlbetrag ab 01. Januar 2008 von 669,09 Euro, ab 01. Juli 2008 von 674,47 Euro, ab 01. Januar 2009 von 674,09 Euro, ab 01. Juli 2009 von 699,23 Euro, ab 01. Januar 2011 von 696,90 Euro, ab 01. Juli 2011 von 703,83 Euro und ab 01. Juli 2012 von 719,72 Euro.

Beim Kläger ist seit dem 21. Juni 2012 ein Grad der Behinderung (GdB) von 50 und das Merkzeichen G – erhebliche Gehbehinderung festgestellt (Bescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg vom 08. August 2012).

Der Kläger und seine Ehefrau als Nutzungsberechtigte einerseits und der Sohn der Eheleute RS als Eigentümer andererseits haben am 20. September 2004 eine Vereinbarung dahingehend getroffen, dass der Eigentümer den Grundbesitz mit aufstehenden Gebäudlichkeiten, Sstraße, E den Nutzungsberechtigten zum Zwecke des Wohnens in Mitnutzung mit dem Eigentümer überlässt. Dieses Nutzungsrecht wird entgeltlich übertragen gegen Zahlung eines monatlichen Betrages von 500 Euro, der die Umlage sämtlicher Nebenkosten, soweit diese über den Eigentümer abgerechnet bzw. vom Eigentümer getragen werden, beinhaltet, während verbrauchsabhängige Kosten vom Wohnungsberechtigten getragen werden, ohne dass diese berechtigt wären, gegenüber dem Eigentümer die auf diesen entfallenden Kosten umzulegen. Diese Vereinbarung wurde zwischen den Beteiligten am 08. Oktober 2012 unter gleichzeitiger Bewilligung und Beantragung eines dinglichen Wohnrechts bestätigt. Der Kläger und seine Ehefrau als Untermieter einerseits und deren Sohn als Vermieter andererseits schlossen am 30. Oktober 2004 einen Untermietvertrag, mit dem verschiedene Räume möbliert in der Sstraße, E gegen eine Monatsmiete von 600 Euro vermietet wurden.

Nachdem die Beklagte in einem vorangegangenen Verfahren nach einem gerichtlichen Hinweis (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 12 R 75/06) mit der Bitte um Prüfung, ob der Kläger unter Berücksichtigung des Urteils des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R klaglos gestellt werden könne, die entsprechenden Bescheide über eine Verrechnung aufgehoben hatte, ermächtigte die Beigeladene mit Schreiben vom 22. Juni 2007 die Beklagte erneut zur Verrechnung mit der Beitragsforderung von 3.540,24 Euro nebst Säumniszuschlägen und Zwangsvollstreckungskosten, die sie im Einzelnen wie dargelegt näher bezeichnete.

Mit Schreiben vom 27. Juni 2007 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass die Beigeladene sie ermächtigt habe, diese Forderung nebst Säumniszuschlägen und Zwangsvollstreckungskosten, die fällig und bestandskräftig seien, im konkret genannten Umfang mit dem Anspruch auf laufende Rentenzahlung zu verrechnen. Es sei beabsichtigt, von der laufenden Rente monatlich 200 Euro einzubehalten. Sie wies darauf hin, dass, falls durch die beabsichtigte Verrechnung Hilfebedürftigkeit eintrete, diese durch eine Bedarfsbescheinigung des Sozialhilfeträgers nachzuweisen sei. Sie gab dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme.

Der Kläger meinte gegenüber der Beklagten, das Verrechnungsersuchen sei zurückzuweisen. Die Gemeinde des Klägers lehne die im Übrigen auch gesetzlich nicht vorgesehene Erteilung einer Bedarfsbescheinigung ab. Der Kläger übermittelte unter Beifügung verschiedener Unterlagen den Stand seiner Ausgaben per 25. Juli 2007 mit 967,83 Euro (Energielieferung Gas/Strom, Wasser/Abwasser, Pkw-Nutzungsgebühr durch Übernahme Leasingkosten von Frau N, Rundfunk/Fernsehen, Telefon, Abfallentsorgung, Hundesteuer, Gartenpacht, Benzin/Fahrzeugkosten, Tageszeitung) zuzüglich 450,50 Euro monatlich (Apotheke, Arztbesuche, Hilfeleistung behinderte Tochter, Mietzahlung für Studentenwohnung Sohn, Studentenwerkzahlung). Bei einer Rente von 1.158,18 Euro und den von der Beklagten anerkannten Belastungen von 789,91 Euro verbleibe ein Betrag von 368,27 Euro, der geringer als der Betrag des so genannten Grundbedarfs für Ernährung, Körperpflege, Ersatzbeschaffung von Kleidung sei. Wenn davon ein Betrag von 200 Euro abgezogen würde, würde ein Betrag von 168,27 Euro verbleiben, der nicht einmal dazu ausreiche, eine ausreichende Ernährung zu gewährleisten. Es fehle an jeglicher Abwägung hinsichtlich des Zusatzbedarfs des Klägers im Hinblick auf sein Alter und seinen Zustand nach Myokardinfarkt. So sei er deswegen auf ein Fahrzeug angewiesen. Eine direkte oder indirekte Heranziehung des Einkommens seiner Ehefrau sei nicht zulässig.

Mit Bescheid vom 20. November 2007 verfügte die Beklagte, dass mit der Forderung der Beigeladenen von 3.540,24 Euro nebst Säumniszuschlägen für die Jahre 2000 bis 2003 und Vollstreckungskosten von 1.610,31 Euro gegen die Rente in Höhe von 1.151,18 Euro mit monatlich 200 Euro ab 01. Februar 2008 verrechnet werde, so dass der Kläger ab diesem Zeitpunkt nur noch 951,18 Euro erhalte. Die Verrechnung werde nach eingehender Prüfung für angemessen gehalten. Die Einwände gegen die Verrechnung könnten nicht berücksichtigt werden, weil trotz mehrfacher Aufforderung eine Bedarfsbescheinigung nicht vorgelegt worden sei.

Den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, der Betrag von 951,18 Euro reiche zur Deckung des Wohnungs- und Lebensbedarfs insbesondere des erhöhten Bedarfs bei einem Herzkranken nicht aus, wobei zu berücksichtigen sei, dass er auch gegenüber seiner Ehefrau unterhaltspflichtig sei, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2008 zurück: Es werde weiterhin keine Bedarfsbescheinigung vorgelegt. Der gegenwärtige Regelsatz für einen Haushaltsvorstand betrage 347 Euro monatlich. Hierin sei der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung sowie von Sonderbedarfen enthalten.

Dagegen hat der Kläger am 03. März 2008 beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) Klage erhoben.

Er hat gemeint, durch die Verrechnung hilfebedürftig zu werden. Die Beklagte habe die Aufwendungen für die GEZ von 51,09 Euro und für die Tageszeitung von 20,71 Euro monatlich fehlerhaft unberücksichtigt gelassen. Der Kläger habe die Kfz-Versicherung und Kfz-Steuer zu tragen. Die Kfz-Versicherung laufe zwar auf D N, die Lebensgefährtin des Sohnes, weil das Fahrzeug auf sie zugelassen sei. Das Fahrzeug sei jedoch dem Kläger zur Verfügung gestellt worden, wobei die gesamten Kosten vom Kläger übernommen werden müssten. Die Eheleute wohnten in dem Haus, das ihnen einmal gehört habe und ihnen nunmehr vom Sohn als Eigentümer entgeltlich auf der Basis überlassen worden sei, dass die gesamten Kosten für die Immobilie, bestehend aus den Verbrauchskosten und sonstigen öffentlichen Abgaben, von ihnen getragen werden. Wenn verfügbare Beträge vorhanden seien, solle der monatlich verfügbare Betrag an den Sohn abgeführt werden. Allerdings seien, da bis auf das Existenzminimum praktisch kein Geld mehr übrig bleibe, weitere Zahlungen an diesen nicht möglich. Das Fahrzeug sei zwischenzeitlich nach der beigefügten Zulassungsbescheinigung vom 08. Januar 2009 auf den Kläger zugelassen worden. Er benötige dieses Fahrzeug, weil er nach Herzinfarkten und schwerer Herzbehandlung bei vollständiger Schwerbehinderung nicht in der Lage sei, Strecken in einer Entfernung von mehr als 250 m zurückzulegen. Die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel sei dem Kläger für regelmäßige Arztbesuche zur Kontrolle seiner schweren Herzerkrankung nicht zumutbar. Über Geld für ein Taxi verfüge er nicht. Er sei darüber hinaus besonderen Belastungen ausgesetzt, da er die Kosten der Bestattung seiner zwischenzeitlich verstorbenen Tochter nicht bezahlen könne. Er müsse die beigefügte Rechnung über 1.375,84 Euro in monatlichen Raten von 150 Euro begleichen. Sämtliche Bemühungen um den Erhalt einer Bescheinigung über seine Bedürftigkeit seien gescheitert. Einen Antrag auf Grundsicherung werde er nicht stellen, da ansonsten seine verbleibenden Kinder zu Unterhaltsleistungen herangezogen würden. Er führe nunmehr umfangreiche Auseinandersetzungen mit dem Grundsicherungsamt, denn dieses wolle zahlreiche Aufwendungen nicht anerkennen. Er habe deswegen eine Eigenberechnung vorgenommen, die sich für den Kläger und seine Ehefrau wie folgt darstelle: Regelsatz 2 x 323 Euro = 646 Euro, zuzüglich Miete 600 Euro, Wasser/Abwasser 109,83 Euro und Heizung 251 Euro, gesamt 1.606,83 Euro. Dazu komme ein angemessener Mehrbedarf nach § 30 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), der im Hinblick auf die Beeinträchtigung des Klägers mindestens in Höhe des Mehrbedarfs von 17 v. H. des Regelsatzes über 30 Abs. 1 SGB XII mit 54,91 Euro zu erfassen sei. Allerdings seien die Beeinträchtigungen der Möglichkeit der Fortbewegung damit nicht erschöpfend geregelt, weil für diesen Betrag das Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel für die zahlreichen Arztbesuche nicht zu bewerkstelligen sei. Darüber hinaus gebe es auch keine ausreichende Infrastruktur, um eine entsprechende Anfahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln für einen schwer herzkranken Mann zu ermöglichen. Insoweit sei ein Fahrzeug notwendig, weswegen ein weiterer Betrag von 200 Euro (unter Einbeziehung des Mehrbetrages gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII) hinzukomme. Das Gesamteinkommen der Eheleute betrage 1.816,60 Euro, so dass ein Betrag nicht verbleibe, der abgezweigt werden könne. Der Kläger bewohne für einen angemessenen Betrag von nur 600 Euro zusammen mit seiner Ehefrau ein Haus, in dem er schon seit Jahrzehnten wohne. Es sei ihm nicht zuzumuten, für die Dauer der Abtragung von Schuldverbindlichkeiten vorübergehend den Wohnsitz zu wechseln. Die fiktive Heranziehung eines Mietspiegels sei nicht zu berücksichtigen, weil der Kläger kein Hartz IV-Empfänger sei. Er sei bei zahlreichen Ärzten in Behandlung. Bei den Fahrzeugkosten in Höhe von 200 Euro monatlich handele es sich um Erfahrungswerte. Wegen der Verschlechterung des Gesundheitszustandes müsse möglicherweise eine Herzoperation durchgeführt werden. Der Kläger hat verschiedene Unterlagen vorgelegt.

Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass nach dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Eberswalde vom 30. Juli 2007 – 5 M 1060/09 - ab dem 01. Oktober 2009 zur Befriedigung einer Forderung in Höhe von 3.311,27 Euro bei voraussichtlichem Tilgungsende zum 31. Juli 2011 150,40 Euro an den Gläubiger angewiesen würden.

Das Sozialgericht hat den Mietspiegel für den nicht preisgebundenen Wohnraum in der Stadt Eberswalde gültig ab 11. Januar 2010 beigezogen und die Befundberichte des E-Krankenhauses und Herzzentrums B vom 01. Februar 2011 und des Facharztes für Innere Medizin G vom 11. Februar 2011 eingeholt.

Nach entsprechender Anhörung hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 05. April 2011 die Klage abgewiesen: Die angefochtenen Bescheide, die hinreichend bestimmt seien, seien nicht zu beanstanden. Die Beklagte sei zur Verrechnung von monatlich 200 Euro berechtigt. Der Kläger werde dadurch nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB XII. Gemäß § 51 Abs. 2 SGB I liege für den Nachweis der Hilfebedürftigkeit die Darlegungs- und Beweislast zwar beim Leistungsempfänger. Allerdings seien das Gericht und die Beklagte im Rahmen der ihnen obliegenden Amtsermittlung ebenso verpflichtet zu prüfen, ob der Kläger durch die Verrechnung hilfebedürftig werde. Die vorgenommene Berechnung ergebe eine solche Hilfebedürftigkeit nicht. Ausgehend von § 19 Abs. 2 Satz 2 SGB XII stehe dem Kläger und seiner Ehefrau ein Gesamteinkommen von monatlich mindestens 1.871,99 Euro zur Verfügung. Nach Abzug von 150,40 Euro aufgrund eines Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Eberswalde verbleibe ein Nettoeinkommen von 1.721,59 Euro. Dem stehe folgender Bedarf gegenüber: Für den Regelsatz ergebe sich nach dem ab dem 01. Januar 2011 geltenden Regelsatz ein Satz von 2 x 328 Euro Regelsatz (2 x 90 v. H. von 364 Euro/Monat) = 656 Euro. Hinzu kämen die angemessenen Kosten der Unterkunft im Sinne des § 29 SGB XII. Dabei sei nicht von den vom Kläger geltend gemachten unangemessen hohen Kosten der Kaltmiete und der Heizkosten auszugehen. Bei der Berechnung der angemessenen Kosten der Unterkunft sei auf der Grundlage des § 10 Gesetz über die soziale Wohnraumförderung in Verbindung mit der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr zum Wohnraumförderungs- und Wohnungsbindungsgesetz des Landes Brandenburg von einer angemessenen Wohnfläche von 65 m² für 2 Personen auszugehen. Unter Berücksichtigung des aktuellen qualifizierten Mietspiegels der Stadt E dürfte ein Mittelwert von 4,50 Euro je m² angemessen sein, woraus sich eine angemessene Grundmiete von 292,50 Euro ergebe. Hinzu kämen die geltend gemachten kalten Betriebskosten in Höhe von 109,85 Euro. Zur Ermittlung der Obergrenze der angemessenen Heizkosten sei auf den aktuellsten bundesweiten Heizkostenspiegel 2010 (Hinweis auf BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 36/08 R) zurückzugreifen, woraus sich bei Berücksichtigung der teuersten Heizvariante ein angemessener Wert von 97,50 Euro monatlich ergebe, woraus maximal berücksichtigungsfähige Kosten der Unterkunft von 499,85 Euro resultierten. Damit stehe einem Bedarf von 1.155,85 Euro ein verbleibendes Einkommen von 1.721,59 Euro gegenüber, so dass auch bei Verrechnung von 200 Euro der Bedarfsgemeinschaft noch 1.521,59 Euro zur Bedarfsdeckung verblieben. Einen Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII habe der Kläger nicht nachgewiesen, denn er stehe nur schwerbehinderten Menschen mit einem GdB von mindestens 80 v. H. und Merkzeichen "G" zu. Weiterhin stehe kein erheblicher Mehrbedarf für kostenaufwendige Ernährung im Sinne des § 30 Abs. 5 SGB XII zu, denn die behandelnden Fachärzte hätten angegeben, dass ein entsprechender Mehrbedarf entweder gar nicht oder nur ganz geringfügig gegeben sei. Soweit die Kosten für ein Kraftfahrzeug einschließlich der Kosten für eine Kfz-Haftpflichtversicherung nicht bereits in der Regelleistung enthalten seien, könnten die hierfür notwendigen Kosten zumindest aus dem dargestellten Einkommensüberhang bestritten werden, wenn der Kläger seine Unterkunftskosten auf das angemessene Maß reduziere.

Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 21. April 2011 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 23. Mai 2011, einem Montag, eingelegte Berufung des Klägers.

Er trägt vor, schwerbehindert zu sein. Aus der Zufälligkeit, dass sein Sohn Eigentümer der Immobilie sei, in der er lebe, könne keine Verpflichtung hergeleitet werden, diese mit dem Kläger verwandten Vermieter dazu zu bringen, eine niedrigere Miete zu akzeptieren. Der Sohn des Klägers könne nicht anders behandelt werden als jeder andere Vermieter. Die Heizkosten seien auch nicht evident hoch. Es sei völlig unzumutbar, vom Kläger zu verlangen, dass dieser wegen einer Forderung von 5000 Euro sein zu Hause aufgebe, in dem er seit über 25 Jahren gelebt habe. Einen Umzug könne er nicht finanzieren. Es seien die tatsächlichen Betriebskosten in Höhe von über 960 Euro zu berücksichtigen. Es sei falsch, dass es in E 65 m² große Wohnungen für 4 Euro je m² gebe. Es könne vom Kläger nicht verlangt werden, seine Ernährungsmehraufwendungen für eine fettarme Ernährung nachzuweisen. Die Kosten für ein Kfz seien im Regelbedarf nicht enthalten. Es seien auch die Kosten der GEZ, für ein Telefon und für eine Zeitschrift ansatzfähig. Das Gericht habe sich ebenfalls rechtsfehlerhaft nicht mit der Einbeziehung des Mehrbetrages gemäß § 30 Abs. 5 SGB XII befasst. Monatliche Mietzahlungen erfolgten nicht in Form von Überweisungen, sondern würden dem Sohn in bar zur Verfügung gestellt. Der Kläger sei sehr krank und müsse die ehemalige Medikation weiter nehmen. Er zahle für seinen Sohn R, der keine eigenen Einkünfte habe, Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung und zur Pflegeversicherung. Dem Sohn würde von seinen Eltern ein Stipendium von 340 Euro monatlich gezahlt, welches auf die Miete verrechnet werde. Die Benutzung eines Fahrzeugs sei erforderlich, weil der Kläger nur noch kurze Wegstrecken zu Fuß zurücklegen könne. Der Kläger hat den Bericht des Facharztes für Chirurgie und Gefäßchirurgie T vom 26. Juni 2012, die vorläufige Epikrise einer Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Gefäßchirurgie vom 27. August 2012, den Feststellungsbescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg vom 08. August 2012 sowie verschiedene Unterlagen zu geltend gemachten Kosten vorgelegt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 05. April 2011 zu ändern und den Bescheid vom 20. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und weist darauf hin, dass mit der Verrechnung aufgrund der aufschiebenden Wirkung bisher nicht begonnen worden sei. Der Kläger bringe zu hohe Ausgaben in Ansatz. Eine nach bürgerlichem Recht bestehende Verpflichtung, dem Sohn Unterhalt zu leisten, dürfte angesichts der den Elternteilen jeweils zustehenden Selbstbehalte kaum anzunehmen sein. Im Übrigen sei nun nicht mehr nachvollziehbar, ob der Sohn des Klägers ein Nutzungsentgelt von 500 Euro beziehe, zum Teil abgegolten durch erfüllungshalber angenommene Zuwendungen im Rahmen eines Stipendiums, oder ob er keine eigenen Einkünfte habe. Durch unangemessen hohe Kosten könne keine Bedürftigkeit zu Lasten der Staatskasse bzw. der Versichertengemeinschaft herbeigeführt werden. Dem Kläger sei die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln zuzumuten. Es bestehe Anspruch auf eine vergünstigte bzw. kostenlose Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln nach § 145 Abs. 1 SGB IX.

Die Beigeladene, die keinen Antrag stellt, weist darauf hin, dass die geltend gemachte Forderung von insgesamt 5.150,55 Euro in Höhe und Zusammensetzung korrekt sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten (44 240337 S 016), der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 20. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Es liegen zwar die Voraussetzungen für eine Verrechnung vor, insbesondere dürfte der Kläger durch die Verrechnung nicht hilfebedürftig werden. Die Beklagte hat jedoch keine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen.

Die Rechtsgrundlage für eine Verrechnung findet sich in den §§ 52, 51 Abs. 2 SGB I.

Nach § 52 SGB I kann der für eine Geldleistung zuständige Leistungsträger mit Ermächtigung eines anderen Leistungsträgers dessen Ansprüche gegen den Berechtigten mit der ihm obliegenden Geldleistung verrechnen, soweit nach § 51 SGB I die Aufrechnung zulässig ist.

Nach § 51 Abs. 2 SGB I gilt: Mit Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht erbrachter Sozialleistungen und mit Beitragsansprüchen nach diesem Gesetzbuch kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf laufende Geldleistungen bis zu deren Hälfte aufrechnen, wenn der Leistungsberechtigte nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt oder der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II wird.

Die danach erforderliche wirksame Ermächtigungserklärung liegt vor.

Diese erweiterte Aufrechnungsmöglichkeit hat nämlich nicht zur Folge, dass jeder Leistungsträger mit Forderungen anderer Leistungsträger, die ihm bekannt werden, verrechnen kann. Zur Wahrung der jeweiligen Zuständigkeit (Kompetenz) bedarf es einer wirksamen Ermächtigungserklärung. Es handelt sich dabei um eine empfangsbedürftige Willenserklärung, die für den ermächtigten Leistungsträger die Befugnis begründet, im eigenen Namen über ein Recht des Ermächtigenden im Sinne der Einziehung der Forderung mittels Verrechnung zu verfügen (quasi im Sinne eines abstrakten Verfügungsgeschäftes: BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R, abgedruckt in SozR 4-1200 § 52 Nr. 1; wegen des zugrunde liegenden Verrechnungsvertrages vgl. BSG, Urteil vom 26. September 1991 – 4/1 RA 30/90, abgedruckt in SozR 3-1200 § 52 Nr. 2 = BSGE 69, 238).

Allerdings bedeutet dies nicht, dass zu deren Wirksamkeit im Außenverhältnis zum Berechtigten diese Ermächtigungserklärung bereits so hinreichend bestimmt sein muss, wie dies für einen Verwaltungsakt über die Verrechnung zu fordern ist.

Der Verzicht auf die Gegenseitigkeit der beiden Forderungen bedingt gleichwohl, da der ermächtigte Leistungsträger den Bestand der Forderung nicht selbst beurteilen kann, dass die Ermächtigungserklärung grundsätzlich so hinreichend substantiiert ist, dass eine wirksame Verrechnung erklärt werden kann. Dies erfordert, die Forderung nach Art und Umfang so konkret zu bezeichnen, dass sie von möglicherweise bestehenden weiteren Forderungen zwischen den Beteiligten nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt abgrenzbar ist, und auch anzugeben, ob die Forderung bestands- oder rechtskräftig festgestellt worden ist (BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R). Diese hinreichende Substantiierung liegt sowohl im Interesse des ermächtigenden als auch des ermächtigten Leistungsträgers, denn ohne sie wird regelmäßig mangels hinreichender Bestimmtheit eine Verrechnung gegenüber dem Berechtigten nicht wirksam durch Verwaltungsakt erfolgen können. Allerdings betrifft die Notwendigkeit einer hinreichenden Substantiierung im Rahmen der Ermächtigungserklärung ausschließlich das Innenverhältnis zwischen ermächtigenden und ermächtigtem Leistungsträger, so dass Mängel einer hinreichenden Substantiierung im Außenverhältnis gegenüber dem Berechtigten keine Rechtsfolgen auslösen, denn dadurch wird der Berechtigte noch nicht in eigenen Rechten betroffen. Es handelt sich lediglich um vorbereitende Maßnahmen, die dem Erlass eines Verwaltungsaktes über eine Verrechnung dienen. Erst mit dem Verwaltungsakt über die Verrechnung wird in den Anspruch des Berechtigten gegen den ermächtigten Leistungsträger mindernd eingegriffen. Eine hinreichend substantiierte Ermächtigungserklärung ist damit nicht Wirksamkeitserfordernis einer gegenüber dem Berechtigten erklärten Verrechnung (vgl. BSG, Urteil vom 07. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R, abgedruckt in SozR 4-1200 § 52 Nr. 5, wonach dieses Erfordernis unter Aufgabe der Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R nicht mehr gefordert wird).

Eine wirksame Ermächtigungserklärung der Beigeladenen liegt mit dem Schreiben vom 22. Juni 2007 vor, in dem die Beklagte mit einer Beitragsforderung einschließlich Nebenkosten der Beigeladenen gegenüber dem Kläger zur Verrechnung ermächtigt wurde. Wie ausgeführt kann dahinstehen, ob die Art der Forderung im Einzelnen darin hinreichend bestimmt bezeichnet wurde.

Die Verrechnungserklärung durch Verwaltungsakt im Bescheid vom 20. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 genügt dem Bestimmtheitsgebot.

Der zuständige Leistungsträger ist berechtigt, die Verrechnung durch Verwaltungsakt (§ 31 Satz 1 SGB X) vorzunehmen. Einer über die Bestimmung des § 52 SGB I hinausgehenden ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung für den Erlass eines Verwaltungsaktes mit dem Inhalt der Verrechnung bedarf es nicht (BSG, Urteil vom 07. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R; BSG, Beschluss des Großen Senats vom 31. August 2011 – GS 2/10, abgedruckt in BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr. 4, und insoweit anders als BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R).

Wie jeder Verwaltungsakt muss auch der Verwaltungsakt über eine Verrechnung im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Das Bestimmtheitserfordernis verlangt, dass der Verfügungssatz eines Verwaltungsaktes nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Mithin muss aus dem Verfügungssatz für die Beteiligten vollständig klar und unzweideutig erkennbar sein, was die Behörde regeln will. Insoweit kommt dem Verfügungssatz des Verwaltungsaktes Klarstellungsfunktion zu. Unschädlich ist, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsaktes oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (BSG, Urteil vom 07. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R).

Damit müssen spätestens mit dem Widerspruchsbescheid die Gegenforderung(en) und die Forderung, gegen die mit dieser(n) Gegenforderung(en) aufgerechnet bzw. verrechnet wird, hinreichend bestimmt sein, denn (vgl. BSG, Urteil vom 07. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R) ausschlaggebend ist der (mit der Klage angefochtene) "ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat" (§ 95 SGG). Es ist daher nötig, diese Forderungen nach Art und Umfang so konkret zu bezeichnen, dass sie von möglicherweise bestehenden weiteren Forderungen zwischen den Beteiligten nach dem zugrunde liegenden Sachverhalt abgrenzbar sind. Ob dazu gehört, die zur Verrechnung gestellte(n) Forderung(en) im Einzelnen – nach Umfang, Entstehungszeitpunkt, Bezugszeitraum oder Fälligkeit – aufzuschlüsseln, oder ob dies jedenfalls dann entbehrlich ist, wenn die bezifferte Gesamtsumme ohne Weiteres mit bestehenden, ihrer Art nach benannten Einzelforderungen aufgefüllt werden kann, weil insoweit ausreichend ist, dass die zur Verrechnung gestellten Forderungen des anderen Leistungsträgers bestimmbar sind (BSG, Urteil vom 07. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R), muss vorliegend nicht entschieden werden.

Der Bescheid vom 20. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 ist sowohl hinsichtlich der Gegenforderung der Beigeladenen gegenüber dem Kläger als auch hinsichtlich der Forderung des Klägers gegenüber der Beklagten inhaltlich hinreichend bestimmt. Die Gegenforderung der Beigeladenen wird mit 5.150,55 Euro, bestehend aus Beiträgen nach § 150 Abs. 1 SGB VII für das Jahr 1999 in Höhe von 3.540,24 Euro sowie aus Säumniszuschlägen für die Jahre 2000 bis 2003 und Vollstreckungskosten in Höhe von 1.610,31 Euro, bezeichnet. Die Beiträge seien bis zum 15. April 2000 fällig gewesen, wobei der Forderungsbescheid vom 22. März 2000 Rechtskraft erlangt habe. Die Säumniszuschläge seien jeweils bis zum 15. März des Folgejahres fällig gewesen, wobei die Forderungsbescheide vom 08. Februar 2001 (331,32 Euro), 05. Februar 2003 (411,08 Euro), 05. Februar 2003 (408,00 Euro) und 10. Februar 2004 (404,00 Euro) ebenfalls Rechtskraft erlangt hätten. Die genannten Vollstreckungskosten werden im Bescheid zwar nicht beziffert, ihre Höhe ergibt sich aber aus der Differenz zwischen dem Betrag von 1.610,31 Euro und den im Einzelnen genannten Säumniszuschlägen. Damit ist die Gegenforderung der Beigeladenen nach Art und Umfang und dem zugrunde liegenden Lebenssachverhalt eindeutig festzustellen, so dass sie inhaltlich hinreichend bestimmt ist. Hinsichtlich der Forderung des Klägers gegenüber der Beklagten gilt dies ohnehin, denn außer der gezahlten Regelaltersrente wird keine Rente gewährt, so dass mit der Angabe, gegen "ihre Rente" werde aufgerechnet, diese Forderung klar bestimmt ist.

Eine Verrechnungslage bestand vorliegend ab 01. Februar 2008.

Soweit die Regelungen des SGB I keine besonderen Bestimmungen zur Verrechnung und Aufrechnung treffen, sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) über die Aufrechnung (§§ 387 ff. BGB) entsprechend heranzuziehen (BSG, Urteil vom 18. Februar 1992 – B 13/5 RJ 61/90, abgedruckt in SozR 3-1200 § 52 Nr. 3).

Maßgebende Vorschrift ist mithin § 387 BGB. Danach gilt: Schulden zwei Personen einander Leistungen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, so kann jeder Teil seine Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnen, sobald er die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Im Unterschied zur Aufrechnung wird allerdings bei der Verrechnung (lediglich) auf die erforderliche Gegenseitigkeit der beiden Forderungen verzichtet. § 52 SGB I verlangt auf Seiten der Leistungsträger keine Identität von Gläubiger- und Schuldnerposition, sondern lässt es ausreichen, dass ein Leistungsträger, der eine Geldleistung zu erbringen hat, von einem anderen Leistungsträger, dem gegen den Berechtigten ein Anspruch zusteht, zur Verrechnung ermächtigt worden ist. Die Verrechnung ist damit ein besonderes Rechtsinstitut zur Erweiterung der Aufrechnungsmöglichkeiten der Sozialleistungsträger (BSG, Urteil vom 18. Februar 1992 – 13/5 RJ 61/90 und BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R). Eine Aufrechnung bzw. Verrechnung erfordert, dass der Schuldner die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Die Forderung des auf- bzw. verrechnenden Leistungsträgers muss mithin entstanden und fällig sein, während die gleichartige Forderung, mit der auf- bzw. verrechnet werden soll, entstanden und erfüllbar sein muss. Die Aufrechnung bewirkt nach § 389 BGB, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenüber getreten sind. Schuldtilgende Wirkung tritt damit erst mit der Verrechnungserklärung, dann jedoch rückwirkend auf den Zeitpunkt ein, zu dem erstmalig eine Verrechnung möglich war (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R).

Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

Bei der Gegenforderung der Beigeladenen handelt es sich um einen Beitragsanspruch (nebst akzessorischen Nebenforderungen), die entstanden und fällig waren sowie von der Beigeladenen gegenüber dem Kläger durch Verwaltungsakte bestandskräftig festgestellt sind. Die Regelaltersrente als Forderung des Klägers gegen die Beklagte stellt eine laufende Geldleistung dar, woraus Zahlungsansprüche jeweils am ersten eines jeden Monats entstanden und erfüllbar waren (§ 272 a Abs. 1 SGB VI).

Damit war die Möglichkeit eröffnet, gegen die Regelaltersrente des Klägers bis zur Hälfte zu verrechnen, wenn der Kläger nicht nachweist, dass er dadurch hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften insbesondere des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt wird.

Das SGB XII (und nicht das SGB II) ist anzuwenden, denn nach § 19 Abs. 2 Satz 1 SGB XII in der Fassung des Gesetzes vom 20. April 2007 (BGBl I 2007, 554) ist im Zeitraum vom 01. Februar 2008 bis 31. Dezember 2010 (wegen dieses Zeitraumes vgl. unten) Grundsicherung insbesondere im Alter nach den besonderen Voraussetzungen des Viertel Kapitels dieses Buches Personen zu leisten, die unter anderem die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht haben, sofern sie ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen, beschaffen können. Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners, die dessen notwendigen Lebensunterhalt übersteigen, sind zu berücksichtigen. Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung gehen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel vor (§ 19 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB XII).

Personen, die - wie der Kläger - vor dem 01. Januar 1947 geboren sind, erreichen die Altersgrenze mit Vollendung des 65. Lebensjahres (§ 235 Abs. 2 Satz 1 SGB VI).

Bei der von der Beklagten vorgenommenen Verrechnung ab 01. Februar 2008 mit einem Betrag von 200 Euro monatlich wäre die Forderung der Beigeladenen von 5.150,55 Euro bis zum 31. März 2010 getilgt, so dass Bedarf und Einkommen bzw. Vermögen in diesem Zeitraum maßgebend sind.

Durch die Verrechnung wird der Kläger wohl nicht hilfebedürftig im Sinne der Vorschriften des SGB XII über die Hilfe zum Lebensunterhalt. Dies kann jedoch dahinstehen. Die Beklagte hat nämlich keine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung getroffen.

Eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung erfordert nach § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I, dass die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausübt und dabei die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einhält. Der von der Ermessensentscheidung Betroffene hat dementsprechend einen Anspruch auf pflichtgemäße Ausübung fehlerfreien Ermessens (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB I). In diesem eingeschränkten Umfang unterliegt die Ermessensentscheidung richterlicher Kontrolle (§ 54 Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Rechtswidrig können demnach Verwaltungsakte bei Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung und Ermessensfehlgebrauch sein.

Die einseitig durch Verwaltungsakt geregelte Verrechnung steht – ebenso wie die Aufrechnung – im pflichtgemäßen Ermessen des sie durchführenden Leistungsträgers; insoweit handelt es sich bei dem "kann" in § 52 1. Halbsatz und § 51 Abs. 1 1. Halbsatz, Abs. 2 1. Halbsatz SGB I um ein so genanntes "Ermessens-Kann" (BSG, Urteil vom 07. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R m. w. N.; damit abweichend zu BSG, Urteil vom 24. Juli 2003 – B 4 RA 60/02 R).

Die Beklagte hat eine Ermessensentscheidung nicht getroffen.

Im Bescheid vom 20. November 2007 ist zwar ausgeführt, dass die Beklagte ihr Ermessen nicht missbraucht habe und die Verrechnung nach eingehender Prüfung für angemessen gehalten werde. Solche formelhaften Ausführungen genügen einer Ermessensentscheidung jedoch nicht. Nach dem Inhalt des Bescheides bleibt gerade offen, welche Gesichtspunkte die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung eingestellt hat. Dem Bescheid kann allenfalls entnommen werden, dass sie allein wegen des Fehlens einer Bedarfsbescheinigung die Verrechnung vorgenommen hat. Im Bescheid ist dazu nämlich ausgeführt, dass die Einwände des Klägers nicht berücksichtigt werden könnten, weil trotz mehrfacher Aufforderung eine Bedarfsbescheinigung nicht vorgelegt worden sei. Daher sei eine Prüfung, ob durch die Verrechnung gegebenenfalls Sozialhilfebedürftigkeit eintrete, nur nach der bekannten Aktenlage möglich. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Beklagte hat sich damit wegen des Nichteintritts von Sozialhilfebedürftigkeit veranlasst gesehen zu verrechnen. Demgegenüber eröffnet das Gesetz überhaupt erst im Falle des Nichtvorliegens von Hilfebedürftigkeit das der Beklagten eingeräumte Ermessen. Daher wäre es erforderlich gewesen, nach der Feststellung, dass keine Sozialhilfebedürftigkeit durch die Verrechnung eintreten werde, darzutun, weswegen und insbesondere in Höhe eines Betrages von 200 Euro die Verrechnung sachgerecht ist. Dazu fehlen jedoch jegliche Ausführungen im Bescheid vom 20. November 2007.

Eine solche Ermessensentscheidung enthält auch der Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2008 nicht. Es wird erneut darauf verwiesen, dass weiterhin keine Bedarfsbescheinigung vorgelegt und eine Überprüfung daher nur nach der bekannten Sachlage möglich sei. Daraus wird in diesem Widerspruchsbescheid die Schlussfolgerung gezogen, dass hiernach der Bescheid nicht zu beanstanden sei. Damit ist jedoch lediglich eine Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen für die Ausübung von Ermessen erfolgt. Eine Ermessensentscheidung hat demgegenüber nicht stattgefunden, denn es fehlen jegliche Erwägungen, die erkennen lassen, dass über diese Voraussetzungen hinaus weitere Gesichtspunkte, nämlich Ermessenserwägungen, bei dieser Entscheidung eine Rolle gespielt haben. Eine Ermessensentscheidung enthält mithin auch der Widerspruchsbescheid vom 12. Februar 2008 nicht.

Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass die Beklagte im Bescheid vom 20. November 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Februar 2008 ihr betätigtes Ermessen lediglich nicht hinreichend im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X begründet hätte, ergäbe sich daraus keine andere Rechtsfolge als bei Fehlen einer solchen Ermessensentscheidung. In beiden Fällen treten dieselben Rechtsfolgen der Anfechtung ein (vgl. dazu BSG, Urteil vom 07. Februar 2012 – B 13 R 85/09 R), so dass diese Bescheide mangels Heilung bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens durch Nachholung der erforderlichen Begründung (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 SGB X) aufzuheben sind. Einer solchen Aufhebung steht § 42 Satz 1 SGB X nicht entgegen, denn danach kann die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Unabhängig davon, ob diese Vorschrift auf Ermessensentscheidungen und deren Begründung überhaupt anwendbar ist, ist bei jeglichem Fehlen von Ermessenserwägungen jedenfalls nicht offensichtlich, dass, wären solche angestellt worden, davon die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst worden wäre.

Die Berufung hat daher Erfolg.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 SGG und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreits.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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