L 2 U 240/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 25 U 1/09 BB
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 2 U 240/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Es begegnet keine Bedenken, wenn die Exposition von ehemaligen Wismut-Bergleuten nach dem Abschlussbericht "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" ermittelt wird (Anschluss an BSG, Urteil vom 18. August 2004, B 8 KN 2/03 U R).
2. Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen Strahlendosis und Erkrankung sind die Untersuchungen zu staub-/strahlenbedingten Lungenfibrosen bei ehemaligen Wismutbergarbeitern des Robert-Koch-Instituts Berlin vom 30. Juni 2000 als aktueller Erkenntnisstand der medizinischen Wissenschaft im Hinblick auf die wirksame Schwellendosis zu berücksichtigen.
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juli 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Anerkennung seiner interstitiellen Lungenerkrankung als Berufskrankheit (BK) Nr. 2402 (Erkrankungen durch ionisierende Strahlen) der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).

Der 1945 geborene Kläger war, soweit vorliegend relevant, von September 1970 bis Februar 1981 zunächst als Lehrhauer, dann als Hauer mit Sprengberechtigung bei der ehemaligen Sowjetisch-Deutschen Aktiengesellschaft (SDAG) W, Jugendbergbaubetrieb K, und im Anschluss daran zunächst bis Dezember 1981 als Transportarbeiter sowie von Januar 1982 bis März 1991 erneut als Hauer im VEB B und AF, Betrieb Zinnerz A tätig.

Im Juni 2008 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf die genannten Tätigkeiten die Feststellung einer Berufskrankheit. Er übermittelte einen Bericht des Diagnostisch Therapeutischen Zentrums am F vom 15. Mai 2008 über einen CT-Befund des Thorax aufgrund des Verdachts auf eine interstitielle Lungenerkrankung, eine Aufstellung seiner Tätigkeiten und bisher erfolgter Behandlungen sowie seinen Sozialversicherungs(SV)-Ausweis.

Die Beklagte richtete eine Anfrage an die W GmbH, Personalarchiv H,die mit Schreiben vom 16. Juli 2008 einen Berufslebenslauf und eine Bescheinigung über Ausfallzeiten übermittelte und angab, dass die Strahlenexposition infolge Inhalation der kurzlebigen Radonfolgeprodukte ca. 29 WLM, infolge Inhalation der im Staub enthaltenen langlebigen Radionuklide ca. 0,9 kBqh/m³ und infolge der externen Exposition durch Gamma-Strahlung ca. 70,2 mSv betragen habe. Der Berechnung sei der Abschlussbericht zum Forschungsvorhaben der Bergbau-BG "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" des Autorenkollektivs unter der Leitung von Dipl.-Ing. F. L1997 zugrunde gelegt worden. Für den Zeitraum von 1981 bis 1991 übersandte die Gesellschaft zur Verwahrung und Verwertung von stillgelegten Bergwerksbetrieben mbH (GVV mbH) eine Arbeitsanamnese vom 17. Juli 2008 und gab an, dass nicht ausgeschlossen werden könne, dass der Kläger ionisierender Strahlung ausgesetzt gewesen sei. Die Beklagte holte hierzu eine Stellungnahme des Technischen Aufsichtsdienstes (TAD) ein, der unter dem 28. Juli 2008 ausführte, dass der Kläger für 20 Jahre und 3 Monate unter Tage exponiert gegenüber ionisierender Strahlung gewesen sei. Die Dosis auf das alveoläre/interstitielle Lungengewebe betrage gerechnet nach Jacobi und Roth (1995) 428, 55 mSv, die kumulative Strahlenbelastung WLM (Working Level Month).

Die Beklagte holte einen Befundbericht der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. S vom 21. August 2008 ein, die weitere Unterlagen übersandte, u. a. einen Arztbrief der Ärztin für Innere Medizin Dr. S vom 26. Juni 2008 über einen Verdacht auf Lungenfibrose, ausgeführt ist hier ferner, dass der Kläger seit frühester Jugend Nikotinabusus betreibe. Die Fachärztin für Arbeitsmedizin Dr. S führte mit gewerbeärztlicher Stellungnahme vom 19. August 2008 aus, dass zwar nach gegenwärtigen medizinischen und epidemiologischen Erkenntnissen eine Lungenfibrose auch durch die Einwirkung ionisierender Strahlung verursacht werden könne. Es werde hierfür aber ein wirksamer Dosisbereich von etwa 12 Sv angenommen, um mit hinreichender Wahrscheinlichkeit von einer für dieses Krankheitsbild ursächlichen Strahlenwirkung ausgehen zu können. Dieser Dosisbereich werde für den Kläger weit unterschritten, weshalb die Anerkennung als BK nicht vorgeschlagen werden könne.

Mit Bescheid vom 19. November 2008 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK Nr. 2402 der Berufskrankheiten-Liste und – pauschal – die Gewährung von Leistungen ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 17. Dezember 2008 zurück. Der durch den TAD ermittelte Wert einer akkumulierten Dosis von insgesamt rund 0,429 Sv liege deutlich unter den nach heutigen Kenntnissen maßgeblichen Schwellwerten von 12 bzw. 8 Sv.

Im Klageverfahren hat das Sozialgericht Berlin auszugsweise den Abschlussbericht der Prof. Dr. Arndt/Dr. Koch des Robert-Koch-Institutes Berlin: "Untersuchungen zu staub-/strahlenbedingten Lungenfibrosen bei ehemaligen bergarbeitern" vom 30. Juni 2000 beigezogen und mit Gerichtsbescheid vom 01. Juli 2009 die hiergegen erhobene Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, dass es sich bei der Lungenfibrose, einer grundsätzlich nicht bösartigen Lungenerkrankung, um einen – im Gegensatz zu Tumorerkrankungen – so genannten nicht stochastischen Schaden handele. Derartige Strahlenschäden beruhten auf der Zelltötung. Diese trete erst nach Erreichen einer bestimmten Schwellendosis auf. Unterhalb der Schwellendosis wirke die Bildung neuer Zellen in ausreichendem Maße der Zelltötung entgegen. Aufgrund der Ergebnisse des Forschungsprojektes des Robert-Koch-Institutes (RKI) sei die strahlenbedingte Verursachung einer Lungenfibrose grundsätzlich erst ab einer akkumulierten Dosis von 8 Sv möglich und ab einer solchen von 12 Sv wahrscheinlich. Beim Kläger liege nur eine akkumulierte Gesamtdosis von 0,43 Sv vor und damit ein Wert, der weit davon entfernt sei, eine Lungenfibrose wesentlich hinreichend wahrscheinlich zu verursachen. Medizinische Ermittlungen erübrigten sich vor diesem Hintergrund.

Gegen diesen ihm am 22. Juli 2009 zugegangenen Gerichtsbescheid richtet sich die am 10. August 2009 eingegangene Berufung des Klägers. Der Kläger bezweifelt aufgrund seiner langjährigen Tätigkeit untertage weiterhin den ermittelten Wert für die Gesamtdosis von 0,43 Sv. Er sei über einen Zeitraum von über 20 Jahren untertage unstreitig einer Strahlenbelastung ausgesetzt gewesen. Auch bei seiner Tätigkeit im Zinnerzbergbau sei er einer Strahlenbelastung, insbesondere mit Radon, ausgesetzt gewesen, die sicher nicht so hoch wie in der Zeit bei der W, aber durchaus gesundheitsbeeinträchtigend gewesen sei. Bei seiner Einstellung im September 1970 sei im Rahmen der Tauglichkeitsuntersuchung festgestellt worden, dass er vollkommen gesund gewesen sei. Auch auf den Laufzetteln sei bei jeder Reihenuntersuchung regelmäßig sein guter Gesundheitszustand vermerkt worden. Seine Tätigkeit als Sprenghauer untertage sei ursächlich für die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes, da beim Sprengen Uran freigesprengt worden sei. Die sich bildenden Gase sowie der durch die Sprengung entstandene Staub seien hierbei eingeatmet worden. Von den ihm bekannten Bergleuten bei der W seien ca. 150 bereits an Lungenkrebs verstorben. Es seien untertage immer wieder Messungen vorgenommen worden, die Messergebnisse seien den deutschen Bergleuten jedoch nicht mitgeteilt worden. Die W habe eine exzessive Geheimhaltung betrieben, so dass der Abschlussbericht nicht auf umfassenden objektiven Erkenntnissen beruhe, sondern nur auf Teilen belastbaren Materials. Repräsentative Messwerte zur Ermittlung der individuellen Exposition seien bis 1990 nicht verfügbar. Zweifelhaft sei, ob die bergbaulichen Ausgangsdaten für den Bergbaubetrieb Königstein richtig seien. Es werde angeregt, weitere Auskünfte zu den gemessenen Ergebnissen beim Rechtsnachfolger der sowjetischen Streitkräfte einzuholen. 1976 sei nach 6 Wochen andauernder Bohr- und Sprengarbeiten untertage nach einem Besuch eines Offiziers der sowjetischen Streitkräfte die Strecke vermauert worden, weil die gemessenen Werte ionisierender Strahlung lebensgefährlich hoch für die Bergleute gewesen seien. Es werde beantragt, ein Sachverständigengutachten einzuholen.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 1. Juli 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 19. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2008 aufzuheben und festzustellen, dass die bei ihm bestehende Lungenerkrankung eine Berufskrankheit Nr. 2402 der Anlage zur BKV ist.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass Grundlage der Ermittlung der Exposition des Klägers der Abschlussbericht "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" gewesen sei, der in fast 10.000 Feststellungsverfahren der Verwaltung zur BK Nr. 2402 der Expositionsbeurteilung zugrunde gelegen habe. Die Sozialgerichtsbarkeit folge durchgängig diesem Ansatz. Auch das Bundessozialgericht (BSG) bezeichne in seinem Urteil vom 18. August 2004 (Aktenzeichen B 8 Kn 2/03 UR) den Abschlussbericht als eine Datenbasis, auf deren Grundlage eine verlässliche, individuelle Feststellung der Verursachungswahrscheinlichkeit möglich sei. Im Übrigen habe der TAD in seiner Expositionseinschätzung vom 28. Juli 2008 auch die Strahlenbelastung im Zinnerzbergbau von 1981 bis 1991 beachtet. Diese sei in die akkumulierte Gesamtdosis von 0,43 Sv eingeflossen. Nicht jede unter Tage Tätigkeit gehe mit einer erhöhten Strahlenbelastung einher. Die vom Kläger dargestellte intensive Geheimhaltung der Wismut könne für die Zeit bis 1990 bestätigt werden; danach seien die Originalmessprotokolle aber öffentlich gemacht worden und Grundlage der in der Folgezeit gefertigten Analysen.

Die Beklagte hat Stellungnahmen ihrer Abteilung Prävention vom 17. Dezember 2012 und vom 26. September 2013 übermittelt, wonach sich auch aufgrund der im Berufungsverfahren angestellten Ermittlungen keine weiteren relevanten Expositionen ergäben. Die Originalmessprotokolle der SDAG W seien in die Berechnungen eingeflossen. Die Probleme bei der Wetterführung und mit erhöhten Strahlenwerten, die zur zeitweisen Sperrung der Abbauorte geführt hätten, seien der Forschungsgruppe zum Abschlussbericht bekannt gewesen und hätten zu einem Sicherheitszuschlag für mögliche Ausfälle in der Wetterführung geführt. Der vom TAD für die Grube Altenberg ermittelte Wert von 4,4 WLM sei vergleichbar mit dem nunmehr seitens der GVV mbH übermittelten Wert von 5 WLM.

Das Gericht hat eine weitere Anfrage an die W GmbH zu möglichen Erkenntnissen über die Strahlenbelastung von September 1970 bis Februar 1981 eingeholt; diese übersandte auszugsweise Unterlagen aus der Personalakte des Klägers und teilte mit Schreiben vom 4. Juli 2012 mit, den Berufslebenslauf des Klägers nochmals überprüft zu haben. Es bestehe völlige Übereinstimmung mit den am 16. Juli 2008 der Beklagten übermittelten Daten. Die Ermittlung stattgehabter Belastungen mit ionisierender Strahlung während der tatsächlich ausgeübten beruflichen Tätigkeiten bei der Wvor 1990 sei nicht auf der Grundlage personenbezogener Daten aus Messprotokollen erfolgt. Hier werde vielmehr der Abschlussbericht des Autorenkollektivs unter der Leitung von Dipl.-Ing. F. L 1997 herangezogen. Dies sei eine alternativlose Praxis. Strahlenmessungen seien in der W erst ab ca. 1955 durchgeführt worden. Diese hätten jedoch nicht dazu gedient, die Belastungen der Mitarbeiter zu erfassen, sondern der Suche nach Uran. Durch Nachstellung der Abbaubedingungen der früheren Jahre im Rahmen des Forschungsvorhabens seien neue Messwerte gewonnen, historische Messdaten überprüft und für diese Arbeit berücksichtigt worden. Letztendlich sei im Rahmen des Forschungsvorhabens für die gesamte Produktionszeit der W eine Job-Exposure-Matrix (JEM) erarbeitet worden, nach der für jede erfasste Tätigkeit eine wirklichkeitsnahe Zuordnung der Expositionen in Abhängigkeit von der Art des Betriebes und der Tätigkeit vorgenommen werden könne. Sie ermögliche für alle Tätigkeiten der W eine erheblich exaktere Abschätzung der Belastung durch kurzlebige Radonfolgeprodukte, langlebige Radionuklide und externe Gammastrahlung.

Die GVV mbH übermittelte auf erneute Anfrage des Gerichts zunächst lediglich die bereits genannte und bekannte Arbeitsanamnese. Mit Schreiben vom 8. Oktober 2012 teilte sie weiter mit, anlässlich der Anfrage des Gerichts dort archivierte Unterlagen gesichtet zu haben. Nach aufgefundenem Schriftverkehr seien offensichtlich die Grenzwerte der Radonbelastung ab ca. 1981 eingehalten bzw. unterschritten worden. In diesem Zusammenhang sei eine Namensliste von ehemaligen bzw. damals noch beschäftigten Mitarbeitern aufgestellt worden, die während ihres Berufslebens erhöhten Strahlenbelastungen ausgesetzt gewesen seien; der Name des Klägers werde in dieser Namensliste nicht geführt. Mit Schreiben vom 9. September 2013 teilte sie weiter mit, dass ihr Messprotokolle nicht vorlägen. Aufgrund der Tätigkeit in der Zinnerzgrube Altenberg von März 1981 bis März 1991 (Stilllegung des Betriebes) sei man in Zusammenhang mit einer 1993 erfolgten Aufforderung des Bergwerks Altenberg, strahlenexponierte Beschäftigte mit einer Mindestbelastung von 20 WLM zu benennen, für den Kläger von einer Belastung von 5 WLM ausgegangen. Beigefügt war u. a. auszugsweise eine "Radonbelastungskartei Zinnerzgrube Altenberg" vom 12. Oktober 1992, die für den Kläger eine Radonbelastung von 5 WLM und für andere Beschäftigte deutlich höhere Belastungen bis zu 530 WLM auswies.

Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin übermittelte den Kläger betreffende dort befindliche Unterlagen.

Das Gericht hat ferner die seitens des Klägers benannten Zeugen schriftlich befragt, insoweit wird auf die Antworten des schichtführenden Steigers F (eingegangen am 01. März 2013) und der ehemaligen Kollegen des Klägers R und M, eingegangen am 14. und 16. August 2013, Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten sowie den der Verwaltungsakte der Beklagten.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Der erstinstanzliche Gerichtsbescheid vom 1. Juli 2009 und der Bescheid der Beklagten vom 19. November 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 17. Dezember 2008 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die bei ihm bestehende Lungenerkrankung eine BK 2402 ist.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch, Siebtes Buch, Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als solche bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Zu den vom Verordnungsgeber bezeichneten Berufskrankheiten gehören nach Nr. 2402 der Anlage zur BKV Erkrankungen durch ionisierende Strahlen.

Voraussetzung für die Anerkennung und Entschädigung einer Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die vorliegende Erkrankung konkret individuell durch entsprechende Einwirkungen des Stoffes wesentlich verursacht bzw. verschlimmert worden ist und dass die Einwirkungen wesentlich durch die versicherte Tätigkeit verursacht worden sind. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß im Sinne eines Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden. Lediglich für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung einerseits und zwischen der schädigenden Einwirkung und der eingetretenen Erkrankung andererseits reicht die hinreichende Wahrscheinlichkeit – nicht allerdings die bloße Möglichkeit – aus (Bundessozialgericht (BSG), SozR 3-2200 § 551 Nr. 16 m. w. N.).

Unter Beachtung dieser Vorgaben hat der Kläger keinen Anspruch auf die Feststellung, dass die Voraussetzungen der BK 2402 der Anlage zur BKV vorliegen. Denn eine ausreichende Exposition gegenüber ionisierenden Strahlen im Sinne der BK 2402 ist nicht im nötigen Vollbeweis nachgewiesen. Der Kläger war während des Zeitraums seiner Tätigkeit von September 1970 bis März 1991 einer Gesamtdosis von lediglich 0,43 Sv ausgesetzt. Dies steht fest aufgrund der Feststellungen des TAD der Beklagten vom 28. Juli 2008, denen sich das Gericht anschließt. Grundsätzlich ist das Gericht nicht gehindert, seiner Entscheidung Stellungnahmen eines TAD zugrunde zu legen (BSG, Urteil vom 19. August 2003, Az. B 2 U 1/02 R, zitiert nach juris). Im vorliegenden Fall begegnete die Berechnungsweise des TAD auch keinen Bedenken. Hierbei war zunächst zu beachten, dass dem Recht der Berufskrankheiten eine sog. Worst-case-Betrachtung grundsätzlich fremd ist und dass die stattgehabten Einwirkungen im Wege des Vollbeweises bewiesen sein müssen (BSG, Urteil vom 15. September 2011, Az. B 2 U 25/10 R, zitiert nach juris). Zu Recht hat der TAD vorliegend die Exposition unter Heranziehung der Job-Exposure-Matrix in der Anlage zu dem Abschlussbericht "Belastung durch ionisierende Strahlung im Uranerzbergbau der ehemaligen DDR" berechnet. Diese Vorgehensweise entspricht den Vorgaben in der das bisherige Merkblatt ersetzenden Stellungnahme des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Berufskrankheiten" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales zur BK 2402 der Anlage 1 zur BKV (Bek. des BMAS vom 24. Oktober 2011 – Iva 4-45222-2402, GMBl. 2011, Nr. 49 – 51, S. 983 ff, hier I C, S. 7), wo ausgeführt ist, dass die Abschätzung der beruflichen Strahlenexposition ehemaliger Beschäftigter der SDAG Wismut über diese JEM erfolgt. Derartige Merkblätter sind nach der Rechtsprechung jedenfalls dann für die Beurteilung heranzuziehen, wenn sie – wie dies vorliegend der Fall ist - zeitnah erstellt oder aktualisiert worden sind und sich auf dem neuesten Stand befinden (BSG; Urteil vom 27. Juni 2006, Az. B 2 U 13/05 R, zitiert nach juris.de). Auch das Bundessozialgericht hat diesen Abschlussbericht als Datenbasis bezeichnet, die verlässliche individuelle Feststellungen ermöglicht (BSG, Urteil vom 18. August 2004, Az. B 8 KN 2/03 R, Rdnr. 21, zitiert nach juris).

Eine höhere Exposition konnte nicht festgestellt werden. Sowohl die Wismut GmbH als auch die GVV mbH haben auf Nachfragen und nach erneuter Suche in den Archiven abgesehen von der "Radonbelastungskartei Zinnerzgrube Altenberg" vom 12. Oktober 1992 keine weiteren für den Kläger relevanten personenenbezogenen Daten gefunden, der genannten Radonbelastungskartei ist mit 5 WLM keine wesentlich andere Belastung des Klägers zu entnehmen als bisher zugrunde gelegt wurde. Die Vermutung des Klägers, dass angesichts seiner langjährigen Tätigkeit die Exposition höher sein müsse, konnte durch nichts bestätigt werden. Zwar wird mit einer Tätigkeit bei der Wismut allgemein eine erhebliche Strahlenexposition assoziiert. Dem genannten Forschungsbericht "Belastung durch ionisierende Strahlung " ist jedoch in einem vorangestellten Kurzüberblick zur Entwicklung der Arbeitsbedingungen (S. 33 ff.) und zur Überwachung der Strahlenexposition (S. 39 ff.) zu entnehmen, dass die Arbeitsbedingungen in den Grubenbetrieben besonders in den 40er und 50er Jahren durch hohe Arbeitsschwere unter unzureichenden Bewetterungsverhältnissen gekennzeichnet waren, während sich die Grubenbetriebe in den 70er und 80er Jahren zu modernen Bergbaubetrieben entwickelt hätten. Ab 1955 waren die messtechnischen Voraussetzungen zur Ermittlung der Radon- bzw. Radon-Folgeprodukt-Konzentration vorhanden, ab 1964 bzw. 1967 existierten gesetzliche Forderungen (Strahlenschutzverordnung, Instruktion zur Durchsetzung des Strahlenschutzes). Diese Verbesserungen können ohne weiteres erklären, weshalb bei anderen Wismut-Arbeitern deutlich höhere Expositionen als bei dem dort erst ab 1970 tätig gewesenen Kläger festgestellt wurden.

Weitere Ermittlungen zur Exposition waren nach allem nicht anzustellen. Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 26. April 2013 die Vernehmung weiterer Zeugen dazu beantragt hat, dass es weitere einzelne Vorkommnisse gegeben habe, die im Hinblick auf die Strahlenbelastung relevant sein könnten, bzw. beantragt hat, den russischen Präsidenten um Auskunft zu etwaigen weiteren Messungen zu bitten, handelt es sich beweistechnisch um unzulässige so genannte Ausforschungsanträge, da dem Kläger abgesehen von einem einzigen Ereignis im Jahre 1976 selbst nicht einmal die Mitteilung solcher konkreter Ereignisse zu einzelnen konkreten Gefahrsituationen möglich war. Vielmehr soll das Gericht erst gefährdende Situationen ermitteln, um dem Kläger konkrete Tatsachenbehauptungen zu seiner Exposition zu ermöglichen. Danach liegt nicht ein Beweisantrag, sondern ein unzulässiger Ausforschungsantrag vor. Denn es ist im Beweisrecht unzulässig, Behauptungen aufzustellen, die nicht im erforderlichen Maß substantiiert sind, und Beweiserhebungen zur erforderlichen, aber unterbliebenen Substantiierung zu beantragen (Hartmann in Baumbach/Lauterbach/ Albers/Hartmann, ZPO, Einf. § 284 Rn. 27). Zum anderen sind die Zeugenvernehmungen auch ungeeignet, das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen zu beweisen, wie die im Verfahren bereits durchgeführten schriftlichen Vernehmungen einzelner Zeugen hinreichend gezeigt haben. Diese konnten lediglich bekunden, dass es Messungen gegeben hat, was jedoch nicht neu ist; vielmehr sind die Ergebnisse Tausender derartiger Messungen in die Job-Exposure-Matrix und damit auch in die Berechnung der Exposition des Klägers bereits eingeflossen. Die daneben noch benannten Zeugen sollen nach Darlegung des Klägers bekunden, dass es "weitere einzelne" Vorkommnisse gegeben habe, die im Hinblick auf die Strahlenbelastung "relevant sein können". Selbst wenn derartige Vorkommnisse geschildert würden, wäre die Höhe der daraus folgenden Strahlenbelastung damit noch nicht zu ermitteln. Darüber hinaus hat die Beklagte unter Verweis auf den Forschungsbericht "Belastung durch ionisierende Strahlung " bereits dargelegt, dass hierin Sicherheitszuschläge für derartige Vorkommnisse enthalten seien. Soweit der Kläger vermutet, dass Messergebnisse nicht vollständig mitgeteilt worden seien, ist nicht ersichtlich, wie dies und die angeblichen weiteren Messergebnisse von den Zeugen offengelegt werden könnten. Die Folgen der Nichterweislichkeit einer höheren Belastung treffen nach allgemeinen Grundsätzen, wonach jeder im Rahmen des anzuwendenden materiellen Rechts die Beweislast für die Tatsachen trägt, die den von ihm geltend gemachten Anspruch begründen, vorliegend den Kläger.

Die nach allem feststehende Exposition von lediglich 0,43 Sv war nicht geeignet, die beim Kläger vorliegende interstitielle Lungenerkrankung bei Verdacht auf Lungenfibrose zu verursachen. Zur Begründung wird hier und insgesamt auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil verwiesen, denen sich das Gericht anschließt (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). Bei der Lungenfibrose handelt es sich – im Gegensatz zu Tumorerkrankungen – nicht um einen sog. stochastischen (zufälligen), sondern um einen deterministischen Schaden, der auf Zelltötung beruht und erst nach Erreichen einer bestimmten Schwellendosis auftritt, da unterhalb der Schwellendosis die Bildung neuer Zellen in ausreichendem Maße der Zelltötung entgegenwirkt. Diese Schwellendosis hat die Beklagte zu Recht dem Ergebnis des Abschlussberichtes "Untersuchungen zu staub-/strahlenbedingten Lungenfibrosen bei ehemaligen bergarbeitern" des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 30. Juni 2000 entnommen, der den herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Meinungsstand zur Kausalitätsbeurteilung wiedergibt (vgl. ebenso Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 1190, m. w. N.). Danach soll die Anerkennung einer diffusen interstitiellen Lungenfibrose nach der Nr. BK 2402 nur nach erfolgter qualifizierter Dosisabschätzung für das alveoläre/interstitielle Lungengewebe unter Berücksichtigung der Job-Exposure-Matrix und des Jacobi II-Gutachtens und nach Ausschluss einer Autoimmunerkrankung oder anderer Ursachen erfolgen, wobei erst bei einer Exposition ) 12 Sv eine Verursachung wahrscheinlich ist. Bei einer akkumulierten Dosis von ( 5 Sv, wie sie beim Kläger vorliegt, ist eine Verursachung danach unwahrscheinlich.

Soweit der Kläger ausführt, dass die Untersuchung des RKI im Jahre 2000 sich auf Ergebnisse der US-amerikanischen Forschergruppe Archer gestützt habe, die teilweise eine geringere Schwellendosis von 4 bis 7 Sv angegeben hätten, ist darauf hinzuweisen, dass für den Kläger auch der geringere dieser Schwellenwerte nicht einmal ansatzweise, sondern lediglich zu etwa einem Zehntel erreicht wird, so dass keine Veranlassung bestand, dem nachzugehen. Soweit er einwendet, dass die zusätzliche Belastung durch Stäube nicht berücksichtigt worden sei, kann auch dies dahinstehen, da im Rahmen der allein streitgegenständlichen BK 2402 lediglich durch Strahlungen verursachte Erkrankungen anerkennungsfähig sind. Zudem sind die hohen Staubbelastungen in die Untersuchung des RKI eingeflossen, wie bereits dem Titel des Abschlussberichts "Untersuchungen zu staub-/strahlenbedingten Lungenfibrosen " ohne Weiteres zu entnehmen ist.

Auch soweit der Kläger die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage angeregt hat, ob die vom RKI genannte Strahlendosis von 8 Sv bzw. 12 Sv, ab der eine strahlenbedingte Verursachung möglich bzw. wahrscheinlich ist, nicht zu hoch angesetzt sei, war dem nicht nachzukommen. Entscheidungsbasis für die Kausalitätsbeurteilung muss - schon aus Gründen der Gleichbehandlung aller Versicherten - stets der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand sein (Bundessozialgericht BSG , Urteil vom 2. April 2009, B 2 U 9/08 R, zitiert nach juris, und BSG vom 9. Mai 2006, B 2 U 1/05 R, Rdnrn. 25 ff.; BSG vom 27. Juni 2006, B 2 U 5/05 R, Rdnrn. 16 ff.; BSG vom 27. Juni 2006, B 2 U 13/05, Rdnrn. 16 f., alle zitiert nach juris). Unter dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist die herrschende Meinung der mit der Problematik vertrauten Fachwissenschaftler zu verstehen und nicht etwa eine wenn auch aktuelle – Einzelmeinung. Wie dargelegt, handelt es sich bei dem Abschlussbericht des RKI vom 30. Juni 2000 um den herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Meinungsstand zur Kausalitätsbeurteilung. Hieran besteht angesichts der Qualität und des Umfangs der Untersuchung, bei der auf 270 Seiten umfassend internationale Veröffentlichungen zum Thema ausgewertet worden waren, weiter angesichts der Bedeutung des RKI und aufgrund des Umstandes, dass etwa im Standardwerk Schönberger/Mehrtens/Valentin dieselben Werte genannt werden kein Anlass zu Zweifeln. Ein Sachverständigengutachten ist daher für die Klärung der vom Kläger aufgeworfenen Frage, ob die zugrunde gelegten Werte zu hoch seien, nicht geeignet, da ein solches lediglich zu einer im Ergebnis nicht erheblichen Einzelmeinung führen kann. Die Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Forschung ist hingegen nicht Aufgabe des Gerichts.

Auch das weitere Vorbringen des Klägers konnte zu keiner abweichenden Beurteilung führen. Soweit er ausführt, dass ca. 150 ehemalige bei der W tätig gewesene Kollegen bereits an Lungenkrebs verstorben seien, ist darauf hinzuweisen, dass die hohe Anzahl derartiger Erkrankungen durchaus bekannt ist und Anlass für die genannten und weitere Forschungsberichte (Jakobi-Gutachten) war. Der Kläger selbst ist jedoch nicht an Krebs, sondern an einer nicht bösartigen interstitiellen Lungenerkrankung bei Verdacht auf eine Lungenfibrose erkrankt. Auch die Verursachung dieser Erkrankung bei ehemaligen Wismut-Arbeitern war, wie oben dargelegt, Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen, deren Ergebnis vorliegend zugrunde gelegt wurde.

Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung auf bei einem Kollegen festgestellte höhere Belastungen verwies, führt auch dies nicht zu Zweifeln am gefundenen Ergebnis. Zunächst einmal wurde dessen Belastung nicht, wie der Kläger angab, mit 300 WLM festgestellt, vielmehr betrug sie ausweislich der von der GVV mbH zu den Akten gereichten Radonbelastungskartei Zinnerzgrube Altenberg lediglich 47 WLM. Nach dem Abschlussbericht des RKI vom 30. Juni 2000 werden Dosiskonversionsfaktoren für das interstitielle Lungengewebe von 8 bis 30 mSv/WLM (Bericht Seite 26, Tabelle 11) zugrunde gelegt. Das Standardwerk Schönberger/Mehrtens/Valentin bezeichnet den Dosiskonversionsfaktor unter Verweis auf das Jakobi-I-Gutachten mit 8 mSv/WLM (a. a. O., S. 1190). Unterstellt man, dass der Kläger in der Zinnerzgrube Altenberg tatsächlich derselben Belastung ausgesetzt war wie sein Kollege, wären zu seiner Gesamt-Belastung von 33,18 WLM = 428,55 mSv, in denen bereits 5 WLM für den Bereich der Zinnerzgrube A enthalten sind, weitere 42 WLM zu addieren, bei einem Konversionsfaktor von 12,91, wie er beim Kläger vom TAD zugrunde gelegt wurde, umgerechnet also weitere 542,22 mSv, mit dem Ergebnis, dass mit dann insgesamt 0,97 Sv weiterhin der Bereich von 12 Sv, ab dem eine Verursachung wahrscheinlich ist, nicht einmal zu einem Zehntel erreicht ist. Selbst unter Zugrundelegung des für den Kläger günstigsten Konversionsfaktors würde nichts wesentlich anderes gelten, dann wären 1260 mSv zu addieren, also lediglich eine – ebenfalls nicht annähernd ausreichende - Exposition von 1,68 Sv erreicht.

Nach alledem war die Berufung daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG lagen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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