Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 41 VE 165/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 VE 30/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2010 geändert. Der Beklagten wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2009 verpflichtet, den Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 zu ändern und den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zu 1/3 zu erstatten. Im Übrigen sind keine Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Höherbewertung des bei ihm festgestellten Grades der Schädigungsfolgen (GdS) um einen weiteren Zehnergrad auf 70 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit mit einem GdS von insgesamt 20 nach § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).
Der 1949 geborene Kläger arbeitete nach Abschluss seiner Maurerlehre in diesem Beruf. 1967 und 1974 erlitt er zwei Motorradunfälle. Aufgrund des zweiten Unfalls war er über zwei Jahre lang erkrankt. Da er die Tätigkeit als Maurer nicht mehr ausüben konnte, wurde er von 1976 bis 1979 zum Informationstechniker umgeschult. Nachdem er einen weiteren Motorradunfall erlitten hatte, war er vorübergehend als Informationstechniker beschäftigt. Es schlossen sich Zeiten der Arbeitssuche, selbständiger Tätigkeiten und kürzerer Beschäftigungsverhältnisse an.
Wegen Fluchthilfe war er in der DDR vom 9. Januar 1983 bis zum 5. Juni 1985 inhaftiert. Mit Beschluss vom 31. Oktober 1996 stellte das Landgericht Erfurt fest, dass der Kläger diese Freiheitsentziehung zu Unrecht erlitten hatte.
Auf den Antrag des Klägers vom 13. Oktober 2000 erkannte der Beklagte durch Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2000 als Schädigungsfolgen Verfolgungserleben, vermehrtes Misstrauen und sozialen Rückzug, und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 21 StrRehaG, an und gewährte dem Kläger nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE – seit dem 21. Dezember 2007 GdS) von 50 v.H., die gemäß § 30 Abs. 2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit um 10 v.H. auf 60 v.H. angehoben wurde, eine Grundrente. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2008 wurde dem Kläger neben einer Ausgleichsrente ein Berufsschadensausgleich ab Januar 2002 gewährt.
Der Kläger bezog von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vom 1. Februar 2000 an eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (in Höhe von 699,72 DM ab Januar 2001, 1.574,32 DM ab Februar 2001, 1.604,46 DM ab Juli 2001, 820,35 Euro ab Januar 2002, 838,04 Euro ab Juli 2002, 846,79 Euro ab Juli 2003, 851,32 Euro ab Juli 2007 und 860,72 Euro ab Juli 2008), seit dem 1. Oktober 2009 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 881,46 Euro zuzüglich eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 61,70 Euro.
Daneben erhält er eine monatliche Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG, die seinen Angaben zufolge 209,00 Euro netto beträgt.
Wegen der Folgen des Motorradunfalls 1978 gewährte ihm die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft mit Bescheiden vom 5. August 2009 und 12. Mai 2010 eine Teilrente nach einer MdE von 15. v.H. ab 1. Januar 2005 und nach einer MdE von 25 v.H. ab 17. Juni 2008. Die monatliche Rente betrug 234,74 Euro ab 1. Januar 2005, 236,01 Euro ab 1. Juli 2007, 393,35 Euro ab 17. Juni 2008, 397,68 Euro ab 1. Juli 2008 und 407,26 Euro ab 1. Juli 2009.
Unter Anrechnung dieser Teilrente stellte der Beklagte mit Bescheiden vom 3. August 2009 und 18. Juni 2010 die Versorgungsbezüge des Klägers (Grundrente und Berufsschadensausgleich) auf 972 Euro ab Januar 2005, 968 Euro ab Juli 2005, 998 Euro ab Juli 2007, 922 Euro ab Januar 2008, 849 Euro ab Juni 2008, 782 Euro ab Juli 2008 und 786 Euro ab Juli 2009 neu fest.
Am 26. Januar 2009 beantragte der Kläger, die Bescheide vom 11. Februar 2008 und 1. Dezember 2008 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) zu ändern. Er machte geltend, dass nach § 30 Abs. 2 BVG eine Erhöhung der MdE um 20 v.H. in Betracht komme, wenn die berufliche Schädigung außergewöhnlich groß sei. Dies sei bei ihm der Fall.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Mai 2009 ab: Die Voraussetzungen für eine Zugunstenentscheidung seien nicht erfüllt. Bei der besonderen beruflichen Betroffenheit sei die Höherbewertung u.a. anhand des Alters, der Dauer der Ausbildung und der Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit festzusetzen. Bereits die übliche Erhöhung um 10 erfordere besondere berufliche Nachteile. Der Umstand, dass der Kläger eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe, für deren Gewährung die anerkannten Schädigungsfolgen überwiegend ursächlich gewesen seien, begründe noch nicht die Erhöhung um mehr als 10. Tatsächlich beständen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auch schädigungsunabhängige Tatbestände die berufliche Entwicklung beeinträchtigt hätten. Der Kläger habe eine Ausbildung als Maurer abgeschlossen. Auf Grund von zwei Motorradunfällen sei nach vorübergehender Arbeitslosigkeit eine Umschulung zum Informationselektroniker durchgeführt worden, die wegen eines erneuten Motorradunfalls verspätet abgeschlossen worden sei. Dem folge der Versuch, sich als Speiseeishersteller selbständig zu machen. Anschließend sei der Kläger bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1983 arbeitslos gewesen. Insgesamt rechtfertige die berufliche Entwicklung weder nach der Dauer der Ausbildung noch nach der Dauer der speziellen beruflichen Tätigkeit einen höheren Grad der besonderen beruflichen Betroffenheit als 10.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2009 zurück. Zur Begründung verwies er auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.
Daraufhin hat der Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der er unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit mit einem weiteren GdS von 10 Versorgungsleistungen nach einem GdS von 70 begehrt hat.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Der Beklagte habe mit Recht eine weitere Erhöhung des GdS abgelehnt. Zutreffend habe er ausgeführt, dass nicht jeder schädigungsbedingte Bezug einer Erwerbsminderungsrente zur Bejahung einer außergewöhnlichen besonderen beruflichen Betroffenheit führe. Allerdings könne ein Zwang zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit infolge der Schädigungsfolgen – und ein solcher Fall liege hier vor – zu einer außergewöhnlichen beruflichen Schädigung mit der Folge führen, dass der GdS um mehr als 10 zu erhöhen sei. Hierbei seien neben dem Alter und den persönlichen und beruflichen Verhältnisses des Betroffenen seine Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen. Bei dieser Prüfung seien die dem Kläger von dem Beklagten gewährte Grundrente und die monatliche Zuwendung für Haftopfer in Höhe von 209,00 Euro netto nicht zu berücksichtigen, wohl aber die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Unfallrente. Damit stehe dem Kläger ein zu berücksichtigendes Einkommen von rund 2.000 Euro zur Verfügung, ein Betrag, den der Kläger weder erzielte, wenn er heute auf dem Arbeitsmarkt als Informationstechniker arbeitete – das Gehalt betrage für Elektroniker am Berufsanfang 1.300 Euro, für länger tätige Kräfte 1.500 bis 1.800 Euro brutto – noch erhielte, wenn er Rentner wäre, der zuvor in diesem Beruf gearbeitet hätte.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er ist der Ansicht, seit dem Rentenbeginn 2000 liege eine außergewöhnliche berufliche Betroffenheit vor. Unter der Annahme eines entgangenen Bruttoverdienstes in Höhe von 1.800 Euro bis zum 63. oder 65. Lebensjahr hätte er eine jährliche Rentenerhöhung von ca. 20 Euro brutto erreichen können. Ferner hätte sich bis zum 63. Lebensjahr ein Unterschied des Nettoeinkommens von ca. 20 % im Vergleich zur Rente ergeben. Der Beitragszuschuss zur Krankenversicherung könne hierbei nicht berücksichtigt werden, weil er unter Annahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung pflichtversichert gewesen wäre und die teurere freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung nicht eingetreten wäre. Ferner wäre bei einem späteren Leistungsfall die Anwartschaft auf die Mitgliedschaft bei der Krankenversicherung der Rentner im Falle einer Altersrente erreicht worden. Insgesamt stehe er wesentlich schlechter da als ein Geschädigter, der einen Beruf zwar noch ausüben könne, aber die angestrebte berufliche Position, hier als Elektroniker, nicht mehr ausführen könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2009 zu verpflichten, den Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 dahingehend zu ändern, dass ihm die Versorgungsleistungen unter Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach einem weiteren GdS von 10 gewährt werden, hilfsweise, den Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 zu ändern und ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Entscheidung fest.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten einschließlich der der Kläger betreffende Schwerbehindertenakte vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwal-tungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nur zum Teil begründet.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2010, soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt hat, den Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 dahingehend zu ändern, dass ihm die Versorgungsleistungen unter Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach einem weiteren GdS von 10 gewährt werden, im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Denn der Kläger hat hierauf – unabhängig davon, ob sein Antrag vom 26. Januar 2009, wie es dessen Wortlaut nahelegt, auf eine Zugunstenentscheidung im Sinne des § 44 SGB X gerichtet war oder vielmehr so zu verstehen ist, dass der Kläger lediglich eine Ergänzung der behördlichen Entscheidung im Sinne einer weiteren Erhöhung der MdE (bzw. des GdS) um 10 v.H. begehrte – jedenfalls keinen An-spruch.
Nach § 30 Abs. 2 BVG "ist" zwar der GdS höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Schon aus dem Gesetzeswortlaut geht hervor, dass es sich insoweit nicht um eine Ermessensentscheidung der Versorgungsverwaltung handelt, sondern dass diese bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG verpflichtet ist, den nach § 30 Abs. 1 BVG ermittelten GdS zu erhöhen. Das Gesetz enthält allerdings keine eindeutige Regelung, um welches Maß der GdS im Einzelfall höher zu bewerten ist. Die Feststellung des Grades der Erhöhung bedarf daher der Schätzung. Diese obliegt in erster Linie der Versorgungsbehörde. Ihre Einschätzung kann von den Sozialgerichten nur in dem eingeschränkten Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überprüft werden (siehe hierzu Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 14. März 1975 – 10 RV 189/74 –, SozR 3100 § 30 Nr. 6).
Der Kläger hat deshalb lediglich einen Anspruch auf eine fehlerfreie Einschätzung durch den Beklagten. Bei sachdienlicher Auslegung des Klageantrags hat der Kläger bereits vor dem Sozialgericht die Durchsetzung dieses Anspruchs – jedenfalls hilfsweise – im Wege einer Bescheidungsklage begehrt.
Insoweit hat der Kläger Erfolg. Denn der Beklagte hat im Bescheid vom 28. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2009 von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Ein derartiger Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde sich – wie vorliegend – mit einem maßgeblichen Gesichtspunkt nicht auseinandergesetzt hat. Zwar hat der Beklagte erkannt, dass nach § 30 Abs. 2 BVG bereits für die Erhöhung des GdS auf den nächsten Zehnergrad der Betroffene in seinem Beruf "besonders" betroffen sein muss, weshalb eine darüber hinaus gehende Erhöhung um 20 nur dann in Betracht kommt, wenn die berufliche Schädigung "außergewöhnlich" groß ist (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1970 – 9 RV 736/69 –, juris). Zur Einschätzung des Ausmaßes dieser außergewöhnlichen beruflichen Betroffenheit sind die wirtschaftlichen und sonstigen Nachteile des Beschädigten in Betracht zu ziehen. Dabei sind neben dem Alter und den persönlichen und beruflichen Verhältnissen insbesondere die Einkommensverhältnisse, d.h. die Verdiensteinbußen, zu berücksichtigen (so BSG, Urteil vom 14. März 1975 a.a.O.; vgl. auch Dau, in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, Rn. 20 zu § 30 BVG). Dieses Kriterium hat der Beklagte in seiner Entscheidung, in welcher er im Wesentlichen nur auf die berufliche Entwicklung des Klägers nach der Dauer der Ausbildung und der speziellen beruflichen Tätigkeit abstellte, nicht herangezogen. In seiner erneuten Einschätzungsentscheidung über den Antrag des Klägers wird der Beklagte deshalb einzubeziehen haben, ob ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil als Ausdruck einer außergewöhnlichen Berufsbetroffenheit vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Höherbewertung des bei ihm festgestellten Grades der Schädigungsfolgen (GdS) um einen weiteren Zehnergrad auf 70 unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit mit einem GdS von insgesamt 20 nach § 30 Abs. 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) in Verbindung mit dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG).
Der 1949 geborene Kläger arbeitete nach Abschluss seiner Maurerlehre in diesem Beruf. 1967 und 1974 erlitt er zwei Motorradunfälle. Aufgrund des zweiten Unfalls war er über zwei Jahre lang erkrankt. Da er die Tätigkeit als Maurer nicht mehr ausüben konnte, wurde er von 1976 bis 1979 zum Informationstechniker umgeschult. Nachdem er einen weiteren Motorradunfall erlitten hatte, war er vorübergehend als Informationstechniker beschäftigt. Es schlossen sich Zeiten der Arbeitssuche, selbständiger Tätigkeiten und kürzerer Beschäftigungsverhältnisse an.
Wegen Fluchthilfe war er in der DDR vom 9. Januar 1983 bis zum 5. Juni 1985 inhaftiert. Mit Beschluss vom 31. Oktober 1996 stellte das Landgericht Erfurt fest, dass der Kläger diese Freiheitsentziehung zu Unrecht erlitten hatte.
Auf den Antrag des Klägers vom 13. Oktober 2000 erkannte der Beklagte durch Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2000 als Schädigungsfolgen Verfolgungserleben, vermehrtes Misstrauen und sozialen Rückzug, und zwar hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 21 StrRehaG, an und gewährte dem Kläger nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE – seit dem 21. Dezember 2007 GdS) von 50 v.H., die gemäß § 30 Abs. 2 BVG wegen besonderer beruflicher Betroffenheit um 10 v.H. auf 60 v.H. angehoben wurde, eine Grundrente. Mit Bescheid vom 1. Dezember 2008 wurde dem Kläger neben einer Ausgleichsrente ein Berufsschadensausgleich ab Januar 2002 gewährt.
Der Kläger bezog von der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg vom 1. Februar 2000 an eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (in Höhe von 699,72 DM ab Januar 2001, 1.574,32 DM ab Februar 2001, 1.604,46 DM ab Juli 2001, 820,35 Euro ab Januar 2002, 838,04 Euro ab Juli 2002, 846,79 Euro ab Juli 2003, 851,32 Euro ab Juli 2007 und 860,72 Euro ab Juli 2008), seit dem 1. Oktober 2009 eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen in Höhe von 881,46 Euro zuzüglich eines Zuschusses zum Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 61,70 Euro.
Daneben erhält er eine monatliche Zuwendung für Haftopfer nach § 17a StrRehaG, die seinen Angaben zufolge 209,00 Euro netto beträgt.
Wegen der Folgen des Motorradunfalls 1978 gewährte ihm die Verwaltungs-Berufsgenossenschaft mit Bescheiden vom 5. August 2009 und 12. Mai 2010 eine Teilrente nach einer MdE von 15. v.H. ab 1. Januar 2005 und nach einer MdE von 25 v.H. ab 17. Juni 2008. Die monatliche Rente betrug 234,74 Euro ab 1. Januar 2005, 236,01 Euro ab 1. Juli 2007, 393,35 Euro ab 17. Juni 2008, 397,68 Euro ab 1. Juli 2008 und 407,26 Euro ab 1. Juli 2009.
Unter Anrechnung dieser Teilrente stellte der Beklagte mit Bescheiden vom 3. August 2009 und 18. Juni 2010 die Versorgungsbezüge des Klägers (Grundrente und Berufsschadensausgleich) auf 972 Euro ab Januar 2005, 968 Euro ab Juli 2005, 998 Euro ab Juli 2007, 922 Euro ab Januar 2008, 849 Euro ab Juni 2008, 782 Euro ab Juli 2008 und 786 Euro ab Juli 2009 neu fest.
Am 26. Januar 2009 beantragte der Kläger, die Bescheide vom 11. Februar 2008 und 1. Dezember 2008 gemäß § 44 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch (SGB X) zu ändern. Er machte geltend, dass nach § 30 Abs. 2 BVG eine Erhöhung der MdE um 20 v.H. in Betracht komme, wenn die berufliche Schädigung außergewöhnlich groß sei. Dies sei bei ihm der Fall.
Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 28. Mai 2009 ab: Die Voraussetzungen für eine Zugunstenentscheidung seien nicht erfüllt. Bei der besonderen beruflichen Betroffenheit sei die Höherbewertung u.a. anhand des Alters, der Dauer der Ausbildung und der Dauer der Ausübung der speziellen beruflichen Tätigkeit festzusetzen. Bereits die übliche Erhöhung um 10 erfordere besondere berufliche Nachteile. Der Umstand, dass der Kläger eine Erwerbsunfähigkeitsrente beziehe, für deren Gewährung die anerkannten Schädigungsfolgen überwiegend ursächlich gewesen seien, begründe noch nicht die Erhöhung um mehr als 10. Tatsächlich beständen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass auch schädigungsunabhängige Tatbestände die berufliche Entwicklung beeinträchtigt hätten. Der Kläger habe eine Ausbildung als Maurer abgeschlossen. Auf Grund von zwei Motorradunfällen sei nach vorübergehender Arbeitslosigkeit eine Umschulung zum Informationselektroniker durchgeführt worden, die wegen eines erneuten Motorradunfalls verspätet abgeschlossen worden sei. Dem folge der Versuch, sich als Speiseeishersteller selbständig zu machen. Anschließend sei der Kläger bis zu seiner Verhaftung im Jahr 1983 arbeitslos gewesen. Insgesamt rechtfertige die berufliche Entwicklung weder nach der Dauer der Ausbildung noch nach der Dauer der speziellen beruflichen Tätigkeit einen höheren Grad der besonderen beruflichen Betroffenheit als 10.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 3. September 2009 zurück. Zur Begründung verwies er auf die Begründung des angefochtenen Bescheides.
Daraufhin hat der Kläger bei dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben, mit der er unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit mit einem weiteren GdS von 10 Versorgungsleistungen nach einem GdS von 70 begehrt hat.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2010 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt: Der Beklagte habe mit Recht eine weitere Erhöhung des GdS abgelehnt. Zutreffend habe er ausgeführt, dass nicht jeder schädigungsbedingte Bezug einer Erwerbsminderungsrente zur Bejahung einer außergewöhnlichen besonderen beruflichen Betroffenheit führe. Allerdings könne ein Zwang zur Aufgabe jeder Erwerbstätigkeit infolge der Schädigungsfolgen – und ein solcher Fall liege hier vor – zu einer außergewöhnlichen beruflichen Schädigung mit der Folge führen, dass der GdS um mehr als 10 zu erhöhen sei. Hierbei seien neben dem Alter und den persönlichen und beruflichen Verhältnisses des Betroffenen seine Einkommensverhältnisse zu berücksichtigen. Bei dieser Prüfung seien die dem Kläger von dem Beklagten gewährte Grundrente und die monatliche Zuwendung für Haftopfer in Höhe von 209,00 Euro netto nicht zu berücksichtigen, wohl aber die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung und die Unfallrente. Damit stehe dem Kläger ein zu berücksichtigendes Einkommen von rund 2.000 Euro zur Verfügung, ein Betrag, den der Kläger weder erzielte, wenn er heute auf dem Arbeitsmarkt als Informationstechniker arbeitete – das Gehalt betrage für Elektroniker am Berufsanfang 1.300 Euro, für länger tätige Kräfte 1.500 bis 1.800 Euro brutto – noch erhielte, wenn er Rentner wäre, der zuvor in diesem Beruf gearbeitet hätte.
Gegen diese Entscheidung hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Er ist der Ansicht, seit dem Rentenbeginn 2000 liege eine außergewöhnliche berufliche Betroffenheit vor. Unter der Annahme eines entgangenen Bruttoverdienstes in Höhe von 1.800 Euro bis zum 63. oder 65. Lebensjahr hätte er eine jährliche Rentenerhöhung von ca. 20 Euro brutto erreichen können. Ferner hätte sich bis zum 63. Lebensjahr ein Unterschied des Nettoeinkommens von ca. 20 % im Vergleich zur Rente ergeben. Der Beitragszuschuss zur Krankenversicherung könne hierbei nicht berücksichtigt werden, weil er unter Annahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung pflichtversichert gewesen wäre und die teurere freiwillige Mitgliedschaft in der Krankenversicherung nicht eingetreten wäre. Ferner wäre bei einem späteren Leistungsfall die Anwartschaft auf die Mitgliedschaft bei der Krankenversicherung der Rentner im Falle einer Altersrente erreicht worden. Insgesamt stehe er wesentlich schlechter da als ein Geschädigter, der einen Beruf zwar noch ausüben könne, aber die angestrebte berufliche Position, hier als Elektroniker, nicht mehr ausführen könne.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 29. Juni 2010 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 28. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2009 zu verpflichten, den Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 dahingehend zu ändern, dass ihm die Versorgungsleistungen unter Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach einem weiteren GdS von 10 gewährt werden, hilfsweise, den Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 zu ändern und ihn unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält an seiner Entscheidung fest.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten einschließlich der der Kläger betreffende Schwerbehindertenakte vorgelegen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwal-tungsvorgänge der Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung des Klägers ist nur zum Teil begründet.
Das Sozialgericht Berlin hat die Klage mit Urteil vom 29. Juni 2010, soweit der Kläger die Verpflichtung des Beklagten begehrt hat, den Bescheid vom 10. Oktober 2003 in der Fassung des Teilabhilfebescheides vom 11. Februar 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2008 dahingehend zu ändern, dass ihm die Versorgungsleistungen unter Anerkennung einer besonderen beruflichen Betroffenheit nach einem weiteren GdS von 10 gewährt werden, im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Denn der Kläger hat hierauf – unabhängig davon, ob sein Antrag vom 26. Januar 2009, wie es dessen Wortlaut nahelegt, auf eine Zugunstenentscheidung im Sinne des § 44 SGB X gerichtet war oder vielmehr so zu verstehen ist, dass der Kläger lediglich eine Ergänzung der behördlichen Entscheidung im Sinne einer weiteren Erhöhung der MdE (bzw. des GdS) um 10 v.H. begehrte – jedenfalls keinen An-spruch.
Nach § 30 Abs. 2 BVG "ist" zwar der GdS höher zu bewerten, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, in seinem nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen ist, den er nach Eintritt der Schädigung ausgeübt hat oder noch ausübt. Schon aus dem Gesetzeswortlaut geht hervor, dass es sich insoweit nicht um eine Ermessensentscheidung der Versorgungsverwaltung handelt, sondern dass diese bei Vorliegen der besonderen Voraussetzungen des § 30 Abs. 2 BVG verpflichtet ist, den nach § 30 Abs. 1 BVG ermittelten GdS zu erhöhen. Das Gesetz enthält allerdings keine eindeutige Regelung, um welches Maß der GdS im Einzelfall höher zu bewerten ist. Die Feststellung des Grades der Erhöhung bedarf daher der Schätzung. Diese obliegt in erster Linie der Versorgungsbehörde. Ihre Einschätzung kann von den Sozialgerichten nur in dem eingeschränkten Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG überprüft werden (siehe hierzu Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 14. März 1975 – 10 RV 189/74 –, SozR 3100 § 30 Nr. 6).
Der Kläger hat deshalb lediglich einen Anspruch auf eine fehlerfreie Einschätzung durch den Beklagten. Bei sachdienlicher Auslegung des Klageantrags hat der Kläger bereits vor dem Sozialgericht die Durchsetzung dieses Anspruchs – jedenfalls hilfsweise – im Wege einer Bescheidungsklage begehrt.
Insoweit hat der Kläger Erfolg. Denn der Beklagte hat im Bescheid vom 28. Mai 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. September 2009 von seinem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht. Ein derartiger Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde sich – wie vorliegend – mit einem maßgeblichen Gesichtspunkt nicht auseinandergesetzt hat. Zwar hat der Beklagte erkannt, dass nach § 30 Abs. 2 BVG bereits für die Erhöhung des GdS auf den nächsten Zehnergrad der Betroffene in seinem Beruf "besonders" betroffen sein muss, weshalb eine darüber hinaus gehende Erhöhung um 20 nur dann in Betracht kommt, wenn die berufliche Schädigung "außergewöhnlich" groß ist (vgl. BSG, Urteil vom 22. Oktober 1970 – 9 RV 736/69 –, juris). Zur Einschätzung des Ausmaßes dieser außergewöhnlichen beruflichen Betroffenheit sind die wirtschaftlichen und sonstigen Nachteile des Beschädigten in Betracht zu ziehen. Dabei sind neben dem Alter und den persönlichen und beruflichen Verhältnissen insbesondere die Einkommensverhältnisse, d.h. die Verdiensteinbußen, zu berücksichtigen (so BSG, Urteil vom 14. März 1975 a.a.O.; vgl. auch Dau, in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, Rn. 20 zu § 30 BVG). Dieses Kriterium hat der Beklagte in seiner Entscheidung, in welcher er im Wesentlichen nur auf die berufliche Entwicklung des Klägers nach der Dauer der Ausbildung und der speziellen beruflichen Tätigkeit abstellte, nicht herangezogen. In seiner erneuten Einschätzungsentscheidung über den Antrag des Klägers wird der Beklagte deshalb einzubeziehen haben, ob ein erheblicher wirtschaftlicher Nachteil als Ausdruck einer außergewöhnlichen Berufsbetroffenheit vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Rechtsstreits.
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
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