Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 139 SB 2802/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 226/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 10. Oktober 2012 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger die Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten vorliegend noch über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G".
Mit Bescheid vom 13. April 1999 stellte der Beklagte bei dem im Jahre 1949 geborenen Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 fest. Dem legte er, wie sich aus der gutachterlichen Stellungnahme des Arztes für Innere Medizin Dr. S ergibt, folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde (zugrunde gelegte Einzel GdB in Klammern):
Leberschaden und psychische Veränderungen bei Genussmittelgebrauch (70) Funktionseinschränkung des linken Beines nach operativ versorgter Stichverletzung am linken Oberschenkel (Arbeitsunfall) mit nachfolgender Lungenembolie und Implantation eines Vena-Filters, Narbenbruch im Oberbauchbereich (20) Beginnender Wirbelsäulenverschleiß (10) Krampfaderleiden (10) Beginnender Gelenkverschleiß, Dupuytren’sche Kontraktur der linken Hand (10)
Merkzeichen erkannte der Beklagte nicht zu.
Am 15. Februar 2007 beantragte der Kläger bei dem Beklagten unter Beifügung eines Entlassungsberichtes des Klinikums im F vom 30. Januar 2007 die Neufeststellung wegen Verschlimmerung bestehender Behinderungen und Hinzutreten neuer Behinderungen. Er beantrage auch die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B". Er habe eine akute Unterschenkelvenenthrombose, einen grünen Star und eine depressive Psychose. Der Beklagte holte Befundberichte der Fachärztin für Augenheilkunde D und der Fachärztin für Allgemeinmedizin N ein. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 27. Juli 2007 ab.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 13. August 2007, mit dem dieser klar stellte, dass er die Merkzeichen "G", "B", "RF" begehre und dem er medizinische Unterlagen beifügte, wies der Beklagte nach Einholung eines Befundberichtes der Psychiatrischen Institutsambulanz am St. J-Krankenhaus und weiterer versorgungsärztlicher Stellungnahmen mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2008 zurück.
Der Kläger hat am 26. August 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben und die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "RF" geltend gemacht. Er sei chronisch alkoholkrank, leide unter Krampfanfällen, habe eine chronisch, depressive Neurose, eine komplexe
Persönlichkeitsstörung und chronische Schlafstörungen, Angst- und Panikattacken. Er könne mit Gehhilfe maximal 500 m mit Dauerschmerz gehen. Eine ständige Begleitung sei zur Vermeidung von Unfällen notwendig. An öffentlichen Veranstaltungen könne er nicht mehr
teilnehmen. Er hat zur Bekräftigung seines Vorbringens medizinische Unterlagen beigefügt.
Das Gericht hat die Gerichtsakten zu den Verfahren S 111 P 97/08 und S 111 P 97/08 ER des Sozialgerichts Berlin, in denen der Kläger die Gewährung einer Pflegestufe begehrte, beigezogen. Die zuständige Krankenkasse hatte in den Verfahren den Medizinischen Dienst der
Krankenkassen beauftragt Gutachten zu erstellen. Der Arzt Dr. N hatte das Gutachten am 10. Juli 2007 und die Pflegefachkraft J das Gutachten am 5. Dezember 2007 erstattet. Das Sozialgericht Berlin hatte am 3. Dezember 2008 ein Gutachten des Sachverständigen GB eingeholt
Der Kläger hat abgelehnt, seine behandelnden Ärzte für das gerichtliche Verfahren von der Schweigepflicht zu entbinden. Das Sozialgericht hat sodann zur medizinischen Sachaufklärung Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage bei dem Facharzt Innere Medizin, Kardiologie und Sozialmedizin Dr. vom 3. Juni 2011. Der Sachverständige Dr. schlug bei Verneinung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "B" und "RF" weiterhin die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 80 vor. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
Postthrombotisches Syndrom mit ausgeprägter Stammvarikosis bds. bei Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose Vv. Iliacae bds. mit Lungenarterienembolie 1974 und Implantation eines Cava-Filters 1974 (20) Persönlichkeitsstörung, Depression, Angstzustände und Panikattacken, Alkoholabusus bis 2007 (70) Funktionseinschränkung des linken Beines (20) Chronsiches LWS Syndrom, Dupuytren’sche Kontraktur der linken Hand Beginnende Arthrose am Fuß (10) Krampfaderleiden (10) Tinnitus ohne bedeutsame Hörminderung (10)
Aufgrund der Auswirkungen des postthrombotischen Syndroms sei besonders das Gehvermögen betroffen. Dies führe aufgrund der vorliegenden Angaben dazu, dass Wegstrecken im Ortsverkehr nicht im üblichen Ausmaß zurückgelegt werden könnten. Aufgrund der
vorliegenden Unterlagen sei davon auszugehen, dass eine Gehstrecke von 2 km nicht innerhalb von 30 bis 40 Minuten zurückgelegt werden könne.
Nach einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme hat das Gericht den Sachverständigen um eine ergänzende Stellungnahme gebeten, welche dieser am 1. August 2011 übersandt hat.
Der Kläger befand sich im Zeitraum vom 1. September 2011 bis zum 22. September 2011 in stationärer Behandlung in der Rehabilitationsklinik "G S" GmbH.
Am 6. September 2010 und 14. November 2011 hat der Kläger beim Beklagten auf die Merkzeichen "G", "B" und "RF" gerichtete Neufeststellungsanträge gestellt. Den Antrag vom 14. November 2011 hat der Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 2012 abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger am 6. August 2012 Widerspruch eingelegt, welcher noch nicht beschieden wurde.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2012 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2008 verurteilt, bei dem Kläger für den Zeitraum von Februar 2007 bis einschließlich Oktober 2011 das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat hierzu ausgeführt, dass zwar die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. der Lendenwirbelsäule des Klägers keinen GdB von wenigstens 50 bedingen, jedoch aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine Sachlage vorliege, die eine Gleichstellung rechtfertige. Es bezieht sich hierbei auf das Gutachten des Dr. B.
Gegen den ihm am 12. Oktober 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 24. Oktober 2012 Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass der Sachverständige mangels einer persönlichen
Untersuchung des Klägers auf die vorhandenen Befundberichte der behandelnden Ärzte habe zurückgreifen müssen. Hierbei befänden sich jedoch hinsichtlich von orthopädischen Leiden kaum verwertbare aussagekräftige Funktionsbefunde, die eine ausreichende Einschätzung der Funktionseinschränkungen zuließen. Die Beschreibungen des Gangbildes seit 2007 seien nicht eindeutig. Der Kläger sei noch im März 2011 in der Lage gewesen, seinen Wohnsitz nach Mallorca zu verlegen und im Mai 2011 wieder nach Deutschland zu ziehen. Er hat seinen Ausführungen eine fachchirurgische Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. T vom 3. Januar 2013 beigefügt, in der diese ausführte, dass ab dem Monat September 2011 die Anerkennung des Merkzeichens "G" medizinisch begründbar sei.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2012 zu ändern und die Klage auch für die Zeit vor September 2011 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, er werde nach Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits außerhalb des Berufungsverfahrens das Merkzeichen "G" auch nach dem Oktober 2011 fortlaufend zuerkennen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Gerichtsakten der Verfahren S 111 P 97/08 und S 111 P 97/08 ER vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht mit dem angegriffenen Urteil unter Abänderung der streitgegenständlichen Bescheide, den Beklagten verurteilt bei dem Kläger für den Zeitraum Februar 2007 bis August 2011 das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des
Nachteilsausgleichs "G" festzustellen.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Über das Vorliegen der damit angesprochenen
gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX). Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich
beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die
konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Allerdings ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht ausreichend, dass diese Wegstrecke nicht in dem genannten Zeitraum bewältigt werden kann.
Denn Nr. 30 Abs. 3 bis 5 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2005 und 2008 bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) geben an, welche Funktionsstörungen in welcher
Ausprägung vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also dem Körperbau und etwaigen Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte diejenigen heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die Anhaltspunkte beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (BSG, Urteil vom 13. August 1997, 9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).
Nach Nr. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2005 und 2008 bzw. Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 114 (ebenso Teil B Nr. 30 Abs. 3 AHP 2004, 2005 und 2008, Seite 137 f.) sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer
behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Der Kläger war zur Überzeugung des Senats im hier maßgeblichen Zeitraum in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt (1) und diese Bewegungseinschränkung ist gerade auf eine behinderungsbedingte Einschränkung im Sinne des Nr. 30 Abs. 3 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 VersMedV zurückzuführen (2).
(1) Der Kläger konnte bereits seit dem Jahre 2007 keine Strecke von etwas 2 km in etwa einer halben Stunde zurücklegen. Der Senat stützt sich hierbei unter eigener Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen insbesondere auf die nachvollziehbaren und sorgfältig
begründeten Ausführungen des Dr. B. Zwar ist dem Beklagten darin zuzustimmen, dass sich der Sachverständige nur auf Fremdbefunde stützen konnte. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor, dass diese Befunde nicht richtig erhoben wurden. Die medizinischen Unterlagen enthalten auch keine konkreten Befunde auf orthopädischem Gebiet. Sie sind jedoch nach Ansicht des Senats ausreichend, um die Gehfähigkeit beurteilen zu können. Im Einzelnen sind folgende Unterlagen heranzuziehen:
Bereits die Fachärztin für Allgemeinmedizin N hatte in ihrem Befundbericht aus dem April 2007 ausgeführt, dass der Kläger unter einem Dauerschmerz der unteren Extremitäten leidet.
In den Gutachten von Dr. N und der Pflegefachkraft J vom 10. Juli 2007 und 5. Dezember 2007, welche zur Prüfung der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit eingeholt worden waren und im vorliegenden Verfahren nach § 411 a ZPO als Sachverständigenbeweis verwertet werden können (Meyer-Ladewig, SGG, § 117, Rdnr. 6), erkannten die Gutachter einen unsicheren Gang mit Stockbenutzung bzw. einen kleinschrittigen, unsicheren, schlurfenden Gang.
Dem Kläger wurden u.a. aufgrund des "postthrombotischen Syndroms mit Einschränkung der Gehfähigkeit" im August 2008 ein Haltegriff für die Dusche, eine Haltestange für das Badezimmer, ein Duschhocker und ein Rollator verordnet.
Der Hausarzt Dr. M berichtete am 25. August 2008 über eine Gehstrecke von maximal 500 m mit Gehhilfe.
In seinem im Auftrag der 111. Kammer des Sozialgerichts Berlin erstellten Gutachtens stellte der Sachverständige G B im Dezember 2008 fest, dass das Gangbild verlangsamt und vorsichtig sei. Es würden Unterarmgehstützen benutzt. Der Kläger beklage beim Gehen Schwindel, Kreislaufstörungen, Schmerzen sowie Unsicherheit. Der Kläger könne die Wohnung alleine allenfalls noch für kleine Besorgungen oder zum Aufenthalt an der frischen Luft verlassen. In einem weiteren MDK-Gutachten vom 14. Dezember 2011 wurde festgestellt, dass das Gangbild mit Hilfsmitteln und Festhalten am Mobiliar ausreichend sicher ist.
Eine Zusammenschau dieser ärztlichen Befunde und Einschätzungen und der Ausführungen des Dr. B führt zu der Überzeugung, dass der Kläger seit der akuten Unterschenkelthrombose im Januar 2007 in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt ist und sich dies auch nicht
gebessert hat.
Soweit der Beklagte dem entgegenhält, dass im Entlassungsbericht des St. Mkrankenhauses Frankfurt/Main 2010 festgestellt wurde, dass die Gliedmaßen und Gelenke gut beweglich seien, wird darauf hingewiesen, dass im selben Bericht ebenfalls vermerkt ist, dass der Kläger aufgrund des ausgeprägten postthrombotischen Syndroms mit massiver Stammvarikosis in seiner Geh- und Standfähigkeit schmerzbedingt deutlich eingeschränkt war.
Auch die Bezugnahme des Beklagten auf einen Befundbericht des Internisten Dr. M vom 17. April 2012 und ein Ambulanzbericht aus der psychiatrischen Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses Berlin vom 14. März 2012 (wo im Übrigen eine schwerfällige und etwas verlangsamte Psychomotorik unter Zuhilfenahme einer Gehhilfe beschreiben wird) vermag nicht zu überzeugen, da diese nicht in dem hier maßgeblichen Zeitraum erstellt wurden. Darüber hinaus wurde in einem Behandlungsbericht des C Centrums für Chirurgische Medizin vom 31. Juli 2012 angegeben, dass eine schmerzbedingt deutlich eingeschränkte Mobilität am Rollator bestehe.
(2) Bei dem Kläger bestanden zur Überzeugung des Senats im maßgeblichen Zeitraum auch sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen (vgl. Nr. 30 Abs. 3 Satz 1 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d Satz 1 der Anlage zu § 2 VersMedV).
Die Fachärztin für Chirurgie Dr. T empfahl in ihrer fachchirurgischen Stellungnahme für den Beklagten vom 3. Januar 2013 ab September 2011 die Zuerkennung eines GdB von 30 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muselreizerscheinungen- wobei auf die Lendenwirbelsäule ein GdB von 20 entfällt - , eines GdB von 30 für die Funktionsbehinderung des Hüftgelenks beidseitig, außergewöhnliche Schmerzreaktion und Muskelschwäche und eines GdB von 20 für das postthrombotische Syndrom. Sie stützt sich hierbei insbesondere auf die orthopädischen Befunde der Rehabilitationsklinik "G S", wo sich der Kläger vom 1. September 2011 bis zum 22. September 2011 in stationärer Behandlung befand.
Dieser Bewertung schließt sich der Senat vollumfänglich an.
Jedoch ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass die bislang berücksichtigte Funktionseinschränkung des linken Beines nach operativ versorgter Stichverletzung am linken Oberschenkel keine Berücksichtigung mehr finden soll. Eine Besserung ist hier nicht dargetan. Dr. T hat dies auch nicht begründet. Auch dieses Leiden ist somit weiterhin zu berücksichtigen.
Diese Leiden, die sich ausnahmslos auf die Gehfähigkeit auswirken, bedingen einen GdB von mindestens 50. Liegen mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethoden, insbesondere die bloße Addition der Einzel-GdB (Teil A Nr. 3a der Anlage zu § 2 VersMedV). Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Ausgehend von der eingeschränkte Hüftbeweglichkeit mit einem Einzel-GdB von 30 bewirkt den Wirbelsäulenleiden eine Erhöhung auf einen GdB von 40 und das postthrombotische Syndrom in Verbindung mit der Funktionseinschränkung des linken Beines nach einer Stichverletzung führt zu einer weiteren Erhöhung auf einen GdB von mindestens 50, da
gegenseitige Verstärkung der Leiden besteht.
Der Senat ist der Überzeugung, dass der GdB für die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule auch schon im davorliegenden Zeitraum zumindest 50 war. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass im August 2011 oder in der Zeit davor eine wesentliche Verschlechterung der hier zu berücksichtigenden Leiden eingetreten ist.
Die Rehabilitationsmaßnahme wurde nicht aufgrund einer akuten Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit durchgeführt. Die Initiative für die Rehabilitationsmaßnahme erfolgte durch die Ärzte nach einem psychischen Zusammenbruch im Mai 2011. Während der Rehabilitation fand eine psychosomatisch/psychotherapeutische Behandlung statt. In der Anamnese gab der Kläger an, bereits im Jahre 2007 sei wegen seiner Schmerzen in den Gelenken die Diagnose eines Fibromyalgiesyndroms gestellt worden. Die Beschreibung der körperlichen Situation des Klägers im Rehablititationsentlassungsbericht, insbesondere des Gangbildes, unterscheidet sich nicht von den Beschreibungen in den Pflegegutachten und durch den Hausarzt.
Hinsichtlich der fehlenden orthopädischen Befunde ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Jahre 2007 nach seiner Antragstellung von dem Beklagten nicht begutachtet worden ist. Es existieren aber ausreichend medizinische Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass bereits im Jahre 2007 erhebliche orthopädische Leiden im Bereich der Lendenwirbelsäule und im Bereich der Hüfte vorlagen. Bereits im Pflegegutachten des Dr. N vom 10. Juli 2007 waren als pflegebegründende Diagnosen orthopädische Leiden, insbesondere eine Coxarthrose und eine Gonathrose aufgeführt. Im Bericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis im Ärztehaus vom 15. Februar 2008 wurden als Befund eine Osteochondrose und eine Arthrose genannt. 2008 und 2010 sind LWS-Bandscheibenvorfälle dokumentiert. Im Arztbrief des St. Mkrankenhauses Frankfurt am Main vom 21. Juli 2010 wird angegeben, dass der Kläger wegen eines Bandscheibenvorfalls beim Anziehen der Kompressionsstrumpfe auf Hilfe angewiesen sei. Der Kläger hatte auch durchgängig einen Schmerz beim Gehen angegeben. Auch Dr. B geht nachvollziehbar in seinem Gutachten von einem chronischen LWS-Syndrom aus.
Selbst wenn die Hüftleiden zu einem früheren Zeitpunkt nur in einem geringeren Ausmaß vorhanden waren und der GdB hierfür möglicherweise niedriger als im September 2011 zu bemessen war, liegt zweifelsohne jedoch insgesamt ein GdB für die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule von 50 vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt teilweise dem Ergebnis in der Hauptsache, berücksichtigt aber auch die Bedeutung der Sache für den Kläger. Hierbei ist insbesondere auch zu beachten, dass entgegen der Ansicht des Sozialgerichts, der Bescheid vom 10. Juli 2012 nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist und das Verfahren somit nicht zeitlich beschränkt war.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten vorliegend noch über das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G".
Mit Bescheid vom 13. April 1999 stellte der Beklagte bei dem im Jahre 1949 geborenen Kläger einen Grad der Behinderung (GdB) von 80 fest. Dem legte er, wie sich aus der gutachterlichen Stellungnahme des Arztes für Innere Medizin Dr. S ergibt, folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde (zugrunde gelegte Einzel GdB in Klammern):
Leberschaden und psychische Veränderungen bei Genussmittelgebrauch (70) Funktionseinschränkung des linken Beines nach operativ versorgter Stichverletzung am linken Oberschenkel (Arbeitsunfall) mit nachfolgender Lungenembolie und Implantation eines Vena-Filters, Narbenbruch im Oberbauchbereich (20) Beginnender Wirbelsäulenverschleiß (10) Krampfaderleiden (10) Beginnender Gelenkverschleiß, Dupuytren’sche Kontraktur der linken Hand (10)
Merkzeichen erkannte der Beklagte nicht zu.
Am 15. Februar 2007 beantragte der Kläger bei dem Beklagten unter Beifügung eines Entlassungsberichtes des Klinikums im F vom 30. Januar 2007 die Neufeststellung wegen Verschlimmerung bestehender Behinderungen und Hinzutreten neuer Behinderungen. Er beantrage auch die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der Merkzeichen "G" und "B". Er habe eine akute Unterschenkelvenenthrombose, einen grünen Star und eine depressive Psychose. Der Beklagte holte Befundberichte der Fachärztin für Augenheilkunde D und der Fachärztin für Allgemeinmedizin N ein. Nach Einholung einer gutachterlichen Stellungnahme der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L lehnte der Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 27. Juli 2007 ab.
Den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers vom 13. August 2007, mit dem dieser klar stellte, dass er die Merkzeichen "G", "B", "RF" begehre und dem er medizinische Unterlagen beifügte, wies der Beklagte nach Einholung eines Befundberichtes der Psychiatrischen Institutsambulanz am St. J-Krankenhaus und weiterer versorgungsärztlicher Stellungnahmen mit Widerspruchsbescheid vom 14. August 2008 zurück.
Der Kläger hat am 26. August 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben und die Zuerkennung der Merkzeichen "G", "B" und "RF" geltend gemacht. Er sei chronisch alkoholkrank, leide unter Krampfanfällen, habe eine chronisch, depressive Neurose, eine komplexe
Persönlichkeitsstörung und chronische Schlafstörungen, Angst- und Panikattacken. Er könne mit Gehhilfe maximal 500 m mit Dauerschmerz gehen. Eine ständige Begleitung sei zur Vermeidung von Unfällen notwendig. An öffentlichen Veranstaltungen könne er nicht mehr
teilnehmen. Er hat zur Bekräftigung seines Vorbringens medizinische Unterlagen beigefügt.
Das Gericht hat die Gerichtsakten zu den Verfahren S 111 P 97/08 und S 111 P 97/08 ER des Sozialgerichts Berlin, in denen der Kläger die Gewährung einer Pflegestufe begehrte, beigezogen. Die zuständige Krankenkasse hatte in den Verfahren den Medizinischen Dienst der
Krankenkassen beauftragt Gutachten zu erstellen. Der Arzt Dr. N hatte das Gutachten am 10. Juli 2007 und die Pflegefachkraft J das Gutachten am 5. Dezember 2007 erstattet. Das Sozialgericht Berlin hatte am 3. Dezember 2008 ein Gutachten des Sachverständigen GB eingeholt
Der Kläger hat abgelehnt, seine behandelnden Ärzte für das gerichtliche Verfahren von der Schweigepflicht zu entbinden. Das Sozialgericht hat sodann zur medizinischen Sachaufklärung Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach Aktenlage bei dem Facharzt Innere Medizin, Kardiologie und Sozialmedizin Dr. vom 3. Juni 2011. Der Sachverständige Dr. schlug bei Verneinung der Voraussetzungen für die Zuerkennung der Merkzeichen "B" und "RF" weiterhin die Zuerkennung eines Gesamt-GdB von 80 vor. Dem legte er folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
Postthrombotisches Syndrom mit ausgeprägter Stammvarikosis bds. bei Zustand nach tiefer Beinvenenthrombose Vv. Iliacae bds. mit Lungenarterienembolie 1974 und Implantation eines Cava-Filters 1974 (20) Persönlichkeitsstörung, Depression, Angstzustände und Panikattacken, Alkoholabusus bis 2007 (70) Funktionseinschränkung des linken Beines (20) Chronsiches LWS Syndrom, Dupuytren’sche Kontraktur der linken Hand Beginnende Arthrose am Fuß (10) Krampfaderleiden (10) Tinnitus ohne bedeutsame Hörminderung (10)
Aufgrund der Auswirkungen des postthrombotischen Syndroms sei besonders das Gehvermögen betroffen. Dies führe aufgrund der vorliegenden Angaben dazu, dass Wegstrecken im Ortsverkehr nicht im üblichen Ausmaß zurückgelegt werden könnten. Aufgrund der
vorliegenden Unterlagen sei davon auszugehen, dass eine Gehstrecke von 2 km nicht innerhalb von 30 bis 40 Minuten zurückgelegt werden könne.
Nach einer weiteren versorgungsärztlichen Stellungnahme hat das Gericht den Sachverständigen um eine ergänzende Stellungnahme gebeten, welche dieser am 1. August 2011 übersandt hat.
Der Kläger befand sich im Zeitraum vom 1. September 2011 bis zum 22. September 2011 in stationärer Behandlung in der Rehabilitationsklinik "G S" GmbH.
Am 6. September 2010 und 14. November 2011 hat der Kläger beim Beklagten auf die Merkzeichen "G", "B" und "RF" gerichtete Neufeststellungsanträge gestellt. Den Antrag vom 14. November 2011 hat der Beklagte mit Bescheid vom 10. Juli 2012 abgelehnt. Hiergegen hat der Kläger am 6. August 2012 Widerspruch eingelegt, welcher noch nicht beschieden wurde.
Das Sozialgericht Berlin hat mit Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2012 den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 27. Juli 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. August 2008 verurteilt, bei dem Kläger für den Zeitraum von Februar 2007 bis einschließlich Oktober 2011 das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" festzustellen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat hierzu ausgeführt, dass zwar die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen bzw. der Lendenwirbelsäule des Klägers keinen GdB von wenigstens 50 bedingen, jedoch aufgrund der Umstände des Einzelfalles eine Sachlage vorliege, die eine Gleichstellung rechtfertige. Es bezieht sich hierbei auf das Gutachten des Dr. B.
Gegen den ihm am 12. Oktober 2012 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Beklagte am 24. Oktober 2012 Berufung zum Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt. Zur Begründung verwies der Beklagte darauf, dass der Sachverständige mangels einer persönlichen
Untersuchung des Klägers auf die vorhandenen Befundberichte der behandelnden Ärzte habe zurückgreifen müssen. Hierbei befänden sich jedoch hinsichtlich von orthopädischen Leiden kaum verwertbare aussagekräftige Funktionsbefunde, die eine ausreichende Einschätzung der Funktionseinschränkungen zuließen. Die Beschreibungen des Gangbildes seit 2007 seien nicht eindeutig. Der Kläger sei noch im März 2011 in der Lage gewesen, seinen Wohnsitz nach Mallorca zu verlegen und im Mai 2011 wieder nach Deutschland zu ziehen. Er hat seinen Ausführungen eine fachchirurgische Stellungnahme der Fachärztin für Chirurgie und Unfallchirurgie Dr. T vom 3. Januar 2013 beigefügt, in der diese ausführte, dass ab dem Monat September 2011 die Anerkennung des Merkzeichens "G" medizinisch begründbar sei.
Der Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid vom 10. Oktober 2012 zu ändern und die Klage auch für die Zeit vor September 2011 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts Berlin für zutreffend.
In der mündlichen Verhandlung hat der Beklagte erklärt, er werde nach Abschluss des vorliegenden Rechtsstreits außerhalb des Berufungsverfahrens das Merkzeichen "G" auch nach dem Oktober 2011 fortlaufend zuerkennen.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die Gerichtsakten der Verfahren S 111 P 97/08 und S 111 P 97/08 ER vorgelegen. Diese waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), in der Sache jedoch nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht mit dem angegriffenen Urteil unter Abänderung der streitgegenständlichen Bescheide, den Beklagten verurteilt bei dem Kläger für den Zeitraum Februar 2007 bis August 2011 das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung des
Nachteilsausgleichs "G" festzustellen.
Gemäß § 145 Abs. 1 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, Anspruch auf unentgeltliche Beförderung. Über das Vorliegen der damit angesprochenen
gesundheitlichen Merkmale treffen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden die erforderlichen Feststellungen (§ 69 Abs. 1 und 4 SGB IX). Nach § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich
beeinträchtigt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahr für sich oder andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Bei der Prüfung der Frage, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, kommt es nicht auf die
konkreten örtlichen Verhältnisse des Einzelfalles an, sondern darauf, welche Wegstrecken allgemein – d.h. altersunabhängig von nichtbehinderten Menschen – noch zu Fuß zurückgelegt werden. Als ortsübliche Wegstrecke in diesem Sinne gilt eine Strecke von etwa zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zurückgelegt wird (Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 10. Dezember 1987, 9a RVs 11/87, BSGE 62, 273 = SozR 3870 § 60 Nr. 2). Allerdings ist es für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" nicht ausreichend, dass diese Wegstrecke nicht in dem genannten Zeitraum bewältigt werden kann.
Denn Nr. 30 Abs. 3 bis 5 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2005 und 2008 bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) geben an, welche Funktionsstörungen in welcher
Ausprägung vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass das Gehvermögen des Menschen von verschiedenen Faktoren geprägt und variiert wird, zu denen neben den anatomischen Gegebenheiten des Körpers, also dem Körperbau und etwaigen Behinderungen, vor allem der Trainingszustand, die Tagesform, Witterungseinflüsse, die Art des Gehens sowie Persönlichkeitsmerkmale, vor allem die Motivation, gehören. Von all diesen Faktoren filtern die Anhaltspunkte diejenigen heraus, die außer Betracht zu bleiben haben, weil sie die Bewegungsfähigkeit des behinderten Menschen nicht infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens, auch durch innere Leiden, oder infolge von Anfällen oder von Störungen der Orientierungsfähigkeit, sondern möglicherweise aus anderen Gründen erheblich beeinträchtigen. Die Anhaltspunkte beschreiben dabei Regelfälle, bei denen nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse die Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" als erfüllt anzusehen sind, und die bei dort nicht erwähnten Behinderungen als Vergleichsmaßstab dienen können (BSG, Urteil vom 13. August 1997, 9 RVs 1/96, SozR 3-3870 § 60 Nr. 2).
Nach Nr. 30 Abs. 3 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit 2005 und 2008 bzw. Teil D Nr. 1 d) der Anlage zu § 2 VersMedV, Seite 114 (ebenso Teil B Nr. 30 Abs. 3 AHP 2004, 2005 und 2008, Seite 137 f.) sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer
behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens in erster Linie dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen. Darüber hinaus können die Voraussetzungen bei Behinderungen an den unteren Gliedmaßen mit einem GdB unter 50 gegeben sein, wenn diese Behinderungen sich auf die Gehfähigkeit besonders auswirken, z. B. bei Versteifung des Hüftgelenks, Versteifung des Knie- und Fußgelenks in ungünstiger Stellung, arteriellen Verschlusskrankheiten mit einem GdB von 40. Soweit innere Leiden zur Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr führen können, kommt es ebenfalls entscheidend auf die Einschränkung des Gehvermögens an. Dementsprechend ist eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit vor allem bei Herzschäden und bei Lungenschäden mit einem Einzel-GdB von mindestens 50 anzunehmen. Auch bei anderen inneren Leiden mit einer schweren Beeinträchtigung der körperlichen Leistungsfähigkeit, wie z. B. bei einer chronischen Niereninsuffizienz mit ausgeprägter Anämie, sind die Voraussetzungen als erfüllt anzusehen.
Der Kläger war zur Überzeugung des Senats im hier maßgeblichen Zeitraum in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt (1) und diese Bewegungseinschränkung ist gerade auf eine behinderungsbedingte Einschränkung im Sinne des Nr. 30 Abs. 3 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d der Anlage zu § 2 VersMedV zurückzuführen (2).
(1) Der Kläger konnte bereits seit dem Jahre 2007 keine Strecke von etwas 2 km in etwa einer halben Stunde zurücklegen. Der Senat stützt sich hierbei unter eigener Auswertung der vorliegenden medizinischen Unterlagen insbesondere auf die nachvollziehbaren und sorgfältig
begründeten Ausführungen des Dr. B. Zwar ist dem Beklagten darin zuzustimmen, dass sich der Sachverständige nur auf Fremdbefunde stützen konnte. Es liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor, dass diese Befunde nicht richtig erhoben wurden. Die medizinischen Unterlagen enthalten auch keine konkreten Befunde auf orthopädischem Gebiet. Sie sind jedoch nach Ansicht des Senats ausreichend, um die Gehfähigkeit beurteilen zu können. Im Einzelnen sind folgende Unterlagen heranzuziehen:
Bereits die Fachärztin für Allgemeinmedizin N hatte in ihrem Befundbericht aus dem April 2007 ausgeführt, dass der Kläger unter einem Dauerschmerz der unteren Extremitäten leidet.
In den Gutachten von Dr. N und der Pflegefachkraft J vom 10. Juli 2007 und 5. Dezember 2007, welche zur Prüfung der Frage des Vorliegens der Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit eingeholt worden waren und im vorliegenden Verfahren nach § 411 a ZPO als Sachverständigenbeweis verwertet werden können (Meyer-Ladewig, SGG, § 117, Rdnr. 6), erkannten die Gutachter einen unsicheren Gang mit Stockbenutzung bzw. einen kleinschrittigen, unsicheren, schlurfenden Gang.
Dem Kläger wurden u.a. aufgrund des "postthrombotischen Syndroms mit Einschränkung der Gehfähigkeit" im August 2008 ein Haltegriff für die Dusche, eine Haltestange für das Badezimmer, ein Duschhocker und ein Rollator verordnet.
Der Hausarzt Dr. M berichtete am 25. August 2008 über eine Gehstrecke von maximal 500 m mit Gehhilfe.
In seinem im Auftrag der 111. Kammer des Sozialgerichts Berlin erstellten Gutachtens stellte der Sachverständige G B im Dezember 2008 fest, dass das Gangbild verlangsamt und vorsichtig sei. Es würden Unterarmgehstützen benutzt. Der Kläger beklage beim Gehen Schwindel, Kreislaufstörungen, Schmerzen sowie Unsicherheit. Der Kläger könne die Wohnung alleine allenfalls noch für kleine Besorgungen oder zum Aufenthalt an der frischen Luft verlassen. In einem weiteren MDK-Gutachten vom 14. Dezember 2011 wurde festgestellt, dass das Gangbild mit Hilfsmitteln und Festhalten am Mobiliar ausreichend sicher ist.
Eine Zusammenschau dieser ärztlichen Befunde und Einschätzungen und der Ausführungen des Dr. B führt zu der Überzeugung, dass der Kläger seit der akuten Unterschenkelthrombose im Januar 2007 in seiner Gehfähigkeit erheblich eingeschränkt ist und sich dies auch nicht
gebessert hat.
Soweit der Beklagte dem entgegenhält, dass im Entlassungsbericht des St. Mkrankenhauses Frankfurt/Main 2010 festgestellt wurde, dass die Gliedmaßen und Gelenke gut beweglich seien, wird darauf hingewiesen, dass im selben Bericht ebenfalls vermerkt ist, dass der Kläger aufgrund des ausgeprägten postthrombotischen Syndroms mit massiver Stammvarikosis in seiner Geh- und Standfähigkeit schmerzbedingt deutlich eingeschränkt war.
Auch die Bezugnahme des Beklagten auf einen Befundbericht des Internisten Dr. M vom 17. April 2012 und ein Ambulanzbericht aus der psychiatrischen Abteilung des Bundeswehrkrankenhauses Berlin vom 14. März 2012 (wo im Übrigen eine schwerfällige und etwas verlangsamte Psychomotorik unter Zuhilfenahme einer Gehhilfe beschreiben wird) vermag nicht zu überzeugen, da diese nicht in dem hier maßgeblichen Zeitraum erstellt wurden. Darüber hinaus wurde in einem Behandlungsbericht des C Centrums für Chirurgische Medizin vom 31. Juli 2012 angegeben, dass eine schmerzbedingt deutlich eingeschränkte Mobilität am Rollator bestehe.
(2) Bei dem Kläger bestanden zur Überzeugung des Senats im maßgeblichen Zeitraum auch sich auf die Gehfähigkeit auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen (vgl. Nr. 30 Abs. 3 Satz 1 der AHP bzw. Teil D Nr. 1d Satz 1 der Anlage zu § 2 VersMedV).
Die Fachärztin für Chirurgie Dr. T empfahl in ihrer fachchirurgischen Stellungnahme für den Beklagten vom 3. Januar 2013 ab September 2011 die Zuerkennung eines GdB von 30 für die Funktionsbehinderung der Wirbelsäule mit Nerven- und Muselreizerscheinungen- wobei auf die Lendenwirbelsäule ein GdB von 20 entfällt - , eines GdB von 30 für die Funktionsbehinderung des Hüftgelenks beidseitig, außergewöhnliche Schmerzreaktion und Muskelschwäche und eines GdB von 20 für das postthrombotische Syndrom. Sie stützt sich hierbei insbesondere auf die orthopädischen Befunde der Rehabilitationsklinik "G S", wo sich der Kläger vom 1. September 2011 bis zum 22. September 2011 in stationärer Behandlung befand.
Dieser Bewertung schließt sich der Senat vollumfänglich an.
Jedoch ist für den Senat nicht nachvollziehbar, dass die bislang berücksichtigte Funktionseinschränkung des linken Beines nach operativ versorgter Stichverletzung am linken Oberschenkel keine Berücksichtigung mehr finden soll. Eine Besserung ist hier nicht dargetan. Dr. T hat dies auch nicht begründet. Auch dieses Leiden ist somit weiterhin zu berücksichtigen.
Diese Leiden, die sich ausnahmslos auf die Gehfähigkeit auswirken, bedingen einen GdB von mindestens 50. Liegen mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Dabei verbietet sich die Anwendung jeglicher Rechenmethoden, insbesondere die bloße Addition der Einzel-GdB (Teil A Nr. 3a der Anlage zu § 2 VersMedV). Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zu § 2 VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Ausgehend von der eingeschränkte Hüftbeweglichkeit mit einem Einzel-GdB von 30 bewirkt den Wirbelsäulenleiden eine Erhöhung auf einen GdB von 40 und das postthrombotische Syndrom in Verbindung mit der Funktionseinschränkung des linken Beines nach einer Stichverletzung führt zu einer weiteren Erhöhung auf einen GdB von mindestens 50, da
gegenseitige Verstärkung der Leiden besteht.
Der Senat ist der Überzeugung, dass der GdB für die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule auch schon im davorliegenden Zeitraum zumindest 50 war. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, dass im August 2011 oder in der Zeit davor eine wesentliche Verschlechterung der hier zu berücksichtigenden Leiden eingetreten ist.
Die Rehabilitationsmaßnahme wurde nicht aufgrund einer akuten Verschlechterung der Bewegungsfähigkeit durchgeführt. Die Initiative für die Rehabilitationsmaßnahme erfolgte durch die Ärzte nach einem psychischen Zusammenbruch im Mai 2011. Während der Rehabilitation fand eine psychosomatisch/psychotherapeutische Behandlung statt. In der Anamnese gab der Kläger an, bereits im Jahre 2007 sei wegen seiner Schmerzen in den Gelenken die Diagnose eines Fibromyalgiesyndroms gestellt worden. Die Beschreibung der körperlichen Situation des Klägers im Rehablititationsentlassungsbericht, insbesondere des Gangbildes, unterscheidet sich nicht von den Beschreibungen in den Pflegegutachten und durch den Hausarzt.
Hinsichtlich der fehlenden orthopädischen Befunde ist zu berücksichtigen, dass der Kläger im Jahre 2007 nach seiner Antragstellung von dem Beklagten nicht begutachtet worden ist. Es existieren aber ausreichend medizinische Unterlagen, aus denen hervorgeht, dass bereits im Jahre 2007 erhebliche orthopädische Leiden im Bereich der Lendenwirbelsäule und im Bereich der Hüfte vorlagen. Bereits im Pflegegutachten des Dr. N vom 10. Juli 2007 waren als pflegebegründende Diagnosen orthopädische Leiden, insbesondere eine Coxarthrose und eine Gonathrose aufgeführt. Im Bericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis im Ärztehaus vom 15. Februar 2008 wurden als Befund eine Osteochondrose und eine Arthrose genannt. 2008 und 2010 sind LWS-Bandscheibenvorfälle dokumentiert. Im Arztbrief des St. Mkrankenhauses Frankfurt am Main vom 21. Juli 2010 wird angegeben, dass der Kläger wegen eines Bandscheibenvorfalls beim Anziehen der Kompressionsstrumpfe auf Hilfe angewiesen sei. Der Kläger hatte auch durchgängig einen Schmerz beim Gehen angegeben. Auch Dr. B geht nachvollziehbar in seinem Gutachten von einem chronischen LWS-Syndrom aus.
Selbst wenn die Hüftleiden zu einem früheren Zeitpunkt nur in einem geringeren Ausmaß vorhanden waren und der GdB hierfür möglicherweise niedriger als im September 2011 zu bemessen war, liegt zweifelsohne jedoch insgesamt ein GdB für die sich auf die Gehfähigkeit auswirkenden Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule von 50 vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt teilweise dem Ergebnis in der Hauptsache, berücksichtigt aber auch die Bedeutung der Sache für den Kläger. Hierbei ist insbesondere auch zu beachten, dass entgegen der Ansicht des Sozialgerichts, der Bescheid vom 10. Juli 2012 nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist und das Verfahren somit nicht zeitlich beschränkt war.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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