Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
22
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 69 R 6609/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 22 R 384/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2010 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites auch für das Berufungsverfahren zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen durch Anerkennung einer Überbrückungszeit vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 als Zeitraum zwischen der Beendigung der letzten Beschäftigung in K bis zur Einreise des Klägers als Spätaussiedler in die Bundesrepublik.
Der im Juni 1947 geborene Kläger ist anerkannter Spätaussiedler - Ausweis vom 11. Januar 1994. Er beantragte am 1. März 1993 die Ausreise aus K, welche ihm am 30. Mai 1993 genehmigt wurde. Dies war verbunden mit der Notwendigkeit, sein bisheriges Arbeitsverhältnis als Musikdozent zum 31. Mai 1993 zu kündigen. Ungeachtet der Kündigung arbeitete der Kläger unentgeltlich bis zum 30. Juni bzw. 5. Juli 1993 weiter, insbesondere um die Prüfungen seiner Schüler nicht ausfallen zu lassen. Er erhielt am 5. Juli 1993 das Visum. Am 31. August 1993 verkaufte er die Eigentumswohnung und reiste Ende September/Anfang Oktober 1993 mit dem Zug aus K aus und erreichte die Bundesrepublik am 6. Oktober 1993. Hier meldete er sich noch am selben Tag arbeitslos. Ihm wurde beginnend ab 6. Oktober 1993 Eingliederungshilfe gewährt bis Mai 1994. Er war seitdem durchgehend arbeitslos und bezog Grundsicherungsleistungen nach dem BSHG und dem SGB II; zeitweise lebte er vom Einkommen seiner Ehefrau.
Er beantragte am 14. Februar 2007 bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Juni 2007 ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Im verlängerten Zehnjahreszeitraum vom 1. Juni 1995 bis 30. Juni 2007 würden keine Pflichtbeiträge vorhanden sein.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 27. Juni 2007 Widerspruch ein. Zu dessen Begründung führte er aus, dass er bis zum 30. Juni 1993 weiter gearbeitet habe. Juli und August seien ohnehin Urlaubszeit für die Lehrer in K gewesen. Am 28. September 1993 habe er die Bahn nach Deutschland genommen. Für einen früheren Zeitpunkt habe er keine Fahrkarte erhalten können.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5. Juli 2007 eine Anerkennung der Zeiträume vom 1. Juni 1993 bis 5. Oktober 1993 ab; diese Zeiträume könnten weder als Beitrags- oder Beschäftigungs-, auch nicht als Anrechnungs- oder Ersatzzeiten anerkannt werden. Den dagegen eingelegten Widerspruch vom 25. Juli 2007 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2007 zurück, der Zeitraum vom 1. Juni 1993 bis 5. Oktober 1993 sei keine Anrechnungszeit, aber auch keine Überbrückungszeit, weil eine solche höchstens bei einer Dauer von drei Monaten anerkannt werden könne. Gegen diese Entscheidungen wandte sich der Kläger mit seiner Klage vom 13. November 2007.
Den Widerspruch gegen die Rentenablehnung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2008 zurück, weil eine weitere Verlängerung des Zehnjahreszeitraums nicht möglich gewesen sei. Die dagegen ebenfalls beim SG Berlin zum Aktenzeichen S 17 R 4400/08 erhobene Klage wurde durch Beschluss vom 13. November 2008 zum früheren Verfahren verbunden.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 4. März 2010 dahingehend stattgegeben, dass der Bescheid vom 1. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2008 aufgehoben wurde und die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger ab 1. Juli 2007 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Beide Klagen seien zulässig gewesen. Allerdings sei die auf Vormerkung einer Anrechnungszeit für den Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 gerichtete Klage unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Vormerkung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 29 FRG vom Kläger nicht erfüllt würden. Die Vormerkung des genannten Zeitraums als Überbrückungszeit sei vom Kläger nicht beantragt und könne im Rahmen des Vormerkungsverfahrens nicht berücksichtigt werden, weil nach § 149 Abs 5 Satz 3 SGB VI über die Anrechnung und Bewertung erst bei Feststellung einer Leistung zu entscheiden sei. Dagegen bestehe ein Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, weil sämtliche Voraussetzungen, insbesondere auch die versicherungsrechtlichen erfüllt seien. Der Zeitraum für die Erfüllung von acht Jahren mit Pflichtbeiträgen in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn verlängere sich im Falle des Klägers um Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit und eine Überbrückungszeit vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993, so dass die letzten acht Arbeitsjahre des Klägers in K für die Verwirklichung der 8/10-Belegung herangezogen werden könnten. Die genannte Überbrückungszeit müsse deshalb anerkannt werden, weil der Kläger im gesamten Zeitraum den Bezug zum Kreis der Arbeitssuchenden im Sinne von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI gewahrt habe. Nach den Gesamtumständen habe der Kläger die rentenversicherungsrechtliche Lücke nicht verschuldet; sein Verhalten sei im Zusammenhang mit der bevorstehenden Auswanderung sozialadäquat gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme insofern dem Umstand der sofortigen Arbeitslosmeldung nach Einreise in die Bundesrepublik große Bedeutung bei. Die Beschäftigungsaufgabe im Herkunftsgebiet sei zwangsläufig mit der Ausreisegenehmigung verbunden gewesen. Dies ergebe sich aus der Bescheinigung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Republik Kasachstan vom 27. August 2007. Die Darstellung der zeitlichen Abläufe durch den Kläger vom Erhalt der Ausreisegenehmigung, über die Ausstellung des Einreisevisums am 29. Juni 1993 bis zur Übergabe dieses Visums am 5. Juli 1993 durch ein Mitglied der Organisation "Wiedergeburt" sei glaubhaft. Eine miterkennende ehrenamtliche Richterin der Kammer habe diese Verfahrensweise aus eigener Sachkunde bestätigt. Es sei entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht der Sphäre des Klägers zuzurechnen, dass dieser nicht zeitnah einen Flug nach Deutschland erhalten konnte. Auch insofern habe die ehrenamtliche Richterin den Vortrag des Klägers bestätigt, dass die Flugreisen durch die Bundesrepublik für die Spätaussiedler kostenfrei gestellt worden seien, jedoch Wartezeiten von drei Monaten nicht unüblich gewesen seien. Ein zeitlicher Vorlauf zur Erlangung auch einer Bahnfahrkarte von einem Monat sei als üblich anzusehen. Es sei für die Kammer nachvollziehbar, dass der Kläger erst nach Erhalt des Visums den Verkauf der Eigentumswohnung betrieben habe. Eine starre Dreimonatsgrenze für die Anerkennung eines Überbrückungszeit Raums ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG nicht. Dieses stelle vielmehr auf den Einzelfall und darauf ab, aus welchem Grunde die Erwerbstätigkeit unterblieben sei. Das Verhalten des Klägers sei insgesamt als sozialadäquat zu bewerten, ohne dass es zu einer rechtlich relevanten Unterbrechung des Bezuges zum Kreis der Arbeitssuchenden gekommen wäre.
Mit ihrer Berufung vom 29. April 2010 vertritt die Beklagte die Auffassung, allein die sofortige Arbeitslosmeldung nach Einreise reiche nicht, den Kläger dem Kreis der Arbeitssuchenden weiter zuzurechnen. Die Ausreisemodalitäten seien letztendlich sekundär. Der Kläger habe das Visum am 5. Juli 1993 erhalten, jedoch erst Ende August 1993 nach Tickets nachgefragt. Weshalb er diese längere Zeit benötigt habe, sei nicht geklärt worden. Diese Verzögerung sei allein der Sphäre des Klägers zuzurechnen. Dieser habe im Widerspruch darauf hingewiesen dass die Monate Juli und August Urlaubszeit gewesen seien, was gegen eine Arbeitssuche durch ihn spreche. Die Berücksichtigung der Kenntnisse der ehrenamtlichen Richterin müsse deshalb beanstandet werden, weil dieser Umstand nicht Gegenstand des schriftlichen Verfahrens und auch nicht der mündlichen Verhandlung gewesen sei. Der Kläger sei im Zeitraum ab 1. Juni 1993 bis zu seiner Ausreise aus rechtlichen Gründen an einer Beschäftigungsaufnahme gehindert und deshalb nicht subjektiv arbeitslos gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hat die schriftlichen Erklärungen der Zeugen M vom 1. September 2007, B vom 3. September 2007 zu seinen Arbeitsbemühungen und der Zeugen L vom 2. September 2013, N vom 2. September 2013 und Z vom 4. September 2013 zur Bestätigung der Fortsetzung seiner Tätigkeit bis 5. Juli 1993 sowie den Kaufvertrag vom 31. August 1993 über den Verkauf seiner Eigentumswohnung vorgelegt. Seit 1. August 2011 bezieht er Regelaltersrente.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Darstellung und Feststellungen im Urteil vom 4. März 2010 entsprechend § 153 Abs 1, 136 Abs 2 SGG Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann gemäß § 155 Abs 3, 4 SGG durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben.
Die Entscheidung des Sozialgerichts ist, soweit sie durch die Berufung hinsichtlich ihres Ergebnisses angefochten wird, nicht zu beanstanden. Der Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Überbrückungstatbestand, also als ein Zeitraum der nach § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, der noch keine Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung und der anschließenden Anrechnungszeit nach Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Nr 3a darstellt, zu bewerten. Fehlt es an einer Unterbrechung, wird der nach § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI erforderliche Zeitraum von zehn Jahren vor Beginn der Rente, in denen acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung vorliegen müssen, um die durchgehend seit 6. Oktober 1993 bis zum möglichen Rentenbeginn von der Beklagten anerkannten Anrechnungszeiten verlängert. Dadurch werden jedenfalls die Beschäftigungszeiten vom 1. Juni 1985 bis 31. Mai 1993 - also acht Jahre iSd FRG versicherter Beschäftigung - für die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 137 Abs 1 Nr 4 SGB VI wirksam. Die anderen Leistungsvoraussetzung nach § 237 Abs 1 SGB VI waren am 30. Juni 2007 erfüllt denn der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt das 60. Lebensjahr vollendet, hatte die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt, war vor 1952 geboren und am 1. Juli 2007 und vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007, also mehr als 52 Wochen, arbeitslos.
Der Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 ist zwar keine Anrechnungszeit nach §§ 29 Abs 1 FRG, 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI, denn es fehlte infolge des nachgewiesenen Beschäftigungsverbotes (siehe Bescheinigung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Republik Kasachstan vom 27. August 2007) an der rechtlichen Möglichkeit zur Beschäftigung, so dass der Kläger wegen des durch § 29 Abs 1 Satz 3 FRG vorgegebenen Maßstabes nicht im Sinne Arbeitslosengeldrechts des SGB III arbeitslos war.
Der genannte Zeitraum ist jedoch im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Überbrückungstatbestand, also als ein Zeitraum der nach § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, der noch keine Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung und der anschließenden Anrechnungszeit nach Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Nr 3a darstellt, zu bewerten. Das von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestandsmerkmal des Überbrückungstatbestands dient der weiteren Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Unterbrechung" (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 8/07 R, RdNr 15). Es trägt dem Umstand Rechnung, dass dieser Begriff nicht nur eine zeitliche Dimension, sondern auch einen kausalen Bezug aufweist. Denn ein solches Verständnis entspricht Sinn und Zweck des § 58 SGB VI. Die Regelung soll dem Versicherten einen Ausgleich für bestimmte unverschuldete Beitragsausfälle (zB wegen Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit) gewähren (BSG ebd mwN). Mithin gewährleistet die Überbrückungszeit den Anschluss, dh sie füllt vorhandene Lücken zwischen dem Ende der versicherten Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit (bzw einer Anrechnungszeit) und dem Beginn einer (weiteren) Anrechnungszeit aus, wobei die Zeit selbst keine Anrechnungszeit ist. Sie gewährleistet lediglich, dass der Zurechnungszusammenhang mit nachfolgenden Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten bestehen bleibt (BSG ebd mwN).
Rechtfertigender Grund für die Anerkennung einer Überbrückungszeit ist im Wesentlichen, dass der Versicherte im jeweiligen Zeitraum noch dem Kreis der Arbeitsuchenden iS des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI zuzuordnen ist. In die entsprechende Wertung haben Gesichtspunkte einzufließen, die den Schutzzweck der Norm berücksichtigen. Vor allem kommt es darauf an, ob der Versicherte nach den Gesamtumständen noch dem eine Versicherungspflicht begründenden aktiven Erwerbsleben zuzurechnen ist, ob also während des Lückenzeitraums ein hinreichender Zusammenhang hiermit besteht. Eine entsprechende Annahme liegt nahe, wenn die Lücke unverschuldet, also durch vom Versicherten nicht zu vertretende Umstände, oder durch ein sozialadäquates, insbesondere durch ein von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten entstanden ist (BSG ebd RdNr 16 mwN).
Allgemein hat das BSG bereits zu verschiedenen Überbrückungstatbeständen darauf hingewiesen, dass es mit zunehmender Dauer der Lücke immer schwerer wird, die erforderliche Verbindung zwischen der davor- und der dahinterliegenden Zeit der Arbeitslosigkeit herzustellen (BSG ebd RdNr 18 mwN). Es hat für den sog. Selbsthilfeversuch und in Pflegefällen eine Dauer von sechs Monaten nicht als Unterbrechung angesehen (BSG ebd RdNr 17 mwN für den Selbsthilfeversuch, für die Pflegetätigkeit RdNr 18 mwN). In Einzelfällen wurden sogar deutliche längere Zeiträume als sechs Monate für zulässig gehalten (BSG ebd RdNr 21 mwN). Das Merkmal der Unterbrechung in § 58 Abs 2 SGB VI beinhaltet aber die Erwartung einer Fortsetzung der Erwerbsarbeit in Form einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit (BSG ebd RdNr 18 mwN). Notwendige Voraussetzung für einen Überbrückungstatbestand im Rahmen des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI ist daher, dass der Versicherte im jeweiligen Zeitraum noch zum Kreis der "Arbeitssuchenden" iS dieser Norm gehört (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2002, B 4 RA 54/01 R, RdNr 20) Hiervon kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn er die aktive Suche nach einem Arbeitsplatz "ohne rentenversicherungsrechtlich anerkannten Grund" unterbricht oder aufgibt. Daher sind nur solche Zeiten als Überbrückungstatbestände anzuerkennen, in denen der Versicherte ua entweder um seine Wiedereingliederung in eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit bemüht oder hieran aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen gehindert war (BSG ebd mwN).
Eine Höchstdauer von drei Monaten oder eine andre Zeitspanne für die Annahme eines Überbrückungszeittatbestandes bei Einreise von Spätaussiedlern hat das BSG bislang weder anerkannt noch bestätigt. Für das BSG zeigt die sofortige Arbeitslosmeldung der Spätaussiedler nach Einreise in die Bundesrepublik das weitere Bemühen, in das Erwerbsleben wieder eingegliedert zu werden (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2002, B 4 RA 54/01 R, RdNr 21). Nicht in der Sphäre des Versicherten liegende Gründe bestehen, wenn der Versicherte auf Grund seines Ausreiseantrages das Beschäftigungsverhältnis beenden musste und bis zur Ausreise seitens der Behörden im Ausreisestaat wegen des Ausreisewunsches an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert war (BSG ebd). Im Lichte der Wertungen des FRG ist davon auszugehen, dass den begünstigten Vertriebenen durch die Ausreise grundsätzlich keine Nachteile ua in der Rentenversicherung entstehen sollten (BSG ebd RdNr 22). Zwar bezieht sich dieser Nachteilsausgleich ua nur auf rentenrechtliche Zeiten; soweit jedoch ein Verlust dadurch droht, dass, bedingt durch den Ausreiseantrag und das Verhalten der ausländischen Behörden, eine Lücke zwischen Ende der letzten Beschäftigung im Vertreibungsgebiet und Beginn der rentenrechtlichen Zeit im Inland eingetreten ist, ist es gerechtfertigt, diese Lücke als Überbrückungszeit zu qualifizieren, um den Wertungen des FRG ausreichend Rechnung zu tragen (BSG ebd). In derartigen Fällen kommt es nach der Rechtsprechung des BSG für die Annahme einer Überbrückungszeit nicht auf subjektive Vermittelbarkeit durch rechtliche Erlaubnis zur Arbeit an.
Nach diesen Maßstäben ist auch der Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 im Falle des Klägers als Überbrückungszeit zu bewerten. Der Kläger hat sich unverzüglich nach seiner Einreise in die Bundesrepublik, nämlich noch am Ankunftstag arbeitssuchend gemeldet. In Kasachstan war er seit Erteilung der Ausreisegenehmigung nur wegen dieser an weiterer Beschäftigung gehindert. Ein eigenständiges Verhalten, dass als aktive Beendigung der Arbeitssuche oder Arbeitsaufgabe anzusehen sein könnte, ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil hat der Kläger trotz bestehenden Beschäftigungsverbots, das durch die kasachische Behörde ausdrücklich bestätigt wurde (Bescheinigung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Republik K vom 27. August 2007), noch im Juni entgeltfrei weitergearbeitet. Durch die Zeugenerklärungen (M und B) von September 2007 ist zudem belegt, dass sich der Kläger trotz des Beschäftigungsverbotes um Arbeit bemühte und ohne Beschäftigungsverbot auch hätte erlangen können. Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Erklärungen bestehen nicht, insbesondere die Beklagte hat keine Einwände hinsichtlich der Überzeugungskraft dieser Erklärungen gehabt, sondern vielmehr ihren eigenen Prozessvortrag darauf aufgebaut, dass der Kläger subjektiv nicht arbeitslos gewesen sei, weil er einem Beschäftigungsverbot unterlegen habe. Dass der Kläger im Widerspruch auf die Urlaubszeit verwiesen hat, kann nicht als Hinweis auf einen fehlenden Willen zur Beschäftigung angesehen werden, sondern muss im Kontext der fehlenden Möglichkeit, seine bisherige Tätigkeit weiter zu verrichten, betrachtet werden, zumal in der Urlaubszeit das Beschäftigungsverhältnis ja auch fortbesteht. In seinem Fall kommt aber der Unterbindung einer Erwerbstätigkeit durch den k Staat wegen des Ausreisewillens des Klägers trotz dessen fortbestehenden und tatsächlich auch betätigten Beschäftigungswunsches entscheidende Bedeutung zu.
Eine aktive Unterbrechung der Zugehörigkeit zur Gruppe der Arbeitsuchenden war in seinem Fall auch nicht durch Zeitablauf anzunehmen. Die für andere Fallkonstellationen als Höchstgrenze angesehene Dauer von sechs Monaten war in seinem Fall nicht erreicht. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass er unter dem Gesichtspunkt sozialadäquaten Verhaltens die Ausreise unangemessen verzögert hätte. Unter Beachtung der Grundsätze des BSG kann im Falle des Klägers eine Maximaldauer zwischen Beendigung der letzten Beschäftigung und Einreise nicht derart pauschal zugrunde gelegt werden, dass darin enthaltene Zeiträume, die durch vom Kläger nicht zu beeinflussende Umstände bewirkt wurden, zuungunsten des Bezuges des Klägers zum Versicherungsverhältnis berücksichtigt würden.
Dazu zählt zunächst der Zeitraum bis zur Erlangung der Aus- und Einreisepapiere. Dieser betrug seit dem Ende der Beschäftigung ohnehin nur sehr wenige Tage, war vom Kläger nicht im Sinne einer Beschleunigung sachgerecht zu beeinflussen und auch hinsichtlich seiner Dauer sozialadäquat, wenn man die Üblichkeit und Zulässigkeit der Übermittlung durch zuverlässige Kontaktpersonen angesichts der großen geografischen Distanzen bedenkt.
Für eine angemessene Zeitdauer zwischen Erhalt der Reisepapiere und Einreise dürfte es unter Betrachtung der vom BSG geforderten Sozialadäquanz auf die durch die Bundesrepublik geförderten Einreisemittel ankommen. Jedenfalls als sozialadäquat muss es angesehen werden, wenn die von einem Vertreibungsschicksal betroffenen Spätaussiedler für den Weg vom Ausreiseland in die Bundesrepublik die von der Bundesrepublik kostenlos zur Verfügung gestellten Transportmittel nutzen wollen und dabei Wartezeiten in Kauf nehmen. Der Bezug zum relevanten Personenkreis kann angesichts des versicherungsrechtlichen Schicksals der Spätaussiedler durch derartige Wartezeiten nicht unterbrochen werden. Mit den überzeugenden Feststellungen des Sozialgerichts muss daher im Falle des Klägers in der Zeit des Sommers/Herbst 1993 eine dreimonatige Dauer vom Erhalt der Reisepapiere bis zur Ausreise ohne Weiteres als sozialadäquat angesehen werden. Insofern sind hinsichtlich der Annahme des Sozialgerichts, dass Wartezeiten von drei Monaten für von der Bundesrepublik bezahlte und für die einreisewilligen Spätaussiedler zur Verfügung gestellte Flüge keine Ausnahme waren, keine Anhaltspunkte für Zweifel begründet worden. Solche Zweifel ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers, noch aus dem Vortrag der Beklagten oder aus sonstigen vom Gericht zu berücksichtigenden Umständen. Die Feststellungen des Sozialgerichts erscheinen insofern überzeugend.
Selbst wenn man also mit der Beklagten eine Maximaldauer von drei Monaten annehmen wollte, kann diese erst mit dem Erhalt der Papiere am 5. Juli 1993 zu laufen beginnen. Diese Dauer hat der Kläger nicht überschritten und durch Nutzung einer kostenpflichtigen Zugverbindung diesen Zeitrahmen gewahrt, indem er sich am 6. Oktober 1993, also am Tag nach Ablauf der von der Beklagten als noch ausreichend angesehenen Frist arbeitssuchend meldete. Wofür er die Zwischenzeit genutzt hat, ist irrelevant, sofern er durch unverzügliche Meldung zur Arbeitsuche bei Einreise seine Arbeitssuche belegt hat – wie im Falle des Klägers geschehen – und nicht durch ein besonderes Verhalten der Bezug zum Personenkreis der Arbeitssuchenden unterbrochen wurde. Ein solches Verhalten ist – wie bereits erörtert – nicht festzustellen. Das Bemühen, die Eigentumswohnung zu veräußern, muss als sozialadäquat angesehen werden und hat keinerlei Bezug zu einer Aufgabe der Arbeitssuche.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG und berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger dessen außergerichtliche Kosten des Rechtsstreites auch für das Berufungsverfahren zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit im Hinblick auf die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen durch Anerkennung einer Überbrückungszeit vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 als Zeitraum zwischen der Beendigung der letzten Beschäftigung in K bis zur Einreise des Klägers als Spätaussiedler in die Bundesrepublik.
Der im Juni 1947 geborene Kläger ist anerkannter Spätaussiedler - Ausweis vom 11. Januar 1994. Er beantragte am 1. März 1993 die Ausreise aus K, welche ihm am 30. Mai 1993 genehmigt wurde. Dies war verbunden mit der Notwendigkeit, sein bisheriges Arbeitsverhältnis als Musikdozent zum 31. Mai 1993 zu kündigen. Ungeachtet der Kündigung arbeitete der Kläger unentgeltlich bis zum 30. Juni bzw. 5. Juli 1993 weiter, insbesondere um die Prüfungen seiner Schüler nicht ausfallen zu lassen. Er erhielt am 5. Juli 1993 das Visum. Am 31. August 1993 verkaufte er die Eigentumswohnung und reiste Ende September/Anfang Oktober 1993 mit dem Zug aus K aus und erreichte die Bundesrepublik am 6. Oktober 1993. Hier meldete er sich noch am selben Tag arbeitslos. Ihm wurde beginnend ab 6. Oktober 1993 Eingliederungshilfe gewährt bis Mai 1994. Er war seitdem durchgehend arbeitslos und bezog Grundsicherungsleistungen nach dem BSHG und dem SGB II; zeitweise lebte er vom Einkommen seiner Ehefrau.
Er beantragte am 14. Februar 2007 bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1. Juni 2007 ab, weil die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Im verlängerten Zehnjahreszeitraum vom 1. Juni 1995 bis 30. Juni 2007 würden keine Pflichtbeiträge vorhanden sein.
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 27. Juni 2007 Widerspruch ein. Zu dessen Begründung führte er aus, dass er bis zum 30. Juni 1993 weiter gearbeitet habe. Juli und August seien ohnehin Urlaubszeit für die Lehrer in K gewesen. Am 28. September 1993 habe er die Bahn nach Deutschland genommen. Für einen früheren Zeitpunkt habe er keine Fahrkarte erhalten können.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 5. Juli 2007 eine Anerkennung der Zeiträume vom 1. Juni 1993 bis 5. Oktober 1993 ab; diese Zeiträume könnten weder als Beitrags- oder Beschäftigungs-, auch nicht als Anrechnungs- oder Ersatzzeiten anerkannt werden. Den dagegen eingelegten Widerspruch vom 25. Juli 2007 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 31. Oktober 2007 zurück, der Zeitraum vom 1. Juni 1993 bis 5. Oktober 1993 sei keine Anrechnungszeit, aber auch keine Überbrückungszeit, weil eine solche höchstens bei einer Dauer von drei Monaten anerkannt werden könne. Gegen diese Entscheidungen wandte sich der Kläger mit seiner Klage vom 13. November 2007.
Den Widerspruch gegen die Rentenablehnung wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2008 zurück, weil eine weitere Verlängerung des Zehnjahreszeitraums nicht möglich gewesen sei. Die dagegen ebenfalls beim SG Berlin zum Aktenzeichen S 17 R 4400/08 erhobene Klage wurde durch Beschluss vom 13. November 2008 zum früheren Verfahren verbunden.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 4. März 2010 dahingehend stattgegeben, dass der Bescheid vom 1. Juni 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Juni 2008 aufgehoben wurde und die Beklagte verurteilt wurde, dem Kläger ab 1. Juli 2007 Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu gewähren. Im Übrigen wurde die Klage abgewiesen. Beide Klagen seien zulässig gewesen. Allerdings sei die auf Vormerkung einer Anrechnungszeit für den Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 gerichtete Klage unbegründet, weil die Voraussetzungen für die Vormerkung einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 29 FRG vom Kläger nicht erfüllt würden. Die Vormerkung des genannten Zeitraums als Überbrückungszeit sei vom Kläger nicht beantragt und könne im Rahmen des Vormerkungsverfahrens nicht berücksichtigt werden, weil nach § 149 Abs 5 Satz 3 SGB VI über die Anrechnung und Bewertung erst bei Feststellung einer Leistung zu entscheiden sei. Dagegen bestehe ein Anspruch auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit, weil sämtliche Voraussetzungen, insbesondere auch die versicherungsrechtlichen erfüllt seien. Der Zeitraum für die Erfüllung von acht Jahren mit Pflichtbeiträgen in den letzten zehn Jahren vor Rentenbeginn verlängere sich im Falle des Klägers um Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit und eine Überbrückungszeit vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993, so dass die letzten acht Arbeitsjahre des Klägers in K für die Verwirklichung der 8/10-Belegung herangezogen werden könnten. Die genannte Überbrückungszeit müsse deshalb anerkannt werden, weil der Kläger im gesamten Zeitraum den Bezug zum Kreis der Arbeitssuchenden im Sinne von § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI gewahrt habe. Nach den Gesamtumständen habe der Kläger die rentenversicherungsrechtliche Lücke nicht verschuldet; sein Verhalten sei im Zusammenhang mit der bevorstehenden Auswanderung sozialadäquat gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts komme insofern dem Umstand der sofortigen Arbeitslosmeldung nach Einreise in die Bundesrepublik große Bedeutung bei. Die Beschäftigungsaufgabe im Herkunftsgebiet sei zwangsläufig mit der Ausreisegenehmigung verbunden gewesen. Dies ergebe sich aus der Bescheinigung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Republik Kasachstan vom 27. August 2007. Die Darstellung der zeitlichen Abläufe durch den Kläger vom Erhalt der Ausreisegenehmigung, über die Ausstellung des Einreisevisums am 29. Juni 1993 bis zur Übergabe dieses Visums am 5. Juli 1993 durch ein Mitglied der Organisation "Wiedergeburt" sei glaubhaft. Eine miterkennende ehrenamtliche Richterin der Kammer habe diese Verfahrensweise aus eigener Sachkunde bestätigt. Es sei entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht der Sphäre des Klägers zuzurechnen, dass dieser nicht zeitnah einen Flug nach Deutschland erhalten konnte. Auch insofern habe die ehrenamtliche Richterin den Vortrag des Klägers bestätigt, dass die Flugreisen durch die Bundesrepublik für die Spätaussiedler kostenfrei gestellt worden seien, jedoch Wartezeiten von drei Monaten nicht unüblich gewesen seien. Ein zeitlicher Vorlauf zur Erlangung auch einer Bahnfahrkarte von einem Monat sei als üblich anzusehen. Es sei für die Kammer nachvollziehbar, dass der Kläger erst nach Erhalt des Visums den Verkauf der Eigentumswohnung betrieben habe. Eine starre Dreimonatsgrenze für die Anerkennung eines Überbrückungszeit Raums ergebe sich aus der Rechtsprechung des BSG nicht. Dieses stelle vielmehr auf den Einzelfall und darauf ab, aus welchem Grunde die Erwerbstätigkeit unterblieben sei. Das Verhalten des Klägers sei insgesamt als sozialadäquat zu bewerten, ohne dass es zu einer rechtlich relevanten Unterbrechung des Bezuges zum Kreis der Arbeitssuchenden gekommen wäre.
Mit ihrer Berufung vom 29. April 2010 vertritt die Beklagte die Auffassung, allein die sofortige Arbeitslosmeldung nach Einreise reiche nicht, den Kläger dem Kreis der Arbeitssuchenden weiter zuzurechnen. Die Ausreisemodalitäten seien letztendlich sekundär. Der Kläger habe das Visum am 5. Juli 1993 erhalten, jedoch erst Ende August 1993 nach Tickets nachgefragt. Weshalb er diese längere Zeit benötigt habe, sei nicht geklärt worden. Diese Verzögerung sei allein der Sphäre des Klägers zuzurechnen. Dieser habe im Widerspruch darauf hingewiesen dass die Monate Juli und August Urlaubszeit gewesen seien, was gegen eine Arbeitssuche durch ihn spreche. Die Berücksichtigung der Kenntnisse der ehrenamtlichen Richterin müsse deshalb beanstandet werden, weil dieser Umstand nicht Gegenstand des schriftlichen Verfahrens und auch nicht der mündlichen Verhandlung gewesen sei. Der Kläger sei im Zeitraum ab 1. Juni 1993 bis zu seiner Ausreise aus rechtlichen Gründen an einer Beschäftigungsaufnahme gehindert und deshalb nicht subjektiv arbeitslos gewesen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 4. März 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hat die schriftlichen Erklärungen der Zeugen M vom 1. September 2007, B vom 3. September 2007 zu seinen Arbeitsbemühungen und der Zeugen L vom 2. September 2013, N vom 2. September 2013 und Z vom 4. September 2013 zur Bestätigung der Fortsetzung seiner Tätigkeit bis 5. Juli 1993 sowie den Kaufvertrag vom 31. August 1993 über den Verkauf seiner Eigentumswohnung vorgelegt. Seit 1. August 2011 bezieht er Regelaltersrente.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Darstellung und Feststellungen im Urteil vom 4. März 2010 entsprechend § 153 Abs 1, 136 Abs 2 SGG Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Verhandlung gewesen sind, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat kann gemäß § 155 Abs 3, 4 SGG durch den Berichterstatter entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erklärt haben.
Die Entscheidung des Sozialgerichts ist, soweit sie durch die Berufung hinsichtlich ihres Ergebnisses angefochten wird, nicht zu beanstanden. Der Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 ist im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Überbrückungstatbestand, also als ein Zeitraum der nach § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, der noch keine Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung und der anschließenden Anrechnungszeit nach Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Nr 3a darstellt, zu bewerten. Fehlt es an einer Unterbrechung, wird der nach § 237 Abs 1 Nr 4 SGB VI erforderliche Zeitraum von zehn Jahren vor Beginn der Rente, in denen acht Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung vorliegen müssen, um die durchgehend seit 6. Oktober 1993 bis zum möglichen Rentenbeginn von der Beklagten anerkannten Anrechnungszeiten verlängert. Dadurch werden jedenfalls die Beschäftigungszeiten vom 1. Juni 1985 bis 31. Mai 1993 - also acht Jahre iSd FRG versicherter Beschäftigung - für die Erfüllung der versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 137 Abs 1 Nr 4 SGB VI wirksam. Die anderen Leistungsvoraussetzung nach § 237 Abs 1 SGB VI waren am 30. Juni 2007 erfüllt denn der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt das 60. Lebensjahr vollendet, hatte die Wartezeit von 15 Jahren erfüllt, war vor 1952 geboren und am 1. Juli 2007 und vom 1. Juli 2006 bis 30. Juni 2007, also mehr als 52 Wochen, arbeitslos.
Der Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 ist zwar keine Anrechnungszeit nach §§ 29 Abs 1 FRG, 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI, denn es fehlte infolge des nachgewiesenen Beschäftigungsverbotes (siehe Bescheinigung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Republik Kasachstan vom 27. August 2007) an der rechtlichen Möglichkeit zur Beschäftigung, so dass der Kläger wegen des durch § 29 Abs 1 Satz 3 FRG vorgegebenen Maßstabes nicht im Sinne Arbeitslosengeldrechts des SGB III arbeitslos war.
Der genannte Zeitraum ist jedoch im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als Überbrückungstatbestand, also als ein Zeitraum der nach § 58 Abs. 2 Satz 1 SGB VI, der noch keine Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung und der anschließenden Anrechnungszeit nach Abs 1 Satz 1 Nr 3 und Nr 3a darstellt, zu bewerten. Das von der Rechtsprechung entwickelte Tatbestandsmerkmal des Überbrückungstatbestands dient der weiteren Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Unterbrechung" (BSG, Urteil vom 26.07.2007, B 13 R 8/07 R, RdNr 15). Es trägt dem Umstand Rechnung, dass dieser Begriff nicht nur eine zeitliche Dimension, sondern auch einen kausalen Bezug aufweist. Denn ein solches Verständnis entspricht Sinn und Zweck des § 58 SGB VI. Die Regelung soll dem Versicherten einen Ausgleich für bestimmte unverschuldete Beitragsausfälle (zB wegen Arbeitsunfähigkeit, Arbeitslosigkeit) gewähren (BSG ebd mwN). Mithin gewährleistet die Überbrückungszeit den Anschluss, dh sie füllt vorhandene Lücken zwischen dem Ende der versicherten Beschäftigung oder Erwerbstätigkeit (bzw einer Anrechnungszeit) und dem Beginn einer (weiteren) Anrechnungszeit aus, wobei die Zeit selbst keine Anrechnungszeit ist. Sie gewährleistet lediglich, dass der Zurechnungszusammenhang mit nachfolgenden Tatbeständen rentenrechtlicher Zeiten bestehen bleibt (BSG ebd mwN).
Rechtfertigender Grund für die Anerkennung einer Überbrückungszeit ist im Wesentlichen, dass der Versicherte im jeweiligen Zeitraum noch dem Kreis der Arbeitsuchenden iS des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI zuzuordnen ist. In die entsprechende Wertung haben Gesichtspunkte einzufließen, die den Schutzzweck der Norm berücksichtigen. Vor allem kommt es darauf an, ob der Versicherte nach den Gesamtumständen noch dem eine Versicherungspflicht begründenden aktiven Erwerbsleben zuzurechnen ist, ob also während des Lückenzeitraums ein hinreichender Zusammenhang hiermit besteht. Eine entsprechende Annahme liegt nahe, wenn die Lücke unverschuldet, also durch vom Versicherten nicht zu vertretende Umstände, oder durch ein sozialadäquates, insbesondere durch ein von Verfassungs wegen schützenswertes Verhalten entstanden ist (BSG ebd RdNr 16 mwN).
Allgemein hat das BSG bereits zu verschiedenen Überbrückungstatbeständen darauf hingewiesen, dass es mit zunehmender Dauer der Lücke immer schwerer wird, die erforderliche Verbindung zwischen der davor- und der dahinterliegenden Zeit der Arbeitslosigkeit herzustellen (BSG ebd RdNr 18 mwN). Es hat für den sog. Selbsthilfeversuch und in Pflegefällen eine Dauer von sechs Monaten nicht als Unterbrechung angesehen (BSG ebd RdNr 17 mwN für den Selbsthilfeversuch, für die Pflegetätigkeit RdNr 18 mwN). In Einzelfällen wurden sogar deutliche längere Zeiträume als sechs Monate für zulässig gehalten (BSG ebd RdNr 21 mwN). Das Merkmal der Unterbrechung in § 58 Abs 2 SGB VI beinhaltet aber die Erwartung einer Fortsetzung der Erwerbsarbeit in Form einer versicherten Beschäftigung oder Tätigkeit (BSG ebd RdNr 18 mwN). Notwendige Voraussetzung für einen Überbrückungstatbestand im Rahmen des § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB VI ist daher, dass der Versicherte im jeweiligen Zeitraum noch zum Kreis der "Arbeitssuchenden" iS dieser Norm gehört (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2002, B 4 RA 54/01 R, RdNr 20) Hiervon kann nicht mehr ausgegangen werden, wenn er die aktive Suche nach einem Arbeitsplatz "ohne rentenversicherungsrechtlich anerkannten Grund" unterbricht oder aufgibt. Daher sind nur solche Zeiten als Überbrückungstatbestände anzuerkennen, in denen der Versicherte ua entweder um seine Wiedereingliederung in eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit bemüht oder hieran aus nicht in seiner Sphäre liegenden Gründen gehindert war (BSG ebd mwN).
Eine Höchstdauer von drei Monaten oder eine andre Zeitspanne für die Annahme eines Überbrückungszeittatbestandes bei Einreise von Spätaussiedlern hat das BSG bislang weder anerkannt noch bestätigt. Für das BSG zeigt die sofortige Arbeitslosmeldung der Spätaussiedler nach Einreise in die Bundesrepublik das weitere Bemühen, in das Erwerbsleben wieder eingegliedert zu werden (BSG, Urteil vom 31. Oktober 2002, B 4 RA 54/01 R, RdNr 21). Nicht in der Sphäre des Versicherten liegende Gründe bestehen, wenn der Versicherte auf Grund seines Ausreiseantrages das Beschäftigungsverhältnis beenden musste und bis zur Ausreise seitens der Behörden im Ausreisestaat wegen des Ausreisewunsches an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert war (BSG ebd). Im Lichte der Wertungen des FRG ist davon auszugehen, dass den begünstigten Vertriebenen durch die Ausreise grundsätzlich keine Nachteile ua in der Rentenversicherung entstehen sollten (BSG ebd RdNr 22). Zwar bezieht sich dieser Nachteilsausgleich ua nur auf rentenrechtliche Zeiten; soweit jedoch ein Verlust dadurch droht, dass, bedingt durch den Ausreiseantrag und das Verhalten der ausländischen Behörden, eine Lücke zwischen Ende der letzten Beschäftigung im Vertreibungsgebiet und Beginn der rentenrechtlichen Zeit im Inland eingetreten ist, ist es gerechtfertigt, diese Lücke als Überbrückungszeit zu qualifizieren, um den Wertungen des FRG ausreichend Rechnung zu tragen (BSG ebd). In derartigen Fällen kommt es nach der Rechtsprechung des BSG für die Annahme einer Überbrückungszeit nicht auf subjektive Vermittelbarkeit durch rechtliche Erlaubnis zur Arbeit an.
Nach diesen Maßstäben ist auch der Zeitraum vom 1. Juni bis 5. Oktober 1993 im Falle des Klägers als Überbrückungszeit zu bewerten. Der Kläger hat sich unverzüglich nach seiner Einreise in die Bundesrepublik, nämlich noch am Ankunftstag arbeitssuchend gemeldet. In Kasachstan war er seit Erteilung der Ausreisegenehmigung nur wegen dieser an weiterer Beschäftigung gehindert. Ein eigenständiges Verhalten, dass als aktive Beendigung der Arbeitssuche oder Arbeitsaufgabe anzusehen sein könnte, ist nicht zu erkennen. Im Gegenteil hat der Kläger trotz bestehenden Beschäftigungsverbots, das durch die kasachische Behörde ausdrücklich bestätigt wurde (Bescheinigung des Ministeriums für Innere Angelegenheiten der Republik K vom 27. August 2007), noch im Juni entgeltfrei weitergearbeitet. Durch die Zeugenerklärungen (M und B) von September 2007 ist zudem belegt, dass sich der Kläger trotz des Beschäftigungsverbotes um Arbeit bemühte und ohne Beschäftigungsverbot auch hätte erlangen können. Zweifel an der Glaubhaftigkeit dieser Erklärungen bestehen nicht, insbesondere die Beklagte hat keine Einwände hinsichtlich der Überzeugungskraft dieser Erklärungen gehabt, sondern vielmehr ihren eigenen Prozessvortrag darauf aufgebaut, dass der Kläger subjektiv nicht arbeitslos gewesen sei, weil er einem Beschäftigungsverbot unterlegen habe. Dass der Kläger im Widerspruch auf die Urlaubszeit verwiesen hat, kann nicht als Hinweis auf einen fehlenden Willen zur Beschäftigung angesehen werden, sondern muss im Kontext der fehlenden Möglichkeit, seine bisherige Tätigkeit weiter zu verrichten, betrachtet werden, zumal in der Urlaubszeit das Beschäftigungsverhältnis ja auch fortbesteht. In seinem Fall kommt aber der Unterbindung einer Erwerbstätigkeit durch den k Staat wegen des Ausreisewillens des Klägers trotz dessen fortbestehenden und tatsächlich auch betätigten Beschäftigungswunsches entscheidende Bedeutung zu.
Eine aktive Unterbrechung der Zugehörigkeit zur Gruppe der Arbeitsuchenden war in seinem Fall auch nicht durch Zeitablauf anzunehmen. Die für andere Fallkonstellationen als Höchstgrenze angesehene Dauer von sechs Monaten war in seinem Fall nicht erreicht. Es lässt sich auch nicht feststellen, dass er unter dem Gesichtspunkt sozialadäquaten Verhaltens die Ausreise unangemessen verzögert hätte. Unter Beachtung der Grundsätze des BSG kann im Falle des Klägers eine Maximaldauer zwischen Beendigung der letzten Beschäftigung und Einreise nicht derart pauschal zugrunde gelegt werden, dass darin enthaltene Zeiträume, die durch vom Kläger nicht zu beeinflussende Umstände bewirkt wurden, zuungunsten des Bezuges des Klägers zum Versicherungsverhältnis berücksichtigt würden.
Dazu zählt zunächst der Zeitraum bis zur Erlangung der Aus- und Einreisepapiere. Dieser betrug seit dem Ende der Beschäftigung ohnehin nur sehr wenige Tage, war vom Kläger nicht im Sinne einer Beschleunigung sachgerecht zu beeinflussen und auch hinsichtlich seiner Dauer sozialadäquat, wenn man die Üblichkeit und Zulässigkeit der Übermittlung durch zuverlässige Kontaktpersonen angesichts der großen geografischen Distanzen bedenkt.
Für eine angemessene Zeitdauer zwischen Erhalt der Reisepapiere und Einreise dürfte es unter Betrachtung der vom BSG geforderten Sozialadäquanz auf die durch die Bundesrepublik geförderten Einreisemittel ankommen. Jedenfalls als sozialadäquat muss es angesehen werden, wenn die von einem Vertreibungsschicksal betroffenen Spätaussiedler für den Weg vom Ausreiseland in die Bundesrepublik die von der Bundesrepublik kostenlos zur Verfügung gestellten Transportmittel nutzen wollen und dabei Wartezeiten in Kauf nehmen. Der Bezug zum relevanten Personenkreis kann angesichts des versicherungsrechtlichen Schicksals der Spätaussiedler durch derartige Wartezeiten nicht unterbrochen werden. Mit den überzeugenden Feststellungen des Sozialgerichts muss daher im Falle des Klägers in der Zeit des Sommers/Herbst 1993 eine dreimonatige Dauer vom Erhalt der Reisepapiere bis zur Ausreise ohne Weiteres als sozialadäquat angesehen werden. Insofern sind hinsichtlich der Annahme des Sozialgerichts, dass Wartezeiten von drei Monaten für von der Bundesrepublik bezahlte und für die einreisewilligen Spätaussiedler zur Verfügung gestellte Flüge keine Ausnahme waren, keine Anhaltspunkte für Zweifel begründet worden. Solche Zweifel ergeben sich weder aus dem Vortrag des Klägers, noch aus dem Vortrag der Beklagten oder aus sonstigen vom Gericht zu berücksichtigenden Umständen. Die Feststellungen des Sozialgerichts erscheinen insofern überzeugend.
Selbst wenn man also mit der Beklagten eine Maximaldauer von drei Monaten annehmen wollte, kann diese erst mit dem Erhalt der Papiere am 5. Juli 1993 zu laufen beginnen. Diese Dauer hat der Kläger nicht überschritten und durch Nutzung einer kostenpflichtigen Zugverbindung diesen Zeitrahmen gewahrt, indem er sich am 6. Oktober 1993, also am Tag nach Ablauf der von der Beklagten als noch ausreichend angesehenen Frist arbeitssuchend meldete. Wofür er die Zwischenzeit genutzt hat, ist irrelevant, sofern er durch unverzügliche Meldung zur Arbeitsuche bei Einreise seine Arbeitssuche belegt hat – wie im Falle des Klägers geschehen – und nicht durch ein besonderes Verhalten der Bezug zum Personenkreis der Arbeitssuchenden unterbrochen wurde. Ein solches Verhalten ist – wie bereits erörtert – nicht festzustellen. Das Bemühen, die Eigentumswohnung zu veräußern, muss als sozialadäquat angesehen werden und hat keinerlei Bezug zu einer Aufgabe der Arbeitssuche.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG und berücksichtigt die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen hierfür (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) nicht vorliegen.
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