L 23 AY 20/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
23
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 20 AY 3/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 23 AY 20/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1.) Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des § 1a Nr. 2 AsylbLG bestehen nicht
2.) § 1a Nr. 2 AsylbLG ist nicht dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass auch bei missbilligten Verhaltensweisen von Leistungsempfängern eine Reduzierzung der Leistung ausgeschlossen ist.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Potsdam vom 27. Juni 2013 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

Gründe:

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Senat weist die von dem Antragsteller eingelegte und allein mit dem Verweis auf weitere gerichtliche Entscheidungen zur Anwendbarkeit des § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) begründeten Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts vom 27. Juni 2013, aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurück (§ 142 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Ergänzend weist der Senat darauf hin, dass er bereits mit Beschluss vom 23. Juli 2013 (L 23 AY 10/13 B ER) entschieden hat, dass § 1 a AsylbLG nicht dahingehend verfassungskonform zu interpretieren ist, dass Leistungsberechtigten selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Absenkung der Leistungen und § 1a Nr. 2 AsylbLG das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum in dem Sinne erhalten bleiben müsse, dass Leistungen im Sinne des § 3 AsylbLG zu erbringen wären. Auch der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens begehrt im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung von Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Sein Asylantrag wurde rechtskräftig abgelehnt, der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig. Aufforderungen zur Mitwirkung kam er nicht nach. Er erhält derzeit Grundleistungen zur Sicherung des physischen Existenzminimums der Antragsgegnerin in Umsetzung entsprechender Rundschreiben des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg in Höhe von 217 Euro monatlich, abzüglich eines hauswirtschaftlichen Anteils von 31,93 Euro, weil er im Wohnheim untergebracht ist. Der zudem gewährte Barbetrag wird um 25 Prozent der Gesamtleistung, mithin 86 Euro gekürzt, so dass ein Barbetrag in Höhe von 48,50 Euro bewilligt wird.

Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat. Er ist zwar gemäß § 1 AsylbLG leistungsberechtigt, er kann allerdings nach § 1 a AsylbLG nur Leistungen nach den §§ 3, 4 und 6 AsylbLG beanspruchen, soweit dies im Einzelfall nach den Umständen unabweisbar geboten ist. Dies folgt daraus, dass bei dem Antragsteller aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können (§ 1 a Nr. 2 AsylbLG). Die Voraussetzungen der Kürzungsvorschrift werden durch den Antragsteller erfüllt. § 1 a AsylbLG ist auch nicht dahingehend verfassungskonform zu interpretieren, dass Leistungsberechtigten selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Absenkung der Leistungen das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum in dem Sinne erhalten bleiben müsse, dass Leistungen im Sinne des § 3 AsylbLG zu erbringen wären. Schließlich hat die Antragsgegnerin die unabweisbar gebotenen Leistungen auch zutreffend bestimmt.

Die Vorschrift des § 1 a Nr. 2 AsylbLG verstößt zur Überzeugung des Senats nicht gegen das Grundgesetz, es ist auch keine dahingehende verfassungskonforme Auslegung erforderlich, wonach Leistungsberechtigten selbst bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Absenkung der Leistungen das verfassungsrechtlich gesicherte Existenzminimum erhalten bleiben müsse und sich dieses entsprechend den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12. Juli 2012 formulierten Übergangsregelungen berechnet (anderer Auffassung: LSG Berlin-Brandenburg, 15. Senat, Beschluss vom 06. Februar 2013, L 15 AY 2/13 B ER; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. April 2013 – L 20 AY 153/12 B ER; wie hier: Thüringisches Landessozialgericht, Beschluss vom 17. Januar 2013, L 8 AY 1801/12 B ER; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 20. März 2013, L 8 AY 59/12 B ER). Das Bundesverfassungsgericht hat durch sein Urteil vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10 und 2/11, abgedruckt in info also 2012, 225 und ZFSH/SGB 2012, 450) die Höhe der Geldleistungen bei der Bewilligung von Grundleistungen nach § 3 des AsylbLG für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, unverzüglich eine Neuregelung zur Sicherung des menschenwürdigen Existenzminimums zu treffen. Bis zum In-Kraft-Treten dieser Neuregelung gilt eine vom Bundesverfassungsgericht geschlossene Übergangsregelung. Bis zum In-Kraft-Treten eines neuen Gesetzes müssen die zuständigen Behörden deshalb über die Bewilligung von Leistungen auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts entscheiden. An die Stelle der Geldleistungen nach den für verfassungswidrig erklärten Regelungen des § 3 Abs. 2 Satz 2 und § 3 Abs. 1 Satz 4 AsylbLG treten mit der Übergangsregelung die in §§ 5 und 6 des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes (RBEG) aufgeführten Geldbeträge. Dabei wird das soziokulturelle Existenzminimum während der Dauer der Übergangsregelung durch die Geldbeträge der Abteilungen 7 bis 12 der §§ 5 und 6 RBEG gesichert.

Das Bundesverfassungsgericht hat eine ausdrückliche Entscheidung über § 1 a AsylbLG nicht getroffen. Es hat im Rahmen seiner Entscheidung vielmehr die Ausgestaltungsbedürftigkeit des Grundrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG durch den Gesetzgeber betont, weshalb eine Verfassungswidrigkeit des § 1 a Nr. 2 AsylbLG nur dann anzunehmen wäre, wenn der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung dieser Vorschrift das ihm zustehende Ausgestaltungsermessen überschritten hätte (vgl. Burkiczak, SGb 2012, 324, 325). Der aufgrund des § 1 a Nr. 2 AsylbLG reduzierte Leistungsanspruch wäre nur dann verfassungswidrig, wenn er nicht diejenigen Mittel zur Verfügung stellen würde, die zur Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Das menschenwürdige Dasein setzt sich nach dem Bundesverfassungsgericht aus der Gewährleistung der physischen Existenz des Menschen und einem Mindestmaß an Teilhabe am sozio-kulturellen Leben zusammen. Das Bundesverfassungsgericht billigt dem Gesetzgeber hinsichtlich der Ausgestaltung dieser Gewährleistungen einen Gestaltungsspielraum zu. Dieser Spielraum ist enger, soweit es sich um die physische Existenz bezieht, weiter soweit er die Teilhabe betrifft (BVerfGE 125, 175, Rdnr. 138).

Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers lässt nach Auffassung des Senats Raum für die Gewährung nur reduzierter Leistungen etwa bei Pflichtverletzungen, wie der Nichtmitwirkung bei der Ausreise. Aus dem Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum ergibt sich kein von Mitwirkungsobliegenheiten und Eigenaktivitäten unabhängiger Anspruch (Berlit/Conradis/Sartorius, Existenzsicherungsrecht, 2. Auflage, S. 443). Der vorgenannte Gestaltungsspielraum kann sich vordringlich in der eingeschränkten Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am gesellschaftlichen Leben auswirken.

Auch deutsche Sozialhilfeempfänger und legal in Deutschland lebende Ausländer sind entsprechenden Leistungskürzungen im Fürsorgerecht grundsätzlich ausgesetzt, wie sie zum Beispiel in den § 31 ff. SGB II, § 26, 41 Abs. 4 SGB XII geregelt sind. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (a.a.O.) weist zutreffend darauf hin, dass schon aus Gründen der Gleichbehandlung auch bei Leistungsbeziehern nach dem AsylbLG verhaltensbedingte Kürzungen der Leistungen möglich sein müssen. Dem steht nicht entgegen dass das Bundesverfassungsgericht ein Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum aus migrationspolitischen Erwägungen ausgeschlossen hat (BVerfG, a.a.O., Rdnr. 121). Der Regelung des § 1 a Nr. 2 AsylbLG liegen – anders als bei Nr. 1 – keine migrationspolitischen Erwägungen zugrunde (vgl. Deibel, Sozialrecht Aktuell, 2013, 110; Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl., Rn. 2 zu § 1a AsylbLG).

Eine Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 1 a AsylbLG folgt auch nicht daraus, dass diese Vorschrift – anders als etwa § 31 a SGB II – eine zeitliche Begrenzung der Leistungsabsenkung nicht vorsieht. Einer solchen Befristung bedurfte es nicht, da der Ausländer, bei dem aus von ihm zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden können, durch ein ihm mögliches und zumutbares Verhalten selbst dafür sorgen kann, dass uneingeschränkte Grundleistungen nach § 3 AsylbLG bewilligt werden (Deibel, a.a.O., S. 109; LSG Niedersachsen-Bremen, a.a.O.). Dem Thüringischen Landessozialgericht (a.a.O.) ist beizupflichten, wenn es ausführt, dass die Ausgestaltung der Kürzungsvorschrift ohne zeitlichen Rahmen sich gerade aus der Verhaltensabhängigkeit der Kürzungsvorschrift rechtfertigt. Dem Antragsteller ist es durch sein eigenes Verhalten möglich, uneingeschränkte Geldleistungen zu erhalten; er sorgt durch sein eigenes andauerndes, ununterbrochenes Tun bzw. hier Unterlassen dafür, dass § 1 a Nr. 2 AsylbLG eingreift.

Auch ist die Bestimmung der unabdingbar gebotenen Leistungen nach § 1 a AsylbLG durch die Antragsgegnerin nicht zu beanstanden. Leistungen zur Sicherung des physischen Existenzminimums werden dem Antragsteller gewährt. Entsprechend den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hat die Antragsgegnerin in Umsetzung entsprechender Rundschreiben des Ministeriums für Arbeit, Soziales, Frauen und Familie des Landes Brandenburg die Grundleistungen zur Sicherung des physischen Existenzminimums zutreffend berechnet und gewährt dem Antragsteller einen Betrag von 217 Euro monatlich. Die Absetzung eines hauswirtschaftlichen Anteils entsprechend Abteilung 4 ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch durch die Absetzung dieses Betrags von monatlich 31,93 Euro von der monatlichen Grundleistung wird in das physische Existenzminimum des Antragstellers nicht eingegriffen.

Die Reduzierung der unabdingbar gebotenen Leistungen unter Reduzierung der Leistung zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn der Gesetzgeber nach § 1 a Nr. 2 AsylbLG unabdingbar gebotene Leistungen vorsieht, impliziert dies bereits die Gewährung von Leistungen zur Sicherung der physischen Existenz. Soweit der Gesetzgeber zur Durchführung einer Obliegenheit des Asylbewerbers in § 1 a Nr. 2 AsylbLG reduzierte Leistungen vorsieht, die das physische Existenzminimum nicht unterschreiten, ist auch unter Geltung eines Grundrechts auf ein menschenwürdiges Existenzminimum eine solche Reduktion zulässig. Wenn und solange es dem Ausländer möglich und zumutbar ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, er seine Verpflichtung jedoch nicht erfüllt, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass er bei einem Verstoß keine Geldleistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums erhält (Deibel, a.a.O., S. 110). Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 23. Juli 2013 (a.a.O.) angenommen, dass sogar die Reduzierung der unabdingbar gebotenen Leistungen unter komplettem Wegfall der Leistung zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.

Das Sozialgericht hat somit zutreffend angenommen, dass ein Anordnungsanspruch auf höhere Leistungen vom Antragsteller nicht glaubhaft gemacht ist. Damit hat es der aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Obliegenheit des Gerichts genügt, bei einer drohenden Grundrechtsverletzung infolge Anspruchsverlustes während eines noch nicht abgeschlossenen Verfahrens erforderlichenfalls eine vollständige Prüfung der Sach- und Rechtslage vorzunehmen. Ein sicherungsfähiger Anordnungsanspruch ist nicht gegeben und kann auch nicht durch eine bloße Folgenabwägung ersetzt werden (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. März 2013, OVG 12 S 14.13).

Mangels Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens war dem Antragsteller auch keine Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu bewilligen (§ 73 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. § 114 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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