L 3 U 118/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 68 U 927/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 3 U 118/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2009 aufgehoben und die Klage abgewiesen. Kosten sind für das gesamte gerichtliche Verfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens gegenüber der Beklagten die Anerkennung eines Tinnitus als Folge eines Arbeitsunfalls.

Der 1960 geborene Kläger wurde während seiner Tätigkeit als Postzusteller am 26. September 1998 gegen 08.40 Uhr Opfer eines Raubüberfalls auf eine Postfiliale. Zwei mit Strumpfmasken maskierte und mit Pistolen bewaffnete Täter drückten ihm eine Pistole an den Hals bzw. ins Genick, schleuderten ihn auf den Boden, befahlen ihm zunächst, auf dem Boden liegen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten, damit ihm nichts passiere. Kurz darauf befahlen sie dem Kläger aufzustehen und drängten ihn mit der Pistole am Hals in den Tresorraum, wo er sich wiederum auf den Boden legen musste. Einer der Täter stellte einen seiner Füße auf den liegenden Kläger und fragte ihn nach den Tresorschlüsseln, worauf der Kläger keine Auskunft geben konnte. Nachdem die Täter auf einmal - für den Kläger überraschend - verschwunden waren und die Polizei alarmiert worden war, folgten polizeiliche Vernehmungen bis 14.15 Uhr (vgl. Unfallschilderung des Klägers vom 28. September 1998). Der Unfall wurde von der Deutschen Post AG am 09. November 1998 gegenüber der Beklagten angezeigt.

Der Kläger durchlief vom 14. März 2000 bis zum 20. April 2000 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme (vgl. Reha-Entlassungsbericht vom 05. Mai 2000), bei welcher neben einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) u.a. auch ein – nach Angaben des Klägers seit 1999 bestehender – beidseitiger Tinnitus diagnostiziert wurde. Nach Einholung einer Krankheitsauskunft der den Kläger von Januar 1997 bis Juli 1999 behandelnden praktischen Ärztin Dr. N vom 24. Juli 2000 (Verletzungserstbefund: Prellmarken an Rückenmuskulatur; Diagnose: physisches Überforderungssyndrom; Arbeitsunfähigkeit vom 01. bis zum 10. Oktober 1998) erkannte die Beklagte gegenüber der Trägerin der Rentenversicherung die Rehabilitationsmaßnahme als Folge des Arbeitsunfalls an. Der Kläger befand sich unter der Behandlungsdiagnose PTBS ab dem 15. Februar 2001 in stationärer Behandlung in der Fachabteilung für Psychiatrie und Psychotherapie des Städtischen Krankenhauses E (vgl. Berichte vom 21. März 2001 und 21. Mai 2001).

Der Kläger trat mit Schreiben vom 08. April 2001 mit einer weiteren Unfallschilderung an die Beklagte heran, in welcher er auf sein psychisches Leiden als Folge des Unfalls hinwies. Am 07. August 2001 beantragte der Kläger eine Unfallrente. Laut einem für die Beklagte erstatteten sog. Ersten Rentengutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie F vom 30. September 2001 hatte eine fachärztliche Untersuchung des Klägers bereits am 01. Februar 2001 stattgefunden, nachdem wiederum schon am 04. Dezember 2000 wegen einer Tinnitusproblematik ein Elektroencephalogramm abgeleitet und eine AEP-Untersuchung (akustisch avozierter Hirnstammpotentiale) durchgeführt worden waren. Wesentliche Unfallfolgen seien eine PTBS mit Angststörung und leichter depressiver Störung sowie eine neurasthenische Befindlichkeitsstörung, Somatisierungsstörung mit psychogenem Tinnitus aurium beidseits und vasovegetativem Schwindel. Die Beklagte ließ den Diplom-Psychologen und Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. M unter dem 20. Dezember 2001 zur Zusammenhangsfrage Stellung nehmen. Prof. Dr. Dr. M sah die Diagnose einer unfallbedingten PTBS als begründet an. Somatisierungsstörungen bzw. somatoforme Störungen könnten zwar als thematischen Anlass u.a. ein Unfallereignis haben; sie seien aber beliebig austauschbar. Ein rechtlich wesentlicher Ursachenzusammenhang zwischen dem angeschuldigten Ereignis und der somatoformen Störung etc. könne daher nicht hergestellt werden. Soweit man hier unterstelle, dass tatsächlich ein Tinnitus im Rahmen einer somatoformen Störung bestehe, so sei dieser nicht unfallbedingt und bei Wertung der Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) nicht zu berücksichtigen.

Die Beklagte erkannte mit Bescheid vom 29. Januar 2002 als Folgen des Versicherungsfalls die PTBS mit Angstreaktion und leichten depressiven Störungen an, woraufhin sie eine Verletztenrente nach einer MdE von 20 vom Hundert (v.H.) gewährte, und lehnte die Anerkennung der Somatisierungsstörung mit Tinnitus aurium beidseitig, der psychovegetativen Befindlichkeitsstörung und des vasovegetativen Schwindels als Unfallfolgen ab.

In der Folgezeit holte die Beklagte zur Klärung der beruflichen Reintegration des Klägers u.a. das psychiatrisch-psychosomatische Fachgutachten der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin Dr. F vom 06. Oktober 2003 und deren ergänzende Stellungnahme vom 02. Dezember 2003 ein (Diagnosen: PTBS – unfallabhängig, rezidivierende depressive Störung bei prädisponierter Persönlichkeit in sozialer Konfliktsituation – unfallunabhängig; aktuelle Symptomatik: "an die Ohrgeräusche gewöhne er sich langsam, wenn er abgelenkt sei, sei es o.k., nur nachts, wenn er nicht durchschlafen könne, sei es schlimm"). Die Beklagte stellte das vorgenannte Gutachten dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. M zur Diskussion (vgl. Stellungnahmen vom 06. November 2003 und 08. Januar 2004). Der Arzt F berichtete unter dem 26. April 2004 über eine vermehrte, als psychogen anzunehmende Tinnitus-Problematik mit gekoppelten vasomotorischen Schwindelsensationen.

Der Kläger trat mit Schreiben vom 09. November 2004 erneut an die Beklagte heran. Er habe sich vom behandelnden Arzt F nochmals bestätigen lassen, dass der Tinnitus als Folgeerscheinung des Überfalls anzusehen sei, weshalb er die Beklagte bitte, diese Problematik nochmals zu überprüfen, und beantragte, den Tinnitus als Unfallfolge anzuerkennen. Der Kläger legte ein Attest der HNO-Ärztin U vom 16. November 2004 vor, wonach er sich bei ihr ab Oktober 2004 in Behandlung befinde und der Tinnitus nach dem bekannten Trauma akut eingesetzt habe, weshalb davon auszugehen sei, dass der Tinnitus mit Komorbiditäten ausschließlich durch das Psychotrauma vom 26. September 1998 ausgelöst worden sei. Bis auf eine leichte altersentsprechende Hochtonsenke bestehe kein pathologisch-neurootologischer Befund. Die subjektive Tinnitus-Wahrnehmung liege bei 6000 bis 8000 Hz.

Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 mit der Begründung ab, dass sich nichts dafür ergeben habe, dass die Vorentscheidung unrichtig gewesen sei. Der Kläger erhob am 19. Januar 2005 Widerspruch. Die Beklagte holte die fachärztliche und psychologische Stellungnahme des Neurologen und Psychiaters Dr. H und der Diplom-Psychologin H vom 13. Juli 2005 ein, wonach das derzeit feststellbare Zustandsbild eher auf eine Anpassungsstörung als auf eine fortdauernde PTBS hindeute. Vor diesem Hintergrund sei eine otologische Begutachtung nicht mehr angezeigt. Es könne bei der bisherigen Rentengewährung bleiben. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. November 2005 zurück.

Zwischenzeitlich durchlief der Kläger vom 12. Mai bis zum 23. Juni 2005 eine stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme unter den Diagnosen mittelgradige depressive Episode, PTBS, Tinnitus aurium SG II, grenzwertige Adipositas und Somatisierungsstörung (vgl. Reha-Entlassungsbericht vom 29. Juni 2005, wonach ein HNO-ärztliches Konsil eine Otitis externa chronica beidseits, Tinnitus aurium beidseits, Depression und Schallempfindungsschwerhörigkeit (gering) links mehr als rechts ergab).

Der Kläger hat sein Begehren mit der am 12. Dezember 2005 zum Sozialgericht Berlin (SG) erhobenen Klage weiterverfolgt und behauptet, dass der Tinnitus im Wesentlichen erst durch den Unfall verursacht worden sei, wofür auf die ärztlichen Stellungnahmen der ihn behandelnden Ärzte U und F zu verweisen sei. Das SG hat bei den beiden Ärzten die Befundberichte nebst Behandlungsunterlagen (u.a. einen HNO-Befund der HNO-Ärztin Dr. Kvom 09. Oktober 2000) vom 29. April und 02. Mai 2008 eingeholt. Die Ärztin U hat darin u.a. ausgeführt, der Kläger sei bei ihr ab Oktober 2004 in Behandlung und es bestehe eine altersentsprechende Hochtonsenke beidseits, bis 2000 Hz bestehe nach einem otologischen Befund vom 20. April 2004 Normakusis, und die Tinnituswahrnehmung liege bei 6000 bis 8000 Hz, also sehr hochfrequent.

Das SG hat aufgrund der Beweisanordnung vom 22. Mai 2008 ein schriftliches Sachverständigengutachten von Prof. Dr. W eingeholt. In seinem Gutachten vom 03. Dezember 2008 hat er einen beidseitigen Innenohrhochtonschaden bis rechts 60 dB und links 65 dB festgestellt. Der Tinnitus werde rechts bei 60 dB und 4 kHz, links bei 30 dB und 3 kHz angegeben. Es bestünden eine beidseitige, hörgeräteversorgungspflichtige, mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit und ein chronifizierter Tinnitus beidseits am ehesten zentraler Genese. Das Beschwerdebild sei deutlich durch psychosomatische und vegetative Reaktionen überlagert. Durch den Raubüberfall sei es beim Kläger zu einer extremen Stressreaktion gekommen. Aus Tierversuchen sei bekannt, dass unter Stresssituationen extremer Ursache die Innenohrdurchblutung erheblich reduziert sein könne. Auch beim Menschen werde dies angenommen. Wissenschaftliche Untersuchungen gebe es hierzu jedoch nicht, weil die Durchblutungsmessung am menschlichen Innenohr nicht mit hinreichender Genauigkeit möglich sei, ohne das Ohr dauerhaft zu schädigen. Eine solche Minderdurchblutungssituation könne zunächst zu einem peripheren und im Verlaufe der Zeit (etwa nach einem halben Jahr) zu einem chronischen Ohrgeräusch führen. Insgesamt seien solche Erscheinungen als recht selten einzustufen, aber im Sinne einer möglichen bis wahrscheinlichen Entstehungsabfolge nicht wirksam abzulehnen. Der zeitliche Zusammenhang zum Raubüberfall sei entscheidend, welcher nicht bestritten werden könne. Vom nervenärztlichen Gutachten des Arztes F sei nicht im Ergebnis, sondern nur in der Begründung abzuweichen, weil nicht von einer rein psychogenen Tinnitusstörung, sondern von einem peripheren, auch organisch bedingten Krankheitszustand auszugehen sei. Allerdings sei die Frage für die Beurteilung des Zusammenhangsgeschehens nachgeordnet. Soweit die HNO-Ärztin U mit hoher Aussagekraft beschreibe, dass die Beschwerden des Ohrengeräuschs akut nach dem Trauma eingesetzt hätten, sei dem zuzustimmen. Hierfür sei davon auszugehen, dass die Angaben des Klägers glaubhaft seien.

Die Beklagte ist dem Gutachten mit einer beratungsärztlichen Stellungnahme des Facharztes für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten Dr. de V vom 16. Januar 2009 entgegen getreten, wonach die beim Kläger vorliegende Innenohrstörung mit dem Tinnitus vergesellschaftet und als unfallunabhängige Erkrankung anzusehen sei.

Das SG hat der Klage mit Urteil vom 24. März 2009 stattgegeben und festgestellt, dass die Tinnitus-Erkrankung Folge des Arbeitsunfalls ist. Das SG ist hierbei der gutachtlichen Einschätzung von Prof. Dr. W gefolgt.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 31. März 2009 zugestellte Urteil am 29. April 2009 Berufung eingelegt. Sie ist der Auffassung, dass durch das Gutachten von Prof. Dr. W ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang zwischen dem Arbeitsunfall und der Tinnitus-Erkrankung nicht bewiesen sei. Prof. Dr. W selbst verweise in seinem Gutachten auf das Fehlen wissenschaftlicher Untersuchungen zur Frage, ob extreme Stresssituationen zu einer Minderdurchblutung im Innenohr und darüber zu einem Tinnitus führten. Prof. Dr. W diskutiere nicht einmal den hier in Frage kommenden Zusammenhang zwischen Tinnitus und Innenohrstörung, welche nicht auf den Unfall zurückgeführt werden könne, weil dieser weder mit einer erheblichen Lärmexposition noch mit einer Schädelbeteiligung einhergegangen sei. Die Beklagte hat eine weitere Stellungnahme von Dr. de V vom 06. September 2011 vorgelegt, wonach für die Annahme eines unfallbedingten Tinnitus jedenfalls ein adäquates Trauma vorhanden sein müsse, wohingegen ein Tinnitus-Leiden als Folge psychopathologischer Veränderungen im Rahmen eines Trauma-Geschehens in der Gutachten-Literatur nicht diskutiert werde, wohl aber psychogene Hörstörungen, die anderer Natur seien. Prof. Dr. W würdige nicht den naheliegenden Zusammenhang einer Innenohrerkrankung mit dazugehörigem Tinnitus. Die Kombination von symmetrischer Hörstörung und Tinnitus sei typisch für eine Reihe von Innenohrerkrankungen, die z.B. hereditär, endogen-degenerativ, toxisch verursacht sein könnten. Eine symmetrische Innenohrerkrankung mit Hochtonminderung und Tinnitus an der Schwelle im Maximum der Schädigung werde im gerichtlichen Sachverständigengutachten audiometrisch dargestellt.

Der Senat hat eine ergänzende gutachterliche Stellungnahme von Prof. vom 18. Mai 2011 eingeholt, in welcher er unter Hinweis auf eine Veröffentlichung bei seinem bisherigen Standpunkt verblieben ist. Ferner hat der Senat ein Vorerkrankungsverzeichnis der Krankenkasse des Klägers beigezogen.

Im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vom 15. März 2012 hat der Berichterstatter unter dem 16. März 2012 einen schriftlichen Hinweis zu den Erfolgsaussichten der Klage erteilt. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom 20. März 2012 beantragt, dem Sachverständigen Prof. Dr. W den richterlichen Hinweis vom 16. März 2012 zur Erarbeitung eines Nachtragsgutachtens zur Kenntnis zu geben und von ihm ein Nachtragsgutachten erstatten zu lassen. Mit Schriftsatz vom 20. April 2012 hat der Kläger den vorstehenden Antrag präzisiert und ferner beantragt, Prof. Dr. W und Dr. de V "als Sachverständige und sachverständige Zeugen zur Erläuterung ihrer Gutachten bzw. schriftlichen Stellungnahme und zur Erörterung des Sachverhalts unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Gutachten und Stellungnahmen zu einem mündlichen Verhandlungstermin zum Zwecke der Gegenüberstellung ihrer Gutachten und Stellungnahmen sowie zur weiteren gerichtlichen Aufklärung des Sachverhalts sowie der sich aus den Gutachten und Stellungnahmen ergebenden medizinischen Fragen unter Berücksichtigung der haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Kausalität beim Kläger zwischen Unfallereignis und Tinnitus" zu laden.

Auf weiteren Antrag des Klägers sind die schriftlichen Sachverständigengutachten der Hals-Nasen-Ohren-Ärzte Dr. M vom 05. Dezember 2012 und Prof. Dr. H vom 12. August 2013 eingeholt worden. Dr. M hat u.a. ausgeführt, beim Kläger bestünden eine mittelgradige Innenohrschwerhörigkeit, Hörverlust im Tief- und Hochtonbereich und ein noch kompensierter Tinnitus aurium. Das Tinnitusleiden sei mit Wahrscheinlichkeit durch den Unfall vom 26. September 1998 verursacht worden. Zumindest das Erstauftreten des Tinnitus sei otogen ausgelöst worden. Dr. M verweist auf eine von ihm eingeholte ergänzende Stellungnahme von Prof. Dr. L, welche dieser unter dem 13. Dezember 2012 noch einmal gesondert bei Gericht eingereicht hat, wonach die Annahme unzutreffend sei, allein durch ein adäquates Trauma wie Knall-, Lärm-, stumpfes Schalltrauma, nicht aber durch ein psychopathologisches Trauma könne ein Tinnitus hervorgerufen werden. Die These einer stressbedingten Tinnitusentstehung könne in ihrer allgemeinen Aussage nicht bestätigt werde, auch wenn sie im individuellen Fall sowohl als relevanter Faktor der Entstehung als auch bei der Bewältigung berücksichtigt werden müsse. Hier liege solch ein individueller Fall vor, in welchem die Mikrozirkulation des Innenohres, die ja von Adrenalin gesteuert werde, gestört und so ein Tinnitus ausgelöst werden könne. Hinzukomme, dass der Kläger mit einer Innenohrhochtonschädigung eine vorgeschädigtes Ohr habe, welches bei einer Stresssituation eher verschlechtert werden könne als ein Ohr mit normaler Innenohrfunktion. Prof. Dr. L bezieht sich bei alldem auf Veröffentlichungen von Prof. Dr. H, in welchen sich zu Hörstürzen geäußert wird. Prof. Dr. H hat in seinem auf Antrag des Klägers eingeholten schriftlichen Sachverständigengutachten ausgeführt, der Kläger leide unter einer beidseitigen Innenohrhochtonschwerhörigkeit und einem hochfrequenten Tinnitus. Anders als die Vorgutachten sei davon auszugehen, dass der Tinnitus primär als Folge einer Innenohrschwerhörigkeit entstanden sei, jedoch mit Prof. Dr. W und Dr. M davon auszugehen sei, dass die Aufrechterhaltung des Tinnitus im Wesentlichen durch psychische Fehlverarbeitung in der Folge des Unfalls aufrecht erhalten werde und zu einer erheblichen psychovegetativen Belastung führe. Es sei wissenschaftlich unstreitig, dass hohe Stressbelastungen, insbesondere wenn sie mit negativem Stress und vorliegend auch mit Angst und lebensbedrohlichen Situationen einhergingen, zu psychischen Störungen führten, aber auch in der Hörbahn selbst Hörverlust und Tinnitus hervorrufen könnten. Beim Kläger seien durch die erlittene Stressbelastung eine Innenohrhochtonschwerhörigkeit und ein begleitender Tinnitus entstanden. Da keine Vorbefunde vorlägen und der Kläger glaubhaft sage, auch die Hörminderung sei erst nach dem Unfall aufgetreten, seien sowohl die Hörminderung als auch der Tinnitus mit seinen psychovegetativen Begleiterscheinungen durch den Unfall vom 26. September 1998 verursacht worden.

Die schriftlichen Sachverständigengutachten sind den Beteiligten mit Verfügung vom 19. August 2013 zur Kenntnis gebracht worden.

Mit Verfügung vom 25. November 2013 sind die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung vom 23. Januar 2014 geladen worden. Die Ladung ist dem Kläger am 29. November 2013 zugestellt worden.

Mit Schriftsatz vom 02. Dezember 2013 hat der Kläger mitgeteilt, den Beratungsarzt der Beklagten sowie die anderen Gutachten laden zu wollen, damit das Gericht sich ein persönliches Bild von den Gutachten machen könne. Es werde beantragt werden, die entsprechenden Ärzte zum Termin zu laden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt zur Sache,

die Berufung zurückzuweisen,

er hält vorsorglich die mit den Schriftsätzen vom 20. März und 20. April 2012 gestellten Anträge aufrecht und beantragt vorsorglich unter Bezugnahme auf einen im Termin vorgelegten Schriftsatz vom 23. Januar 2014,

die gerichtlichen Sachverständigen Dr. M, Prof. Dr. H, Prof. Dr. W und Dr. B von der Beklagten als Sachverständige und sachverständige Zeugen zur Erläuterung ihrer Gutachten bzw. schriftlichen Stellungnahmen und zur Erörterung des Sachverhalts unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Gutachten und Stellungnahmen zu einem mündlichen Verhandlungstermin zum Zwecke der Gegenüberstellung ihrer Gutachten und Stellungnahmen sowie zur weiteren gerichtlichen Aufklärung des Sachverhalts sowie der sich aus den Gutachten und Stellungnahmen ergebenden medizinischen Fragen unter Berücksichtigung der haftungsbegründen und -ausfüllenden Kausalität beim Kläger zwischen Unfallereignis und Tinnitus zu laden,

den Gutachtern Dr. M, Prof. Dr. Hund Prof. Dr. W die Stellungnahme von Dr. B von der Beklagten aus deren Schriftsatz vom 12. November 2013 zur sachverständigen Stellungnahme zu übersenden.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und betont, dass belastende Lebensereignisse geeignet seien, somatoforme Störungen wie bei ihm hervorzurufen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen und inhaltlich Bezug genommen, welche vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. November 2005, mit welchem eine Neufeststellung der Folgen des Arbeitsunfalls vom 26. September 1998 unter Änderung des Bescheids vom 29. Januar 2002 abgelehnt wurde, ist rechtmäßig und beschwert den Kläger nicht.

Die Voraussetzungen einer Neufeststellung im Wege einer Überprüfung nach der hierfür einzig in Betracht zu ziehenden Rechtsgrundlage aus § 44 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) liegen nicht vor, wonach, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen ist, es sei denn, dass der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

Hieran gemessen kommt eine Neufeststellung nicht in Betracht. Die im Bescheid vom 29. Januar 2002 enthaltene Feststellung, dass der Tinnitus keine Folge des Unfalls vom 26. September 1998 ist, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Der Kläger hat dementsprechend keinen Anspruch darauf, dass nun anders als damals festgestellt wird, dass der Tinnitus Folge des Arbeitsunfalls ist.

Versicherungsfälle sind gemäß § 7 Abs. 1 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten. Nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle der Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit. Nach § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII sind Unfälle zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Der Gesetzgeber bringt mit der wiederholten Formulierung "infolge" – vgl. etwa §§ 8 Abs. 1 S. 1, 45 Abs. 1 Nr. 1, 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII – für sämtliche Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung das Erfordernis eines Zusammenhangs zum Ausdruck. Es muss eine kausale Verknüpfung des Unfalls bzw. seiner Folgen mit der betrieblichen Sphäre bestehen, mithin eine rechtliche Zurechnung für besonders bezeichnete Risiken der Arbeitswelt beziehungsweise gleichgestellter Tätigkeiten, für deren Entschädigung die gesetzliche Unfallversicherung als spezieller Zweig der Sozialversicherung einzustehen hat, und zwar nicht nur im Sinne einer Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, sondern auch im Sinne der Zurechnung des eingetretenen Erfolges zum Schutzbereich der unfallversicherungsrechtlichen Norm als eines rechtlich wesentlichen Kausalzusammenhangs (Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung, ständige Rechtsprechung, etwa Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 09. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R -, zitiert nach juris Rn. 13 ff.). Die Frage nach diesem Zurechnungszusammenhang stellt sich auf drei Ebenen, nämlich als Unfallkausalität zwischen ausgeübter Tätigkeit und Unfallereignis, als haftungsbegründende Kausalität zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden und als haftungsausfüllende Kausalität zwischen Gesundheitserstschaden und längerandauernden Unfallfolgen (BSG, a.a.O., Rn. 10; Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010, Kap. 1.4, S. 21 f.). Die vorgenannten Merkmale der versicherten Tätigkeit und des Unfallereignisses müssen im Sinne des Vollbeweises, also mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit (etwa BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 20/04 R –, zitiert nach juris Rn. 15). Ein Zusammenhang ist hinreichend wahrscheinlich, wenn nach herrschender ärztlich-wissenschaftlicher Lehrmeinung mehr für als gegen ihn spricht und ernste Zweifel an einer anderen Ursache ausscheiden (vgl. BSG a.a.O., auch Rn. 18 und 20).

Hiervon ausgehend ist der Senat nicht im nach § 128 Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) erforderlichen Maße überzeugt, dass die Tinnitus-Erkrankung des Klägers mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Folge des Unfalls vom 26. September 1998 ist.

Zunächst hat zwar Prof. Dr. W, dessen fachliche Kompetenz auf dem Gebiet der Tinnitus-Behandlung als ärztlicher Leiter des Berliner Tinnitus-Zentrums außer Frage steht, in seinem erstinstanzlichen schriftlichen Sachverständigengutachten vom 03. Dezember 2008 und seiner im Berufungsverfahren eingeholten ergänzenden Stellungnahme vom 18. Mai 2011 die Tinnitus-Erkrankung – wohl im Sinne der erstmaligen Entstehung – mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf das Unfallereignis zurückgeführt. Sein Gutachten vermag aber eben hierfür letztlich doch keinen Beweis zu erbringen. Zunächst fehlt es in seiner Befunderhebung an einer genaueren Bestimmung des Ohrengeräuschs, welche nach Meinung der herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Auffassung, vgl. etwa Königsteiner Merkblatt - Empfehlungen des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HBVG) für die Begutachtung der beruflichen Lärmschwerhörigkeit, 4. Auflage 1996, Kap. 3.5.3, Aufschluss auch für die Ursächlichkeit geben kann, weil etwa ein Tinnitus vom Charakter eines hohen Tones oder hohen Geräuschbandes für einen Zusammenhang zu einer Lärmschwerhörigkeit als Form einer Innenohrschwerhörigkeit sprechen kann. Wenngleich die vorgenannten Empfehlungen nicht bindend sind, können sie als Ergebnis langjähriger ohrenärztlicher Erfahrung der Gleichbehandlung der Versicherten dienen und daher von den Unfallversicherungsträgern und Gerichten herangezogen werden (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, Kap. 7.3.3.2.2, S. 328, Fn. 53). Ausführungen über Art, Häufigkeit und Belästigungscharakter der Ohrengeräusche sollten wörtlich im Gutachten wiedergegeben werden (Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Kap. 7.3.3.3.5, S. 350). Es findet sich demgegenüber lediglich auf der audiometrischen Darstellung der Vermerk "Rausch-Ti" (gemeint ist wohl Rausch-Tinnitus), ohne dass diese tatsächliche Feststellung hinreichend aussagekräftig ist und Eingang ins Gutachten gefunden hat.

Es tritt hinzu, dass Prof. Dr. W in seinem Gutachten vom 03. Dezember 2008 – wie die beratungsärztlichen Stellungnahmen von Dr. de V nachvollziehbar aufdecken – selbst als Spezialist für seine Zusammenhangsthese auf keine herrschende ärztlich-wissenschaftliche Lehrmeinung zu verweisen vermag, sondern lediglich darauf, dass sich aus Tierversuchen und aus klinischen Aufzeichnungen am Menschen Tinnitusentstehungsmodelle ergaben, wonach unter Stresssituationen extremer Ursache die Innenohrdurchblutung erheblich reduziert sein kann, ohne dass hierfür wissenschaftliche Untersuchungen existieren. Eben dies führt Prof. Dr. W i.Ü. für sich betrachtet plausibel darauf zurück, dass die Durchblutungsmessung am menschlichen Innenohr nicht mit hinreichender Genauigkeit möglich ist, ohne das Ohr dauerhaft zu schädigen. So liegt indes gerade nichts für eine (nach der oben zitierten ständigen Rechtsprechung des BSG) zu fordernde herrschende medizinisch-wissenschaftliche Lehrmeinung vor, wonach ein Tinnitus allein durch extremen Stress bedingt sein oder durch ein psychisch vermitteltes Trauma eintreten kann. Vielmehr geht der Senat im Einklang mit dem aktuellen Stand der medizinischen Forschung davon aus, dass aus den Ergebnissen neuerer Arbeiten die These einer stressbedingten Tinnitusentstehung in ihrer allgemeinen Aussage angezweifelt werden muss, indes Stress zum Zeitpunkt des Auftretens von Tinnitus lediglich ein eindeutiger Risikofaktor bezüglich der Chronifizierung des akuten Tinnitus ist (so etwa Feldmann/ Brusis, Das Gutachten des Hals-Nasen-Ohren-Arztes, 7. Aufl. 2012, Kap. 8.22.8, S. 371). Tinnitus als alleiniges Symptom lässt sich in der Regel nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als Unfallfolge darstellen (vgl. Feldmann/ Brusis, a.a.O., Kap. 8.22.5, S. 361). Dementsprechend kann Prof. Dr. W in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18. Mai 2011 auch nur darauf verweisen, dass der zentrale Entstehungsmechanismus des Tinnitus, seine zentrale Generierung und cortikale Wahrnehmung und Bewertung nicht abschließend geklärt sind. Hierzu passt, dass eine durch extremen Stress bzw. durch ein psychisch vermitteltes Trauma verursachte Tinnitus-Erkrankung im einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttum im Übrigen kaum diskutiert wird (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, a.a.O., Kap. 7.3.3.3.5, S. 350). Vielmehr wird Tinnitus als mögliche Folge eines Traumas (Knall, Lärm, stumpfes Schädeltrauma) und ein Zusammenhang dann für wahrscheinlich erachtet, wenn gleichzeitig andere objektivierbare pathologische Befunde aufgetreten sind; dies betrifft insbesondere eine messbare Hörstörung, z.B. eine c5-Senke, einen Hochtonabfall und auch eine völlige Ertaubung.

Prof. Dr. W versäumt es des Weiteren, den wiederum im einschlägigen arbeitsmedizinischen Schrifttum gesehenen Zusammenhang zwischen Lärmschwerhörigkeit (= Innenohrschwerhörigkeit) und Tinnitus nicht am vorliegenden Fall zu diskutieren, worauf Dr. de V in seiner im Berufungsverfahren beigebrachten Stellungnahme vom 06. September 2011 zutreffend verweist. So zeigt sich vielfach, dass etwa lärmbedingte – im Gegensatz zu autogenen oder stressbedingten - Ohrgeräusche in der Regel frequenzstabil sind und als Hochtongeräusche von Ton- oder Geräuschcharakter empfunden werden und meist – wie hier –bei den von der Ärztin U und Prof. Dr. W durchgeführten Audiometrien (vgl. die audiometrischen Darstellungen zum Befundbericht vom 23. Mai 2004 und zum schriftlichen Sachverständigengutachten vom 03. Dezember 2008) - im Frequenzbereich liegen, in welchem sich der Hochtonabfall befindet (vgl. Schönberger/ Mehrtens/ Valentin, ebd.; vgl. auch Königsteiner Merkblatt, Kap. 3.5.3).

Auch überzeugt es nicht, wenn Prof. Dr. W in seinem erstinstanzlichen Gutachten darauf abstellt, dass der zeitliche Zusammenhang zum Raubüberfall für ihn entscheidend ist, indem er hierfür der Beschreibung der Ärztin U hohe Aussagekraft beimisst, wonach die Beschwerden des Ohrgeräusches akut nach dem Trauma eingesetzt hätten. So vermag sich der Sachverständige gerade nicht auf hierfür zu fordernde, objektive, zeitnah zum Unfall erhobene Befunde zu stützen. Die Ärztin U selbst behandelte den Kläger erstmals am 19. Oktober 2004, also mehr als sechs Jahre nach dem Unfall und vermag selbst auch auf keine früheren objektiven audio-pathologischen Befunde zu verweisen. Den ersten objektiven, nachvollziehbaren Anhaltspunkt für eine Tinnitus-Erkrankung vermittelt lediglich das sog. Erste Rentengutachten des Arztes F, in welchem er rückschauend von einer tinnitusbezogenen elektroencephalographischen Untersuchung im Dezember 2000 berichtet, welche mithin auch bereits mehr als zwei Jahre nach dem Unfall stattfand. Davon abgesehen ergibt sich lediglich im Reha-Entlassungsbericht vom 05. Mai 2000 aus der Eigenanamnese, dass der Kläger seit 1999 - d.h. eben auch nicht unmittelbar seit dem Unfall, sondern erst seit dem auf den Unfall folgenden Jahr - an einem Tinnitus beidseitig litt. Die den Kläger zunächst nach dem Überfall bis Juli 1999 behandelnde Hausärztin Dr. N berichtete in ihrer Krankheitsauskunft vom 05. Juli 1999 nicht über ein Tinnitusleiden des Klägers oder eine andere im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall aufgetretene Hörschädigung. Angaben des Klägers zu weiteren Ärzten, welche ihn vor 2004 bezüglich des Tinnitus behandelten, liegen nicht vor (vgl. vom Kläger ausgefüllter Fragebogen vom 17. März 2008).

Schließlich weicht Prof. Dr. W bei seiner Zusammenhangsbegutachtung vom an sich zugrunde zu legenden Wahrscheinlichkeitsmaßstab ab. Indem er konstatiert, dass solche Erscheinungen (gemeint sind auf eine Minderdurchblutungssituation zurückzuführende chronische Ohrgeräusche) recht selten, aber im Sinne einer möglichen bis wahrscheinlichen Entstehungsabfolge nicht wirksam abzulehnen sind, unterläuft ihm eine im vorliegenden Zusammenhang unzutreffende Schlussfolgerung. Denn so zieht er der Sache nach bereits aus dem Umstand, dass eine durch eine extreme Stresssituation bedingte Tinnitus-Erkrankung wissenschaftlich nicht auszuschließen ist, den auf diese Weise unzulässigen Schluss, dass die Tinnitus-Erkrankung vorliegend auf den Unfall zurückzuführen sei, anstatt zu hinterfragen, ob denn wirklich mehr für eine unfallbedingte Entstehung der Tinnitus-Erkrankung spricht als dagegen.

Auch wird der Beweis für einen nach den Maßstäben der gesetzlichen Unfallversicherung bestehenden Zusammenhang zwischen dem angeschuldigten Ereignis und dem beim Kläger bestehenden Tinnitus nicht durch die schriftlichen Sachverständigengutachten von Dr. M und Prof. Dr. H erbracht. Beide Sachverständige vermögen die bestehenden Zweifel nicht auszuräumen, welche insbesondere darin begründet sind, dass zeitnah zum Unfall keinerlei Hörbefunde vorliegen, welche überhaupt den Schluss auf eine durch die psychische Stresseinwirkung bedingte Hörschädigung zulassen könnten. Deutlich wird dies vor allem am Gutachten von Prof. Dr. H, welcher zwar auf das Fehlen objektiver Befunde hinweist, jedoch die glaubhaften Aussagen des Klägers, dass die Hörminderung zusammen mit dem Tinnitus posttraumatisch aufgetreten sei, ausreichen lässt, obwohl diese keineswegs in sich schlüssig sind. So ergibt sich wie schon gesagt aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 05. Mai 2000, dass der Kläger gegenüber den Ärzten angegeben haben soll, erst seit 1999 und damit gerade nicht ab der Zeit unmittelbar nach dem Unfall unter Ohrengeräuschen zu leiden. Der erste objektive Befund eines Tinnitus‘ wurde ohnehin erst im Rahmen der auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet erstatteten Begutachtung zum Ersten Rentengutachten aus dem Jahr 2001 mittels einer AEP-Untersuchung im Dezember 2000 erhoben und weist damit keinen hinreichenden (zeitlichen) Bezug zum angeschuldigten Ereignis auf.

Die Ausführungen von Dr. M sind ebenfalls nicht überzeugend. Er nimmt an, der Tinnitus sei otogen, d.h. durch einen Innenohrprozess bedingt, ausgelöst worden, und stellt im Übrigen kaum eigene Kausalitätserwägungen an. Er verweist vor allem auf die schriftliche Äußerung von Prof. Dr. L vom 13. Dezember 2012. Dieser nun stellt vornehmlich auf stressbedingte, ggf. mit einem Tinnitus einhergehende Hörstürze ab und verweist auf Experimente mit Meerschweinchen. Damit verfehlt er jedoch den hier gebotenen Einzelfallbezug; Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger stressbedingt einen Hörsturz erlitt, liegen schlichtweg nicht vor. Auch die von Prof. Dr. L in Bezug genommenen Veröffentlichungen von Prof. Dr. H beziehen sich auf Konstellationen, welche durch Hörstürze geprägt sind. Davon abgesehen deckt Dr. M mit seinem Hinweis auf Feldmann et al., Tinnitus, S. 145, wonach der akute Tinnitus mit und ohne begleitende sensorineurale Schwerhörigkeit als Hörsturzäquivalent aufgrund seines plötzlichen Beginns und der hohen Spontanremissionsrate der Auslösung durch Stress zugeordnet werden könne, letztlich auf, woran es hier fehlt, nämlich am Nachweis eines dem angeschuldigten Ereignis unmittelbar auf den Fuße folgenden Tinnitus’. Indem eben dies fehlt, lässt sich der Nachweis eines stressbedingten Tinnitus‘ von vornherein nicht führen. Davon abgesehen lassen Dr. M und Prof. Dr. H mit ihrer These einer gleichsam otogenen bzw. auf einer Innenohrhochtonschwerhörigkeit beruhenden und zugleich unfallbedingten Tinnitusproblematik außer Acht, dass zeitnah zum Unfall auch gar kein Hörschaden festgestellt wurde. Jedenfalls lässt sich ein solcher weder dem Reha-Entlassungsbericht vom 05. Mai 2000 noch dem Ersten Rentengutachten aus dem Jahr 2001 entnehmen. Aus dem vom Kläger vorgelegten Attest der HNO-Ärztin U vom 16. November 2004 ergibt sich, dass er sich bei ihr erst ab Oktober 2004 in Behandlung befand, so dass die im Attest enthaltene Aussage, der Tinnitus habe nach dem bekannten Trauma akut eingesetzt, ebenfalls nur auf den Angaben des Klägers beruhen kann. Hinzukommt in diesem Zusammenhang, dass der Kläger der HNO-Ärztin jedenfalls nicht einmal von einer unmittelbar nach dem Unfall eintretenden Schwerhörigkeit berichtete. Davon abgesehen stellte die HNO-Ärztin bei ihrer Untersuchung im Oktober 2004 nur eine leichte altersentsprechende Hochtonsenke und ansonsten keinen pathologisch-neurootologischen Befund fest. Der erste greifbare Befund einer Hochtonschwerhörigkeit wurde von Prof. Dr. W anlässlich der von ihm im Jahr 2008 durchgeführten Begutachtung, mithin erst rund zehn Jahre nach dem Unfall gestellt, so dass sich die Sachverständigen Dr. M und Prof. Dr. H fragen lassen müssen, wie sich dann bereits unmittelbar nach dem Unfall der – otogene bzw. auf einer Innenohrschädigung beruhende – Tinnitus eingestellt haben bzw. ohne unfallnah eingetretene (mittelgradige) Innenohrhochtonschwerhörigkeit ein unfallbedingter Tinnitus eingetreten sein soll. Gleiches gilt für die vorgelegte Stellungnahme von Prof. Dr. L, der mit Bezug auf die 2008 festgestellte Innenohrschädigung (ab 2 kHz bis 60 und 65 dB) bezüglich des Kausalzusammenhangs auf ein vorgeschädigtes Innenohr abstellt, obwohl tatsächlich bis 2004 keine Innenohrschwerhörigkeit nachgewiesen ist.

Zusammengefasst ließe sich nach den Ausführungen der Sachverständigen Prof. Dr. W, Dr. M und Prof. Dr. H vorliegend die Zusammenhangsfrage unter der Prämisse bejahen, dass bewiesen ist, dass dem Unfall entweder ein Tinnitus oder eine Innenohrschwerhörigkeit unmittelbar auf den Fuße folgte. Dies ist jedoch gerade nicht der Fall. Ohne entsprechende Brückenbefunde für den vorliegenden Fall an der These einer stressbedingten Tinnitusentstehung festzuhalten, verbietet sich angesichts des Standes der einschlägigen hals-nasen-ohren-ärztlichen Wissenschaft und Forschung, auf welche u.a. auch Prof. Dr. L mit seiner ergänzenden Stellungnahme zum schriftlichen Sachverständigengutachten von Dr. M verweist, wonach die These einer stressbedingten Tinnitusentstehung in ihrer allgemeinen Aussage gerade nicht bestätigt werden kann, was sich mit dem dieser Entscheidung zugrunde gelegten Schrifttum (vgl. nochmals Feldmann/ Brusis, a.a.O., S. 361) deckt. Hiervon ausgehend kann hier letztlich sogar dahinstehen, ob Stress als relevanter Faktor sowohl der Entstehung und als auch bei der Bewältigung des Tinnitus berücksichtigt werden muss. Vorliegend finden sich jedenfalls keine unfallnahen audiologischen Befunde, welche den Schluss auf eine unfall-, d.h. hier stressbedingte Tinnitusentstehung nahe legen könnten.

Nach den umfassenden Begutachtungen des Klägers hat sich der Senat auch eingedenk der ihm aus § 103 SGG obliegenden Untersuchungsmaxime nicht zu weiteren Ermittlungen veranlasst gesehen.

Den zuletzt in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen des Klägers, die bislang gehörten Gutachter erneut anzuhören, musste nicht nachgegangen werden.

Soweit der Kläger eine Anhörung bzw. Vorladung von Beratungsärzten der Beklagten (Dr. de V und ein – bis zuletzt als solcher nicht in Erscheinung getretener - Dr. B) beantragt hat, besteht ein entsprechender prozessualer Anspruch von vornherein nicht, weil es insofern nur um die Verwertung von Verwaltungs- bzw. Privatgutachten geht (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, SGG Kommentar, 10. Aufl. 2012, § 118 Rn. 12d).

Soweit der Kläger unter Bezugnahme auf seine früheren Schriftsätze vom 20. März und 20. April 2012 eine Stellungnahme zum Hinweis des Berichterstatters vom 16. März 2012 und eine Vorladung von Prof. Dr. W begehrt, welcher nochmals im Berufungsverfahren zum Sachverständigen berufen worden ist, mag ein Fragerecht zwar nicht von vornherein ausgeschlossen sein, jedoch hat der Kläger bis zuletzt, d.h. sowohl im Schriftsatz vom 20. April 2012 als auch in den Schriftsätzen vom 02. Dezember 2013 und 23. Januar 2014 gar nicht konkret umschrieben, um welchen Fragekomplex es gehen soll; d.h., der Kläger hätte zumindest auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten hinweisen müssen (vgl. zum entsprechenden Erfordernis etwa BSG, Urteil vom 12. April 2000 – B 9 VS 2/99 R -, zitiert nach juris Rn. 20, und etwa Keller, a.a.O., Rn. 12f). Gerade dies hat er in Bezug auf das für ihn günstige Gutachten nicht getan.

Gegen eine Vorladung von Prof. Dr. W spricht auch, dass eine solche nicht mehr sachdienlich gewesen wäre, nachdem er spätestens mit seiner vom Senat eingeholten ergänzenden Stellungnahme Gelegenheit gehabt hatte, sich, worum es dem Kläger ja geht, mit den Einwendungen von Dr. de Vauseinanderzusetzen und die hierzu denkbaren Fragen zu beantworten (vgl. Keller, ebd.).

Aus den gleichen Gründen – Fehlen eines konkret umschriebenen Fragenkomplexes und fehlende Sachdienlichkeit - mussten auch die Sachverständigen Dr. M und Prof. Dr. H nicht zwecks Befragung durch den Kläger zur mündlichen Verhandlung geladen werden, welche im Übrigen bei voller Aktenkenntnis einschließlich des Hinweises des Berichterstatters vom 16. März 2012 und der beratungsärztlichen Stellungnahmen der Beklagten, mithin eingedenk der sich hier darbietenden arbeitsmedizinischen Kernfragen ihre Begutachtungen durchführen konnten.

Von alldem abgesehen erscheinen die vom Kläger mit Schriftsätzen vom 02. Dezember 2013 und 23. Januar 2014 gestellten Anträge auch verspätet. Der Antrag auf Befragung eines Sachverständigen muss rechtzeitig vor der mündlichen Verhandlung gestellt werden, damit der Sachverständige geladen und eine Vertagung vermieden werden kann (vgl. BSG, ebd., und Keller, a.a.O., Rn. 12e). Demgegenüber hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29. August 2013 - nach Erhalt der Sachverständigengutachten von Dr. M und Prof. Dr. H - weder den Antrag auf Ladung von Prof. Dr. W zur mündlichen Verhandlung aufrecht erhalten noch einen Antrag auf Ladung der Sachverständigen Dr. M und Prof. Dr. H gestellt. Soweit er dies erstmals mit Schriftsatz vom 02. Dezember 2013 getan hat, nachdem ihm bereits ausweislich des aktenkundigen Empfangsbekenntnisses vom 29. November 2013 die Ladung bereits zugestellt worden war, ist dies erst zu einem Zeitpunkt geschehen, in welchem es dem Senat ausgeschlossen erschienen ist, sämtliche vom Kläger benannten Ärzte noch zur mündlichen Verhandlung am 23. Januar 2014 zu laden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens in der Sache selbst.

Da keine Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG vorliegen, ist die Revision nicht zuzulassen. Weder ist – mangels klärungsbedürftiger Rechtsfrage - etwas für eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (Nr. 1) noch etwas für eine Abweichung von einer höchstrichterlichen Entscheidung (Nr. 2) ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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