L 27 R 765/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
27
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 11 R 5307/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 27 R 765/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Die Beteiligten haben einander Kosten nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung einer großen Witwenrente.

Der 1954 geborene und 2007 verstorbene Ehemann der Klägerin D P (im Folgenden Versicherter) war bei der Beklagten gesetzlich rentenversichert. Der Versicherte lebte seit 1976 mit der im Jahre 1956 geborenen Klägerin in einem Haushalt. 1983 wurde die gemeinsame Tochter geboren.

Der Versicherte war als Elektromeister im D B tätig. Die Klägerin ist als Briefzustellerin bei der D P AG beschäftigt.

Im Jahre 2005 erkrankte der Versicherte an einer Facialparese. Ab Februar 2006 war er arbeitsunfähig. Nach einem Hörsturz und Gleichgewichtsstörungen im August 2006 wurde ein Adenokarzinom der Parotis bei hochgradigem Verdacht auf pontine Metastasen diagnostiziert. Es wurde noch im selben Monat eine Tumor- und Lymphknotenextirpation durchgeführt. Danach fand im September 2006 eine Bestrahlung der pontinen Metastase statt. Im November 2006 wurde der Versicherte erneut operiert, wobei eine totale Parotidektomie mit Fazialismonitoring und eine selektive Neck Dissection in fünf Regionen stattfand. Hierbei zeigte sich ein diffuses Tumorwachstum entlang aller Äste des N. Facialis rechts sowie einzelne Tumornester im Drüsengewebe/Lymphknoten. Von Januar 2007 bis März 2007 fanden wiederum Bestrahlungen der ehemaligen Tumorregion und der Lymphabflusswege statt. In einem MRT im Februar 2007 wurde weiterhin eine fokale KM-Anreicherung in der dorsalen linken Pons bei einem Durchmesser von 6 mm nachgewiesen.

Vom 24. April 2007 bis 15. Mai 2007 wurde dem Versicherten eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation in der Reha-Klinik Schloss Schönhagen gewährt. Im Rehaentlassungsbericht stellten die Ärzte fest, dass der Versicherte nicht mehr 3 Stunden täglich arbeiten könne. Aufgrund der reduzierten körperlichen Belastbarkeit mit massiven Gleichgewichtsstörungen und Parästhesien beider Hände und Hypakusis seien dem Versicherten bei weit fortgeschrittenem Tumorleiden mit cerebraler Metastasierung regelmäßige Erwerbstätigkeiten nicht mehr zuzumuten. Im Mai 2007 stellte der Versicherte einen Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, welche ihm beginnend zum 1. März 2007 gewährt wurde.

Am 2. Juli 2007 stellte sich der Versicherte erneut wegen einer progredienten Gangstörung und einem Schwankschwindel in der Charité vor und wurde stationär behandelt. Hier wurde neben dem bekannten Adenokarzinom der Parotis eine Vergrößerung der bereits bestehenden tumorsuspekten Läsion im pontinen Bereich festgestellt. Eine neurochirurgische Interventionsindikation wurde abgelehnt. Vom 9. Juli 2007 bis zum 31. Juli 2007 fand eine palliative Strahlentherapie statt.

Nach der bereits am 26. Juni 2007 erfolgten Anmeldung der standesamtlichen Eheschließung, heirateten der Versicherte und die Klägerin am 3. August 2007.

Am 19. November 2007 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung einer Witwenrente. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 6. Mai 2008 ab. Die Ehe habe nicht mindestens ein Jahr gedauert. Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen könne nicht davon ausgegangen werden, dass im Zeitpunkt der Eheschließung der grundsätzlich lebensbedrohliche Charakter der Erkrankung nicht bekannt gewesen sei. Das langjährige Zusammenleben bekräftige die Vermutung, dass es alleiniger und überwiegender Zweck der Eheschließung gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

In dem hiergegen eingelegten Widerspruch trug die Klägerin vor, dass der Versicherte sie bereits vor der Geburt der Tochter gefragt habe, ob sie ihn heiraten wolle. Sie habe abgelehnt, weil sie der Schwiegermutter nicht den Triumph gönnen wollte, dass das gemeinsame Kind den Namen des Vaters trage. Einen späteren Heiratsantrag der Klägerin habe der Versicherte dann aus Trotz abgelehnt. Im Jahre 2005 während eines Türkeiurlaubes hätten sie den Entschluss gefasst, im Sommer 2006 zu heiraten und danach direkt in den Urlaub zu fliegen. Aufgrund einer schweren Krebserkrankung der Mutter der Klägerin, die im Mai 2006 bekannt geworden sei, sei die Hochzeit jedoch aufgeschoben worden. Da sie gern im Sommer heiraten wollten, sei die Hochzeit in das Jahr 2007 verschoben worden. Im Sommer 2006 sei auch erstmals der Krebs beim Versicherten diagnostiziert worden. Die Ärzte seien jedoch nach der Operation vom Erfolg überzeugt gewesen und hätten dem Versicherten und der Klägerin mitgeteilt, dass er sicher noch die Einschulung seines noch nicht geborenen Enkelkindes erleben werde. Die später entdeckten Tumore seien durch Bestrahlung gestoppt worden. Im Februar 2007 seien sie dann auch nach dem Auszug der Tochter in eine kleinere Wohnung umgezogen. Dieser Umzug wäre nicht durchgeführt worden, wenn bekannt gewesen sei, dass der Versicherte kurze Zeit später versterben würde. Sie selbst habe auch im September 2007 einen Rehabilitationsaufenthalt für sechs Wochen angetreten. Sie sei davon ausgegangen, dass der Zustand des Versicherten stabil sei. Während der Rehabilitationsmaßnahme habe sich der Zustand jedoch soweit verschlechtert, dass er sich selbst ins Krankenhaus eingewiesen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2008 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Mit der am 1. September 2008 beim Sozialgericht Berlin eingelegten Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiterverfolgt. Sie legte ein Attest des Facharztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. K vom 4. Januar 2008 vor, in dem dieser bestätigte, dass die stationäre Einweisung im Oktober 2007 wegen einer akuten Pneumonie erfolgt sei. Der Versicherte sei dann an einem infektbedingten Herz- Kreislaufversagen gestorben.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht Berlin am 8. August 2012 wurde die Klägerin persönlich gehört. Sie erklärte, dass sie und der Versicherte all die Jahre nicht geheiratet hätten, weil sie zunächst nicht gewollt habe, dass die Tochter den Namen des Vaters trage. Dann seien teilweise die Finanzen knapp gewesen und sie hätten sich auch zwischendurch gekabbelt. Auf Befragen, welche konkreten Planungen nach der Entschlussfassung im August 2005 vorgenommen worden seien, hat die Klägerin angegeben, dass sie sich ein Lokal für die Hochzeit ausgesucht hätten. Dort habe man mit dem Inhaber abgesprochen, dass eine konkrete Vereinbarung erst ca. ein viertel Jahr vor dem Termin stattfinden müsse. Einen konkreten Termin für eine Hochzeit habe man damals noch nicht festgelegt. Anfang des Jahres 2007 hätten sie dann die Heiratspläne wieder aufgenommen. Sie seien dann ca. ein halbes Jahr früher zum Standesamt gegangen. Die Wunschtermine 07.07.2007 und 20.07.2007 hätten sie nicht bekommen, so dass sie den 3. August 2007 gewählt hätten. Sie seien 33 Jahre zusammen gewesen und hätten sich gedacht, jetzt müsse es sein. Bei der Hochzeit, bei der 30-40 Gäste anwesend gewesen seien, sei es ihrem Ehemann auch gut gegangen. Er habe mitgefeiert und sogar mit ihr getanzt. Auf die Frage, wie es ihrem Mann nach Bekanntwerden der Krebsdiagnose gegangen sei, gab die Klägerin an, das sei ganz normal gewesen, er habe keine Einschränkungen gehabt. Sie habe nie das Gefühl gehabt, einen kranken Mann bei sich zu haben. Er sei zwar ein wenig müde und schlapp gewesen, habe sich aber selbst versorgt und sich Essen gemacht.

Mit Urteil vom 8. August 2012 hat das Sozialgericht den Bescheid vom 6. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1. November 2007 eine große Witwenrente aus der Versicherung des D P zu gewähren. Unter Abwägung der inneren und äußeren Umstände des Einzelfalles sei die Kammer zu dem Ergebnis gelangt, dass die gesetzliche Vermutung einer Versorgungs-ehe widerlegt sei. Trotz der Kenntnis der möglichen tödlichen Folgen der Krebserkrankung lägen gewichtige Umstände vor, die gegen eine Versorgungsehe sprechen. Dies sei zum Einen der Umstand, dass die Eheleute vor der Heirat über Jahrzehnte eine eheähnliche Beziehung hatten, in einer gemeinsamen Wohnung lebten und ein gemeinsames Kind erzogen haben. Darüber hinaus seien die seit langen Jahren bestehenden vagen Heiratsabsichten im August 2005 bei einem Urlaub in der Türkei konkretisiert worden. Die Klägerin habe auch Vorbereitungshandlungen glaubhaft gemacht. Es sei bereits ein Restaurant ausgesucht worden.

Hiergegen richtet sich die am 12. September 2012 von der Beklagten eingelegte Berufung. Nach der Diagnose im Juli 2007 habe ohne weitere Therapie eine mittlere Überlebenszeit von 2 bis 3 Monaten und mit operativer oder Radiochemo-Therapie eine mittlere Überlebenszeit von 5 bis 11 Monaten bestanden. Das langjährige eheähnliche Zusammenleben der Klägerin mit dem Versicherten unterstreiche die Rechtsvermutung, dass es alleiniger Zweck der knapp drei Monate vor dem Ableben des Versicherten geschlossenen Ehe gewesen sei, der Klägerin als spätere Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Die Vorbereitungshandlungen seien unkonkret gewesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. August 2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Entschluss zu heiraten sei bereits vor Kenntnis der Krankheit gefasst worden. Wäre das Versorgungsmotiv vorrangig, dann hätte es nahe gelegen, schnellstmöglich nach der Krebsdiagnose zu heiraten. Die Ehe sei geschlossen worden, um einen Neuanfang nach dem Auszug der Tochter, dem Umzug und der Erwartung des Enkelkindes zu manifestieren. Sie wollten dies mit einem großen Fest feiern. Die Klägerin sei über ihren eigenen Rentenanspruch voll abgesichert. Der Tod sei überraschend gekommen. Der Zustand habe sich rapide verschlechtert. Sie seien davon ausgegangen, dass der Ehemann die Krankheit überstanden habe, die Krankheit zumindest kontrollierbar und ein mehrjähriges Leben möglich sei. Zum Zeitpunkt der Anmeldung beim Standesamt habe auch keine Kenntnis von den neuen Metastasen bestanden.

Der Senat hat die Krankenhausbehandlungsakten der Charité für den Zeitraum August 2006 bis Oktober 2007 beigezogen. Während der mündlichen Verhandlung am 5. September 2013 hat der Senat die Klägerin persönlich befragt. Diesbezüglich wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogenen Akten des Sozialgerichts sowie der Beklagten Bezug genommen, die Gegen-stand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg. Zu Unrecht hat das Sozialgericht mit dem angegriffenen Urteil unter Aufhebung des Bescheides vom 6. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. August 2008 die Beklagte verurteilt, der Klägerin ab dem 1. November 2007 eine große Witwenrente aus der Versicherung des D P zu gewähren. Der Klägerin steht ein solcher Anspruch nicht zu.

Gemäß § 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 in Verbindung mit § 242 a Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) haben Witwen oder Witwer, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten, der die allgemeine Wartezeit erfüllt hat, Anspruch auf große Witwenrente oder große Witwerrente, wenn sie das 45. Lebensjahr vollendet haben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin ist Witwe des am 23. Oktober 2007 verstorbenen Versicherten, der die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren gemäß § 50 Abs. 1 SGB VI erfüllt hatte. Im Zeitpunkt des Todes des Versicherten hatte die 1956 geborene Klägerin auch das 45. Lebensjahr vollendet.

Gemäß § 46 Abs. 2 a SGB VI ist der Anspruch auf Witwenrente jedoch ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Die Ehe der Klägerin und des Versicherten hat weniger als ein Jahr, nämlich vom 3. August 2007 bis zum 23. Oktober 2007, gedauert.

Zur Überzeugung des Senats liegen auch keine "besondere Umstände" vor, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme gerechtfertigt ist, dass es nicht der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2 a SGB VI sind alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls anzusehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen (Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08, Rdnr. 20, zit. nach juris). Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind nicht für sich isoliert zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit einzubeziehen (Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08, Rdnr. 24, zit. nach juris).

Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- und Krankheitszustand im Zeitpunkt der Eheschließung zu. Bei Heirat eines im Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten ist in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2 a 2. HS nicht erfüllt (Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08, Rdnr. 27, zit. nach juris). Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet überwiegend oder zumindest gleichwertig aus anderen als Versorgungsgründen geheiratet wurde. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme ("Vermutung") einer Versorgungs-ehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden (Bundessozialgericht, Urteil vom 5. Mai 2009, B 13 R 55/08, Rdnr. 27, zit. nach juris).

Bei dem Versicherten war im August 2006 Krebs diagnostiziert worden. Dieser metastasierte. Er litt damit zweifellos seit dem Sommer 2006 an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Dies muss der Klägerin und dem Versicherten auch bewusst gewesen sein, nicht zuletzt deshalb, weil die Mutter der Klägerin im Jahre 2006 an einem schnell fortschreitenden Krebs gestorben ist. Insoweit die Klägerin vorträgt, dass ihnen nach der ersten Operation von den Ärzten gesagt wurde, dass der Versicherte noch die Einschulung seines noch nicht geborenen Enkelkindes miterleben würde, ist dies durchaus glaubhaft. Im Arztbericht vom 30. November 2006 hatte der Facharzt für Strahlentherapie Dr. T vom ambulanten Gesundheitszentrum für Strahlentherapie dann auch festgestellt, dass die Möglichkeit einer kurativen Therapie gegeben sei. Diese Einschätzung bezog sich, wie sich aus dem Inhalt des Schreibens ergibt, auf den Zeitpunkt vor der totalen Parotidektomie denn in diesem Bericht wurde die Operation erst empfohlen. Er begründete die Einschätzung mit der durchgeführten Strahlentherapie und des Vorliegens lediglich einer einzigen distanten Metastase in der Pons. Schwerwiegender hat sich die Lage bereits nach der Parotidektomie mit Fazialismonitoring und der selektiven Neck Dissection in fünf Regionen dargestellt, bei der sich ein diffuses Tumorwachstum entlang aller Äste des N. Facialis rechts sowie einzelne Tumornester/Metastasen im Drüsengewebe und den Lymphknoten zeigten. Der Versicherte hat hiernach weitere Bestrahlungen erhalten. Auch eine Raumforderung im Bereich des Pons wurde wieder nachgewiesen.

Eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes ist dann jedenfalls nochmals Ende Juni 2007/Anfang Juli 2007 eingetreten. Am 2. Juli 2007 stellte sich der Versicherte im Krankenhaus vor und berichtete über eine seit vier Tagen progrediente Gangstörung, einen Schwanksschwindel und Übelkeit. Die Ärzte ermittelten, dass die Raumforderung im Bereich des Pons progredient war. Am 3. Juli 2007 wurde – ausweislich des Schreibens des Arztes für Strahlentherapie Dr. G vom 22. August 2007 - eine palliative Strahlentherapie eingeleitet.

Von der gesundheitlichen Situation hatten die Klägerin und der Versicherte zur Überzeugung des Senats auch Kenntnis. Die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht, dass der Versicherte nach der Krebsdiagnose ganz normal gewesen sei und keine Einschränkungen gehabt habe, dass sie nie das Gefühl gehabt habe, einen kranken Mann bei sich zu haben, dass er zwar ein wenig müde und schlapp gewesen sei, sich aber selbst versorgt und sich Essen gemacht habe, sind nicht glaubhaft. Dem Versicherten war ab März 2007 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt worden. Im Rehaentlassungsbericht vom 22. Juni 2007 nach dem stationären Aufenthalt vom 24. April 2007 bis zum 15. Mai 2007 wird eine reduzierte Leistungsfähigkeit angegeben. Die Nahrungsaufnahme und die Stimmbildung seien gestört gewesen. Es bestanden Gleichgewichtsstörungen und Parastäsien im Bereich der Hände. Aus den ärztlichen Berichten gehen eine Schluckstörung und eine Hörminderung rechts hervor. Der Versicherte hatte mehr als 10 kg abgenommen und die Gesichthälfte war zeitweise stark geschwollen. Der Versicherte war nach den Angaben im Rehabilitationsentlassungsbericht über die Dignität des Leidens aufgeklärt und sein Krankheitsverständnis stand nicht im Widerspruch zu schulmedizinischen Erkenntnissen.

Zum Zeitpunkt der Hochzeit war die akute Lebensbedrohlichkeit damit jedenfalls bekannt. Davor war jedenfalls bekannt, dass der Versicherte unter einer schweren Krankheit litt, die – davon muss wohl bei einer metastasierenden Tumorerkrankung ausgegangen werden – zum Tod führen kann, selbst wenn zumindest zunächst eine große Hoffnung bestand, dass dies nicht geschehen wird.

Die von der Klägerin vorgetragenen "besonderen Umstände", insbesondere die vorgetragenen Beweggründe für die Heirat sind bei dieser gesundheitlichen Lage nicht so gewichtig, dass die Vermutung der Versorgungsabsicht widerlegt wird.

In zeitlicher Hinsicht ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht auf den August 2005 abzustellen, sondern erst auf den Sommer 2007, da erst zu diesem Zeitpunkt eine konkrete Heiratsabsicht nachgewiesen werden konnte.

In den Jahren 2005 und 2006 fehlt es an äußeren Handlungen, die erkennbar der Verwirklichung des nach dem Vortrag der Klägerin während des Türkeiurlaubs im Sommer 2005 gefassten Heiratswunsches auch gedient haben (hierzu: Bayrisches Landessozialgericht, Urteil vom 13. Juli 2011, L 19 R 498/09, Rdnr. 46, zit. nach juris). Zwar hat die Klägerin hierzu vorgetragen, dass sie und der Versicherte sich während dieses Urlaubs entschlossen haben, nach so vielen Jahren im Sommer 2006 zu heiraten. Diese nunmehr gefasste Heiratsabsicht wurde nach dem Vortrag der Klägerin auch der Tochter kundgetan. Äußere Handlungen, die die Heiratsabsicht konkretisiert haben, konnte die Klägerin jedoch nicht benennen. Die vorgetragene bloße Nachfrage beim Restaurant, die zudem in keiner Weise nachgewiesen ist, genügt nicht. Zwar wäre es für den Senat nachvollziehbar, dass sich die Heirat ab dem Bekanntwerden der Erkrankung der Mutter verschoben wurde. Auch danach war eine Hochzeit wohl kaum möglich, weil sich der Versicherte fast ununterbrochen in Bestrahlungsbehandlungen bzw. stationären Aufenthalten, bzw. Rehabilitationsbehandlungen befand. Nach dem Vorbringen im Widerspruchsverfahren wurde die Erkrankung der Mutter jedoch im Mai 2006 bekannt. Obwohl nach Angaben der Klägerin die Hochzeit ursprünglich für den Juli/ August 2006 geplant gewesen sei und diese Hochzeit auch im festlichen Rahmen stattfinden sollte, haben der Versicherte und die Klägerin nach eigenem Bekunden bis Mai 2006 weder ein Datum beim Standesamt vereinbart, noch Einladungen verschickt, noch eine Örtlichkeit gebucht.

Eine Konkretisierung Anfang des Jahres 2007 ist nicht ersichtlich. Zwar hat die Klägerin während der Befragung durch das Sozialgericht vorgetragen, dass sie zu diesem Zeitpunkt beim Standesamt vorgesprochen hätten, sie aber den Wunschtermin 7. Juli 2007 bzw. 20. Juli 2007 nicht mehr bekommen hätten. Einen schriftlichen Nachweis hat die Klägerin hierfür nicht vorgelegt. Bei der Befragung durch den Senat hat die Klägerin dann auch angegeben, dass sie nach ihrer Erinnerung vor dem 26. Juni 2007 das Standesamt nicht aufgesucht habe. Sie habe nicht gewusst, dass man sich längerfristig im Voraus anmelden müsse.

Die Heiratsabsicht wurde zur Überzeugung des Senats erst im Sommer 2007 konkretisiert und nach außen getragen, durch die recht kurzfristige standesamtliche Anmeldung der Eheschließung vom 26. Juni 2007 zum 3. August 2007. Für diesen Zeitpunkt ist, unter Berücksichtigung, dass im Juli 2007 palliative Bestrahlungen stattfanden, der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Dies wäre nur der Fall, wenn insoweit nach § 202 des Sozialgerichtsgesetzes i.V.m. § 292 der Zivilprozessordnung von der Klägerin der volle Beweis erbracht wird (bspw. Bundessozialgericht, Urteil vom 3. September 1986, Az. 9a RV 8/84, Rdnr. 10, zit. nach juris) Dieser erfordert zumindest einen der Gewissheit nahekommenden Grad der Wahrscheinlichkeit. Die nur denkbare Möglichkeit reicht nicht aus. Eine Tatsache ist danach bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falls nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 128 Rdnr. 3b) Einen solchen Beweis konnte die Klägerin nicht erbringen. Die Klägerin trägt als Motive der Eheschließung vor, dass mit der Hochzeit der Neuanfang nach dem Auszug der Tochter, dem Umzug nach Tegel und der Geburt des Enkelkindes nach außen manifestiert werden sollte. Ein weiterer Grund sei gewesen, dass sie so lange zusammen waren, dass sie gedacht haben, jetzt müsse es sein und dass sich ihre Liebe nunmehr gefestigt hatte.

Das erstgenannte Motiv ist schwer nachzuvollziehen, wenn man berücksichtigt, dass nach dem Vortrag der Klägerin der Hochzeitsentschluss zumindest vage bereits im August 2005 gefasst worden sein soll. Zu diesem Zeitpunkt war aber die Geburt des Enkelkindes im Dezember 2006 noch nicht bekannt und der Umzug im Februar 2007 lag nicht nahe. Hinsichtlich des Motivs der Festigung der Liebe, ist zu bedenken, dass der Umstand, dass die Klägerin und der Versicherte bereits seit Jahren zusammengelebt haben, nach weit überwiegender Ansicht ein starkes Indiz dafür ist, dass alleiniger oder überwiegender Zweck der Ehe war, der Klägerin eine Versorgung zu verschaffen. Denn einem langjährigen Zusammenleben "ohne Trauschein" liegt die langjährige bewusste Entscheidung zu Grunde, eben nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen. (Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 20. Februar 2013 – L 1 R 304/11, zit. nach juris).

Das Argument der Klägerin, man hätte bei tatsächlichem Bestehen einer Versorgungsabsicht früher geheiratet, ist nicht schlüssig, denn es ist zu berücksichtigen, dass sich der Versicherte seit August 2006 fast konstant in medizinischen Behandlungsmaßnahmen befunden hat. Auch der Einwand, sie hätte bei Kenntnis des baldigen Todes nicht die Rehabilitation angetreten, vermag den Senat nicht zu überzeugen, da für die Rehabilitationsmaßnahme medizinische Gründe bei der Klägerin vorgelegen haben müssen.

Nach alledem konnte der Senat sich nicht davon überzeugen, dass im Falle der Klägerin und des Versicherten besondere Umstände vorlagen, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen.

Die nach § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG zu treffende Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Hauptsache.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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