L 16 R 1023/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
16
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 5 R 541/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 16 R 1023/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Anrechnun einer privaten Berufsunfähigkeitsrente des Versorgungswerkes der Presse GmbH auf Hinterbliebenenrente.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 16. Oktober 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte auf eine dem Kläger gewährte Rente wegen Erwerbsminderung (EM) eine zugleich bezogene Privatrente wegen Berufsunfähigkeit anrechnen darf.

Der 1958 geborene Kläger bezieht von der Beklagten aus der Versicherung seiner 2011 verstorbenen Ehefrau Hinterbliebenenrente (Bescheid vom 7. September 2011). Die Beklagte gewährt ihm laufend seit 1. November 2012 zudem Rente wegen voller EM (Rentenbeginn 1. Oktober 2007; monatlicher Bruttozahlbetrag ab 1. Januar 2011 = 881,12 EUR, ab 1. Juli 2011 = 889,89 EUR und ab 1. Juli 2012 = 909,97 EUR). Vom Versorgungswerk der P GmbH erhält der Kläger seit 1. März 2007 eine Privatrente wegen Berufsunfähigkeit (Zahlbetrag ab 1. Januar 2011 = monatlich 544,20 EUR, ab 1. Januar 2012 = monatlich 549,90 EUR). Bis 31. Juli 2012 bezog der Kläger zudem Entgelt aus einer geringfügigen Beschäftigung iHv 50,- EUR monatlich.

Nach Anhörung des Klägers erteilte die Beklagte den Bescheid vom 17. Oktober 2012, mit dem sie die große Witwerrente (WR) des Klägers für die Zeit ab 1. November 2012 neu feststellte; für die Zeit ab 1. Juli 2012 sei auf die monatliche Rente iHv brutto 561,82 EUR ein monatliches Einkommen iHv 265,54 EUR anzurechnen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte - nach erneuter Neuberechnung der Rente mit Bescheid vom 22. Mai 2013 (anzurechnendes Einkommen ab 1. August 2012 = monatlich 257,54 EUR) - mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2013 zurück.

Das Sozialgericht (SG) Cottbus hat die auf Aufhebung des Bescheides vom 17. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2013 mit dem Ziel der Nichtanrechnung der privaten Berufsunfähigkeitsrente gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 16. Oktober 2014). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Die Beklagte habe die private Berufsunfähigkeitsrente zutreffend auf die Hinterbliebenenrente angerechnet. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er bekräftigt, dass es sich bei der Privatrente des Versorgungswerks der P nicht um eine Entgeltersatzleistung iSv § 18a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) handele, sondern um eine tarifvertraglich geregelte private Pflichtversicherung für fest angestellte Redakteurinnen und Redakteure, die eine zusätzliche Absicherung über die gesetzliche Rentenversicherung hinaus darstelle.

Der Kläger beantragt nach seinem Vorbringen,

das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 16. Oktober 2014 und den Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2014 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die erhobene Klage ist als isolierte Anfechtungsklage statthaft. Sein Klageziel, die Gewährung großer WR ohne Anrechnung der privaten Berufsunfähigkeitsrente, kann der Kläger bereits durch die isolierte Aufhebung der angefochtenen Bescheide erreichen, wobei er sich bei verständiger Würdigung (vgl § 123 SGG) auch gegen den nach § 86 SGG zum Gegenstand des Widerspruchsverfahrens gewordenen und den Bescheid vom 17. Oktober 2012 für den streitigen Zeitraum ab 1. November 2012 ersetzenden Bescheid vom 22. Mai 2013 wendet. Einer darüber hinausgehenden Leistungsklage auf Auszahlung der ungekürzten Beträge bedarf es nicht. In dem angefochtenen Bescheid vom 17. Oktober 2012 hat die Beklagte auch keine rückwirkende Aufhebungsentscheidung verlautbart, sondern eine Neuberechnung unter entsprechender teilweiser Aufhebung der Erstbewilligung vom 7. September 2011 für die Zeit ab 1. November 2012, wie unmissverständlich aus der Anlage 1 Seite 1 des Bescheides erhellt. Die Beklagte hat dies zudem in ihrem Schreiben an den Kläger vom 25. Oktober 2012 bekräftigt, in dem sie ausdrücklich klargestellt hat, dass der "Rentenbescheid erst ab dem 01.11.2012 aufgehoben wurde".

Die mWv 1. November 2012 erfolgte Neuberechnung der großen WR ist in der Sache nicht zu beanstanden. Rechtsgrundlage für das Handeln der Beklagten ist hier § 48 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X).

Nach dem Regelungskonzept des SGB X und insbesondere dessen §§ 44 ff. ist ein Verwaltungsakt entweder rechtswidrig oder rechtmäßig, wofür neben den verwaltungsverfahrensrechtlichen Vorschriften das jeweilige einschlägige materielle Recht maßgebend ist (vgl BSG, Urteil vom 20. März 2007 - B U 27/06 R - juris Rn. 14). Hiernach war der Bescheid vom 7. September 2011 zwar bereits im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig, weil die Beklagte entgegen § 97 Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) - idF des Gesetzes vom 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) das ihr bekannte Erwerbsersatzeinkommen des Klägers aus der privaten Berufsunfähigkeitsrente zu Unrecht nicht auf die Hinterbliebenenrente angerechnet hat. Das laufende Einkommen aus dieser bereits seit 2007 gezahlten Rente, bei der es sich um Erwerbsersatzeinkommen nach § 18a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV iVm § 18a Abs. 3 Nr. 10 SGB IV handelt, wäre gemäß § 18b Abs. 3 Satz 1 SGB IV anzurechnen gewesen. Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein begünstigender, unanfechtbarer Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Diese liegen jedoch nicht vor. Zwar kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit einer der in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nrn. 1 bis 3 SGB X genannten Umstände vorliegt. Solches ist hier jedoch nicht der Fall. Im Hinblick auf die hier nur streitige zukunftsgerichtete Aufhebung mWv 1. November 2012 fehlt es zudem an der vom Gesetz bei einer Aufhebung auf der Grundlage von § 45 SGB X geforderten Ermessensentscheidung.

Die Rücknahmeentscheidung der Beklagten mWv 1. November 2012 ist indes als (teilweise) Aufhebung der Leistungsbewilligung wegen wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X rechtmäßig (vgl. BSG, Urteil vom 28. März 2013 - B 4 AS 59/12 R - juris -). Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mW für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X mWv Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. § 48 SGB X ist auch auf anfänglich rechtswidrige Dauerverwaltungsakte anwendbar, wenn sich die Verhältnisse nachträglich ändern. § 45 SGB X sperrt die Aufhebung nach § 48 SGB X wegen einer nachträglichen Änderung in jenen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, auf denen die (ursprüngliche) Rechtswidrigkeit nicht beruht, nicht (BSG, Urteil vom 11. April 2002 - B 3 P 8/01 R - juris Rn. 18 mwN; BSG, Urteil vom 7. Juli 2005 - B 3 P 8/04 R = SozR 4-1300 § 48 Nr 6). Dies bedeutet vorliegend, dass die Beklagte nicht nur berechtigt war, die ursprüngliche Bewilligung wegen Bezugs der am 1. November 2012 einsetzenden laufenden EM-Rente teilweise aufzuheben, sondern insoweit auch die Erhöhung der privaten Berufsunfähigkeitsrente ab 1. Januar 2012 auf monatlich 549,90 EUR zu berücksichtigen. Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind gegeben. Durch das Hinzutreten der laufenden EM-Rentenzahlung und die Erhöhung der privaten Berufsunfähigkeitsrente ist eine wesentliche Änderung in den maßgeblichen tatsächlichen Verhältnissen eingetreten, hat der Kläger nachträglich anrechenbares Einkommen erzielt. Dieses hat in dem von der Beklagten zuletzt mit Bescheid vom 22. Mai 2013 festgestellten Umfang iHv 257,54 EUR zur Minderung der großen WR wegen anrechenbaren Erwerbsersatzeinkommens für die Zeit ab 1. November 2012 geführt; die Beklagte hat dabei die Anrechnungsvorschriften der §§ 97 SGB VI, 18b Abs. 4 und 5 SGB IV beanstandungsfrei umgesetzt. Für die Zeit ab 1. November 2012 war die Beklagte daher berechtigt und verpflichtet, die Bewilligung - wie dargelegt - teilweise aufzuheben. Für die folgenden Anrechnungszeiträume ab 1. Juli 2013 und 1. Juli 2014 gilt Entsprechendes.

Dass es sich bei der privaten Berufsunfähigkeitsrente des Versorgungswerks der P GmbH um anrechenbares Erwerbsersatzeinkommen iSv § 18a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV iVm § 18a Abs. 3 Nr. 10 SGB VI in den ab 1. Januar 2002 geltenden und hier anwendbaren Fassungen ("neuer" Hinterbliebenenfall) handelt, steht zur Überzeugung des Senats nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes fest. § 18a Abs. 3 Nr. 10 SGB IV nennt ausdrücklich Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus privaten Rentenversicherungen. Bei dem Versorgungswerk der P GmbH handelt es sich nicht um ein berufsständisches Versorgungswerk, sondern um eine privatrechtlich als Gesellschaft gegründete gemeinsame Einrichtung der Zeitungsverleger und des Deutschen Journalisten-Verbandes. Durch tarifvertragliche Regelungen sind fest angestellte Redakteurinnen und Redakteure verpflichtet, sich dort zusätzlich zur gesetzlichen Rentenversicherung privat abzusichern. Es ist nicht ersichtlich, weshalb insoweit gezahlte Renten nach dem seit 1. Januar 2002 nunmehr fast alle Einkommensarten umfassenden Einkommenskatalog des § 18a SGB IV von der Anrechnung ausgenommen sein sollten. Auch verfassungsrechtlich ist dies nicht geboten. Weder ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Grundgesetz (GG) noch gegen Art. 14 GG ist ersichtlich, zumal im Ergebnis nur ein geringer Teil der Privatrente sich tatsächlich rentenmindernd auf die Hinterbliebenenrente auswirkt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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