L 18 AL 356/12

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 57 AL 1253/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 356/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.
Die Beteiligten streiten um die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) nebst Sozialversicherungsbeiträgen ab 1. Juli 2010, eine Erstattungsforderung in Höhe von 9.810 EUR sowie einen Alg-Anspruch ab dem 1. Dezember 2010.

Der 1982 geborene Kläger war als Berufsfußballspieler seit Juli 2002 mit Unterbrechungen bei verschiedenen deutschen Vereinen beschäftigt. Vom 1. Juli 2007 bis 30. Juni 2010 arbeitete er sozialversicherungspflichtig für ein Bruttoarbeitsentgelt von 4.300 EUR bei einem deutschen Fußballverein als Mitarbeiter für den Bereich "Scouting". Am 1. Juli 2010 meldete sich der Kläger bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg mit dem Hinweis, er übe vom 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 beim Fußballclub C (nachfolgend: FC) eine Nebenbeschäftigung mit einer wöchentlichen Stundenzahl von 15 Stunden und einem voraussichtlichen Entgelt von 150 EUR monatlich netto aus. Gegen den Bescheid vom 12. Juli 2010, mit dem die Beklagte den Antrag auf Alg abgelehnt hatte, erhob er Widerspruch mit der Begründung, er arbeite im Rahmen der Nebentätigkeit nicht mehr als 14 Stunden in der Woche. Insofern hätte er zuvor versehentlich fehlerhafte Angaben gemacht. Nach der Bescheinigung über Nebeneinkommen des FC vom 20. Juli 2010 hätte der Kläger vom 1. bis 31. Juli 2010 insgesamt 60 Stunden – 14 Stunden wöchentlich – gearbeitet. Bei seiner Vorsprache bei der Beklagten am 5. Juli 2010 gab der Kläger an, seinen Lebensmittelpunkt in B zu haben und beim FC in J lediglich einer Nebentätigkeit nachzugehen. Die Eingliederungsvereinbarung mit der Beklagten vom selben Tag war auf das Ziel der Aufnahme einer versicherungspflichtigen Tätigkeit als Berufsfußballer in Voll- oder Teilzeit gerichtet im Umkreis von 50 km vom Wohnort entfernt. Die Beklagte half dem Widerspruch ab und bewilligte ihm mit Bescheid vom 29. Juli 2010 rückwirkend ab 1. Juli 2010 Alg für 360 Kalendertage in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 48,55 EUR.

Ausweislich des der Beklagten im Oktober 2010 bekannt gewordenen Vertrages vom 9. Juli 2010 hatte sich der Kläger verpflichtet, vom 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 als Fußballvertragsspieler für den FC in der 3. Liga zu einer monatlichen Vergütung von 150 EUR brutto tätig zu sein und an allen Spielen und Lehrgängen, am Training, an allen Spielerbesprechungen und sonstigen, der Spiel- und Wettkampfvorbereitung dienenden Veranstaltungen teilzunehmen. Der Spieler könne den Club in der Wechselperiode II (1. bis 31. Januar 2011 ablösefrei verlassen. Der Passstelle des zuständigen DFB-Mitgliedsverbandes wurde dies unter demselben Tag angezeigt. Mit einem Schreiben vom 7. Oktober 2010 listete der Kläger die in der Zeit vom 1. Juli 2010 bis 3. Oktober 2010 von ihm beim FC geleisteten und von jenem bestätigten Arbeitsstunden auf. Ab 29. Januar 2011 war der Kläger im Umfang von 40 Wochenstunden als Fußballspieler der 1. Mannschaft des C Fußballclubs beschäftigt.

Die Beklagte hob nach entsprechender Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 25. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 die Bewilligung von Alg ab dem 1. Juli 2010 auf und forderte die Erstattung überzahlter Leistungen in Höhe von 9.810 EUR (davon Alg in Höhe von 7.282,50 EUR, Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe von 2.235 EUR und Beiträge zur Pflegeversicherung in Höhe von 292,50 EUR). Mit der Aufnahme seiner Tätigkeit als Vertragsspieler zum 1. Juli 2010 sei sein Anspruch auf Alg rückwirkend entfallen, da er nicht mehr arbeitslos gewesen sei. Es hätte sich ausweislich des der Tätigkeit zugrundeliegenden Vertrages nicht um eine Nebenbeschäftigung, sondern um eine abhängige Beschäftigung gehandelt, was der Kläger hätte erkennen müssen oder jedenfalls leicht hätte erkennen können.

Seine am 18. April 2011 beim Sozialgericht Berlin (SG) erhobene Klage hat das SG mit Urteil vom 8. Oktober 2012 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die Beklagte sei berechtigt und verpflichtet gewesen, die Bewilligung des Alg von Beginn an rückwirkend aufzuheben und die Erstattung der Leistungen zu fordern, da die Bewilligung auf Angaben beruht hätte, die der Kläger schuldhaft in wesentlicher Beziehung unrichtig gemacht und er zumindest grob fahrlässige Unkenntnis davon gehabt hätte, dass der entsprechende Anspruch entfallen sei. Der Kläger hätte als Vertragsspieler ab 1. Juli 2010 keinen Anspruch auf Alg gehabt, da er weder beschäftigungslos gewesen sei noch den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung gestanden hätte, weil er ganztägig dem FC im Rahmen der vertraglich begründeten, weisungsgebunden Beschäftigung hätte zur Verfügung stehen müssen. Auf die konkret absolvierten Trainings- und Spieleinheiten komme es insofern nicht an. Als bereits langjährig beschäftigter Fußballspieler mit Unterbrechungen der Arbeitslosigkeit hätte er sich darüber im Klaren sein müssen, dass er die Voraussetzungen für die Gewährung von Alg von Beginn an nicht erfüllte. Die Erstattungspflicht folge auch in Bezug auf die von der Beklagten gezahlten Sozialversicherungsbeiträge aus dem Gesetz.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er trägt vor, weder unrichtige Angaben gemacht noch sich grob fahrlässig in Unkenntnis über die Rechtmäßigkeit des Bescheides befunden zu haben. Tatsächlich hätte er nicht ganztägig gearbeitet, sondern der Beklagten zur Verfügung gestanden. Er hätte sich auch jederzeit aus der Nebentätigkeit beim FC lösen können. Soweit das SG die Vergütungsvereinbarung für sittenwidrig gehalten habe, hätte es den Vertrag für die Entscheidung nicht berücksichtigen dürfen. Auf die Berufungsschrift vom 27. November 2012 wird im Übrigen Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Oktober 2012 und den Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis 28. Januar 2011 Arbeitslosengeld zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend und ergänzt, der Kläger sei aufgrund des am 9. Juli 2010 unterzeichneten Spielervertrages verpflichtet gewesen, am Trainings- und Spielbetrieb sowie an Besprechungen usw. des Vereins teilzunehmen, so dass er über die von ihm angegebenen Stunden hinaus der Verfügungsgewalt des FC als Arbeitgeber unterlegen hätte. Neben dieser Tätigkeit wäre eine weitere Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes nicht möglich gewesen, zumal der Kläger die Tätigkeit beim FC nicht an seinem Wohnort ausgeübt hätte.

Die Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgang der Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorab gehört worden (§ 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 25. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. März 2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Wie vom SG zutreffend ausgeführt worden ist, war die Beklagte gemäß § 45 Abs. 1 und 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) iVm § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung – (SGB III) berechtigt und verpflichtet, ab dem 1. Juli 2010 die Bewilligung von Alg aufzuheben und die Erstattung überzahlter Leistungen in einer Gesamthöhe von 9.810 EUR vom Kläger zu fordern (§ 50 SGB X). Dahinstehen kann, dass die Beklagte den Bescheid auf eine andere Rechtsgrundlage (§ 48 SGB X statt § 45 SGB X) gestützt hatte. Die §§ 45, 48 SGB X sind auf dasselbe Ziel, nämlich die Beseitigung eines Verwaltungsakts, gerichtet, sodass ein Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig ist, jedenfalls dann, wenn für die Aufhebung derselbe Lebenssachverhalt zugrunde zu legen ist (st. Rspr., vgl. u.a. BSG, Urteil vom 25. April 2002 – B 11 AL 69/01 R – juris Rn. 16 ff. m.w.N.). So liegt es hier.

Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Liegen die in § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes vor, ist dieser, wie aus § 330 Abs. 2 SGB III folgt, auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, soweit u.a. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr. 2), oder er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Der Bescheid über die Bewilligung von Alg vom 29. Juli 2010 für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 war von Anfang an rechtswidrig. Der Kläger, der als Vertragsfußballspieler aufgrund des Vertrages vom 9. Juli 2010 seit Anfang dieses Monats beim FC beschäftigt war, war nicht arbeitslos iSd §§ 117 Abs. 1, 119 SGB III in der bis zum 31. März 2012 geltenden Fassung (a.F.; BGBl. I S. 2848). Arbeitslos ist hiernach ein Arbeitnehmer, der nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht (Beschäftigungslosigkeit), sich bemüht, seine Beschäftigungslosigkeit zu beenden (Eigenbemühungen) und den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit zur Verfügung steht (Verfügbarkeit). Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht gemäß § 119 Abs. 5 SGB III a.F. zur Verfügung, wer eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf (Nr. 1), Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann (Nr. 2) und bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben und bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen (Nr. 3). Diese Voraussetzungen waren beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum seit 1. Juli 2010 unter Berücksichtigung der vom 1. Juli 2010 bis 28. Januar 2011 ausgeübten, abhängigen Beschäftigung als Vertragsfußballspieler beim FC nicht sämtlich gegeben. Denn er stand jedenfalls den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit aufgrund seiner vertraglichen Bindung gegenüber dem Verein nicht uneingeschränkt zur Verfügung. Darauf, ob er im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich für den FC in J 15 Stunden und mehr wöchentlich im Einsatz war, kommt es insofern nicht an, nachdem er sich mit dem Vertrag vom 9. Juli 2010 jedenfalls verpflichtet hatte, für den Club den Fußballsport als Vertragsspieler auszuüben und an allen Spielen, Lehrgängen, am allgemeinen oder Sondertraining, an allen Spielerbesprechungen und sonstigen der Spiel- und Wettkampfvorbereitung dienenden Veranstaltungen teilzunehmen, selbst wenn ein Mitwirken als Spieler oder Ersatzspieler nicht in Betracht käme, und sich zugleich den Satzungen, Ordnungen und der Strafgewalt des DFB und seiner Mitgliedsverbände vollumfänglich unterworfen hat. Der Senat verweist insofern sowie hinsichtlich der nach einem subjektiven Maßstab und damit nach Maßgabe der persönlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Klägers zu bejahenden groben Fahrlässigkeit auf die zutreffenden Ausführungen des SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Soweit der Kläger hiergegen insbesondere mit seiner Berufung eingewandt hat, das Urteil sei widersprüchlich, wenn hiermit ausgeführt wird, die Vergütungsvereinbarung von monatlich 150 EUR brutto erscheine sittenwidrig, kann dies dahinstehen. Denn die Vergütungshöhe ist für das Vorliegen von Arbeitslosigkeit nicht entscheidend.

Einwendungen gegen die Höhe des sich aus § 50 Abs. 1 SGB X ergebenden Rückforderungsbetrages hat der Kläger nicht erhoben; sie sind im Hinblick auf die gezahlten Leistungsbeträge und Beiträge zur Kranken- und Pflegversicherung auch nicht ersichtlich. Gemäß § 335 SGB III a.F. ist der Kläger für die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung erstattungspflichtig.

Bei dieser Sachlage fehlt es auch im Zeitraum vom 1. Dezember 2010 bis 28. Januar 2011 an den Voraussetzungen für die Gewährung von Alg. Die diesbezüglich erhobene Leistungsklage ist ohnehin unzulässig, weil bei einer Aufhebung der angefochtenen Bescheide für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. Juli 2010 bis 28. Januar 2011 die Beklagte ohnehin aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 29. Juli 2010 zur Leistung von Alg (auch) für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis 28. Januar 2011 verpflichtet gewesen wäre. Einer ergänzenden Leistungsklage bedarf es in diesen Fällen nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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