L 16 R 753/10

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 3 R 11/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 753/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 13 R 19/14 B (Rücknahme)
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Juli 2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1955 in N geborene Klägerin, die über keine Fahrerlaubnis verfügt, übersiedelte 1973 in die DDR und war zunächst als Rauerin in den F T tätig. Von 1976 bis Oktober 1979 und wieder von 1986 bis 1991 arbeitete sie als Küchenkraft bzw. Raumpflegerin in der I. Zwischen 1979 und 1986 war sie als "Pausenversorger" im K F beschäftigt. Nach einer Zeit der Arbeitslosigkeit war die Klägerin befristet im Rahmen eines Förderprogramms "Arbeit statt Sozialhilfe" für die Friedhofsgärtnerei S K (18. Juli 1998 bis 17. Juli 1999) in F tätig. Vom 15. Mai 2000 bis 11. Mai 2001 nahm sie an einer von der A GmbH verantworteten "Anpassungsmaßnahme Hauspflegehelferin" erfolgreich teil. Vom 10. August 2004 bis 30. November 2007 war sie im Rahmen eines geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses als Servicemitarbeiterin (Ausgabe von Schulessen) der G GmbH beschäftigt. Seit Januar 2005 bezieht die Klägerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Seit September 2008 ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt.

Die Klägerin, für die ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt ist (Bescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung – Versorgungsamt – vom 10. April 2008), beantragte im Januar 2008 unter Verweis "Rücken, Diab II, Kreislf., grüner Star trotz Augentr., erhöhter Augendr., Magenbeschw. seit vielen Jahren" Rente wegen Erwerbsminderung (EM). Die Beklagte holte medizinische Unterlagen ein (u.a. Befundberichte des Radiologen Dr. S vom 18. Mai 2004, des Orthopäden Dipl. Med. B vom 3. und 10. Dezember 2007, der Augenärztin Dr. P vom 22. Januar 2008, der Internistin S vom 11. Februar 2008) und veranlasste ein Gutachten der Ärztin für Innere Medizin/Sozialmedizin Dr. K vom 23. April 2008 (Untersuchungstag: 3. April 2008), mit dem der Klägerin ein aufgehobenes Leistungsvermögen als Gartenhilfe (ABM), aber ein mehr als sechsstündiges Restleistungsvermögen für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes bescheinigt wurde. Mit Bescheid vom 29. Mai 2008 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab.

Mit ihrem Widerspruch wies die Klägerin darauf hin, dass insbesondere die Verschlechterung des Sehvermögens sowie ein typisches Restless-Leg-Syndrom nicht beachtet worden seien. In der Zeit vom 1. September 2008 bis zum 22. September 2008 gewährte die Beklagte der Klägerin Leistungen zur medizinischen Rehabilitation in der Median Klinik H. Nach dem Entlassungsbericht vom 23. September 2008 konnte die Klägerin trotz festgestellter Gesundheitseinschränkungen sowohl ihren bisherigen Beruf in der Essensausgabe weiter ausüben als auch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes 6 Stunden täglich und mehr verrichten.

Die Beklagte wies nach Einholung eines Befundberichtes der behandelnden Augenärztin Dr. P vom November 2008 den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16. Dezember 2008 zurück. Das Leistungsvermögen der Klägerin sei unter Beachtung bestimmter qualitativer Einschränkungen noch zu mindestens 6 Stunden in Verrichtung der üblichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ausreichend.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht Cottbus (SG) u.a. Befundberichte von der Fachärztin S vom 31. März 2009, von Dr. P vom 16. April 2009, von Dipl. Med. B vom 7. März 2009 und 11. August 2009, von der Nuklearmedizinerin Dr. B vom 9. Juli 2009, zwei Laborberichte des Gemeinschaftslabors C vom Juli 2009 und eine Epikrise vom 18. September 2008 der M Klinik H eingeholt bzw. beigezogen. Das SG hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. D als Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat mit seinem Gutachten vom 24. September 2008 (Untersuchungstag 15. September 2009) folgende Diagnosen auf seinem Fachgebiet gestellt: Ausschluss einer psychischen Störung, Ausschluss von Nervenwurzelreiz- oder Ausfallsymptomen bei Wirbelsäulendegeneration, kein Anhalt für eine klinisch/gutachterlich relevante Polyneuropathie (bei Diabetes), Verdacht auf benigne Myoklonien im Ruhe- und Einschlafstadium, wobei letztlich ein atypisches Restless-Legs-Syndrom nicht sicher auszuschließen sei. Eine leistungsmindernde Erkrankung auf neurologischem oder psychiatrischem Fachgebiet könne ausgeschlossen werden. Die Klägerin könne körperlich nur leichte Arbeiten sowie geistig leichte und mittelschwere Arbeiten ausführen. Die Arbeiten seien im Wechsel der Haltungsarten vorzugsweise im Sitzen und ohne einseitige Belastung (Knien, Hocken, Überkopfarbeiten, Bücken) ohne Leiter- und Gerüstarbeiten sowie nur in geschlossenen Räumen zulässig. Ferner seien Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsvermögen, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein und Zuverlässigkeit sowie Arbeiten in Wechselschicht und auch mit Publikumsverkehr möglich. Nachtschichten sowie das Heben und Tragen von Lasten über 10 Kilogramm seien der Klägerin nicht zuzumuten. Unter Beachtung der angeführten qualitativen Einschränkungen bestehe ein vollschichtiges Leistungsvermögen der Klägerin. Eine Tätigkeit als Pförtner bzw. Versandfertigmacherin sei möglich, eine Tätigkeit als Raumpflegerin oder Küchenhilfe scheide aus. Die Klägerin könne Fußwege von 500 m in 20 Minuten viermal täglich zurücklegen.

Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 7. Oktober 2009 Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. D erhoben hatte, hat der Sachverständige mit Schreiben vom 2. November 2009 mitgeteilt, es gebe keinen Anlass, an den im Gutachten getroffenen Feststellungen etwas zu verändern. Auf Antrag der Klägerin hat das SG gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) den Facharzt für Orthopädie und Sozialmedizin Dr. L zum Gutachter bestellt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 5. Mai 2010 (Untersuchungstag: 26. März 2010) auf orthopädischem Fachgebiet folgende Diagnosen gestellt: Schmerzen und Funktionsstörungen in der Region Halswirbelsäule (HWS)/Schulter/Kopf bei schweren verschleißbedingten Veränderungen der oberen, mittleren und unteren Halswirbelsäule, Schmerzen und Funktionsstörungen der Lendenwirbelsäule (LWS) mit Ausstrahlung der Schmerzen in den linken Oberschenkel bei verschleißbedingten Veränderungen des lumbosakralen Überganges, chronisches Schmerzsyndrom III. Grades nach Gerbershagen. Auf anderen Fachgebieten leide die Klägerin unter Missempfindungen beider Unterschenkel und Füße, Gangstörung (Ataxie), Schlafstörungen, ferner bestehe ein Verdacht auf Depression. Das Leistungsvermögen für den allgemeinen Arbeitsmarkt sei vollständig aufgehoben. Es lägen deutliche Bewegungsstörungen von zwei Wirbelsäulenabschnitten in Verbindung mit einer erheblichen Gangstörung vor, die zur Aufhebung der Wegefähigkeit führten. Insgesamt leide die Klägerin nachweislich unter einer chronischen Schmerzkrankheit III. Grades. Die Gesundheitsstörungen bestünden seit dem 24. Januar 2008. Eine Besserung des Zustandes sei innerhalb der nächsten drei Jahre möglich. Mit Schreiben vom 8. Juni 2010 hat Dr. D zum Gutachten des Dr. L wie folgt Stellung genommen: Im Zeitpunkt seiner Untersuchung hätten sich keine Hinweise auf eine Polyneuropathie ergeben. Wenn sich nach September 2009 eine Polyneuropathie entwickelt haben sollte, so habe sie keinen Einfluss auf die sozialmedizinische Bewertung, denn Gangunsicherheiten seien in der Bewertung bereits einbezogen und als qualitative Einschränkung des Leistungsvermögens formuliert worden. Soweit seit Mai 2010 zusätzlich eine passagere Beeinträchtigung der Funktion der Hände hinzu gekommen sein sollte, wäre dies eine zusätzliche qualitative Einschränkung des Leistungsvermögens, die ebenfalls auf die Gesamtbeurteilung keinen Einfluss hätte. Grundsätzlich hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, von den grundsätzlichen Feststellungen im Gutachten vom September 2009 abzuweichen. Die Prüfärztin H der Beklagten hat mit Schreiben vom 25. Juni 2010 ausgeführt: Die Schlussfolgerung des Dr. L, dass die Bewegungsstörung und die Schmerzkrankheit der Klägerin zu einem aufgehobenen Leistungsvermögen führten, sei eine willkürliche Einschätzung und werde weder sozialmedizinisch gestützt noch begründet.

Die Klägerin hat vorgetragen: Ihr Gesundheitszustand sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Die Beklagte habe ohne ärztliches Gutachten ausschließlich auf der Grundlage des Reha-Berichtes vom 3. April 2008 entschieden. Insbesondere sei die Bedeutung ihrer Augenerkrankung, die dazu führe, dass sie trotz Sehhilfe "nicht mehr Kleingedrucktes im Text lesen" könne und "sogar Probleme (habe), auf der Straße die Person zu erkennen", nicht ausreichend gewürdigt worden. Sie leide auch unter tränenden Augen und ständigen Kopfschmerzen, permanenten Schmerzen im Bereich der Wirbelsäule und in den Knien, an ständigen Magenschmerzen, auch unter hohem Blutdruck und Zucker; daneben komme es immer wieder zu Schwindelanfällen, in deren Folge sie sogar "in Ohnmacht falle" und zu Boden stürze. Auch leide sie unter massiven Ein- und Durchschlafstörungen, neige auch immer häufiger und in verstärktem Maße zu Depressionen. Auf die Bedeutung der orthopädischen Leiden habe insbesondere der behandelnde Facharzt Bräuer hingewiesen. Sie könne noch nicht einmal mehr ohne Hilfe ihre Hausarbeiten verrichten. Die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes seien ihr deshalb allenfalls unter drei Stunden täglich möglich.

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15. Juli 2010 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei nicht begründet. Die Klägerin habe gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen EM noch einer Rente wegen teilweiser EM bei Berufsunfähigkeit (BU). Nach dem Gesamtergebnis des gerichtlichen Verfahrens und der Beweisaufnahme bestehe zur Überzeugung der Kammer keine EM, weil die Klägerin noch über ein vollschichtiges tägliches Leistungsvermögen für jedenfalls körperlich leichte Tätigkeiten mit einigen weiteren Funktionseinschränkungen verfüge, mit denen sie noch zumutbar auf eine Tätigkeit etwa als Pförtnerin verwiesen werden könne. Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränkten jedenfalls seit Januar 2008 die berufliche Leistungsfähigkeit der Klägerin zwar in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht ein. Aus medizinischer Sicht seien ihr im Wechsel der Haltungsarten, vorzugsweise im Sitzen, mindestens diejenigen körperlich leichten und geistig leichten und mittelschweren Tätigkeiten mit (nur) durchschnittlichen Anforderungen an Reaktionsvermögen, Übersicht, Aufmerksamkeit, Verantwortungsbewusstsein, Zuverlässigkeit zuzumuten, die ohne einseitige körperliche Belastung wie Bücken, Knien, Hocken bzw. ohne Überkopfarbeiten verrichtet werden könnten. Gerüst- und Leiterarbeiten und das Heben und Tragen von Lasten über 10 kg seien nicht mehr möglich. Die Arbeiten ausschließlich in geschlossenen Räumen seien in Wechselschicht und mit häufigem Publikumsverkehr ausführbar, Nachtschichttätigkeiten sowie Tätigkeiten unter besonderem Zeitdruck jedoch nicht mehr zumutbar. Auch an die Feinmotorik der Hände dürften keine besonderen Anforderungen gestellt werden. Betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Klägerin sei auch fußläufig wegefähig und damit in der Lage, unter allgemeinen zumutbaren Bedingungen auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln von ihrer Wohnung zu einer Arbeitsstelle und zurück zu gelangen. Die Kammer folge den schlüssig begründeten Ausführungen des psychiatrisch-neurologischen Gutachters Dr. D. Dieser sei aufgrund eingehender Untersuchung und sorgfältiger Befunderhebung und zuletzt auch unter Beachtung des orthopädischen Gutachtens von Dr. L zu seiner Beurteilung des Gesundheitszustandes der Klägerin und dem diesen Zustand entsprechenden Leistungsvermögen im Erwerbsleben gelangt. Es sei nicht erkennbar, dass der Sachverständigenbefund unvollständig erhoben oder die Leistungsfähigkeit der Klägerin unzutreffend beurteilt habe. Der Gutachter habe insbesondere auch das Gangbild der Klägerin eingehend gewürdigt und auch ausdrücklich ihre "wiederholten verbalen Schmerzäußerungen" zur Kenntnis genommen. Die gerügte und vermutlich zu kurze Dauer der Befunderhebung beeinträchtigten nicht die Güte der Feststellungen. Diese stimmten auch – was die Fähigkeit der Klägerin betreffe, auf dem hier allein relevanten allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein – in allen wesentlichen Punkten mit dem im Rentenverfahren eingeholten Gutachten von Dr. K sowie dem Reha-Entlassungsbericht und auch mit dem im Gerichtsverfahren eingeholten Befundbericht der behandelnden Augenärztin überein. Die Einwendungen der Klägerin, sie habe vor lauter Aufregung nicht alle ihre Beschwerden geschildert, wodurch insbesondere ihre Sitzbeschwerden nicht ausreichend bewertet worden seien, habe Dr. D in seiner ersten ergänzenden Stellungnahme vom 2. November 2009 unter Verweis (auch) auf den Anamneseteil des ursprünglichen Gutachtens zur Überzeugung der Kammer ausgeräumt. Dem abweichenden Gutachten des Orthopäden Dr. L folge die Kammer nicht. Dr. L stütze seine Feststellungen, die Klägerin verfüge jedenfalls seit dem Untersuchungstag nur noch über ein aufgehobenes Leistungsvermögen, sei auch nicht mehr wegefähig, im Wesentlichen auf die von ihm im Untersuchungstermin festgestellten (eher ataktischen) Gangstörungen, bestimmte Missempfindungen in den Unterschenkeln und Füßen sowie die Diagnose eines chronischen Schmerzsyndroms III. Grades nach Gerbershagen und den "Verdacht einer Depression". Der insoweit fachfremde orthopädische Gutachter stütze zunächst den Verdacht der Depression nur auf den bereits bei Klageerhebung erfolgten und deshalb bereits von Dr. D bewerteten Hinweis der Klägerin, sie leide unter Schlafstörungen. Andere Symptome einer depressiven Störung benenne Dr. L nicht. Selbst wenn die Klägerin nunmehr unter einer leichten depressiven Störung litte, käme dieser keine Bedeutung für die quantitative Leistungsfähigkeit zu. Die weitere Feststellung einer die Leistungsfähigkeit völlig einschränkenden Schmerzerkrankung durch einen insoweit fachfremden Orthopäden aufgrund (nur) einer computergestützten Erhebung – also mit psychiatrischen Mitteln – und ohne klinisches Korrelat erscheine der Kammer ebenfalls nicht nachvollziehbar. Nachdem die Klägerin sich z. B. noch im Zeitpunkt der Untersuchung durch Dr. L ohne fremde Hilfe an- und auskleiden habe können, sei es für die Kammer auch nicht erkennbar, wieso das zuletzt von Dr. L beschriebene Bewegungsverhalten der Klägerin, insbesondere ihr Gangbild, aber auch die beschriebene Missempfindung zu einer quantitativen Minderung der Leistungsfähigkeit führen sollten, insbesondere, wieso (nunmehr) die Wegefähigkeit so drastisch wie – nur – von Dr. L festgestellt eingeschränkt sein solle. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser EM bei BU, denn sie sei nicht berufsunfähig.

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin zunächst noch Rente wegen voller EM, hilfsweise wegen teilweiser EM bei BU begehrt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 27. November 2013 hat sie sodann erklärt, dass Rente wegen teilweiser EM bei BU nicht mehr geltend gemacht werde. Die Beklagte hat sich in diesem Termin bereit erklärt, für ein Jahr befristet die notwendigen Kosten für die Beförderung zur Wahrnehmung von Vorstellungsgesprächen in voller Höhe zu übernehmen. Sie hat sich ferner auf ein Jahr befristet verpflichtet, die tatsächlich entstehenden Beförderungskosten ohne finanzielle Eigenbeteiligung der Klägerin im Fall einer Arbeitsaufnahme zur Erhaltung des Arbeitsplatzes zu übernehmen. Auf die Sitzungsniederschrift vom 27. November 2013 wird insoweit Bezug genommen.

Die Klägerin trägt vor: Das SG habe unter anderem nicht berücksichtigt, dass Dr. L schwere verschleißbedingte Veränderungen der oberen und unteren HWS sowie massive Bewegungsstörungen im Bereich der LWS in alle Richtungen festgestellt habe. Dies habe er in seiner Bewertung der Intensität der Schmerzen, also ein chronisches Schmerzsyndrom III. Grades nach Gerbershagen, einfließen lassen. Das bei der Begutachtung durch Dr. L eingesetzte computergestützte Frageprogramm sei in medizinischen Kreisen anerkannt, da damit gesicherte Zahlen und Fakten in Bezug auf Funktionseinbußen, Grad der Schmerzerkrankung, Chronifizierung und andere Faktoren erbracht werden könnten. Schließlich habe Dr. L "ganz andere gegensätzliche Beobachtungen der Klägerin zu ihrem Gangbild und Schmerzäußerungen getroffen".

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Juli 2010 und den Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Dezember 2008 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit ab 1. April 2010 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil.

Der Senat hat im Berufungsverfahren Befundberichte von Dr. P vom 25. November 2010, von dem Arzt B vom 10. Dezember 2010, von der Fachärztin S vom 27. Januar 2011 und von der Augenärztin H vom 17. Oktober 2011 (keine Funktionsbeeinträchtigung im ophtalmologischen Bereich) eingeholt. Er hat ferner den Facharzt für Orthopädie Dr. H zum Sachverständigen ernannt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 6. Juni 2011 (Untersuchungstag: 10. Mai 2011) folgende orthopädischen Diagnosen gestellt: Chronische Schmerzstörungen mit somatischen und psychischen Faktoren im Stadium III nach Gerbershagen, chronisches Zervikalsyndrom bei Verschleiß der Bandscheiben, der kleinen Wirbelgelenke und der Processus uncinati sowie bei angeborenem Blockwirbel, chronisches Lumbalsyndrom mit pseudoradikulärer Ausbreitung bei geringen degenerativen Veränderungen der kleinen Wirbelgelenke sowie Iliitis condensans. Als weitere Diagnosen hat er mitgeteilt: Medikamentös eingestellter Bluthochdruck, insulineingestellter Diabetes mellitus, Adipositas und Restless-Legs-Syndrom. Die Klägerin könne für die Dauer eines üblichen Arbeitstages mit den festgestellten Gesundheitsstörungen körperlich leichte Arbeiten im Wechsel der Haltungsarten unter Beachtung der aufgezeigten weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten. Das Umstellungs- und Anpassungsvermögen der Klägerin bei einer beruflichen Neuorientierung sei nicht eingeschränkt. Betriebsunübliche Pausen seien nicht erforderlich. Die Klägerin sei in der Lage, einen Arbeitsplatz von der Wohnung aus aufzusuchen. Fußwege könnten über 500 m viermal täglich in unter 20 Minuten zusammenhängend zurückgelegt werden. Der von Dr. L verwendete Fragebogen PainDetect sei von ihm nicht eingesetzt worden, weil die Diskrepanz zwischen der Selbsteinschätzung der Klägerin und seiner Leistungseinschätzung derart diskrepant sei und die Verdeutlichungstendenzen derart evident, dass er sich von dem Einsatz dieses Anamnesemittels im vorliegenden Fall keine weitergehende Information versprochen habe. Auf Veranlassung des Senats hat der Sachverständige Dr. L mit Schreiben vom 8. September 2011 wie folgt zu dem Gutachten von Dr. H Stellung genommen: Die hauptsächliche Diskrepanz der Bewertung ergebe sich offensichtlich aus der Beurteilung des Gangbildes. Bei der von ihm durchgeführten gutachterlichen Untersuchung hätten sich deutliche Hinweise für eine Ataxie mit Zunahme im Blindgang ergeben. Wenn Dr. H feststelle, dass zum jetzigen Zeitpunkt definitiv keine Ataxie vorliege, sei darauf hinzuweisen, dass auch in seinen Befunden Folgendes zu finden sei: " der Blindgang und Unterberger Tretversuch werden sehr zögerlich durchgeführt, ein Fallneigung besteht hierbei nicht, jedoch eine verkürzte Schrittphase rechts." Die Beschreibung eines physiologischen Befundes klinge anders, wenn auch die Auffälligkeiten des Ganges und der Koordination nicht so ausgeprägt erschienen wie bei seiner Untersuchung. Die von Dr. H gesehenen und dokumentierten Verdeutlichungstendenzen seien ihm nicht erinnerlich. Leichte Tendenzen der Aggravation seien in der speziellen Untersuchungssituation der Klägerin sicherlich vorhanden gewesen und seien von ihm bei der gutachterlichen Beurteilung einkalkuliert worden. Im Zeitpunkt seiner Untersuchung habe sich bei der Klägerin kein ebenmäßiges und entspanntes Gangbild, sondern ein ataktisches Gangbild gezeigt. In Verbindung mit den deutlichen generativen Veränderungen der Halswirbelsäule habe hier der dringende Verdacht auf eine cervikale Rückenmarkschädigung mit Ausbildung einer spinalen Ataxie bestanden. Da sich bis heute keine eindeutige Bestätigung einer solchen Rückenmarkschädigung gefunden habe, sei es durchaus möglich, dass das bei ihm dargestellte Gangbild inkonstant sei und die derzeitige Situation am ehesten der von Dr. H festgestellten entspreche. Auch wenn diese Möglichkeit bestehe, dass sich die inkonstanten Gesundheitsstörungen vom Zeitpunkt seiner Untersuchung bis zur Untersuchung von Dr. H geändert hätten, könne er nur an den von ihm erhobenen Untersuchungsergebnissen festhalten und deshalb auch nach eindringlicher Rückschau und erneuter Beurteilung seines eigenen Gutachtens zu keinem anderen Schluss kommen.

Der Senat hat sodann den Arzt für Neurologie und spezielle Schmerztherapie Dr. B zum Sachverständigen eingesetzt. Dieser Arzt hat in seinem Gutachten vom 5. Februar 2012 (Untersuchungstag: 3. Januar 2012) folgende Diagnosen auf neurologischem und schmerzmedizinischen Gebiet gestellt: Chronische Schmerzstörung (Gerbershagen III. Grad) mit somatischen und psychischen Faktoren, und zwar Kreuzschmerzen und ischiasartig (pseudoradikulär) in beide Beine ausstrahlenden Schmerzen bei degenerativen Veränderungen der unteren LWS und der Kreuzdarmbeingelenke, Zervikalsyndrom mit Hinterkopf-, Nacken- und Schulterbeschwerden und eingeschränkter Kopfbeweglichkeit bei angeborener Blockwirbelbildung C2/3 und fortgeschrittener degenerativer Veränderung der HWS (Bandscheibendegeneration, Arthrose der Wirbelgelenke, Kantenausziehung der Wirbelkörper) und ohne Anzeichen einer manifesten Beteiligung nervaler Strukturen (Nervenwurzeln, Rückenmark) sowie Dysthymie. Als weitere Diagnosen hat Dr. B aufgeführt: Essentieller Hypertonus, derzeit dekompensiert; Diabetes mellitus Typ II ohne Komplikation, Adipositas (BMI 35), Glaukom beidseits. Das Auftreten der Klägerin in der Begutachtungssituation sei durch eine allgemeine Langsamkeit und Verdeutlichungstendenzen geprägt gewesen bei gleichzeitig eher beschränkten Mitteln der differenzierten Introspektion und sprachlichen Darstellung. Ihre Verdeutlichungstendenz gehe über das hinaus, was durchschnittlich selbst bei fortgeschrittenen Verfahren in einer Begutachtungssituation erwartet werden müsse. Besonders auffällig werde dies, wenn die Klägerin in Worten angebe, sie könne frei nur noch wenige Meter gehen, in der gezielt beobachteten Prüfung dann tatsächlich unter Festhalten und Stöhnen nach 2 bis 3 Schritten schon stehen bleibe, während sie nebenbei anfallende Wege im Klinikbereich beim Verlassen des Geländes zwar ihrer Konstitution entsprechend behäbig, aber weitgehend doch unbehindert und normalen Schrittes zurücklege. Zudem habe sie berichtet, dass sie zum Einkaufen Wege von etwa 5 km in die Stadt zurücklege, auch wenn sie auf Nachfrage ergänze, dass dies nur dadurch möglich sei, dass sie sich dabei an ihrem Fahrrad festhalte. Das Gangbild der Klägerin sei nicht ataktisch (was bedeute: breitbasig, unsicher, wackelig, mit ausfahrenden oder geschlenderten Bewegungen) gewesen. Vielmehr sei es (auch bei unbemerkter Beobachtung) verlangsamt, steif, etwas vornübergebeugt und von nur geringen Mitbewegungen der Arme begleitet gewesen. Für eine (diabetische) Polyneuropathie im Sinne einer stoffwechselbedingten Schädigung der peripheren Nervenfasern gebe es klinisch keinen Anhalt. Die somatopsychische Schmerzstörung der Klägerin sei über die Jahre stark chronifiziert, sodass sie einen Schwenk zu mehr Aktivität wahrscheinlich nicht ohne Hilfe schaffen könne (Verhaltenspsychotherapie, Reha-Maßnahme). Der Klägerin könnten körperlich leichte Arbeiten mit einer täglichen Arbeitszeit von sechs Stunden und mehr zugemutet werden, wobei die Möglichkeit zum Haltungswechsel sich bieten solle und sich diese Tätigkeit vorzugsweise im Sitzen mit zwischenzeitlichem Gehen und Stehen abspielen solle. Auch die weiteren dargelegten qualitativen Leistungseinschränkungen seien zu berücksichtigen. Trotz durchschnittlicher Intelligenz seien der Klägerin aufgrund ihrer depressiven Störung und passiven Einstellung sowie ihren eingeschränkten sprachlichen Fähigkeiten nur geistig einfach Arbeiten abzuverlangen. Es könnten Arbeiten mit durchschnittlichen Anforderungen an Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft erbracht werden. Auch an ihre Übersicht und Zuverlässigkeit könnten angesichts ihrer psychischen Verfassung nur durchschnittliche Ansprüche gestellt werden. Arbeiten, die in besonderer Weise die Nutzung eines Computers erforderten, kämen nicht infrage. Es könnten nur geringe Anforderungen an ihr Umstellungsvermögen gestellt werden. Die Klägerin könne viermal täglich eine Strecke von mindestens 501 m in maximal 20 Minuten zurücklegen. Dafür sprächen die in der Begutachtung beobachtete Gehfähigkeit und ihre Angabe, dass sie zum Einkaufen Strecken von 5 km zu Fuß bewältige. Nach Abschluss des Rentenverfahrens könne eine psychosomatisch ausgerichtete Reha-Maßnahme oder eine anschließende Verhaltenstherapie dazu beitragen, dass sich die Klägerin aus ihrer Passivität und von ihrem Selbstbild der Leistungsunfähigkeit löse. Entgegen der sozialmedizinischen Einschätzung von Dr. Lang könne allein aus der Errechnung eines Grades III im Gerbershagen-Schema und der Tatsache, dass zwei Wirbelsäulenabschnitte in ihrer Beweglichkeit eingeschränkt seien, eine Aufhebung des quantitativen Leistungsvermögens nicht begründet werden.

Mit Schreiben vom 23. Februar 2012 hat die Klägerin gegen das Gutachten Einwendungen erhoben; hierauf wird Bezug genommen. Sie hat zudem auf einen Bericht des Arztes für Radiologie/Chirurgie Dr. S vom 2. Dezember 2011 hingewiesen, wonach im Computertomogramm (CT) der Verdacht einer entwicklungsbedingten Dysgenesie des Kleinhirns sowie des Kleinhirnoberwurmes bestehe. Der Senat hat sodann einen Befundbericht des Internisten und Rheumatologen Dr. G vom 3. September 2012 eingeholt und Dr. B um eine ergänzende Stellungnahme gebeten. Mit Schreiben vom 16. September 2012 hat Dr. Brosch mitgeteilt: Die in der Krankengeschichte der Klägerin verschiedentlich beschriebene Gangataxien könnten mit einer Kleinhirnstörung in Zusammenhang zu bringen sein. Im Hintergrund des Befundberichtes des Dr. G erschienen die Auffälligkeiten ihres Gangbildes und das von ihr beklagte Zittern in einem anderen Licht. Nachdem dem Sachverständigen Dr. B eine CD mit einer Serie von CT-Bildern des Kopfes/Gehirn der Klägerin vom 29. November 2011 übersandt worden war, hat er sich mit Schreiben vom 30. Dezember 2012 folgendermaßen geäußert: Bei der Klägerin liege eine Kleinhirnatrophie (Volumenminderung des Kleinhirns auf die oberen und mittleren Anteile) vor. Bei einer solchen entwicklungsbedingten Dysgenesie finde man ebenso wie etwa bei einer alkoholtoxischen Kleinhirndegeneration charakteristischerweise eine ataktische Gangstörung. Das Gehen sei breitbasig, unsicher, wackelnd mit schlenkerndem Ausfahren und unkoordinierten Bewegungen der Beine. Das Gleichgewicht sei gestört. Diese soeben beschriebenen eindeutigen Symptome einer Schädigung des Kleinhirns habe er in seiner Untersuchung bei der Klägerin nicht finden können. Eine ataktische Gangstörung im engeren neurologischen Sinne habe bei ihr nicht vorgelegen. In nunmehriger Kenntnis des CT-Befundes und in Würdigung der Möglichkeit, dass sich die Minderanlage des Kleinhirns doch in subtiler Weise und als Ko-faktor auf die Gehfähigkeit der Klägerin auswirke, wolle er "im Zweifel und zugunsten der Klägerin die Aussage zurücknehmen, dass sie viermal täglich eine Strecke von zusammenhängend mindestens 500 m in einer Zeit von jeweils 20 Minuten zurückzulegen" vermöge. Ihre Wegefähigkeit sei somit "wahrscheinlich" doch eingeschränkt. Mit Schreiben vom 24. Januar 2013 hat die Klägerin einen Befundbericht des C Klinikums C vom 9. Januar 2013 übersandt. Auf Veranlassung des Senats hat Dr. B mit Schreiben vom 9. Juli 2013 ergänzend ausgeführt: In seiner Begutachtung habe er das Klagen der Klägerin über das schlechte Gehen und das langsame schlurfende Gangbild, das sie dann präsentiert habe, als Ausdruck von Aggravation gewertet, zumal ihre Angaben zum Teil widersprüchlich gewesen seien und sie unbeobachtet auch ein besseres Gangbild aufgewiesen habe. In Kenntnis der CT-Bilder halte er es jedoch nicht für angebracht, an diesem Vorwurf festzuhalten. Er bleibe somit bei seiner in puncto Wegefähigkeit etwas zurückgenommen Beurteilung. Soweit weiterer Erklärungsbedarf gesehen werde, könne die Gehfähigkeit der Klägerin durch eine laufbandgestützte Ganganalyse überprüft werden. Diese werde von Physiotherapeuten oder Ärzten für physikalische Therapie angeboten. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2013 hat die Klägerin einen Befundbericht der Radiologischen Praxis E vom 7. Oktober 2013 übersandt (kein Nachweis einer Fraktur des os sacrum).

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen, wegen der medizinischen Feststellungen auf die zum Verfahren eingeholten Befundberichte und die Sachverständigengutachten nebst hierzu ergangener ergänzender Stellungnahmen Bezug genommen.

Die Rentenakten der Beklagten, ein Vorgang des Landkreises Spree-Neiße sowie die Gerichtsakten (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zuletzt (nur) noch auf die Gewährung einer Rente wegen voller EM für die Zeit ab 1. April 2010 gerichtete Berufung der Klägerin ist unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Gewährung einer Rente wegen voller EM (§ 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch – Gesetzliche Rentenversicherung – [SGB VI]) für die Zeit ab 1. April 2010. Sie war und ist nicht voll noch erwerbsgemindert i. S. dieser rentenrechtlichen Vorschrift.

§ 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI setzt zunächst die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 SGB VI) sowie das Vorhandensein von drei Jahren mit Pflichtbeiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der rentenberechtigenden EM voraus. Darüber hinaus muss volle EM vorliegen (§ 43 Abs. 2 Satz Nr. 1 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI).

Die Klägerin war und ist in dem streitigen Zeitraum ab 1. April 2010 nicht voll erwerbsgemindert i. S. v. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens steht zur Überzeugung des Senats fest, dass sie in dem maßgebenden Zeitraum noch über ein Restleistungsvermögen zumindest für leichte körperliche und einfache geistige Arbeiten verfügte und verfügt, mit dem sie regelmäßig einer mindestens sechsstündigen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachgehen konnte und kann.

Dass der Klägerin noch ein derartiges Restleistungsvermögen verblieben ist, folgt insbesondere aus den vorliegenden Gutachten und ergänzenden Stellungnahmen der im Gerichtsverfahren als Sachverständige eingesetzten Fachärzte Dres. D, H und B. Alle diese Ärzte haben der Klägerin übereinstimmend ein mindestens sechsstündiges tägliches Restleistungsvermögen bescheinigt. Dass auf orthopädischem Fachgebiet die insoweit bestehenden Leiden zu keiner quantitativen Leistungsminderung führen, hat der Fachgutachter Dr. H ausführlich und im Einzelnen nachvollziehbar begründet. Soweit der Fachgutachter Dr. L hiervon abweichend in seinem Gutachten vom 5. Mai 2010 der Klägerin unter Bezugnahme auf deutliche Bewegungsstörungen in 2 Wirbelsäulenabschnitten i. V. m. einer erheblichen Gangstörung und der chronischen Schmerzkrankheit ein vollständig aufgehobenes Leistungsvermögen bescheinigt, lassen die von ihm angeführten Gesundheitsstörungen – worauf der Gutachter Dr. B zutreffend hingewiesen hat - für sich genommen noch nicht den Schluss auf eine quantitative Leistungsminderung zu. Das Gutachten von Dr. L enthält auch im Übrigen keine objektiven Befunde, die nachvollziehbar die Annahme eines unter sechs- bzw. dreistündigen täglichen Leistungsvermögen stützen könnten. Eine quantitative Einschränkung des Leistungsvermögens der Klägerin besteht auch nicht aus neurologisch-psychiatrischer Sicht. Soweit die Klägerin gegen die nachvollziehbaren und schlüssigen Feststellungen des Fachgutachters Dr. D im Gutachten vom 15. September 2009 mit Schreiben vom 7. Oktober 2009 Einwendungen erhoben hatte, waren diese – wie schon vom SG ausgeführt - nicht geeignet, die Überzeugungskraft dieses Gutachtens durchgreifend in Frage zu stellen. Dr. D hat zu diesen Einwendungen mit Schreiben vom 2. November 2009 eingehend Stellung genommen. Eine Reaktion der Klägerin erfolgte hierauf nicht.

Das mindestens sechsstündige Restleistungsvermögen der Klägerin war und ist nach den von den Sachverständigen festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen auch nicht derart reduziert, dass es einem Arbeitseinsatz der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter betriebsüblichen Bedingungen entgegenstünde (vgl. § 43 Abs. 3 SGB VI). Auch unter Berücksichtigung der von den Sachverständigen Dres. D, H und B festgestellten qualitativen Leistungseinschränkungen bestand und besteht weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch lag oder liegt eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor (vgl. BSG, Urteil vom 18. Februar 1998 – B 5 /4 RA 58/97 R – juris). Insgesamt betreffen diese Leistungseinschränkungen jedenfalls lediglich einen kleineren Teilbereich des allgemeinen Arbeitsmarktes, lassen aber ein weites Feld von Beschäftigungsmöglichkeiten unberührt. So könnte und kann die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Leistungsvermögen z.B. noch im Rahmen von Sortier- und Verpackungstätigkeiten eingesetzt werden.

Der Klägerin steht auch nicht wegen der von ihr geltend gemachten eingeschränkten Wegefähigkeit Rente wegen EM zu. Zwar gehört neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit des Versicherten am Arbeitsplatz zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die dem Versicherten dies nicht erlaubt, stellt eine derart schwere Leistungseinschränkung dar, dass der Arbeitsmarkt trotz eines vorhandenen vollschichtigen bzw mindestens sechsstündigen Leistungsvermögens als verschlossen anzusehen ist (Großer Senat in BSGE 80, 24, 35 = SozR 3-2600 § 44 Nr. 8 S. 28). Diese Kriterien hat das Bundessozialgericht (BSG) zum Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit entwickelt, wie ihn § 1247 Reichsversicherungsordnung (RVO) und § 44 SGB VI in der bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Fassung (aF) umschrieben hatten (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr 10 mwN; SozR 3-2600 § 44 Nr. 10). Diese Maßstäbe gelten für den Versicherungsfall der vollen EM (§ 43 Abs. 2 SGB VI) indes unverändert fort (vgl. BSG vom 28. August 2002 - B 5 RJ 12/02 R - juris Rn. 12; BSG SozR 4-2600 § 43 Nr. 8 Rn. 15; vom 12. Dezember 2011 - B 13 R 21/10 R - juris).

Konkret gilt: Hat wie hier der Versicherte keinen Arbeitsplatz und wird ihm ein solcher auch nicht angeboten, bemessen sich die Wegstrecken, deren Zurücklegung ihm möglich sein müssen, - auch in Anbetracht der Zumutbarkeit eines Umzugs - nach einem generalisierenden Maßstab, der zugleich den Bedürfnissen einer Massenverwaltung Rechnung trägt (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10 S. 30; BSG SozR 2200 § 1247 Nr. 53 S. 106, Nr. 56 S. 111). Dabei wird angenommen, dass ein Versicherter für den Weg zur Arbeitsstelle öffentliche Verkehrsmittel benutzen und von seiner Wohnung zum Verkehrsmittel sowie vom Verkehrsmittel zur Arbeitsstelle und zurück Fußwege absolvieren muss. Eine (volle) EM setzt danach grundsätzlich voraus, dass der Versicherte nicht vier Mal am Tag Wegstrecken von über 500 m mit zumutbarem Zeitaufwand (also 500 m jeweils innerhalb von 20 Minuten) zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren kann. Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG SozR 3-2200 § 1247 Nr. 10 S 30 f). Dazu gehört z.B. auch die zumutbare Benutzung eines eigenen Kfz (vgl. BSGE 24, 142, 145 = SozR Nr. 56 zu § 1246 RVO). Letzteres kommt indes bei der Klägerin, die nicht über eine Fahrerlaubnis verfügt, nicht in Betracht.

Bei erwerbslosen Versicherten kann die rentenrechtliche Wegefähigkeit jedoch auch durch die volle Übernahme der Beförderungskosten zur Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses und zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gewährleistet bzw. wiederhergestellt werden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R = BSGE 110,1 ff). Hierzu hat sich die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung am 27. November 2013 verpflichtet, sodass jedenfalls ab diesem Zeitpunkt die – etwaige - Wegeunfähigkeit der Klägerin wieder beseitigt worden ist. Hierbei handelt es sich um eine Zusicherung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch –Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X), die als solche ebenfalls die Rechtsqualität eines Verwaltungsakts hat (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, aaO mwN) Die Zusicherung hat die Aufgabe, dem Adressaten als verbindliche Zusage über das zukünftige Verhalten der Verwaltungsbehörde bei Erlass des Verwaltungsakts Gewissheit zu verschaffen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 34 Nr. 2 S 4 mwN). Die gerichtliche Beurkundung ersetzt gemäß dem entsprechend anwendbaren § 126 Abs. 3 Bürgerliches Gesetzbuch die Schriftform (vgl. Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 34 Rn. 8). Die Beklagte hat sich zu der Behandlung eines in der Zukunft liegenden, konkreten Sachverhalts verpflichtet. Der Regelungswille der Behörde ist in den Erklärungen vom 27. November 2013 deutlich erkennbar geworden. Damit folgt aus der wirksamen Zusicherung ein Rechtsanspruch auf die zugesagte Regelung (BSG SozR 4-1500 § 55 Nr 9 RdNr. 15). Die von der Beklagten zugesicherten Teilhabeleistungen haben somit ab 27. November 2013 das mögliche Mobilitätsdefizit der Klägerin und mithin einen etwaigen Rentenanspruch der Klägerin entfallen lassen.

Für die davorliegende streitbefangene Zeit (1. April 2010 bis 26. November 2013) kann der Senat bei der erforderlichen Gesamtbewertung nicht feststellen, dass eine Wegeunfähigkeit der Klägerin bestand. Der Sachverständige Dr. B hat zwar seine die Wegefähigkeit der Klägerin bejahende Einschätzung im Gutachten vom 5. Februar 2012 "im Zweifel und zu Gunsten" der Klägerin im Hinblick auf die nachträglich bei ihr diagnostizierte Kleinhirnatrophie zurückgenommen (vgl. Schreiben 30. Dezember 2012, S. 3). Allein auf der Grundlage dieser "in puncto Wegefähigkeit etwas zurückgenommenen Beurteilung" (vgl. Schreiben des Dr. Brosch vom 5. Juli 2013) des Sachverständigen Dr. B vermag der Senat jedoch gerade nicht die volle, d.h. ohne vernünftigen Zweifel bestehende Überzeugung vom Vorliegen der die Wegeunfähigkeit der Klägerin begründenden tatsächlichen Voraussetzungen in dem noch maßgeblichen Zeitraum zu gewinnen. Auch die Beurteilungen der weiteren Sachverständigen bieten hierfür keine sicheren objektivierbaren Anhaltspunkte. Zweifel an einer ursprünglich möglicherweise bestehenden Wegeunfähigkeit der Klägerin ergeben sich schließlich aus dem Umstand, dass nach den Angaben von Dr. B (vgl. S. 11 des Gutachtens vom 5. Februar 2012) die Klägerin nach der Untersuchung vom 3. Januar 2012 beim Weggehen über den Krankenhausvorplatz ca. 80 m ohne Anhalten und Pausieren gegangen ist und sich dabei ein zwar langsames, aber flüssiges und unbehindert wirkendes Gangbild gezeigt hat. Soweit Dr. B zwecks weiterer Aufklärung des Sachverhalts eine durch ein Laufband gestützte Ganganalyse vorgeschlagen hat (vgl. Schreiben vom 9. Juli 2013), kam vorliegend eine entsprechende Beweiserhebung nicht mehr in Betracht, weil sich mittels Erstellung einer aktuellen Ganganalyse nicht – wie es vorliegend erforderlich wäre - hinreichende Schlüsse auf eine in der Vergangenheit, d.h. bis zum 26. November 2013, möglicherweise bestehende Wegeunfähigkeit ziehen lassen. Mangels Feststellbarkeit der die Annahme einer Wegeunfähigkeit begründenden Tatsachen konnte mithin auch kein Rentenanspruch der Klägerin für die Zeit vom 1. April 2010 bis 26. November 2013 festgestellt werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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