Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
37
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 37 SF 252/12 EK AL
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 10/13 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Im Falle der anwaltlichen Vertretung im Ausgangsverfahren ist eine Verzögerungsrüge nur dann als unverzüglich im Sinne des Art 23 GRüGV erhoben anzusehen, wenn sie innerhalb eines Monats ab Inkrafttreten des Gesetzes bei Gericht eingeht.
Eine auf Pensionierung eines Richters und einen damit einhergehenden Kammerwechsel zurückzuführende Verfahrensverzögerung muss sich das beklagte Bundesland zurechnen lassen.
Eine auf eine Erkrankung eines Richters zurückzuführende Verfahrensverzögerung ist dem beklagten Bundesland nicht anzulasten, solange nicht unverzügliche Gegenmaßnahmen geboten wären.
Aus dem in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgegebenen Richtwert folgt, dass sich für jeden Monat der Verzögerung eine Entschädigung in Höhe von 100,00 Euro errechnet.
Im Entschädigungsverfahren vor dem Landessozialgericht ist keine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteil auszusprechen.
Eine auf Pensionierung eines Richters und einen damit einhergehenden Kammerwechsel zurückzuführende Verfahrensverzögerung muss sich das beklagte Bundesland zurechnen lassen.
Eine auf eine Erkrankung eines Richters zurückzuführende Verfahrensverzögerung ist dem beklagten Bundesland nicht anzulasten, solange nicht unverzügliche Gegenmaßnahmen geboten wären.
Aus dem in § 198 Abs 2 S 3 GVG vorgegebenen Richtwert folgt, dass sich für jeden Monat der Verzögerung eine Entschädigung in Höhe von 100,00 Euro errechnet.
Im Entschädigungsverfahren vor dem Landessozialgericht ist keine vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteil auszusprechen.
Bemerkung
BSG: Beschluss (Vergleich)
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin zuletzt unter dem Aktenzeichen S 60 AL 4877/09 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 900,00 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu drei Viertel, die Klägerin zu ein Viertel zu tragen. Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert wird auf 1.200,00 EUR festgesetzt.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des zuletzt unter dem Aktenzeichen S 60 AL 4877/09 vor dem Sozialgericht Berlin geführten Verfahrens.
Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Nachdem der Klägerin zunächst ab dem 15. Juni 2008 bis zum 14. März 2009 ein Gründungszuschuss (1. Phase) in Höhe von monatlich 1.894,20 EUR und für die Zeit vom 06. April bis zum 14. September 2009 (2. Phase) in Höhe von monatlich 300,00 EUR gewährt worden war, hob die Bundesagentur für Arbeit die Gewährung mit Bescheiden vom 01. Juli 2009 - teilweise in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27. Oktober 2009 -, jeweils in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2009 zum einen mit Wirkung ab dem 18. Januar 2009, zum anderen für die Zeit ab dem 26. Juni 2009 mit der Begründung, die für die Gewährung des Gründungszuschusses erforderliche Selbständigkeit werde wegen Arbeitsunfähigkeit nicht mehr ausgeübt, ganz auf. Weiter hob sie mit Bescheid vom 27. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. November 2009, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2009 die zuvor erfolgte Bewilligung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung mit Wirkung ab dem 18. Januar 2009 auf.
Am 24. November 2009 erhob die bereits damals durch ihren jetzigen Bevollmächtigten vertretene Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage und begehrte zunächst die Aufhebung der Bescheide vom 01. Juli 2009 in ihren letzten Fassungen und beschränkte sich auf eine knappe Begründung. Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S 64 AL 4877/09 registriert. Am 21. Dezember 2009 erweiterte sie die Klage und beantragte nunmehr auch die Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2009 in seiner letzten Gestalt. Weiter begehrte sie die Verpflichtung der Bundesagentur, den Gründungszuschuss für die Zeit vom 21. Januar bis zum 01. April 2009 sowie ab dem 26. Juni 2009 ruhend zu stellen und ihr für die Zeit vom 02. April 2009 bis zum 23. Mai 2009 den vollen Gründungszuschuss (1. Phase) sowie für den Zeitraum vom 24. Mai bis zum 26. Juni 2009 den weiterbewilligten Zuschuss (2. Phase) zu gewähren. Ferner beantragte sie festzustellen, dass sie einen Restanspruch auf den Gründungszuschuss in der Weiterbewilligungsphase (2. Phase) für 146 Tage habe. Schließlich erfolgte nunmehr eine ausführliche Klagebegründung.
Am 19. Januar 2010 ging bei Gericht die Klageerwiderung ein, die dem Bevollmächtigten der Klägerin durch die nunmehr zuständige 62. Kammer zur Stellungnahme übersandt wurde. Mit am 28. Januar 2010 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage verwies dieser darauf, dass die Klageerwiderung keine Veranlassung zu weiterem Vortrag biete. Die Rechtsfrage, ob eine Erkrankung zu einer Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit im Rechtssinne führe, habe das Gericht zu entscheiden.
Nachdem die Sache bereits ab März 2010 als entscheidungsreif angesehen worden war, terminierte der damalige Vorsitzende den Rechtsstreit am 20. April 2011 auf den 08. Juni 2011. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung äußerte sich die Klägerin bei dieser Gelegenheit ausführlich zu ihren Arbeitsunfähigkeitszeiten und zu den in dieser Zeit von ihrer Krankenversicherung erhaltenen Leistungen. Der Rechtsstreit wurde vertagt und der damaligen Beklagten aufgegeben, zum Vortrag der Klägerin Stellung zu nehmen. Am 28. Juni 2011 ging diese Stellungnahme bei Gericht ein und wurde dem Bevollmächtigten wenige Tage darauf zur freigestellten Stellungnahme übermittelt. Am 25. Juli 2011 wurde die Sache erneut in das so genannte Entscheidungsfach verfügt.
Mit am 16. Januar 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erhob der Bevollmächtigte der Klägerin ausdrücklich Verzögerungsrüge. Der damalige Vorsitzende der Kammer des Sozialgerichts Berlin informierte ihn daraufhin, dass er demnächst in den Ruhestand gehe, die Sache nicht mehr zur Entscheidung unter seinem Vorsitz vorgesehen und nicht absehbar sei, wann eine Terminierung erfolgen werde, zumal noch ältere Verfahren anhängig seien. Kurz darauf hörte er zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid an. Mit am 09. bzw. 13. März 2012 eingegangenen Schriftsätzen erhoben die Beteiligten keine Einwände gegen diese Verfahrensweise.
Zum 01. April 2012 ging das Verfahren auf die 60. Kammer über. Im Januar 2013 terminierte die Vorsitzende dieser Kammer den Rechtsstreit für den 27. Februar 2013. Wegen Erkrankung der Vorsitzenden erfolgte im Februar 2013 eine Umladung auf den 10. April 2013, im April 2013 eine weitere auf den 29. Mai 2013. Am 29. Mai 2013 fand die mündliche Verhandlung statt. Das Verfahren wurde dort vergleichsweise beendet.
Bereits am 15. November 2012 hatte die Klägerin beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben.
Zur Begründung dieser Klage trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Verfahrensverzögerung weder auf ihr noch auf das Verhalten der im Ausgangsverfahren beklagten Bundesagentur zurückzuführen, sondern offensichtlich der mangelnden personellen Ausstattung des Gerichts geschuldet sei. Es wäre Aufgabe des Beklagten gewesen, das Sozialgericht Berlin personell so auszustatten, dass es im Regelfall innerhalb angemessener Zeit über einen Rechtsstreit entscheiden könne. Der Streitgegenstand hätte eine zügigere Bearbeitung erforderlich gemacht. Denn im Falle des Obsiegens hätte sie Nachzahlungen durch die damalige Beklagte erhalten und es wäre über die freiwillige Weiterversicherung befunden worden. Es sei für sie daher unzumutbar gewesen, nach drei Jahren noch immer keine erstinstanzliche Entscheidung zu haben. Eine Kompensation könne nur in Form von Geld erfolgen. Mit ihrem Antrag lasse sie sich davon leiten, dass eine Verzögerung zumindest von einem Jahr bereits eingetreten sei. Sie verlange daher eine Entschädigung in Höhe von mindestens 1.200,00 EUR.
Weiter meint sie, dass ihrem Anspruch auf eine Entschädigung nicht entgegen gehalten werden könne, sie habe nicht unverzüglich Verzögerungsrüge erhoben. Eine Verzögerungsrüge sei als unverzüglich anzusehen, sofern sie innerhalb von sechs Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) bei Gericht eingehe. Soweit im Rahmen des § 121 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von einer erheblich kürzeren Frist ausgegangen werde, könne dies nicht maßgeblich sein. Zum einen ergebe sich überhaupt erst aus der Gesetzesbegründung, dass es auf diese Vorschrift ankommen könne. Diese aber sei kein Rechtsanwalt verpflichtet zu kennen. Zum anderen sei zu beachten, dass es sich bei dem Recht auf ein zügiges Verfahren um ein geschütztes Rechtsgut handele, eine zu knapp bemessene Frist aber zum Verlust dieses Rechtsguts führe. Das GRüGV stelle sich nicht als Begünstigung für die Betroffenen dar, da vor seinem Inkrafttreten direkt Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hätte eingelegt werden können. Außerdem stünden sich im Zivilrecht – anders als im Entschädigungsverfahren – gleich starke Gegner gegenüber. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt nicht ohne Rücksprache mit dem Mandanten Verzögerungsrüge einlegen könne, da dies Kosten auslöse. Es seien daher Vorbereitungsmaßnahmen erforderlich gewesen, die Zeit gekostet hätten.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen unangemessener Dauer ihres zuletzt unter dem Aktenzeichen S 60 AL 4877/09 vor dem Sozialgericht Berlin geführten Verfahrens gegen die Bundesagentur für Arbeit eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 1.200,00 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, für die Frage einer Entschädigung könne es nur auf die Zeit ab dem 16. Januar 2012, dem Tag, an dem bei Gericht die Verzögerungsrüge eingegangen sei, ankommen, da die
Verzögerungsrüge nicht unverzüglich erhoben worden sei. Jedenfalls im Falle der anwaltlichen Vertretung sei nur eine innerhalb eines Monats angebrachte Verzögerungsrüge als unverzüglich anzusehen. Im Übrigen ist er der Auffassung, dass das Verfahren trotz seiner objektiven Länge von Besonderheiten geprägt sei, die die Dauer als im Einzelfall nicht unangemessen erscheinen ließen. Die Sache habe sich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht als schwierig dargestellt. Die wirtschaftliche Bedeutung sei angesichts des begrenzten streitgegenständlichen Zeitraums und des Gegenstandswerts eher als gering einzustufen. Weiter sei nach dem Wechsel der Kammerzuständigkeit zum 01. April 2012 der neuen Vorsitzenden eine Einarbeitungszeit einzuräumen gewesen. Mit der Ladung zum Termin sei das Verfahren sodann fortwährend betrieben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die auf Gewährung einer Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
A. Die Entschädigungsklage ist zulässig.
I. Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der Fassung des GRüGV vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Dass das von der Klägerin als unangemessen lang angesehene Verfahren bei Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011 (vgl. Art. 24 GRüGV) bereits vor dem Sozialgericht Berlin anhängig war, steht dem nicht entgegen. Vielmehr gilt das GRüGV nach seinem Art. 23 S. 1 auch für bei seinem Inkrafttreten bereits anhängige (und noch nicht abgeschlossene) Verfahren sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim EGMR ist oder noch werden kann.
II. Für die Entscheidung über die Klage ist das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zuständig. Die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in § 202 Satz 2 SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198-201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt.
III. Richtiger Beklagter ist das Land Berlin. Nach § 200 Satz 1 GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land. Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf die Präsidentin des Sozialgerichts Berlin (§ 29 Abs. 1 Satz 1 der Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz vom 22.10.2012, Amtsblatt Berlin 2012, S. 1979) ist nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich (so BFH, Urteil vom 17.04.2013 - X K 3/12 - zitiert nach juris, Rn. 30 ff. für die vorher geltende Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20.09.2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641).
IV. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Klägerin macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz 1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch eine Verpflichtung handelt.
V. Auch ist die Klage formgerecht (§ 90 SGG) und unter Berücksichtigung der maßgeblichen Fristen des § 198 Abs. 5 Satz 1 und 2 GVG erhoben. Nach diesen Bestimmungen kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge und muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder nach einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Die Klägerin hat mit bei Gericht am 16. Januar 2012 eingegangenem Schriftsatz die Verfahrensverzögerung förmlich gerügt und noch vor Abschluss des Verfahrens am 29. Mai 2013 durch einen Vergleich die
Entschädigungsklage am 15. November 2012 erhoben. Dass die Erhebung der Entschädigungsklage schon vor Abschluss des Ausgangsverfahrens möglich ist, folgt bereits aus § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG. Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert.
B. Allerdings ist die Klage nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Eine Entschädigung kann die Klägerin nur insoweit beanspruchen, als es nach Eingang ihrer Verzögerungsrüge bei Gericht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer gekommen ist. Hingegen scheidet mangels Unverzüglichkeit ihrer Verzögerungsrüge die Gewährung einer Entschädigung für davor liegende Zeiträume von vornherein aus.
Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG). Dies gilt nach Art. 23 Satz 2 bis 5 GRüGV für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des GRüGV schon verzögert sind, mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des GRüGV erhoben werden muss. Nur in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des vom 24. November 2009 bis zum 29. Mai 2013 beim Sozialgericht Berlin anhängigen und letztlich dreieinhalb Jahre dauernden Verfahrens. Insoweit macht sie ausschließlich einen Nachteil geltend, der kein Vermögensnachteil ist. Ein Anspruch auf Ausgleich eines entsprechenden Nachteils nicht vermögenswerter Art bestünde unter Zugrundelegung der obigen Bestimmungen jedoch nur dann, wenn das vor dem Sozialgericht Berlin gegen die Bundesagentur geführte Verfahren unangemessen lange gedauert hat (hierzu im Folgenden zu II.), die Klägerin als Verfahrensbeteiligte einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten hat, für den nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG nicht ausreichend ist (hierzu im Folgenden zu III.) und der geforderte Betrag als Entschädigung angemessen ist (hierzu im Folgenden zu IV.). Weiter erforderte ein sich auf die Zeit vor dem 16. Januar 2012 erstreckender Entschädigungsanspruch, dass die an diesem Tage erhobene Verzögerungsrüge - so das Verfahren bei Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011 schon verzögert gewesen sein sollte – als unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben anzusehen ist (hierzu im Folgenden zu I.). Zur Überzeugung des Senats sind hier zwar die erstgenannten Voraussetzungen zu bejahen. Hingegen fehlt es an einer unverzüglichen Verzögerungsrüge, sodass sich der Entschädigungsanspruch von vornherein nur auf die Zeit ab dem 16. Januar 2012 beziehen kann.
I. Vorliegend kann dahinstehen, ob das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des GRüGV beim Sozialgericht Berlin anhängige streitgegenständliche Ausgangsverfahren am 03. Dezember 2011 bereits als unangemessen lang anzusehen war. Denn gegebenenfalls könnte die Klägerin Ansprüche aus der unangemessenen Dauer nur dann herleiten, wenn sie unverzüglich Verzögerungsrüge erhoben hätte. Dies hat sie jedoch mit der am 16. Januar 2012 bei Gericht eingegangenen Verzögerungsrüge nicht getan. Vielmehr ist zur Überzeugung des Senats - zumindest im Falle der anwaltlichen Vertretung bereits im Ausgangsverfahren - eine Verzögerungsrüge nur dann als unverzüglich anzusehen, wenn sie innerhalb eines Monats ab Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011, mithin bis zum 03. Januar 2012 bei Gericht eingegangen ist.
Art. 23 Satz 2 GRüGV fordert ausdrücklich, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des GRüGV erhoben werden muss. Unverzüglich bedeutet bereits nach dem allgemeinen Sprachverständnis "umgehend und ohne Zeitverzug erfolgend" (vgl. Die Zeit, Das Lexikon in 20 Bänden, Deutsches Wörterbuch, 2005). Allein aus der Wortwahl ergibt sich damit – selbst für einen Laien - die Pflicht zu einem sehr schnellen Handeln. Erst recht aber muss sich für einen Juristen – und dies auch ohne vorheriges Studium der Gesetzesbegründung - aufdrängen, dass der Gesetzgeber hier auf den in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB als "ohne schuldhaftes Zögern" legaldefinierten Begriff abgestellt hat. Dementsprechend heißt es in der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf mit Blick auf die Regelung, die sich inzwischen in Art. 23 Satz 2 und 3 GRüGV findet, auch, dass bei solchen Verfahren, bei denen eine rügepflichtige Situation bereits eingetreten ist, die Rüge grundsätzlich unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, nach Inkrafttreten der Regelung erhoben werden muss (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 31 zu Artikel 22). Anhaltspunkte dafür, dass für das sozialgerichtliche Verfahren anderes gelten könnte, ergeben sich nicht, zumal anerkannt ist, dass die in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene gesetzliche Definition für das gesamte private und öffentliche Recht gilt (BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zitiert nach juris, Rn. 18).
Die Frist, innerhalb derer noch nicht von einem schuldhaften Zögern ausgegangen werden muss, ist unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks so zu bemessen, dass es den Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalles möglich ist, die Frage, ob eine
entschädigungspflichtige Verzögerung vorliegen könnte, zügig zu prüfen und die Einleitung der erforderlichen Schritte zu erwägen.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin meint, diese Frist sei grundsätzlich erst nach einem halben Jahr ab Inkrafttreten des GRüGV überschritten, folgt der Senat ihm nicht. Dass eine derart lange Frist in diesem Zusammenhang nicht gemeint sein kann, folgt zu seiner Überzeugung schon daraus, dass gerade der die Verzögerungsrüge im Allgemeinen regelnde und in diesem Zusammenhang eine Sechsmonatsfrist normierende § 198 Abs. 3 GVG für die bei
Inkrafttreten des GRüGV bereits anhängigen Verfahren durch Art. 23 Satz 2 GRüGV modifiziert wird. Im Übrigen sieht der Gesetzgeber für bei Inkrafttreten des GRüGV bereits abgeschlossene Verfahren, deren Dauer zu diesem Zeitpunkt noch Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR werden kann, als letzten Tag, an dem eine Entschädigungsklage erhoben werden kann, den 03. Juni 2012 (Art. 23 Satz 1 und 6 GRüGV) vor und stellt damit faktisch auf eine Sechsmonatsfrist ab. Hätte diese Frist auch für die Erhebung der Verzögerungsrüge gelten sollen, wäre es auch nicht ansatzweise nachvollziehbar, warum eine "unverzügliche" Einlegung gefordert wird.
Im Gegenteil ist zur Überzeugung des Senats – jedenfalls den im Ausgangsverfahren bereits anwaltlich vertretenen Betroffenen – für die Prüfung, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung vorliegen könnte, und für die Einleitung der erforderlichen Schritte, also insbesondere die Erhebung der Verzögerungsrüge bei Gericht, eine Frist von einem Monat, aber auch nicht mehr, einzuräumen (vgl. Wenner, SoSi 2012, 32 ff. 35). Bei der Monatsfrist handelt es sich um eine im gesamten deutschen Rechtssystem für die Einlegung von Rechtsmitteln typische Frist (vgl. z.B. §§ 87 Abs. 1 Satz 1, 151 Abs. 1, 160a Abs. 1 Satz 2, 164 Abs. 1 Satz 1 SGG, §§ 124a Abs. 2 Satz 1, 134 Abs. 1 Satz 2, 139 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 116 Abs. 2 Satz 1, 120 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung, §§ 517, 544 Abs. 1 Satz 2, 548 ZPO und §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 72a Abs. 2 Satz 1, 74 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz). Soweit beispielsweise im Strafprozess abweichende Fristen vorgesehen sind, sind diese regelmäßig kürzer, nicht jedoch länger. Es wird mithin allgemein von den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten erwartet, innerhalb eines Monats zum einen zu prüfen, ob ein Rechtsmittel eingelegt wird, und zum anderen die untereinander erforderliche Abstimmung zu erreichen. Dass es Gründe geben könnte, diese Frist für die Erhebung einer Verzögerungsrüge als nicht ausreichend anzusehen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Im Gegenteil ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Erhebung der Verzögerungsrüge weder einer Begründung bedarf noch dem Verfahrensbeteiligten selbst oder seinem Prozessbevollmächtigten eine Einarbeitung in einen neuen Sachverhalt abverlangt, vielmehr ggf. im Rahmen eines bereits anhängigen und damit bekannten Verfahrens erfolgt. Anderes kann auch nicht unter Kostenaspekten gelten. Unabhängig davon, ob die Behauptung des Bevollmächtigten der Klägerin, die Einlegung der Verzögerungsrüge sei für Kläger mit Kosten verbunden, überhaupt zutrifft, rechtfertigte dies jedenfalls nicht die Annahme, dass deshalb für die Erhebung der Verzögerungsrüge eine längere Frist als für die Erhebung einer Klage oder die Einlegung einer Berufung oder Revision gelten müsse. Schließlich vermag der Senat der Klägerin nicht zu folgen, soweit sie meint, dass für die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge im Hinblick darauf eine längere Frist eingeräumt werden müsse, weil ihr auf Beklagtenseite keine Privatperson gegen¬überstehe.
Auch ist die Einräumung einer längeren Frist nicht unter dem seitens der Klägerin geltend gemachten Aspekt geboten, eine "zu knapp bemessene" Frist führe zum Verlust ihres Rechts auf ein zügiges Verfahren. Dieses der Klägerin unstreitig zustehende Recht wird durch die Frist, innerhalb derer eine Verzögerungsrüge erhoben sein muss, um als unverzüglich zu gelten, nicht tangiert. Bedeutung hat diese Frist allein mit Blick auf den Zeitpunkt, ab dem im Falle einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren hierfür eine Entschädigung verlangt werden kann. Aus der Notwendigkeit, eine entsprechende Frist zur Wahrung etwaiger Entschädigungsansprüche einzuhalten, folgt jedoch kein Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR. Denn dieser hat – anders als in der Argumentation der Klägerin anklingt – der Bundesrepublik Deutschland zu keinem Zeitpunkt aufgegeben, Regelungen zu schaffen, die Betroffenen überlanger Verfahrensdauer möglichst weitgehende Entschädigungsansprüche sichern. Vielmehr hat er stets beklagt, dass diesen kein Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, um auf die Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken. Gerade eine solche Möglichkeit aber ist mit der Verzögerungsrüge nun erstmals zur Verfügung gestellt. Der Gesetzgeber hat hiermit ein Instrumentarium geschaffen, mittels dessen auf eine zügige Verfahrensbeendigung hingewirkt werden kann. Erst wenn dies nicht fruchtet, soll nach sechs Monaten eine Entschädigungsklage möglich sein. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass von Klägern, deren Verfahren bereits verzögert sind, erwartet wird, dass sie – im eigenen Interesse der nunmehr schnellen Verfahrenserledigung – zügig Verzögerungsrüge erheben. Dass der Gesetzgeber diese Unverzüglichkeit der Verzögerungsrüge mit der Möglichkeit, Entschädigungsansprüche für die Vergangenheit zu wahren, verknüpft hat, ist nicht zu beanstanden.
Der Senat sieht sich mit dieser Auslegung des Begriffs der Unverzüglichkeit im Rahmen des Art. 23 GRüGV im Einklang mit der bisher zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung, in der einerseits am 22. Dezember 2011 erhobene Verzögerungsrügen als rechtzeitig eingegangen angesehen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteile vom 26.02.2013 - OVG 3 A 6.12, 11.12 und 15.12 - zitiert nach juris, Rn. 18 bzw. 21, 18), hingegen am 23. Januar 2012 (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 04.07.2013 - 1 SchH 10/12 (EntV) - zitiert nach juris, Rn. 18), am 16. März 2012 (Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 03.05.2013 - 23 SchH 1/13 EntV, 23 SchH 1/13 - zitiert nach juris, Rn. 11) sowie am 22. März 2012 (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 20.02.2013 – 1 SchH 9/12 (EntV) - zitiert nach juris, Rn. 11 ff.) erhobene Verzögerungsrügen als verspätet bewertet wurden.
Nicht allerdings überzeugt es ihn, soweit im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. April 2013 (X K 3/12, zitiert nach juris, Rn. 70 f.) anklingt, dass unter Berücksichtigung anderweitiger gesetzlicher Wertungen, z.B. der für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz zur Verfügung stehenden einjährigen Frist (§ 93 Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz) und der für Beschwerden zum EGMR einzuhaltenden sechsmonatigen Frist (Art. 35 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -), sowie der Rechtsprechung des EGMR eine Verzögerungsrüge noch (deutlich) länger als unverzüglich anzusehen sein könnte. Wie ausgeführt hat der Gesetzgeber selbst ausdrücklich auf die Unverzüglichkeit ab
Inkrafttreten des GRüGV abgestellt und in der Begründung an die Regelung des § 121 BGB angeknüpft. An anderer Stelle hat er Sechsmonatsfristen festgelegt, sodass bereits Wortlaut und
Gesetzesbegründung belegen, dass hier eine deutlich unter sechs Monaten anzusetzende Frist gelten soll. Im Übrigen besteht zwischen der - nicht einmal zu begründenden - Erhebung einer Verzögerungsrüge und z.B. der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz keinerlei Vergleichbarkeit. Soweit der Bundesfinanzhof weiter darauf verweist, dass es darum gehen müsse, mittels der Auslegung des GRüGV eine den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren, bedeutet dies nicht, dass bzgl. der "Unverzüglichkeit" eine von den sonstigen Grundsätzen abweichende Regelung gefunden werden müsste. Aus den
Bestimmungen der EMRK lässt sich nicht ableiten, dass es dem nationalen Gesetzgeber verwehrt wäre, die Gewährung einer Entschädigung bei Verletzung des Rechts aus Art. 6 EMRK von der rechtzeitigen Geltendmachung des Rechts abhängig zu machen. Anderes lässt sich auch der Rechtsprechung des EGMR, des Bundesverfassungsgerichts oder anderer Gerichte nicht entnehmen.
Die am 16. Januar 2012 bei Gericht eingegangene Verzögerungsrüge der Klägerin ist außerhalb der Monatsfrist und damit nicht ohne schuldhaftes Zögern erhoben worden. Auch besteht hier kein Anlass, ausnahmsweise von dem Vorwurf, es handele sich um schuldhaftes Zögern, abzusehen. Zwar ist bei der Anwendung des - die Frist für die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts regelnden - § 121 BGB im Zivilrecht hinsichtlich des Merkmals "unverzüglich" anerkannt, dass ein Rechtsirrtum über die Anfechtungsbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts den Vorwurf ausschließt, es handele sich um schuldhaftes Zögern. Allerdings werden an die Entschuldbarkeit des Irrtums hohe Anforderungen gestellt, die nur erfüllt sind, wenn sich der
Anfechtungsberechtigte seine Rechtsansicht aufgrund einer sorgfältigen Prüfung der Rechtslage gebildet hat. Insbesondere scheidet eine Entlastung für denjenigen aus, der das Risiko eines Verbotsirrtums bewusst eingegangen ist (BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zitiert nach juris, Rn. 19). Gemessen daran ist vorliegend ein etwaiger Irrtum über den Zeitpunkt, zu dem die Verzögerungsrüge bei Gericht eingegangen sein muss, nicht entschuldbar. So ist – jedenfalls bei anwaltlich vertretenen Klägern – zu beachten, dass der eindeutige Gesetzeswortlaut mit Verkündung des – zum einen lange erwarteten und zum anderen nicht nur in Fachpublikationen, sondern auch in der allgemeinen Berichterstattung thematisierten - Gesetzes bekannt gewesen sein muss. Weiter besteht kein Grund zur Annahme, dass diese Personengruppe bei vernünftiger Überlegung angesichts der vom Gesetzgeber geforderten "Unverzüglichkeit" davon habe ausgehen können, für die Erhebung der Verzögerungsrüge stünde eine längere Frist als für die Einlegung eines Rechtsmittels zur Verfügung.
Die Gewährung einer Entschädigung für die Dauer des Verfahrens bis zum 15. Januar 2012 kommt damit von vornherein nicht in Betracht.
II. Wohl aber steht der Klägerin zur Überzeugung des Senats eine Entschädigung im Hinblick auf die weitere Dauer des Verfahrens ab Erhebung der Verzögerungsrüge zu.
Nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Damit erstreckt sich die Dauer des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens von der Klageerhebung am 24. November 2009 bis zum 29. Mai 2013, dem Tag, an dem der Rechtsstreit vergleichsweise (vgl. § 101 Abs. 1 SGG) erledigt wurde. Maßgeblich ist hier – nach obigen Ausführungen – indes nur noch der Zeitraum vom 16. Januar 2012 bis zum 29. Mai 2013.
Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber bewusst (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 17/3802, S. 18 zu § 198 Abs. 1) von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen, weil eine abstrakt-generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 Rn. 68 m.w.N.).
Vielmehr regelt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt. Lediglich beispielhaft und ohne abschließenden Charakter werden hier - in Anknüpfung an die vom Bundesverfassungsgericht sowie vom EGMR im Zusammenhang mit der Frage überlanger gerichtlicher Verfahren entwickelten Maßstäbe - Umstände benannt, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind. Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer ist danach - so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks 17/3802, S. 18 f. zu § 198 Abs. 1) - unter dem Aspekt einer möglichen Mitverursachung zunächst die Frage, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat. Außerdem sind insbesondere zu berücksichtigen Schwierigkeit, Umfang und Komplexität des Falles sowie die Bedeutung des Rechtsstreits. Hier ist nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit. Relevant ist ferner das Verhalten sonstiger Verfahrensbeteiligter sowie das Verhalten Dritter. Hingegen kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht auf Umstände innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist beendet werden können. Deshalb kann bei der Frage der angemessenen Verfahrensdauer nicht auf die chronische Überlastung eines Gerichts, länger bestehende Rückstände oder eine allgemein angespannte Personalsituation abgestellt werden.
Allerdings reichen die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Umstände nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL -, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und m.w.N.), der der Senat sich anschließt, zur Ausfüllung des Begriffs der unangemessenen Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht aus. Vielmehr sind diese Umstände in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen. So verdeutlicht bereits die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit, dass es auf eine Beeinträchtigung eines Grund- und Menschenrechts durch die Länge des Gerichtsverfahrens ankommt. Es wird damit von vornherein eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt, sodass nicht jede Abweichung vom Optimum ausreicht, vielmehr eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen muss. Weiter verbietet sich das Ziehen einer engen zeitlichen Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer zum einen auch im Hinblick auf das
Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG), zum anderen unter Berücksichtigung des Ziels einer inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidungen. Schließlich muss der Rechtsuchende damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat, sodass ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten ist.
Vorliegend ist zu beachten, dass das Ausgangsverfahren zur Überzeugung des Senats nicht von überdurchschnittlicher Schwierigkeit oder Komplexität gewesen ist. Es war insbesondere zu klären, ob die damalige Beklagte zu Recht davon ausgegangen war, dass Arbeitsunfähigkeit (aufgrund einer schwer wiegenden Erkrankung) der Ausübung der für die Gewährung des Gründungszuschusses erforderlichen Selbständigkeit entgegensteht. Insoweit handelte es sich im Wesentlichen um eine Rechtsfrage. Aufwändige Ermittlungen waren nicht zu tätigen.
Umgekehrt war die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für die Klägerin - anders als der Beklagte meint - nicht als nur gering einzustufen. So ging es zum einen - nach bereits zuvor erfolgter Leistungseinstellung für diesen Zeitraum - um die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Gründungszuschusses (1. Phase) in Höhe von monatlich 1.894,20 EUR für die Zeit vom 18. Januar bis zum 14. März 2009 und damit für einen knapp zwei Monate umfassenden Zeitraum. Zum anderen war die Aufhebung der Gewährung von monatlich 300,00 EUR für die Zeit vom 26. Juni bis zum 14. September 2009 und damit für knapp drei Monate streitgegenständlich. Die Klägerin hätte letztlich im Falle der Stattgabe ihrer Klage mit einer Nachzahlung in Höhe von voraussichtlich gut 4.000,00 EUR rechnen können. Schließlich ging es um die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung.
Mit Blick auf den Verfahrensverlauf ist festzustellen, dass in der Zeit ab dem 16. Januar 2012 weder der Klägerin noch der damaligen Beklagten Verzögerungen anzulasten sind. Bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge war der Rechtsstreit vom Kammervorsitzenden als entscheidungsreif angesehen worden. Gleichwohl ist es erst im Januar 2013 - nach zwischenzeitlicher Pensionierung des ursprünglichen Kammervorsitzenden und Übergang des Verfahrens auf eine andere Kammer - zu einer (erneuten) Terminierung gekommen. Letztlich konnte der Rechtsstreit - aufgrund der Erkrankung der neuen Kammervorsitzenden - dann erst Ende Mai 2013 verhandelt und zum Abschluss gebracht werden.
Zum Zeitpunkt des Eingangs der Verzögerungsrüge Mitte Januar 2012 war der Rechtsstreit bereits seit knapp zwei Jahren und zwei Monaten anhängig. Auch wenn im Rahmen einer optimalen Bearbeitung ein Verfahrensabschluss zu diesem Zeitpunkt sicher wünschenswert
gewesen wäre, ist zu berücksichtigen, dass auf eben dieses Optimum nach obigen Ausführungen gerade kein Anspruch besteht. Dabei ist auch zu beachten, dass der konkrete Rechtsstreit zwar nicht von besonderer Schwierigkeit gewesen sein mag und insbesondere keine Ermittlungen erfordert hat, daraus jedoch kein Anspruch auf eine sofortige gerichtliche Entscheidung folgen kann. Denn andernfalls wäre es den Gerichten faktisch verwehrt, sich jemals komplexeren und älteren Verfahren zu widmen. Ebenfalls zu werten ist allerdings auch, dass mit zunehmender Dauer des Verfahrens die an die Angemessenheit zu stellenden Anforderungen steigen (BVerfG, Beschlüsse vom 20.07.2000 - 1 BvR 352/00 - zitiert nach juris, Rn. 11 sowie vom 02.12.2011 - 1 BvR 314/11 -, zitiert nach juris, Rn. 7).
Nachdem der ursprünglich zuständige Kammervorsitzende zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört und die Beteiligten hierzu im März 2012 Stellungnahmen abgegeben hatten, wäre letztlich zur Überzeugung des Senats spätestens ab Mai 2012 eine Entscheidung über die zu diesem Zeitpunkt dann etwa zweieinhalb Jahre anhängige Klage geboten gewesen, zu der es jedoch zunächst weiterhin nicht gekommen ist. Dass dies im Wesentlichen auf die Pensionierung des Kammervorsitzenden und den damit einhergehenden Übergang der Sache auf eine andere Kammer des Sozialgerichts zurückzuführen sein dürfte, kann den Beklagten ebenso wenig entlasten wie die Notwendigkeit für die neu zuständige Kammervorsitzende, sich zunächst einmal in das Verfahren einzuarbeiten. All dies sind letztlich Umstände, die bei ausreichender personeller Ausstattung vermieden oder jedenfalls aufgefangen werden könnten. Bei einem zu diesem Zeitpunkt etwa zweieinhalb Jahre anhängigen Verfahren, in dem es um die Klärung einer Rechtsfrage ging und in dem von Anfang an keine weitergehenden Ermittlungen erforderlich waren, war die Grenze des Zumutbaren für die Klägerin zu diesem Zeitpunkt (ab Mai 2012) überschritten.
Nicht mehr ist indes von einer dem Beklagten vorzuwerfenden unangemessenen Verfahrensdauer für die Zeit ab Februar 2013 auszugehen. Dass der Rechtsstreit trotz einer im Januar 2013 für Ende Februar 2013 angesetzten Verhandlung zunächst nicht beendet werden konnte, ist nicht auf eine unzureichende Ausstattung der Justiz im Allgemeinen, sondern auf die unvorhergesehene Erkrankung der Kammervorsitzenden zurückzuführen (vgl. in diesem Zusammenhang Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.03.2005 - 3 StR 39/05 - zitiert nach juris, Rn. 17). Dass diese Erkrankung nicht zur sofortigen Einleitung von Gegenmaßnahmen geführt hat, ist - auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich mehr als dreijährigen Anhängigkeit des Verfahrens - nicht zu beanstanden. Wie schon die sofort im Februar erfolgte Umladung auf April zeigt und die erneute Umladung auf Ende Mai 2013 bestätigt, wurde gerade keine
längerfristige Erkrankung der Vorsitzenden erwartet, sodass eine erneute Übertragung der Sache auf eine andere Kammer eher kontraproduktiv gewesen wäre.
Nach alledem geht der Senat von einer überlangen Verfahrensdauer im Umfang von neun Monaten aus.
III. Durch diese überlange Verfahrensdauer hat die Klägerin einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.
Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung des Senats nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat auch der Beklagte nicht geltend gemacht.
IV. Ausgehend von der im Umfang von neun Monaten überlangen Dauer des gerichtlichen Verfahrens beläuft sich die der Klägerin zustehende angemessene Entschädigung auf 900,00 EUR. Aus dem gemäß § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung errechnet sich eine Entschädigung von 100,00 EUR pro Monat. Soweit teilweise eine monatsweise Betrachtung im Hinblick auf den auf das Jahr abstellenden Gesetzeswortlaut nicht für möglich erachtet wird (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 - L 10 SF 5/12 ÜG - zitiert nach juris, Rn. 246 ff.), folgt der Senat dem nicht (so auch BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL - zitiert jeweils nach juris, jeweils Rn. 49 ff. m.w.N.). Abgesehen davon, dass im Gesetz nicht auf das vollendete oder angefangene Jahr, sondern pauschal auf jedes Jahr abgestellt wird, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 17/3802, S. 20 zu § 198 Abs. 2 Satz 3 und 4) ausdrücklich, dass der Pauschalsatz an die Bemessungsgröße von einem Jahr, d.h. zwölf Monaten, anknüpfe und für Zeiträume unter einem Jahr eine zeitanteilige Berechnung erfolge.
Soweit das Gericht schließlich nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen kann, sieht der Senat hierfür vorliegend keinen Anlass. Anhaltspunkte, die den Ansatz des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrages unbillig und daher eine abweichende Festsetzung notwendig erscheinen lassen könnten, sind weder ersichtlich noch von den Beteiligten vorgetragen.
Soweit in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG schließlich die Möglichkeit vorgesehen ist, in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung auszusprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, sieht der Senat hierfür keinen Grund. Er vermag bereits nicht zu erkennen, dass vorliegend ein schwerwiegender Fall gegeben wäre.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 ZPO war im Hinblick auf die Regelungen der §§ 202, 198 Abs. 1 SGG nicht auszusprechen.
Die Revision war nach §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des zuletzt unter dem Aktenzeichen S 60 AL 4877/09 vor dem Sozialgericht Berlin geführten Verfahrens.
Dem Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Nachdem der Klägerin zunächst ab dem 15. Juni 2008 bis zum 14. März 2009 ein Gründungszuschuss (1. Phase) in Höhe von monatlich 1.894,20 EUR und für die Zeit vom 06. April bis zum 14. September 2009 (2. Phase) in Höhe von monatlich 300,00 EUR gewährt worden war, hob die Bundesagentur für Arbeit die Gewährung mit Bescheiden vom 01. Juli 2009 - teilweise in der Fassung des Änderungsbescheides vom 27. Oktober 2009 -, jeweils in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 28. Oktober 2009 zum einen mit Wirkung ab dem 18. Januar 2009, zum anderen für die Zeit ab dem 26. Juni 2009 mit der Begründung, die für die Gewährung des Gründungszuschusses erforderliche Selbständigkeit werde wegen Arbeitsunfähigkeit nicht mehr ausgeübt, ganz auf. Weiter hob sie mit Bescheid vom 27. August 2009 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 16. November 2009, dieser in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2009 die zuvor erfolgte Bewilligung der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung mit Wirkung ab dem 18. Januar 2009 auf.
Am 24. November 2009 erhob die bereits damals durch ihren jetzigen Bevollmächtigten vertretene Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage und begehrte zunächst die Aufhebung der Bescheide vom 01. Juli 2009 in ihren letzten Fassungen und beschränkte sich auf eine knappe Begründung. Das Verfahren wurde zunächst unter dem Aktenzeichen S 64 AL 4877/09 registriert. Am 21. Dezember 2009 erweiterte sie die Klage und beantragte nunmehr auch die Aufhebung des Bescheides vom 27. August 2009 in seiner letzten Gestalt. Weiter begehrte sie die Verpflichtung der Bundesagentur, den Gründungszuschuss für die Zeit vom 21. Januar bis zum 01. April 2009 sowie ab dem 26. Juni 2009 ruhend zu stellen und ihr für die Zeit vom 02. April 2009 bis zum 23. Mai 2009 den vollen Gründungszuschuss (1. Phase) sowie für den Zeitraum vom 24. Mai bis zum 26. Juni 2009 den weiterbewilligten Zuschuss (2. Phase) zu gewähren. Ferner beantragte sie festzustellen, dass sie einen Restanspruch auf den Gründungszuschuss in der Weiterbewilligungsphase (2. Phase) für 146 Tage habe. Schließlich erfolgte nunmehr eine ausführliche Klagebegründung.
Am 19. Januar 2010 ging bei Gericht die Klageerwiderung ein, die dem Bevollmächtigten der Klägerin durch die nunmehr zuständige 62. Kammer zur Stellungnahme übersandt wurde. Mit am 28. Januar 2010 eingegangenem Schriftsatz vom selben Tage verwies dieser darauf, dass die Klageerwiderung keine Veranlassung zu weiterem Vortrag biete. Die Rechtsfrage, ob eine Erkrankung zu einer Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit im Rechtssinne führe, habe das Gericht zu entscheiden.
Nachdem die Sache bereits ab März 2010 als entscheidungsreif angesehen worden war, terminierte der damalige Vorsitzende den Rechtsstreit am 20. April 2011 auf den 08. Juni 2011. Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung äußerte sich die Klägerin bei dieser Gelegenheit ausführlich zu ihren Arbeitsunfähigkeitszeiten und zu den in dieser Zeit von ihrer Krankenversicherung erhaltenen Leistungen. Der Rechtsstreit wurde vertagt und der damaligen Beklagten aufgegeben, zum Vortrag der Klägerin Stellung zu nehmen. Am 28. Juni 2011 ging diese Stellungnahme bei Gericht ein und wurde dem Bevollmächtigten wenige Tage darauf zur freigestellten Stellungnahme übermittelt. Am 25. Juli 2011 wurde die Sache erneut in das so genannte Entscheidungsfach verfügt.
Mit am 16. Januar 2012 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz erhob der Bevollmächtigte der Klägerin ausdrücklich Verzögerungsrüge. Der damalige Vorsitzende der Kammer des Sozialgerichts Berlin informierte ihn daraufhin, dass er demnächst in den Ruhestand gehe, die Sache nicht mehr zur Entscheidung unter seinem Vorsitz vorgesehen und nicht absehbar sei, wann eine Terminierung erfolgen werde, zumal noch ältere Verfahren anhängig seien. Kurz darauf hörte er zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid an. Mit am 09. bzw. 13. März 2012 eingegangenen Schriftsätzen erhoben die Beteiligten keine Einwände gegen diese Verfahrensweise.
Zum 01. April 2012 ging das Verfahren auf die 60. Kammer über. Im Januar 2013 terminierte die Vorsitzende dieser Kammer den Rechtsstreit für den 27. Februar 2013. Wegen Erkrankung der Vorsitzenden erfolgte im Februar 2013 eine Umladung auf den 10. April 2013, im April 2013 eine weitere auf den 29. Mai 2013. Am 29. Mai 2013 fand die mündliche Verhandlung statt. Das Verfahren wurde dort vergleichsweise beendet.
Bereits am 15. November 2012 hatte die Klägerin beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer erhoben.
Zur Begründung dieser Klage trägt sie im Wesentlichen vor, dass die Verfahrensverzögerung weder auf ihr noch auf das Verhalten der im Ausgangsverfahren beklagten Bundesagentur zurückzuführen, sondern offensichtlich der mangelnden personellen Ausstattung des Gerichts geschuldet sei. Es wäre Aufgabe des Beklagten gewesen, das Sozialgericht Berlin personell so auszustatten, dass es im Regelfall innerhalb angemessener Zeit über einen Rechtsstreit entscheiden könne. Der Streitgegenstand hätte eine zügigere Bearbeitung erforderlich gemacht. Denn im Falle des Obsiegens hätte sie Nachzahlungen durch die damalige Beklagte erhalten und es wäre über die freiwillige Weiterversicherung befunden worden. Es sei für sie daher unzumutbar gewesen, nach drei Jahren noch immer keine erstinstanzliche Entscheidung zu haben. Eine Kompensation könne nur in Form von Geld erfolgen. Mit ihrem Antrag lasse sie sich davon leiten, dass eine Verzögerung zumindest von einem Jahr bereits eingetreten sei. Sie verlange daher eine Entschädigung in Höhe von mindestens 1.200,00 EUR.
Weiter meint sie, dass ihrem Anspruch auf eine Entschädigung nicht entgegen gehalten werden könne, sie habe nicht unverzüglich Verzögerungsrüge erhoben. Eine Verzögerungsrüge sei als unverzüglich anzusehen, sofern sie innerhalb von sechs Monaten ab Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV) bei Gericht eingehe. Soweit im Rahmen des § 121 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) von einer erheblich kürzeren Frist ausgegangen werde, könne dies nicht maßgeblich sein. Zum einen ergebe sich überhaupt erst aus der Gesetzesbegründung, dass es auf diese Vorschrift ankommen könne. Diese aber sei kein Rechtsanwalt verpflichtet zu kennen. Zum anderen sei zu beachten, dass es sich bei dem Recht auf ein zügiges Verfahren um ein geschütztes Rechtsgut handele, eine zu knapp bemessene Frist aber zum Verlust dieses Rechtsguts führe. Das GRüGV stelle sich nicht als Begünstigung für die Betroffenen dar, da vor seinem Inkrafttreten direkt Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hätte eingelegt werden können. Außerdem stünden sich im Zivilrecht – anders als im Entschädigungsverfahren – gleich starke Gegner gegenüber. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt nicht ohne Rücksprache mit dem Mandanten Verzögerungsrüge einlegen könne, da dies Kosten auslöse. Es seien daher Vorbereitungsmaßnahmen erforderlich gewesen, die Zeit gekostet hätten.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen unangemessener Dauer ihres zuletzt unter dem Aktenzeichen S 60 AL 4877/09 vor dem Sozialgericht Berlin geführten Verfahrens gegen die Bundesagentur für Arbeit eine angemessene Entschädigung in Höhe von mindestens 1.200,00 EUR zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, für die Frage einer Entschädigung könne es nur auf die Zeit ab dem 16. Januar 2012, dem Tag, an dem bei Gericht die Verzögerungsrüge eingegangen sei, ankommen, da die
Verzögerungsrüge nicht unverzüglich erhoben worden sei. Jedenfalls im Falle der anwaltlichen Vertretung sei nur eine innerhalb eines Monats angebrachte Verzögerungsrüge als unverzüglich anzusehen. Im Übrigen ist er der Auffassung, dass das Verfahren trotz seiner objektiven Länge von Besonderheiten geprägt sei, die die Dauer als im Einzelfall nicht unangemessen erscheinen ließen. Die Sache habe sich in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht als schwierig dargestellt. Die wirtschaftliche Bedeutung sei angesichts des begrenzten streitgegenständlichen Zeitraums und des Gegenstandswerts eher als gering einzustufen. Weiter sei nach dem Wechsel der Kammerzuständigkeit zum 01. April 2012 der neuen Vorsitzenden eine Einarbeitungszeit einzuräumen gewesen. Mit der Ladung zum Termin sei das Verfahren sodann fortwährend betrieben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die auf Gewährung einer Entschädigung gerichtete Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
A. Die Entschädigungsklage ist zulässig.
I. Maßgebend für das vorliegende Klageverfahren sind die §§ 198 ff. des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sowie die §§ 183, 197a und 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der Fassung des GRüGV vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554). Dass das von der Klägerin als unangemessen lang angesehene Verfahren bei Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011 (vgl. Art. 24 GRüGV) bereits vor dem Sozialgericht Berlin anhängig war, steht dem nicht entgegen. Vielmehr gilt das GRüGV nach seinem Art. 23 S. 1 auch für bei seinem Inkrafttreten bereits anhängige (und noch nicht abgeschlossene) Verfahren sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim EGMR ist oder noch werden kann.
II. Für die Entscheidung über die Klage ist das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zuständig. Die grundsätzlich in § 201 Abs. 1 Satz 1 vorgesehene Zuweisung der Entschädigungsklagen an das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, wird für sozialgerichtliche Verfahren in § 202 Satz 2 SGG modifiziert. Nach dieser Regelung sind die Vorschriften des 17. Titels des GVG (§§ 198-201) mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung (ZPO) das SGG tritt.
III. Richtiger Beklagter ist das Land Berlin. Nach § 200 Satz 1 GVG haftet für Nachteile, die aufgrund von Verzögerungen bei Gerichten eines Landes eingetreten sind, das Land. Die Übertragung der Vertretung des beklagten Bundeslandes Berlin auf die Präsidentin des Sozialgerichts Berlin (§ 29 Abs. 1 Satz 1 der Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz vom 22.10.2012, Amtsblatt Berlin 2012, S. 1979) ist nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte diese Übertragung durch eine Verwaltungsanweisung vorgenommen werden; ein Gesetz war nicht erforderlich (so BFH, Urteil vom 17.04.2013 - X K 3/12 - zitiert nach juris, Rn. 30 ff. für die vorher geltende Anordnung über die Vertretung des Landes Berlin im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz vom 20.09.2007, Amtsblatt Berlin 2007, 2641).
IV. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft. Nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. § 202 Satz 2 SGG sind die Vorschriften des SGG über das Verfahren vor den Sozialgerichten im ersten Rechtszug heranzuziehen. Gemäß § 54 Abs. 5 SGG kann mit der Klage die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte. Die Klägerin macht angesichts der Regelung des § 198 GVG nachvollziehbar geltend, auf die begehrte Entschädigungszahlung, die eine Leistung i.S.d. § 54 Abs. 5 SGG darstellt, einen Rechtsanspruch zu haben. Eine vorherige Verwaltungsentscheidung ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen (vgl. § 198 Abs. 5 GVG). Vielmehr lässt die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung (BT-Drs. 17/3802, S. 22 zu Abs. 5 Satz 1), nach der der Anspruch nach allgemeinen Grundsätzen auch vor einer Klageerhebung gegenüber dem jeweils haftenden Rechtsträger geltend gemacht und außergerichtlich befriedigt werden kann, erkennen, dass es sich hierbei um eine Möglichkeit, nicht jedoch eine Verpflichtung handelt.
V. Auch ist die Klage formgerecht (§ 90 SGG) und unter Berücksichtigung der maßgeblichen Fristen des § 198 Abs. 5 Satz 1 und 2 GVG erhoben. Nach diesen Bestimmungen kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge und muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder nach einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Die Klägerin hat mit bei Gericht am 16. Januar 2012 eingegangenem Schriftsatz die Verfahrensverzögerung förmlich gerügt und noch vor Abschluss des Verfahrens am 29. Mai 2013 durch einen Vergleich die
Entschädigungsklage am 15. November 2012 erhoben. Dass die Erhebung der Entschädigungsklage schon vor Abschluss des Ausgangsverfahrens möglich ist, folgt bereits aus § 201 Abs. 3 Satz 1 GVG. Nach dieser Bestimmung kann das Entschädigungsgericht das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert.
B. Allerdings ist die Klage nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Eine Entschädigung kann die Klägerin nur insoweit beanspruchen, als es nach Eingang ihrer Verzögerungsrüge bei Gericht zu einer unangemessenen Verfahrensdauer gekommen ist. Hingegen scheidet mangels Unverzüglichkeit ihrer Verzögerungsrüge die Gewährung einer Entschädigung für davor liegende Zeiträume von vornherein aus.
Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG ausreichend ist (§ 198 Abs. 2 S. 2 GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (§ 198 Abs. 3 Satz 1 GVG). Dies gilt nach Art. 23 Satz 2 bis 5 GRüGV für anhängige Verfahren, die bei Inkrafttreten des GRüGV schon verzögert sind, mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des GRüGV erhoben werden muss. Nur in diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum.
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des vom 24. November 2009 bis zum 29. Mai 2013 beim Sozialgericht Berlin anhängigen und letztlich dreieinhalb Jahre dauernden Verfahrens. Insoweit macht sie ausschließlich einen Nachteil geltend, der kein Vermögensnachteil ist. Ein Anspruch auf Ausgleich eines entsprechenden Nachteils nicht vermögenswerter Art bestünde unter Zugrundelegung der obigen Bestimmungen jedoch nur dann, wenn das vor dem Sozialgericht Berlin gegen die Bundesagentur geführte Verfahren unangemessen lange gedauert hat (hierzu im Folgenden zu II.), die Klägerin als Verfahrensbeteiligte einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten hat, für den nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG nicht ausreichend ist (hierzu im Folgenden zu III.) und der geforderte Betrag als Entschädigung angemessen ist (hierzu im Folgenden zu IV.). Weiter erforderte ein sich auf die Zeit vor dem 16. Januar 2012 erstreckender Entschädigungsanspruch, dass die an diesem Tage erhobene Verzögerungsrüge - so das Verfahren bei Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011 schon verzögert gewesen sein sollte – als unverzüglich nach Inkrafttreten des Gesetzes erhoben anzusehen ist (hierzu im Folgenden zu I.). Zur Überzeugung des Senats sind hier zwar die erstgenannten Voraussetzungen zu bejahen. Hingegen fehlt es an einer unverzüglichen Verzögerungsrüge, sodass sich der Entschädigungsanspruch von vornherein nur auf die Zeit ab dem 16. Januar 2012 beziehen kann.
I. Vorliegend kann dahinstehen, ob das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des GRüGV beim Sozialgericht Berlin anhängige streitgegenständliche Ausgangsverfahren am 03. Dezember 2011 bereits als unangemessen lang anzusehen war. Denn gegebenenfalls könnte die Klägerin Ansprüche aus der unangemessenen Dauer nur dann herleiten, wenn sie unverzüglich Verzögerungsrüge erhoben hätte. Dies hat sie jedoch mit der am 16. Januar 2012 bei Gericht eingegangenen Verzögerungsrüge nicht getan. Vielmehr ist zur Überzeugung des Senats - zumindest im Falle der anwaltlichen Vertretung bereits im Ausgangsverfahren - eine Verzögerungsrüge nur dann als unverzüglich anzusehen, wenn sie innerhalb eines Monats ab Inkrafttreten des GRüGV am 03. Dezember 2011, mithin bis zum 03. Januar 2012 bei Gericht eingegangen ist.
Art. 23 Satz 2 GRüGV fordert ausdrücklich, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten des GRüGV erhoben werden muss. Unverzüglich bedeutet bereits nach dem allgemeinen Sprachverständnis "umgehend und ohne Zeitverzug erfolgend" (vgl. Die Zeit, Das Lexikon in 20 Bänden, Deutsches Wörterbuch, 2005). Allein aus der Wortwahl ergibt sich damit – selbst für einen Laien - die Pflicht zu einem sehr schnellen Handeln. Erst recht aber muss sich für einen Juristen – und dies auch ohne vorheriges Studium der Gesetzesbegründung - aufdrängen, dass der Gesetzgeber hier auf den in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB als "ohne schuldhaftes Zögern" legaldefinierten Begriff abgestellt hat. Dementsprechend heißt es in der Begründung der Bundesregierung zum Gesetzesentwurf mit Blick auf die Regelung, die sich inzwischen in Art. 23 Satz 2 und 3 GRüGV findet, auch, dass bei solchen Verfahren, bei denen eine rügepflichtige Situation bereits eingetreten ist, die Rüge grundsätzlich unverzüglich, also ohne schuldhaftes Zögern, nach Inkrafttreten der Regelung erhoben werden muss (vgl. BT-Drucks. 17/3802 S. 31 zu Artikel 22). Anhaltspunkte dafür, dass für das sozialgerichtliche Verfahren anderes gelten könnte, ergeben sich nicht, zumal anerkannt ist, dass die in § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene gesetzliche Definition für das gesamte private und öffentliche Recht gilt (BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zitiert nach juris, Rn. 18).
Die Frist, innerhalb derer noch nicht von einem schuldhaften Zögern ausgegangen werden muss, ist unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks so zu bemessen, dass es den Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalles möglich ist, die Frage, ob eine
entschädigungspflichtige Verzögerung vorliegen könnte, zügig zu prüfen und die Einleitung der erforderlichen Schritte zu erwägen.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin meint, diese Frist sei grundsätzlich erst nach einem halben Jahr ab Inkrafttreten des GRüGV überschritten, folgt der Senat ihm nicht. Dass eine derart lange Frist in diesem Zusammenhang nicht gemeint sein kann, folgt zu seiner Überzeugung schon daraus, dass gerade der die Verzögerungsrüge im Allgemeinen regelnde und in diesem Zusammenhang eine Sechsmonatsfrist normierende § 198 Abs. 3 GVG für die bei
Inkrafttreten des GRüGV bereits anhängigen Verfahren durch Art. 23 Satz 2 GRüGV modifiziert wird. Im Übrigen sieht der Gesetzgeber für bei Inkrafttreten des GRüGV bereits abgeschlossene Verfahren, deren Dauer zu diesem Zeitpunkt noch Gegenstand einer Beschwerde beim EGMR werden kann, als letzten Tag, an dem eine Entschädigungsklage erhoben werden kann, den 03. Juni 2012 (Art. 23 Satz 1 und 6 GRüGV) vor und stellt damit faktisch auf eine Sechsmonatsfrist ab. Hätte diese Frist auch für die Erhebung der Verzögerungsrüge gelten sollen, wäre es auch nicht ansatzweise nachvollziehbar, warum eine "unverzügliche" Einlegung gefordert wird.
Im Gegenteil ist zur Überzeugung des Senats – jedenfalls den im Ausgangsverfahren bereits anwaltlich vertretenen Betroffenen – für die Prüfung, ob eine entschädigungspflichtige Verzögerung vorliegen könnte, und für die Einleitung der erforderlichen Schritte, also insbesondere die Erhebung der Verzögerungsrüge bei Gericht, eine Frist von einem Monat, aber auch nicht mehr, einzuräumen (vgl. Wenner, SoSi 2012, 32 ff. 35). Bei der Monatsfrist handelt es sich um eine im gesamten deutschen Rechtssystem für die Einlegung von Rechtsmitteln typische Frist (vgl. z.B. §§ 87 Abs. 1 Satz 1, 151 Abs. 1, 160a Abs. 1 Satz 2, 164 Abs. 1 Satz 1 SGG, §§ 124a Abs. 2 Satz 1, 134 Abs. 1 Satz 2, 139 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 116 Abs. 2 Satz 1, 120 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung, §§ 517, 544 Abs. 1 Satz 2, 548 ZPO und §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 72a Abs. 2 Satz 1, 74 Abs. 1 Arbeitsgerichtsgesetz). Soweit beispielsweise im Strafprozess abweichende Fristen vorgesehen sind, sind diese regelmäßig kürzer, nicht jedoch länger. Es wird mithin allgemein von den Verfahrensbeteiligten und ihren Bevollmächtigten erwartet, innerhalb eines Monats zum einen zu prüfen, ob ein Rechtsmittel eingelegt wird, und zum anderen die untereinander erforderliche Abstimmung zu erreichen. Dass es Gründe geben könnte, diese Frist für die Erhebung einer Verzögerungsrüge als nicht ausreichend anzusehen, vermag der Senat nicht zu erkennen. Im Gegenteil ist insoweit zu berücksichtigen, dass die Erhebung der Verzögerungsrüge weder einer Begründung bedarf noch dem Verfahrensbeteiligten selbst oder seinem Prozessbevollmächtigten eine Einarbeitung in einen neuen Sachverhalt abverlangt, vielmehr ggf. im Rahmen eines bereits anhängigen und damit bekannten Verfahrens erfolgt. Anderes kann auch nicht unter Kostenaspekten gelten. Unabhängig davon, ob die Behauptung des Bevollmächtigten der Klägerin, die Einlegung der Verzögerungsrüge sei für Kläger mit Kosten verbunden, überhaupt zutrifft, rechtfertigte dies jedenfalls nicht die Annahme, dass deshalb für die Erhebung der Verzögerungsrüge eine längere Frist als für die Erhebung einer Klage oder die Einlegung einer Berufung oder Revision gelten müsse. Schließlich vermag der Senat der Klägerin nicht zu folgen, soweit sie meint, dass für die unverzügliche Erhebung der Verzögerungsrüge im Hinblick darauf eine längere Frist eingeräumt werden müsse, weil ihr auf Beklagtenseite keine Privatperson gegen¬überstehe.
Auch ist die Einräumung einer längeren Frist nicht unter dem seitens der Klägerin geltend gemachten Aspekt geboten, eine "zu knapp bemessene" Frist führe zum Verlust ihres Rechts auf ein zügiges Verfahren. Dieses der Klägerin unstreitig zustehende Recht wird durch die Frist, innerhalb derer eine Verzögerungsrüge erhoben sein muss, um als unverzüglich zu gelten, nicht tangiert. Bedeutung hat diese Frist allein mit Blick auf den Zeitpunkt, ab dem im Falle einer Verletzung des Rechts auf ein zügiges Verfahren hierfür eine Entschädigung verlangt werden kann. Aus der Notwendigkeit, eine entsprechende Frist zur Wahrung etwaiger Entschädigungsansprüche einzuhalten, folgt jedoch kein Widerspruch zur Rechtsprechung des EGMR. Denn dieser hat – anders als in der Argumentation der Klägerin anklingt – der Bundesrepublik Deutschland zu keinem Zeitpunkt aufgegeben, Regelungen zu schaffen, die Betroffenen überlanger Verfahrensdauer möglichst weitgehende Entschädigungsansprüche sichern. Vielmehr hat er stets beklagt, dass diesen kein Rechtsbehelf zur Verfügung stehe, um auf die Beschleunigung des Verfahrens hinzuwirken. Gerade eine solche Möglichkeit aber ist mit der Verzögerungsrüge nun erstmals zur Verfügung gestellt. Der Gesetzgeber hat hiermit ein Instrumentarium geschaffen, mittels dessen auf eine zügige Verfahrensbeendigung hingewirkt werden kann. Erst wenn dies nicht fruchtet, soll nach sechs Monaten eine Entschädigungsklage möglich sein. Vor diesem Hintergrund ist es nur konsequent, dass von Klägern, deren Verfahren bereits verzögert sind, erwartet wird, dass sie – im eigenen Interesse der nunmehr schnellen Verfahrenserledigung – zügig Verzögerungsrüge erheben. Dass der Gesetzgeber diese Unverzüglichkeit der Verzögerungsrüge mit der Möglichkeit, Entschädigungsansprüche für die Vergangenheit zu wahren, verknüpft hat, ist nicht zu beanstanden.
Der Senat sieht sich mit dieser Auslegung des Begriffs der Unverzüglichkeit im Rahmen des Art. 23 GRüGV im Einklang mit der bisher zu dieser Frage ergangenen Rechtsprechung, in der einerseits am 22. Dezember 2011 erhobene Verzögerungsrügen als rechtzeitig eingegangen angesehen (Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteile vom 26.02.2013 - OVG 3 A 6.12, 11.12 und 15.12 - zitiert nach juris, Rn. 18 bzw. 21, 18), hingegen am 23. Januar 2012 (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 04.07.2013 - 1 SchH 10/12 (EntV) - zitiert nach juris, Rn. 18), am 16. März 2012 (Oberlandesgericht Karlsruhe, Urteil vom 03.05.2013 - 23 SchH 1/13 EntV, 23 SchH 1/13 - zitiert nach juris, Rn. 11) sowie am 22. März 2012 (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 20.02.2013 – 1 SchH 9/12 (EntV) - zitiert nach juris, Rn. 11 ff.) erhobene Verzögerungsrügen als verspätet bewertet wurden.
Nicht allerdings überzeugt es ihn, soweit im Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. April 2013 (X K 3/12, zitiert nach juris, Rn. 70 f.) anklingt, dass unter Berücksichtigung anderweitiger gesetzlicher Wertungen, z.B. der für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz zur Verfügung stehenden einjährigen Frist (§ 93 Abs. 3 Bundesverfassungsgerichtsgesetz) und der für Beschwerden zum EGMR einzuhaltenden sechsmonatigen Frist (Art. 35 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK -), sowie der Rechtsprechung des EGMR eine Verzögerungsrüge noch (deutlich) länger als unverzüglich anzusehen sein könnte. Wie ausgeführt hat der Gesetzgeber selbst ausdrücklich auf die Unverzüglichkeit ab
Inkrafttreten des GRüGV abgestellt und in der Begründung an die Regelung des § 121 BGB angeknüpft. An anderer Stelle hat er Sechsmonatsfristen festgelegt, sodass bereits Wortlaut und
Gesetzesbegründung belegen, dass hier eine deutlich unter sechs Monaten anzusetzende Frist gelten soll. Im Übrigen besteht zwischen der - nicht einmal zu begründenden - Erhebung einer Verzögerungsrüge und z.B. der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen ein Gesetz keinerlei Vergleichbarkeit. Soweit der Bundesfinanzhof weiter darauf verweist, dass es darum gehen müsse, mittels der Auslegung des GRüGV eine den Erfordernissen der EMRK entsprechende Rechtsprechung zu etablieren, bedeutet dies nicht, dass bzgl. der "Unverzüglichkeit" eine von den sonstigen Grundsätzen abweichende Regelung gefunden werden müsste. Aus den
Bestimmungen der EMRK lässt sich nicht ableiten, dass es dem nationalen Gesetzgeber verwehrt wäre, die Gewährung einer Entschädigung bei Verletzung des Rechts aus Art. 6 EMRK von der rechtzeitigen Geltendmachung des Rechts abhängig zu machen. Anderes lässt sich auch der Rechtsprechung des EGMR, des Bundesverfassungsgerichts oder anderer Gerichte nicht entnehmen.
Die am 16. Januar 2012 bei Gericht eingegangene Verzögerungsrüge der Klägerin ist außerhalb der Monatsfrist und damit nicht ohne schuldhaftes Zögern erhoben worden. Auch besteht hier kein Anlass, ausnahmsweise von dem Vorwurf, es handele sich um schuldhaftes Zögern, abzusehen. Zwar ist bei der Anwendung des - die Frist für die Anfechtung eines Rechtsgeschäfts regelnden - § 121 BGB im Zivilrecht hinsichtlich des Merkmals "unverzüglich" anerkannt, dass ein Rechtsirrtum über die Anfechtungsbedürftigkeit eines Rechtsgeschäfts den Vorwurf ausschließt, es handele sich um schuldhaftes Zögern. Allerdings werden an die Entschuldbarkeit des Irrtums hohe Anforderungen gestellt, die nur erfüllt sind, wenn sich der
Anfechtungsberechtigte seine Rechtsansicht aufgrund einer sorgfältigen Prüfung der Rechtslage gebildet hat. Insbesondere scheidet eine Entlastung für denjenigen aus, der das Risiko eines Verbotsirrtums bewusst eingegangen ist (BSG, Urteil vom 25.05.2005 - B 11a/11 AL 81/04 R - zitiert nach juris, Rn. 19). Gemessen daran ist vorliegend ein etwaiger Irrtum über den Zeitpunkt, zu dem die Verzögerungsrüge bei Gericht eingegangen sein muss, nicht entschuldbar. So ist – jedenfalls bei anwaltlich vertretenen Klägern – zu beachten, dass der eindeutige Gesetzeswortlaut mit Verkündung des – zum einen lange erwarteten und zum anderen nicht nur in Fachpublikationen, sondern auch in der allgemeinen Berichterstattung thematisierten - Gesetzes bekannt gewesen sein muss. Weiter besteht kein Grund zur Annahme, dass diese Personengruppe bei vernünftiger Überlegung angesichts der vom Gesetzgeber geforderten "Unverzüglichkeit" davon habe ausgehen können, für die Erhebung der Verzögerungsrüge stünde eine längere Frist als für die Einlegung eines Rechtsmittels zur Verfügung.
Die Gewährung einer Entschädigung für die Dauer des Verfahrens bis zum 15. Januar 2012 kommt damit von vornherein nicht in Betracht.
II. Wohl aber steht der Klägerin zur Überzeugung des Senats eine Entschädigung im Hinblick auf die weitere Dauer des Verfahrens ab Erhebung der Verzögerungsrüge zu.
Nach § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG ist ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe. Damit erstreckt sich die Dauer des streitgegenständlichen Ausgangsverfahrens von der Klageerhebung am 24. November 2009 bis zum 29. Mai 2013, dem Tag, an dem der Rechtsstreit vergleichsweise (vgl. § 101 Abs. 1 SGG) erledigt wurde. Maßgeblich ist hier – nach obigen Ausführungen – indes nur noch der Zeitraum vom 16. Januar 2012 bis zum 29. Mai 2013.
Ob die Verfahrensdauer angemessen ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Im Gegenteil hat der Gesetzgeber bewusst (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks 17/3802, S. 18 zu § 198 Abs. 1) von der Einführung bestimmter Grenzwerte für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen, weil eine abstrakt-generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, nicht möglich ist (vgl. Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, § 198 Rn. 68 m.w.N.).
Vielmehr regelt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausdrücklich, dass es auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritten ankommt. Lediglich beispielhaft und ohne abschließenden Charakter werden hier - in Anknüpfung an die vom Bundesverfassungsgericht sowie vom EGMR im Zusammenhang mit der Frage überlanger gerichtlicher Verfahren entwickelten Maßstäbe - Umstände benannt, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind. Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer ist danach - so ausdrücklich die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks 17/3802, S. 18 f. zu § 198 Abs. 1) - unter dem Aspekt einer möglichen Mitverursachung zunächst die Frage, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat. Außerdem sind insbesondere zu berücksichtigen Schwierigkeit, Umfang und Komplexität des Falles sowie die Bedeutung des Rechtsstreits. Hier ist nicht nur die Bedeutung für den auf Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang, sondern auch die Bedeutung für die Allgemeinheit. Relevant ist ferner das Verhalten sonstiger Verfahrensbeteiligter sowie das Verhalten Dritter. Hingegen kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht auf Umstände innerhalb des staatlichen Verantwortungsbereichs berufen; vielmehr muss er alle notwendigen Maßnahmen treffen, damit Gerichtsverfahren innerhalb einer angemessenen Frist beendet werden können. Deshalb kann bei der Frage der angemessenen Verfahrensdauer nicht auf die chronische Überlastung eines Gerichts, länger bestehende Rückstände oder eine allgemein angespannte Personalsituation abgestellt werden.
Allerdings reichen die in § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benannten Umstände nach der Rechtsprechung des Bundessozialgericht (Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL -, zitiert nach juris, jeweils Rn. 25 ff. und m.w.N.), der der Senat sich anschließt, zur Ausfüllung des Begriffs der unangemessenen Verfahrensdauer in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG nicht aus. Vielmehr sind diese Umstände in einen allgemeinen Wertungsrahmen einzuordnen. So verdeutlicht bereits die Anknüpfung des gesetzlichen Entschädigungsanspruchs an den als Grundrecht nach Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie als Menschenrecht nach Art. 6 Abs. 1 EMRK qualifizierten Anspruch auf Entscheidung eines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit, dass es auf eine Beeinträchtigung eines Grund- und Menschenrechts durch die Länge des Gerichtsverfahrens ankommt. Es wird damit von vornherein eine gewisse Schwere der Belastung vorausgesetzt, sodass nicht jede Abweichung vom Optimum ausreicht, vielmehr eine deutliche Überschreitung der äußersten Grenze des Angemessenen vorliegen muss. Weiter verbietet sich das Ziehen einer engen zeitlichen Grenze bei der Bestimmung der Angemessenheit einer Verfahrensdauer zum einen auch im Hinblick auf das
Spannungsverhältnis zur Unabhängigkeit der Richter (Art. 97 Abs. 1 GG), zum anderen unter Berücksichtigung des Ziels einer inhaltlichen Richtigkeit der Entscheidungen. Schließlich muss der Rechtsuchende damit rechnen, dass der zuständige Richter neben seinem Rechtsbehelf auch noch andere (ältere) Sachen zu behandeln hat, sodass ihm eine gewisse Wartezeit zuzumuten ist.
Vorliegend ist zu beachten, dass das Ausgangsverfahren zur Überzeugung des Senats nicht von überdurchschnittlicher Schwierigkeit oder Komplexität gewesen ist. Es war insbesondere zu klären, ob die damalige Beklagte zu Recht davon ausgegangen war, dass Arbeitsunfähigkeit (aufgrund einer schwer wiegenden Erkrankung) der Ausübung der für die Gewährung des Gründungszuschusses erforderlichen Selbständigkeit entgegensteht. Insoweit handelte es sich im Wesentlichen um eine Rechtsfrage. Aufwändige Ermittlungen waren nicht zu tätigen.
Umgekehrt war die wirtschaftliche Bedeutung der Sache für die Klägerin - anders als der Beklagte meint - nicht als nur gering einzustufen. So ging es zum einen - nach bereits zuvor erfolgter Leistungseinstellung für diesen Zeitraum - um die rückwirkende Aufhebung der Bewilligung des Gründungszuschusses (1. Phase) in Höhe von monatlich 1.894,20 EUR für die Zeit vom 18. Januar bis zum 14. März 2009 und damit für einen knapp zwei Monate umfassenden Zeitraum. Zum anderen war die Aufhebung der Gewährung von monatlich 300,00 EUR für die Zeit vom 26. Juni bis zum 14. September 2009 und damit für knapp drei Monate streitgegenständlich. Die Klägerin hätte letztlich im Falle der Stattgabe ihrer Klage mit einer Nachzahlung in Höhe von voraussichtlich gut 4.000,00 EUR rechnen können. Schließlich ging es um die Möglichkeit der freiwilligen Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung.
Mit Blick auf den Verfahrensverlauf ist festzustellen, dass in der Zeit ab dem 16. Januar 2012 weder der Klägerin noch der damaligen Beklagten Verzögerungen anzulasten sind. Bereits zum Zeitpunkt der Erhebung der Verzögerungsrüge war der Rechtsstreit vom Kammervorsitzenden als entscheidungsreif angesehen worden. Gleichwohl ist es erst im Januar 2013 - nach zwischenzeitlicher Pensionierung des ursprünglichen Kammervorsitzenden und Übergang des Verfahrens auf eine andere Kammer - zu einer (erneuten) Terminierung gekommen. Letztlich konnte der Rechtsstreit - aufgrund der Erkrankung der neuen Kammervorsitzenden - dann erst Ende Mai 2013 verhandelt und zum Abschluss gebracht werden.
Zum Zeitpunkt des Eingangs der Verzögerungsrüge Mitte Januar 2012 war der Rechtsstreit bereits seit knapp zwei Jahren und zwei Monaten anhängig. Auch wenn im Rahmen einer optimalen Bearbeitung ein Verfahrensabschluss zu diesem Zeitpunkt sicher wünschenswert
gewesen wäre, ist zu berücksichtigen, dass auf eben dieses Optimum nach obigen Ausführungen gerade kein Anspruch besteht. Dabei ist auch zu beachten, dass der konkrete Rechtsstreit zwar nicht von besonderer Schwierigkeit gewesen sein mag und insbesondere keine Ermittlungen erfordert hat, daraus jedoch kein Anspruch auf eine sofortige gerichtliche Entscheidung folgen kann. Denn andernfalls wäre es den Gerichten faktisch verwehrt, sich jemals komplexeren und älteren Verfahren zu widmen. Ebenfalls zu werten ist allerdings auch, dass mit zunehmender Dauer des Verfahrens die an die Angemessenheit zu stellenden Anforderungen steigen (BVerfG, Beschlüsse vom 20.07.2000 - 1 BvR 352/00 - zitiert nach juris, Rn. 11 sowie vom 02.12.2011 - 1 BvR 314/11 -, zitiert nach juris, Rn. 7).
Nachdem der ursprünglich zuständige Kammervorsitzende zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört und die Beteiligten hierzu im März 2012 Stellungnahmen abgegeben hatten, wäre letztlich zur Überzeugung des Senats spätestens ab Mai 2012 eine Entscheidung über die zu diesem Zeitpunkt dann etwa zweieinhalb Jahre anhängige Klage geboten gewesen, zu der es jedoch zunächst weiterhin nicht gekommen ist. Dass dies im Wesentlichen auf die Pensionierung des Kammervorsitzenden und den damit einhergehenden Übergang der Sache auf eine andere Kammer des Sozialgerichts zurückzuführen sein dürfte, kann den Beklagten ebenso wenig entlasten wie die Notwendigkeit für die neu zuständige Kammervorsitzende, sich zunächst einmal in das Verfahren einzuarbeiten. All dies sind letztlich Umstände, die bei ausreichender personeller Ausstattung vermieden oder jedenfalls aufgefangen werden könnten. Bei einem zu diesem Zeitpunkt etwa zweieinhalb Jahre anhängigen Verfahren, in dem es um die Klärung einer Rechtsfrage ging und in dem von Anfang an keine weitergehenden Ermittlungen erforderlich waren, war die Grenze des Zumutbaren für die Klägerin zu diesem Zeitpunkt (ab Mai 2012) überschritten.
Nicht mehr ist indes von einer dem Beklagten vorzuwerfenden unangemessenen Verfahrensdauer für die Zeit ab Februar 2013 auszugehen. Dass der Rechtsstreit trotz einer im Januar 2013 für Ende Februar 2013 angesetzten Verhandlung zunächst nicht beendet werden konnte, ist nicht auf eine unzureichende Ausstattung der Justiz im Allgemeinen, sondern auf die unvorhergesehene Erkrankung der Kammervorsitzenden zurückzuführen (vgl. in diesem Zusammenhang Bundesgerichtshof, Beschluss vom 17.03.2005 - 3 StR 39/05 - zitiert nach juris, Rn. 17). Dass diese Erkrankung nicht zur sofortigen Einleitung von Gegenmaßnahmen geführt hat, ist - auch unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich mehr als dreijährigen Anhängigkeit des Verfahrens - nicht zu beanstanden. Wie schon die sofort im Februar erfolgte Umladung auf April zeigt und die erneute Umladung auf Ende Mai 2013 bestätigt, wurde gerade keine
längerfristige Erkrankung der Vorsitzenden erwartet, sodass eine erneute Übertragung der Sache auf eine andere Kammer eher kontraproduktiv gewesen wäre.
Nach alledem geht der Senat von einer überlangen Verfahrensdauer im Umfang von neun Monaten aus.
III. Durch diese überlange Verfahrensdauer hat die Klägerin einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht ersichtlich und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.
Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Absatz 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung des Senats nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat auch der Beklagte nicht geltend gemacht.
IV. Ausgehend von der im Umfang von neun Monaten überlangen Dauer des gerichtlichen Verfahrens beläuft sich die der Klägerin zustehende angemessene Entschädigung auf 900,00 EUR. Aus dem gemäß § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung errechnet sich eine Entschädigung von 100,00 EUR pro Monat. Soweit teilweise eine monatsweise Betrachtung im Hinblick auf den auf das Jahr abstellenden Gesetzeswortlaut nicht für möglich erachtet wird (LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 29.11.2012 - L 10 SF 5/12 ÜG - zitiert nach juris, Rn. 246 ff.), folgt der Senat dem nicht (so auch BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 und 2/12 KL - zitiert jeweils nach juris, jeweils Rn. 49 ff. m.w.N.). Abgesehen davon, dass im Gesetz nicht auf das vollendete oder angefangene Jahr, sondern pauschal auf jedes Jahr abgestellt wird, heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung (BT-Drucks. 17/3802, S. 20 zu § 198 Abs. 2 Satz 3 und 4) ausdrücklich, dass der Pauschalsatz an die Bemessungsgröße von einem Jahr, d.h. zwölf Monaten, anknüpfe und für Zeiträume unter einem Jahr eine zeitanteilige Berechnung erfolge.
Soweit das Gericht schließlich nach § 198 Abs. 2 S. 4 GVG einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen kann, sieht der Senat hierfür vorliegend keinen Anlass. Anhaltspunkte, die den Ansatz des gesetzlich vorgesehenen Pauschalbetrages unbillig und daher eine abweichende Festsetzung notwendig erscheinen lassen könnten, sind weder ersichtlich noch von den Beteiligten vorgetragen.
Soweit in § 198 Abs. 4 Satz 3 GVG schließlich die Möglichkeit vorgesehen ist, in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung auszusprechen, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, sieht der Senat hierfür keinen Grund. Er vermag bereits nicht zu erkennen, dass vorliegend ein schwerwiegender Fall gegeben wäre.
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils nach § 201 Abs. 2 Satz 1 GVG i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 ZPO war im Hinblick auf die Regelungen der §§ 202, 198 Abs. 1 SGG nicht auszusprechen.
Die Revision war nach §§ 160 Abs. 2 Nr. 1, 202 Satz 2 SGG, 201 Abs. 2 Satz 3 GVG wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen.
Die Streitwertentscheidung folgt aus § 63 Abs. 2 Satz 1 und § 52 Abs. 1 und Abs. 3 GKG.
Rechtskraft
Aus
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