Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 35 AL 531/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 15/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2013 wird zurückgewiesen. Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von noch 1.139,02 EUR wegen überzahlten Arbeitslosengeldes (Alg) im Hinblick auf erzieltes Nebeneinkommen aus selbständigen Tätigkeiten.
Der 1953 geborene Kläger war vom 1. Mai 2008 bis 31. März 2010 im Rahmen eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses im Umfang von 38,50 Stunden pro Woche seit 1. Januar 2009, vorher 30,80 Stunden pro Woche, bei der TB als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit einem Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 4.294,57 EUR monatlich beschäftigt. Am 1. April 2010 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg ab diesem Zeitpunkt. In seinem Antrag vom 16. April 2010 gab er an, bis Mitte April 2006 wäre er selbständig als Ingenieur tätig gewesen. Seit 2006 würde er diese Tätigkeit sowie einen Taxibetrieb als Nebenbeschäftigungen ausüben, und zwar im Umfang von insgesamt acht Stunden wöchentlich (nur Bürotätigkeiten) und einem voraussichtlichen Entgelt von 100 EUR monatlich netto. Sein früherer Arbeitgeber hatte die Nebentätigkeiten im Mai 2008 im Umfang von 2 Stunden wöchentlich (bezüglich des eigenen Ingenieurbüros) und 5 Stunden wöchentlich (hinsichtlich der Verwaltungsarbeit im eigenen Taxibetrieb) genehmigt. Für den Taxibetrieb war ein nicht vollbeschäftigter Fahrer tätig.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 16. April 2010 für die Zeit vom 1. April 2010 bis 30. Juni 2010 Alg für 540 Kalendertage in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,63 EUR und vom 1. Juli 2010 bis 30. September 2011 in Höhe von 48,92 EUR täglich mangels steuerlicher Berücksichtigung des 1984 geborenen Kindes ab diesem Zeitpunkt.
Auf die entsprechende Aufforderung der Beklagten vom 20. Mai 2010 übersandte der Kläger Erklärungen zu selbständiger Tätigkeit, Land- und Forstwirtschaft vom 7. Juni 2010 und 21. Juli 2010 und gab die Höhe seines Nebenverdienstes, die unterschiedlich sei, mit Beträgen zwischen 80 bis 150 EUR monatlich an.
Mit Bescheid vom 15. November 2010 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 14. November 2010 wegen Ortsabwesenheit des Klägers von mehr als sechs Wochen auf.
Mit Bescheid vom 22. November 2010 wies sie für den Kläger vom 14. bis 21. November 2010 einen Leistungsanspruch in Höhe von 0,00 EUR wegen Ortsabwesenheit aus und bewilligte ihm vom 22. November 2010 bis 8. Oktober 2011 Alg in Höhe von 48,92 EUR täglich (Lohnsteuerklasse I) nach einem Bemessungsentgelt von 142,96 EUR täglich.
Aufforderungsgemäß (Schreiben der Beklagten vom 2. Dezember 2010) reichte der Kläger am 22. Dezember 2010 Einkommensunterlagen über seine Nebentätigkeiten ein und teilte der Beklagten mit, der Taxibetrieb, den er wegen der befristeten Arbeitsverträge zur Sicherheit weiter geführt hätte, sei seit 2009 ein Verlustgeschäft. Der Erklärung zur selbständigen Tätigkeit u.a. vom 22. Dezember 2010 fügte er die Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2009 sowie Belege über Einnahmen und Ausgaben von April 2010 bis November 2010 bei.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2011 hob die Beklagte gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz –(SGB X) die Leistungsbewilligungen ab 1. April 2010 teilweise wegen Anrechnung von Nebeneinkommen auf. Mit einem weiteren Bescheid vom 5. Januar 2011 forderte sie vom Kläger die Erstattung von in der Zeit vom 1. April bis 30. November 2010 überzahltem Alg in Höhe von insgesamt 2.666,60 EUR.
Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2011 zurück. Zwar übe der Kläger beide selbständigen Tätigkeiten bereits seit 2006 aus, jedoch weise die Einnahme-Überschuss-Rechnung für 2009 einen Verlust auf, so dass sich hieraus kein höherer Freibetrag als die jeweils berücksichtigten 165 EUR ergäbe.
Im Zuge der am 22. Februar 2011 vom Kläger vor dem Sozialgericht B (SG) erhobenen Klage hat die Beklagte mit Bescheid vom 18. Dezember 2012 die Leistungen ab 1. April 2010 bis 13. Februar 2011 neu festgestellt und von Juli 2010 bis Januar 2011 Nebeneinkommen abzüglich monatlicher Freibeträge in Höhe von 165 EUR angerechnet. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag hat sie die Alg-Bewilligung "für die Zeit vom 1. April 2010 bis 30. November 2010 teilweise" aufgehoben und für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis 30. November 2010 Leistungen in Höhe von nunmehr 1.139,02 EUR zurückgefordert.
Das SG hat mit Urteil vom 13. Dezember 2013 die Bescheide der Beklagten vom 5. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2011 "in der Fassung des Bescheides vom 18. Dezember 2012" aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Der Bescheid vom 18. Dezember 2012 sei nur hinsichtlich der verfügten Aufhebung und Erstattung für April bis November 2010 Gegenstand der Klage geworden. In Bezug auf die teilweise Aufhebung für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis 13. Februar 2011 sei der insoweit abtrennbare Bescheid nicht Klagegegenstand geworden. Die Aufhebungsbescheide seien rechtswidrig. Zulässige Rechtsgrundlage sei nicht § 48 SGB X sondern § 45 SGB X, nachdem der Beklagten bereits im Zeitpunkt des Erlasses des ersten Bewilligungsbescheides vom 16. April 2010 bekannt gewesen sei, dass der Kläger Nebentätigkeiten ausübte, ohne die Höhe der Einkünfte zu kennen. Bei dieser Sachlage hätte sie nicht endgültig über den Leistungsanspruch entscheiden dürfen. Selbiges gelte für den Änderungsbescheid vom 22. November 2010. Der Kläger hätte weder Mitteilungspflichten verletzt noch sei ihm darüber hinaus grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Die Erstattungsforderung gehe hiernach ins Leere. Die mit den Bescheiden vom 15. und 22. November 2010 bewirkte vollständige Aufhebung der Alg-Bewilligung in der Zeit vom 14. bis 21. November 2010 sei nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung, da die Beklagte mit den hier angefochtenen Entscheidungen insoweit lediglich eine wiederholende Verfügung getroffen habe.
Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, der Bewilligungsbescheid vom 16. April 2010 über die Gewährung von Alg ab 1. April 2010 sei nicht von Beginn an rechtswidrig gewesen. Eine vorläufige Leistungsbewilligung sei nicht angezeigt gewesen, weil sich ein Anrechnungsbetrag wegen Nebeneinkommens aus den Antragsangaben des Klägers nicht aufgedrängt habe, dieser vielmehr versichert habe, etwaige Änderungen unverzüglich mitzuteilen. Streitgegenständlich sei nur noch die teilweise Aufhebung der Bewilligungsentscheidung von Alg vom 1. bis 31. Juli 2010, vom 1. bis 31. Oktober 2010 und vom 1. bis 13. und vom 22. bis 30. November 2010 wegen Nebeneinkommens und die Erstattung in dieser Zeit erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 1.139,02 EUR. Erstmals im Juli 2010 hätte sich aus den Nebentätigkeiten ein anrechenbares Einkommen ergeben. Dies stelle sich als wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers dar. Der Änderungsbescheid vom 22. November 2010 sei dagegen bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen, weil er auf Angaben beruht hätte, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hätte, indem er den fehlerhaften Eindruck erweckt habe, sein ständiges Nebeneinkommen liege unterhalb des Freibetrages von 165 EUR.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen hätte er bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass die Beklagte zwingende Betriebsausgaben nicht berücksichtigt hätte.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das SG hat die mit der statthaften isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) angefochtenen und allein noch streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 18. Dezember 2012, die kraft Gesetzes nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens für den Streitzeitraum geworden sind, insoweit zu Recht aufgehoben. Die Bescheide sind im zu prüfenden Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Gegenstand des Verfahrens sind nur noch die im erstinstanzlichen Verfahren ergangenen Bescheide der Beklagten vom 18. Dezember 2012, die die ursprünglich angefochtenen Bescheide vom 5. Januar 2011 vollständig ersetzt haben (§§ 96 Abs. 1 SGG, 39 Abs. 2 SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R – juris Rn 9). Hiermit hat die Beklagte die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2010 auf die Zeiträume vom 1. Juli bis 31. Juli 2010 und vom 1. Oktober 2010 bis 13. November 2010 beschränkt und die Teilaufhebung des Bescheides vom 22. November 2010 ab jenem Zeitpunkt – hier gegenständlich nur bis zum 30. November 2010 – geregelt sowie Leistungen für die genannten Zeiträume in Höhe von insgesamt 1.139,02 EUR vom Kläger zurückgefordert. Dass die Beklagte den Aufhebungsbescheid vom 18. Dezember 2012 als Änderungsbescheid bezeichnet hat, ist nicht relevant (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R – juris Rn 10).
Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 16. April 2010 und 22. November 2010 ist – wie vom SG zutreffend ausgeführt worden ist – § 45 SGB X iVm § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Da die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a AL 18/05 R – juris Rn 14f). Nach § 45 SGB X kann ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Die Norm wird durch § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend modifiziert, dass die in § 45 SGB X vorgesehene Ermessensausübung in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X unterbleibt. Bei "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers ist die Aufhebung mithin – auch für die Vergangenheit – zwingend. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Bescheide vom 16. April 2010 und 22. November 2010 sind anfänglich objektiv rechtswidrig. Zwar steht dem Kläger Alg dem Grunde nach gem. §§ 118, 119 SGB III aF zu. Denn er war seit dem 1. April 2010 beschäftigungs- und damit arbeitslos, weil sein befristetes Beschäftigungsverhältnis bei der TB zum 31. März 2010 geendet hatte und er mit seinen beiden Nebentätigkeiten insgesamt (vgl. § 119 Abs. 3 Satz 2 SGB III) nicht mehr als 15 Stunden in der Woche tätig war. Er hat sich arbeitslos gemeldet, einen Antrag auf Alg gestellt und die Anwartschaftszeit erfüllt. Die Beklagte durfte nach den in vorliegendem Verfahren gegebenen Umständen über den Alg-Antrag des Klägers aber nicht endgültig entscheiden, da der Erlass eines endgültigen Bescheides kein taugliches Instrumentarium in Fällen ist, in denen – wie hier – objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung der Einkommenssituation – hier in Bezug auf die Höhe des gemäß § 141 Abs. 1 SGB III (in der Fassung des mit Wirkung zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Gesetzes vom 21. Dezember 2008, BGBl I S 2917 – aF) anzurechnenden Nebeneinkommens – bestand (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R – juris Rn 18; BSG, Urteil vom 2. Juni 2004 – B 7 AL 58/03 R – juris Rn 14). Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf der Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung aufgrund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste (vgl bereits BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 21/10 R – juris Rn 16). So lag es hier in Bezug auf das im Zeitpunkt der Antragstellung der Höhe nach noch unbestimmte Nebeneinkommen des Klägers.
Bei den selbständigen Tätigkeiten handelte es sich jeweils um Nebentätigkeiten iSd § 141 SGB III aF, da der Kläger diese seinen unbestrittenen Angaben zufolge nur acht Stunden insgesamt wöchentlich ausübte (§ 119 Abs. 3 Satz 2 SGB III). Die Vor-aussetzungen für die Privilegierungsvorschrift des § 141 Abs. 2 SGB III aF sind nicht vollständig erfüllt. Zwar hatte der Kläger die Nebentätigkeiten bereits 18 Monate vor Entstehung des Alg-Anspruchs mindestens 12 Monate lang ausgeübt, und zwar jedenfalls unter Berücksichtigung der Nebentätigkeitsgenehmigungen der T zumindest seit Mai 2008 ununterbrochen. Nach seinem Vorbringen waren die Nebentätigkeiten aber seit 2009 – mithin auch innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Entstehung des Anspruchs auf Alg – Verlustgeschäfte. Höheres monatliches Einkommen als 165 EUR ergibt sich auch aus den vorgelegten Unterlagen für die letzten zwölf Monate vor Anspruchsentstehung nicht, so dass die Berücksichtigung der Nebentätigkeiten allein nach § 141 Abs. 1 SGB III nicht zu beanstanden ist. Danach ist dann, wenn der Arbeitslose während einer Zeit, für die ihm Alg zusteht, eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 119 Abs. 3 ausübt, das daraus erzielte Einkommen nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten sowie eines Freibetrages in Höhe von 165 Euro in dem Kalendermonat der Ausübung anzurechnen. Handelt es sich um eine selbständige Tätigkeit oder eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger, sind pauschal 30 Prozent der Betriebseinnahmen als Betriebsausgaben abzusetzen, es sei denn, der Arbeitslose weist höhere Betriebsausgaben nach. Die Höhe des hiernach monatlich anzurechnenden Nebeneinkommens stand im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 16. April und 22. November 2010 nicht fest.
Soweit die Beklagte geltend macht, es wäre hier unzulässig gewesen, über den Alg-Anspruch des Klägers nicht endgültig zu entscheiden, weil zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung keine konkreten Anhaltspunkte für eine mögliche Änderung der Einkommensverhältnisse vorgelegen hätten, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Abgesehen davon, dass der Kläger sein voraussichtliches Einkommen aus zwei selbständigen Tätigkeiten mit Antragstellung selbst nur schätzen konnte, da er seinerzeit als Selbständiger aus den nicht näher bezeichneten Ingenieurtätigkeiten und dem Taxibetrieb offensichtlich kein gleichbleibendes Einkommen erzielen konnte, hat die Beklagte, anders als mit ihrem Faltblatt "Wissenswertes zum Thema Nebeneinkommen" vorausgesetzt wird, trotz der angegebenen Selbständigkeit des Klägers die besondere Erklärung zum Nebeneinkommen nicht bereits mit der Antragstellung, sondern erstmals am 20. Mai 2010 vom Kläger "vollständig" ausgefüllt nachgefordert. Aus der vom Kläger am 7. Juni 2010 eingereichten Erklärung ergab sich allerdings, dass die Höhe seiner Nebenverdienste aus dem Taxibetrieb und der Ingenieurtätigkeit unterschiedlich hoch sei – wenngleich mit einem Einkommen von nunmehr 100 bis 150 EUR angegeben –, und dass er im letzten Jahr aufgrund seiner Vollbeschäftigung für den Gewerbebetrieb nur Buchhaltungstätigkeiten ausgeübt habe. Schließlich hatte er ausweislich des vorgelegten Einkommensteuerbescheides für 2008 in jenem Jahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4.725 EUR erzielt, seinerzeit mithin weit mehr als in Höhe des monatlichen Grundfreibetrages von 165 EUR. Da im Übrigen der Arbeitslose mit dem Informationsblatt darauf hingewiesen wurde, dass auch bei Selbständigen hinsichtlich der Berücksichtigung von Nebeneinkommen vom Nettoeinkommen auszugehen sei und sich die Berücksichtigung von Werbungskosten in der Regel nach dem Steuerrecht richte, wäre die Beklagte angesichts der subjektiven Gewinnschätzung seitens des Klägers mit Antragstellung verpflichtet gewesen, vor Erlass eines endgültigen Bescheides die Sachlage vollständig zu klären.
Zwar sind ab 1. Juli 2010 wesentliche Veränderungen in den Einkommensverhältnissen des Klägers eingetreten, die die Beklagte gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X – im Falle eines rechtmäßigen Bewilligungsbescheides – berechtigt hätten, die Leistungsbescheide vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben. Das Einkommen aus den selbständigen Tätigkeiten iSd § 141 Abs. 1 SGB III aF ist nach § 15 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) zu bestimmen, wonach Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit oder aus einem Gewerbebetrieb ist (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 7a 38/05 R – juris Rn 14). Im Juli 2010 erzielte der Kläger unter Berücksichtigung seiner zur Gerichtsakte gereichten Aufstellungen der Einnahmen und Ausgaben aus dem Taxibetrieb ein berücksichtigungsfähiges Nebeneinkommen in Höhe von 644,39 EUR, welches abzüglich des Freibetrages von 165 EUR in Höhe von 479,39 EUR auf das Alg anzurechnen gewesen wäre. Ein Einkommen aus Ingenieurtätigkeiten hatte er nach seinen Angaben erst im Oktober und November 2010. Neben § 45 SGB X wäre § 48 SGB X jedoch nur anwendbar, soweit sich hinsichtlich anderer Voraussetzungen für die Leistungsbewilligung eine wesentliche Änderung ergeben hätte (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juni 2004 – B 7 AL 58/03 R – juris Rn 14; BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R – Rn 18 mwN), welches hier, wie dargelegt, nicht der Fall ist.
Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger auf sein aufgrund der endgültigen Leistungsbewilligung geschütztes Vertrauen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen könnte, bestehen nicht, insbesondere beruhen die Verwaltungsakte weder auf Angaben, die der Kläger grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hätte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) noch ist ersichtlich, dass er die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Insoweit wurde er mit dem Faltblatt für Arbeitslose auch darüber informiert, dass nicht gleichbleibendes Nebeneinkommen nachträglich angerechnet würde und er insofern einen Änderungsbescheid erhielte, so dass er nach seinem Empfängerhorizont nicht davon ausgehen konnte, dass eine endgültige Leistungsbewilligung nach den gegebenen Umständen unzulässig war.
Die geforderte Erstattung von 1.139,02 EUR für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Juli 2010, vom 1. Oktober 2010 bis 13. November 2010 und vom 22. bis 30. November 2010 gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht hiernach ins Leere.
Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die Bescheide vom 18. Dezember 2012 bereits wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 1 SGB X mangels vorheriger Anhörung und Heilung des Verfahrensfehlers nach § 41 Abs. 1 und 2 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 7a AL 38/05 R – juris Rn 11) aufzuheben sein dürften.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von noch 1.139,02 EUR wegen überzahlten Arbeitslosengeldes (Alg) im Hinblick auf erzieltes Nebeneinkommen aus selbständigen Tätigkeiten.
Der 1953 geborene Kläger war vom 1. Mai 2008 bis 31. März 2010 im Rahmen eines befristeten Beschäftigungsverhältnisses im Umfang von 38,50 Stunden pro Woche seit 1. Januar 2009, vorher 30,80 Stunden pro Woche, bei der TB als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit einem Bruttoarbeitsentgelt von zuletzt 4.294,57 EUR monatlich beschäftigt. Am 1. April 2010 meldete er sich bei der Beklagten arbeitslos und beantragte Alg ab diesem Zeitpunkt. In seinem Antrag vom 16. April 2010 gab er an, bis Mitte April 2006 wäre er selbständig als Ingenieur tätig gewesen. Seit 2006 würde er diese Tätigkeit sowie einen Taxibetrieb als Nebenbeschäftigungen ausüben, und zwar im Umfang von insgesamt acht Stunden wöchentlich (nur Bürotätigkeiten) und einem voraussichtlichen Entgelt von 100 EUR monatlich netto. Sein früherer Arbeitgeber hatte die Nebentätigkeiten im Mai 2008 im Umfang von 2 Stunden wöchentlich (bezüglich des eigenen Ingenieurbüros) und 5 Stunden wöchentlich (hinsichtlich der Verwaltungsarbeit im eigenen Taxibetrieb) genehmigt. Für den Taxibetrieb war ein nicht vollbeschäftigter Fahrer tätig.
Die Beklagte bewilligte dem Kläger mit Bescheid vom 16. April 2010 für die Zeit vom 1. April 2010 bis 30. Juni 2010 Alg für 540 Kalendertage in Höhe eines täglichen Leistungsbetrages von 54,63 EUR und vom 1. Juli 2010 bis 30. September 2011 in Höhe von 48,92 EUR täglich mangels steuerlicher Berücksichtigung des 1984 geborenen Kindes ab diesem Zeitpunkt.
Auf die entsprechende Aufforderung der Beklagten vom 20. Mai 2010 übersandte der Kläger Erklärungen zu selbständiger Tätigkeit, Land- und Forstwirtschaft vom 7. Juni 2010 und 21. Juli 2010 und gab die Höhe seines Nebenverdienstes, die unterschiedlich sei, mit Beträgen zwischen 80 bis 150 EUR monatlich an.
Mit Bescheid vom 15. November 2010 hob die Beklagte die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 14. November 2010 wegen Ortsabwesenheit des Klägers von mehr als sechs Wochen auf.
Mit Bescheid vom 22. November 2010 wies sie für den Kläger vom 14. bis 21. November 2010 einen Leistungsanspruch in Höhe von 0,00 EUR wegen Ortsabwesenheit aus und bewilligte ihm vom 22. November 2010 bis 8. Oktober 2011 Alg in Höhe von 48,92 EUR täglich (Lohnsteuerklasse I) nach einem Bemessungsentgelt von 142,96 EUR täglich.
Aufforderungsgemäß (Schreiben der Beklagten vom 2. Dezember 2010) reichte der Kläger am 22. Dezember 2010 Einkommensunterlagen über seine Nebentätigkeiten ein und teilte der Beklagten mit, der Taxibetrieb, den er wegen der befristeten Arbeitsverträge zur Sicherheit weiter geführt hätte, sei seit 2009 ein Verlustgeschäft. Der Erklärung zur selbständigen Tätigkeit u.a. vom 22. Dezember 2010 fügte er die Einnahmen-Überschuss-Rechnung für 2009 sowie Belege über Einnahmen und Ausgaben von April 2010 bis November 2010 bei.
Mit Bescheid vom 5. Januar 2011 hob die Beklagte gemäß § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz –(SGB X) die Leistungsbewilligungen ab 1. April 2010 teilweise wegen Anrechnung von Nebeneinkommen auf. Mit einem weiteren Bescheid vom 5. Januar 2011 forderte sie vom Kläger die Erstattung von in der Zeit vom 1. April bis 30. November 2010 überzahltem Alg in Höhe von insgesamt 2.666,60 EUR.
Die gegen beide Bescheide erhobenen Widersprüche wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 28. Januar 2011 zurück. Zwar übe der Kläger beide selbständigen Tätigkeiten bereits seit 2006 aus, jedoch weise die Einnahme-Überschuss-Rechnung für 2009 einen Verlust auf, so dass sich hieraus kein höherer Freibetrag als die jeweils berücksichtigten 165 EUR ergäbe.
Im Zuge der am 22. Februar 2011 vom Kläger vor dem Sozialgericht B (SG) erhobenen Klage hat die Beklagte mit Bescheid vom 18. Dezember 2012 die Leistungen ab 1. April 2010 bis 13. Februar 2011 neu festgestellt und von Juli 2010 bis Januar 2011 Nebeneinkommen abzüglich monatlicher Freibeträge in Höhe von 165 EUR angerechnet. Mit weiterem Bescheid vom selben Tag hat sie die Alg-Bewilligung "für die Zeit vom 1. April 2010 bis 30. November 2010 teilweise" aufgehoben und für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis 30. November 2010 Leistungen in Höhe von nunmehr 1.139,02 EUR zurückgefordert.
Das SG hat mit Urteil vom 13. Dezember 2013 die Bescheide der Beklagten vom 5. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Januar 2011 "in der Fassung des Bescheides vom 18. Dezember 2012" aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Der Bescheid vom 18. Dezember 2012 sei nur hinsichtlich der verfügten Aufhebung und Erstattung für April bis November 2010 Gegenstand der Klage geworden. In Bezug auf die teilweise Aufhebung für die Zeit vom 1. Dezember 2010 bis 13. Februar 2011 sei der insoweit abtrennbare Bescheid nicht Klagegegenstand geworden. Die Aufhebungsbescheide seien rechtswidrig. Zulässige Rechtsgrundlage sei nicht § 48 SGB X sondern § 45 SGB X, nachdem der Beklagten bereits im Zeitpunkt des Erlasses des ersten Bewilligungsbescheides vom 16. April 2010 bekannt gewesen sei, dass der Kläger Nebentätigkeiten ausübte, ohne die Höhe der Einkünfte zu kennen. Bei dieser Sachlage hätte sie nicht endgültig über den Leistungsanspruch entscheiden dürfen. Selbiges gelte für den Änderungsbescheid vom 22. November 2010. Der Kläger hätte weder Mitteilungspflichten verletzt noch sei ihm darüber hinaus grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Die Erstattungsforderung gehe hiernach ins Leere. Die mit den Bescheiden vom 15. und 22. November 2010 bewirkte vollständige Aufhebung der Alg-Bewilligung in der Zeit vom 14. bis 21. November 2010 sei nicht Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung, da die Beklagte mit den hier angefochtenen Entscheidungen insoweit lediglich eine wiederholende Verfügung getroffen habe.
Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, der Bewilligungsbescheid vom 16. April 2010 über die Gewährung von Alg ab 1. April 2010 sei nicht von Beginn an rechtswidrig gewesen. Eine vorläufige Leistungsbewilligung sei nicht angezeigt gewesen, weil sich ein Anrechnungsbetrag wegen Nebeneinkommens aus den Antragsangaben des Klägers nicht aufgedrängt habe, dieser vielmehr versichert habe, etwaige Änderungen unverzüglich mitzuteilen. Streitgegenständlich sei nur noch die teilweise Aufhebung der Bewilligungsentscheidung von Alg vom 1. bis 31. Juli 2010, vom 1. bis 31. Oktober 2010 und vom 1. bis 13. und vom 22. bis 30. November 2010 wegen Nebeneinkommens und die Erstattung in dieser Zeit erbrachter Leistungen in Höhe von insgesamt 1.139,02 EUR. Erstmals im Juli 2010 hätte sich aus den Nebentätigkeiten ein anrechenbares Einkommen ergeben. Dies stelle sich als wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen des Klägers dar. Der Änderungsbescheid vom 22. November 2010 sei dagegen bereits bei seinem Erlass rechtswidrig gewesen, weil er auf Angaben beruht hätte, die der Kläger zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hätte, indem er den fehlerhaften Eindruck erweckt habe, sein ständiges Nebeneinkommen liege unterhalb des Freibetrages von 165 EUR.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Im Übrigen hätte er bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass die Beklagte zwingende Betriebsausgaben nicht berücksichtigt hätte.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakte haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist unbegründet.
Das SG hat die mit der statthaften isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz – SGG) angefochtenen und allein noch streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten vom 18. Dezember 2012, die kraft Gesetzes nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens für den Streitzeitraum geworden sind, insoweit zu Recht aufgehoben. Die Bescheide sind im zu prüfenden Umfang rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.
Gegenstand des Verfahrens sind nur noch die im erstinstanzlichen Verfahren ergangenen Bescheide der Beklagten vom 18. Dezember 2012, die die ursprünglich angefochtenen Bescheide vom 5. Januar 2011 vollständig ersetzt haben (§§ 96 Abs. 1 SGG, 39 Abs. 2 SGB X; vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R – juris Rn 9). Hiermit hat die Beklagte die teilweise Aufhebung des Bescheides vom 16. April 2010 auf die Zeiträume vom 1. Juli bis 31. Juli 2010 und vom 1. Oktober 2010 bis 13. November 2010 beschränkt und die Teilaufhebung des Bescheides vom 22. November 2010 ab jenem Zeitpunkt – hier gegenständlich nur bis zum 30. November 2010 – geregelt sowie Leistungen für die genannten Zeiträume in Höhe von insgesamt 1.139,02 EUR vom Kläger zurückgefordert. Dass die Beklagte den Aufhebungsbescheid vom 18. Dezember 2012 als Änderungsbescheid bezeichnet hat, ist nicht relevant (vgl. BSG, Urteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 64/05 R – juris Rn 10).
Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 16. April 2010 und 22. November 2010 ist – wie vom SG zutreffend ausgeführt worden ist – § 45 SGB X iVm § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung – (SGB III). Da die §§ 45, 48 SGB X auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines Verwaltungsakts, gerichtet sind, ist das Auswechseln dieser Rechtsgrundlagen grundsätzlich zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 20. Oktober 2005 – B 7a AL 18/05 R – juris Rn 14f). Nach § 45 SGB X kann ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Die Norm wird durch § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend modifiziert, dass die in § 45 SGB X vorgesehene Ermessensausübung in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X unterbleibt. Bei "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers ist die Aufhebung mithin – auch für die Vergangenheit – zwingend. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die Bescheide vom 16. April 2010 und 22. November 2010 sind anfänglich objektiv rechtswidrig. Zwar steht dem Kläger Alg dem Grunde nach gem. §§ 118, 119 SGB III aF zu. Denn er war seit dem 1. April 2010 beschäftigungs- und damit arbeitslos, weil sein befristetes Beschäftigungsverhältnis bei der TB zum 31. März 2010 geendet hatte und er mit seinen beiden Nebentätigkeiten insgesamt (vgl. § 119 Abs. 3 Satz 2 SGB III) nicht mehr als 15 Stunden in der Woche tätig war. Er hat sich arbeitslos gemeldet, einen Antrag auf Alg gestellt und die Anwartschaftszeit erfüllt. Die Beklagte durfte nach den in vorliegendem Verfahren gegebenen Umständen über den Alg-Antrag des Klägers aber nicht endgültig entscheiden, da der Erlass eines endgültigen Bescheides kein taugliches Instrumentarium in Fällen ist, in denen – wie hier – objektiv nur die Möglichkeit einer prospektiven Schätzung der Einkommenssituation – hier in Bezug auf die Höhe des gemäß § 141 Abs. 1 SGB III (in der Fassung des mit Wirkung zum 1. Januar 2009 in Kraft getretenen Gesetzes vom 21. Dezember 2008, BGBl I S 2917 – aF) anzurechnenden Nebeneinkommens – bestand (vgl. BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R – juris Rn 18; BSG, Urteil vom 2. Juni 2004 – B 7 AL 58/03 R – juris Rn 14). Erlässt die Verwaltung einen endgültigen Bescheid auf der Grundlage eines nicht endgültig aufgeklärten Sachverhalts und stellt sich später heraus, dass der Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erlasses objektiv rechtswidrig war, ist ein Fall des § 45 SGB X gegeben. Dies gilt unabhängig davon, zu welchen Ermittlungen sich die Verwaltung aufgrund der Angaben des Antragstellers vor Erlass des Ausgangsverwaltungsakts gedrängt sehen musste (vgl bereits BSG, Urteil vom 21. Juni 2011 – B 4 AS 21/10 R – juris Rn 16). So lag es hier in Bezug auf das im Zeitpunkt der Antragstellung der Höhe nach noch unbestimmte Nebeneinkommen des Klägers.
Bei den selbständigen Tätigkeiten handelte es sich jeweils um Nebentätigkeiten iSd § 141 SGB III aF, da der Kläger diese seinen unbestrittenen Angaben zufolge nur acht Stunden insgesamt wöchentlich ausübte (§ 119 Abs. 3 Satz 2 SGB III). Die Vor-aussetzungen für die Privilegierungsvorschrift des § 141 Abs. 2 SGB III aF sind nicht vollständig erfüllt. Zwar hatte der Kläger die Nebentätigkeiten bereits 18 Monate vor Entstehung des Alg-Anspruchs mindestens 12 Monate lang ausgeübt, und zwar jedenfalls unter Berücksichtigung der Nebentätigkeitsgenehmigungen der T zumindest seit Mai 2008 ununterbrochen. Nach seinem Vorbringen waren die Nebentätigkeiten aber seit 2009 – mithin auch innerhalb der letzten zwölf Monate vor der Entstehung des Anspruchs auf Alg – Verlustgeschäfte. Höheres monatliches Einkommen als 165 EUR ergibt sich auch aus den vorgelegten Unterlagen für die letzten zwölf Monate vor Anspruchsentstehung nicht, so dass die Berücksichtigung der Nebentätigkeiten allein nach § 141 Abs. 1 SGB III nicht zu beanstanden ist. Danach ist dann, wenn der Arbeitslose während einer Zeit, für die ihm Alg zusteht, eine Erwerbstätigkeit im Sinne des § 119 Abs. 3 ausübt, das daraus erzielte Einkommen nach Abzug der Steuern, der Sozialversicherungsbeiträge und der Werbungskosten sowie eines Freibetrages in Höhe von 165 Euro in dem Kalendermonat der Ausübung anzurechnen. Handelt es sich um eine selbständige Tätigkeit oder eine Tätigkeit als mithelfender Familienangehöriger, sind pauschal 30 Prozent der Betriebseinnahmen als Betriebsausgaben abzusetzen, es sei denn, der Arbeitslose weist höhere Betriebsausgaben nach. Die Höhe des hiernach monatlich anzurechnenden Nebeneinkommens stand im Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide vom 16. April und 22. November 2010 nicht fest.
Soweit die Beklagte geltend macht, es wäre hier unzulässig gewesen, über den Alg-Anspruch des Klägers nicht endgültig zu entscheiden, weil zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung keine konkreten Anhaltspunkte für eine mögliche Änderung der Einkommensverhältnisse vorgelegen hätten, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Abgesehen davon, dass der Kläger sein voraussichtliches Einkommen aus zwei selbständigen Tätigkeiten mit Antragstellung selbst nur schätzen konnte, da er seinerzeit als Selbständiger aus den nicht näher bezeichneten Ingenieurtätigkeiten und dem Taxibetrieb offensichtlich kein gleichbleibendes Einkommen erzielen konnte, hat die Beklagte, anders als mit ihrem Faltblatt "Wissenswertes zum Thema Nebeneinkommen" vorausgesetzt wird, trotz der angegebenen Selbständigkeit des Klägers die besondere Erklärung zum Nebeneinkommen nicht bereits mit der Antragstellung, sondern erstmals am 20. Mai 2010 vom Kläger "vollständig" ausgefüllt nachgefordert. Aus der vom Kläger am 7. Juni 2010 eingereichten Erklärung ergab sich allerdings, dass die Höhe seiner Nebenverdienste aus dem Taxibetrieb und der Ingenieurtätigkeit unterschiedlich hoch sei – wenngleich mit einem Einkommen von nunmehr 100 bis 150 EUR angegeben –, und dass er im letzten Jahr aufgrund seiner Vollbeschäftigung für den Gewerbebetrieb nur Buchhaltungstätigkeiten ausgeübt habe. Schließlich hatte er ausweislich des vorgelegten Einkommensteuerbescheides für 2008 in jenem Jahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4.725 EUR erzielt, seinerzeit mithin weit mehr als in Höhe des monatlichen Grundfreibetrages von 165 EUR. Da im Übrigen der Arbeitslose mit dem Informationsblatt darauf hingewiesen wurde, dass auch bei Selbständigen hinsichtlich der Berücksichtigung von Nebeneinkommen vom Nettoeinkommen auszugehen sei und sich die Berücksichtigung von Werbungskosten in der Regel nach dem Steuerrecht richte, wäre die Beklagte angesichts der subjektiven Gewinnschätzung seitens des Klägers mit Antragstellung verpflichtet gewesen, vor Erlass eines endgültigen Bescheides die Sachlage vollständig zu klären.
Zwar sind ab 1. Juli 2010 wesentliche Veränderungen in den Einkommensverhältnissen des Klägers eingetreten, die die Beklagte gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X – im Falle eines rechtmäßigen Bewilligungsbescheides – berechtigt hätten, die Leistungsbescheide vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben. Das Einkommen aus den selbständigen Tätigkeiten iSd § 141 Abs. 1 SGB III aF ist nach § 15 Sozialgesetzbuch Viertes Buch – Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung – (SGB IV) zu bestimmen, wonach Arbeitseinkommen der nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelte Gewinn aus einer selbständigen Tätigkeit oder aus einem Gewerbebetrieb ist (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 7a 38/05 R – juris Rn 14). Im Juli 2010 erzielte der Kläger unter Berücksichtigung seiner zur Gerichtsakte gereichten Aufstellungen der Einnahmen und Ausgaben aus dem Taxibetrieb ein berücksichtigungsfähiges Nebeneinkommen in Höhe von 644,39 EUR, welches abzüglich des Freibetrages von 165 EUR in Höhe von 479,39 EUR auf das Alg anzurechnen gewesen wäre. Ein Einkommen aus Ingenieurtätigkeiten hatte er nach seinen Angaben erst im Oktober und November 2010. Neben § 45 SGB X wäre § 48 SGB X jedoch nur anwendbar, soweit sich hinsichtlich anderer Voraussetzungen für die Leistungsbewilligung eine wesentliche Änderung ergeben hätte (vgl. BSG, Urteil vom 2. Juni 2004 – B 7 AL 58/03 R – juris Rn 14; BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 6/12 R – Rn 18 mwN), welches hier, wie dargelegt, nicht der Fall ist.
Anhaltspunkte dafür, dass sich der Kläger auf sein aufgrund der endgültigen Leistungsbewilligung geschütztes Vertrauen gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X nicht berufen könnte, bestehen nicht, insbesondere beruhen die Verwaltungsakte weder auf Angaben, die der Kläger grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hätte (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X) noch ist ersichtlich, dass er die Rechtswidrigkeit der Verwaltungsakte kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Insoweit wurde er mit dem Faltblatt für Arbeitslose auch darüber informiert, dass nicht gleichbleibendes Nebeneinkommen nachträglich angerechnet würde und er insofern einen Änderungsbescheid erhielte, so dass er nach seinem Empfängerhorizont nicht davon ausgehen konnte, dass eine endgültige Leistungsbewilligung nach den gegebenen Umständen unzulässig war.
Die geforderte Erstattung von 1.139,02 EUR für die Zeit vom 1. Juli bis 31. Juli 2010, vom 1. Oktober 2010 bis 13. November 2010 und vom 22. bis 30. November 2010 gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht hiernach ins Leere.
Bei dieser Sachlage kann dahinstehen, ob die Bescheide vom 18. Dezember 2012 bereits wegen Verstoßes gegen § 24 Abs. 1 SGB X mangels vorheriger Anhörung und Heilung des Verfahrensfehlers nach § 41 Abs. 1 und 2 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 5. September 2006 – B 7a AL 38/05 R – juris Rn 11) aufzuheben sein dürften.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
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