Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 63 AS 27053/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 641/11
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. April 2011 sowie der Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2008 nebst den Änderungsbescheiden vom selben Tag in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2008 aufgehoben. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im gesamten Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1947 geborene Klägerin bezog 2004 Arbeitslosenhilfe und bezieht seit 2005 (ergänzend) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Sie lebte mit ihrer 1983 geborenen Tochter J (J), die seit April 2007 studierte und Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhielt und für die die Klägerin Kindergeld iHv monatlich 154,- EUR bezog, bis 13. September 2007 in einer zum 15. September 2007 gekündigten 2-Zimmer Wohnung im Pweg, B. Am 15. September 2007 zog sie mit J in eine Mietwohnung in der Hstraße, B.
Auf ihren Antrag vom 4. November 2004, in dem die Klägerin weder die Frage nach Angehörigen im Haushalt beantwortet noch ihren Anspruch auf Kindergeld für J angegeben hatte, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17. November 2004 - bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2005 - für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von (iHv) 563,91 EUR monatlich ohne Berücksichtigung der J und des für sie gezahlten Kindergeldes. Auf die Fortzahlungsanträge der Klägerin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2005 idF der Änderungsbescheide vom 30. Juni 2005 und 13. September 2005 für Juli 2005 Leistungen iHv 490,91 EUR, für August 2005 iHv 742,80 sowie für die Zeit vom 1. September 2005 bis 31. Dezember 2005 iHv monatlich 577,91 EUR, mit Bescheid vom 7. April 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. März 2006 iHv monatlich 591,13 EUR, mit Bescheid vom 10. April 2006 idF des Änderungsbescheides vom 4. August 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. April 2006 bis 30. Juni 2006 iHv monatlich 594,28 EUR, für Juli 2007 802,07 EUR sowie für die Zeit vom 1. August 2006 bis 30. September 2006 iHv monatlich 620,28 EUR, mit Bescheid vom 6. September 2006 für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 31. März 2007 monatlich 620,28 EUR, mit Bescheid vom 19. März 2007 idF der Änderungsbescheide vom 2. Mai 2007,vom 8. Juni 2007 und vom 9. August 2007 für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. Mai 2007 iHv monatlich 590,41 EUR, für Juni 2007 iHv 636,22 EUR, für Juli 2007 iHv 637,53,22 EUR, für August 2007 iHv 670,22 EUR sowie für September 2007 iHv monatlich 527,60 EUR. Mit Bescheiden vom 9. August 2007 - bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2008 - hob der Beklagte die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 28. Februar 2006 teilweise iHv monatlich 66,98 EUR und für die Zeit vom 1. März 2006 bis 31. März 2007 iHv monatlich 34,19 EUR teilweise auf und forderte die überzahlten Beträge zurück. Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin vom 29. August 2007, in dem sie angab, dass ihre Tochter seit 15. September 2007 neu im Haushalt sei, bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 19. September 2007 der Klägerin für September Leistungen iHv 486,93 EUR. Er wies darauf hin, dass die neue Miete ab 15. September 2007 sowie J als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (BG) zu berücksichtigen sei, wobei J als BAföG-Berechtigte von Leistungen ausgeschlossen sei. Mit einem weiteren Bescheid vom 19. September 2007 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Monate Oktober und November 2007 jeweils Leistungen iHv 326,54 EUR.
Nachdem im Juli 2007 anlässlich eines von der Klägerin betriebenen Umzugs dem Beklagten bekannt wurde, dass J auch schon vor dem 15. September 2007 Mitglied des Haushalts der Klägerin war, gab der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 11. Dezember 2007 Gelegenheit, zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung und Rückforderung iHv 12.030,78 EUR der für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 bewilligten Leistungen Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 26. Dezember 2007 trug die Klägerin vor: Es entspreche nicht den Tatsachen, dass sie J bei der Antragstellung für 2005 verschwiegen habe. Das Zusatzblatt für J sei ihr jedoch wieder mit der Begründung zurückgegeben worden, J sei eine eigenen BG und wenn sie bedürftig wäre, solle sie einen eigenen Antrag stellen. Zu dieser Zeit sei J Schülerin gewesen und sie habe ihr das Kindergeld überlassen, sodass sie keinen Anlass gesehen habe, für J Arbeitslosengeld II (Alg II) zu beantragen.
Mit Rücknahme und Erstattungsbescheid vom 26. März 2008 nahm der Beklagte die Entscheidungen vom 17. November 2004, 27. Mai 2005, 7. April 2006, 10. April 2006, 6. September 2006, 20. März 2007 und 19. September 2007 über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 aufgeschlüsselt nach Monaten und getrennt nach Alg II und Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) teilweise iHv von insgesamt 12.030,78 EUR zurück und forderte die Klägerin zur Erstattung dieses Betrages auf. Mit insgesamt 7 Änderungsbescheiden vom 26. März 2008, auf die die Bezug genommen wird, berechnete der Beklagte die Leistungen für den Rücknahmezeitraum neu. Mit Schreiben vom 10. April 2008 legte die Klägerin gegen den "Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 26.03.08" Widerspruch ein und ließ mit anwaltlichem Schreiben vom 25. April 2008 vortragen: Im November 2004 sei ihr vom Arbeitsamt das für sie und ihre Tochter, die damals Schülerin gewesen sei, ausgefüllte Alg II-Antragsformular zurückgegeben worden und gesagt worden, dass ihre Tochter eine BG bilde und selbst einen Antrag ausfüllen müsse. Sie habe in dem Beratungsgespräch dann gesagt, die Tochter beziehe Kindergeld und es solle ihr ein eigener Antrag erspart bleiben. Die 200,- EUR Differenz werde sie versuchen, durch Nebentätigkeiten auszugleichen. Die Beratung des Arbeitsamtes sei falsch gewesen. Die Tochter sei dem Arbeitsamt schon bei Bezug der Arbeitslosenhilfe angegeben worden. Spätestens im November 2004 sei dem Beklagten bekannt gewesen, dass die Tochter bei ihr gewohnt habe. Im Lichte des § 45 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) könne die Bewilligung deshalb nicht zurückgenommen werden, sie genieße Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 3 SGB X. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2008 zurück und führte aus: Eine etwaige falsche Beratung der Klägerin sei unerheblich. Tatsache sei, dass sie die Tochter im Antrag nicht erwähnt und es auch versäumt habe, den Kindergeldbezug anzugeben, obwohl danach eindeutig gefragt worden sei. Erst im Juli 2007 sei bekannt geworden, dass die KdU von Anfang nur zur Hälfte bei der Klägerin zu berücksichtigen gewesen seien und außerdem das Kindergeld als Einkommen zur Verfügung gestanden habe. Ein Abzweigungsantrag für die Tochter sei nicht gestellt worden. Die Weiterleitung sei nicht nachgewiesen worden.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Vorbingen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft und ergänzend vorgetragen: Da sie "Aufstockerin" sei, seien ihre Tochter und sie auch ohne Antragstellung für J über die Runden gekommen. Die Sachbearbeiterin habe ihr bei ihrer eigenen Antragstellung erklärt, dass "alles in Ordnung" sei. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Urteil vom 1. April 2011 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid sei unbegründet. Die Rücknahme finde ihre Rechtsgrundlage in §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) iVm § 45 Abs. 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X. Die vom Rücknahmebescheid in Bezug genommenen Bewilligungsbescheide seien von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Klägerin die vollen KdU bewilligt worden wären und das Kindergeld nicht auf den Alg II-Anspruch der Klägerin angerechnet worden sei. Indem die Klägerin die in den Antragsvordrucken enthaltenen Felder zu weiteren im Haushalt lebenden Personen nicht ausgefüllt habe, habe sie jedenfalls in grob fahrlässiger Weise unvollständige Angaben gemacht. Anhaltspunkte für eine Falschberatung der Klägerin lägen nicht vor. Gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen spreche, dass J keinen eigenen Antrag gestellt habe. Da die Klägerin vor dem Jahr 2005 "Sozialhilfe" bezogen habe, sei sie auch mit dem Ausfüllen der Antragsformulare vertraut gewesen. Auf Vertrauensschutz könne sie sich nicht berufen, weil ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorgelegen habe. Die Klägerin habe in grob fahrlässiger Weise die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nicht erkannt. Der Erstattungsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in § 50 Abs. 1 SGB X.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt ergänzend vor: Im Laufe des Gesprächs im November 2004 beim Arbeitsamt in der Rudower Chaussee habe sich ergeben, dass J das Kindergeld alleine zustehe. Es sei ihr erklärt worden, dass jede BG den Regelsatz und die tatsächlich entstandenen KdU erhalte. Jeder müsse einen eigenen Antrag ausfüllen, der ursprüngliche Antrag könne so nicht verwendet werden. Da die Miete von ihrem Einkommen bezahlt worden sei und ihr von J keine anteiligen Wohnkosten gezahlt worden seien, seien alle Beteiligten davon ausgegangen, dass ihr die vollen KdU ersetzt werden würden. Sie habe ihrer Tochter den Stempel "Hartz IV" ersparen wollen. Es liege keine grobe Fahrlässigkeit vor, sie habe nicht zwischen Haushaltsgemeinschaft und BG unterscheiden können. Sie habe den Vordruck entsprechend den Hinweisen zunächst mal ausgefüllt und erst auf die Hinweise des kompetent erscheinenden Mitarbeiters, dem sie vertraut habe, erneut ein Antragsformular ausgefüllt. Mit dem Alg II sei zudem alles neu gewesen. Dem Beklagten sei "unter dem Strich" kein Schaden entstanden, im Übrigen habe er bei der Rücknahme kein Ermessen ausgeübt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. April 2011 sowie den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2008 nebst den Änderungsbescheiden vom selben Tag in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und weist darauf hin, dass die Klägerin einer Einstellung des gegen sie gerichteten Strafverfahrens nach § 153a Strafprozessordnung (StPO) gegen Ableistung von 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit zugestimmt habe.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2013 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin J; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie weiteren Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Verfahrens S 63 AS 27053/08 ER (SG Berlin) sowie die Behelfs-Leistungsakten (5 Bände) des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat durch den gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis der Beteiligten berufenen Berichterstatter ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entscheiden konnte, ist begründet.
Der mit der statthaften Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) angefochtene und mit den Änderungsbescheiden vom 26. März 2008 in Bescheideinheit stehende Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom selben Tag in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2008 ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Entscheidungen des Beklagten vom 17. November 2004, 27. Mai 2005, 7. April 2006, 10. April 2006, 6. September 2006, 20. März 2007 und 19. September 2007 über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 ist - wie vom SG zutreffend ausgeführt worden ist - allein § 45 SGB X iVm § 330 Abs. 2 SGB III. Nach § 45 SGB X kann ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Die Norm wird durch § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend modifiziert, dass die in § 45 SGB X vorgesehene Ermessensausübung in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X unterbleibt. Bei "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers ist die Aufhebung mithin - auch für die Vergangenheit - zwingend. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die angeführten Bewilligungsbescheide vom 17. November 2004, 27. Mai 2005, 7. April 2006, 10. April 2006, 6. September 2006, 20. März 2007 und 19. September 2007 sind bereits deshalb anfänglich objektiv rechtswidrig gewesen, weil der Beklagte der Klägerin, die im gesamten streitbefangen Zeitraum ihre jeweilige Wohnung gemeinsam mit ihrer Tochter genutzt hatte, Leistungen für Unterkunft und Heizung entgegen des insoweit zu beachtenden Kopfteilprinzips (vgl. nur BSG, Urteil vom 23. Mai 2013 - B 4 AS 67/12 R -, juris) in vollem Umfang bewilligt hatte. Darüber waren die Bewilligungsentscheidungen zumindest hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 insoweit rechtwidrig, als das für J an die Klägerin gezahlte Kindergeld nicht als Einkommen der Klägerin berücksichtigt worden war (vgl. § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGB II in der bis 30. Juni 2006 geltenden Fassung).
Eine Rücknahme der rechtwidrig begünstigenden Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit scheitert vorliegend bereits daran, dass die Klägerin Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X genießt. Dieser Vertrauensschutz wäre nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SBX nur dann entfallen, wenn die Klägerin diese Verwaltungsakte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hätte (Nr. 1 ), die Verwaltungsakte auf Angaben beruhten, die die Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte (Nr. 2) oder sie die Rechtwidrigkeit der Verwaltungsakte kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen freilich nicht vor. Anhaltspunkte dafür, das die Klägerin die teilweise aufgehobenen Bewilligungsentscheidungen durch eine arglistige Drohung, Täuschung oder Bestechung iS des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X erwirkt hatte, hat weder der Beklagte aufgezeigt noch sind sie sonst ersichtlich.
Der Senat vermag nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auch nicht zu seiner vollen Überzeugung feststellen, dass die Bewilligungsentscheidungen auf Angaben der Klägerin beruhten, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Zwar hatte die Klägerin in ihrem Erstantrag vom 4. November 2004 weder die Frage nach Angehörigen im Haushalt beantwortet noch ihren Anspruch auf Kindergeld für J angegeben und diese Angabe nicht bis zum Wohnungswechsel im Sommer 2007 in den von ihr gestellten Folgeanträgen korrigiert. Damit hatte sie für die Leistungsbewilligung wesentliche Angaben unrichtig bzw. unvollständig gemacht. Der Senat kann aber nicht mit hinreichender Sicherheit Tatsachen feststellen, aus denen sich ergibt, dass die fehlenden bzw. fehlerhaften Angaben der Klägerin grob fahrlässig oder gar vorsätzlich erfolgten. Grobe Fahrlässigkeit liegt nur dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Sie setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung von ungewöhnlich hohem Ausmaß, das heißt eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Bei der Prüfung des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit ist nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (BSG, Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 89/96 - mwN.). Ein Verhalten ist subjektiv unentschuldbar, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Hierbei sind auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen. Der Senat zwar keinen Zweifel daran, dass bei isolierter, d.h. auf das fehlerhafte Ausfüllen der Antragsformulare beschränkter Betrachtung des Sachverhalts der über einen Realschulabschluss sowie diverse Berufsabschlüsse verfügenden Klägerin, welche in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2013 einen guten intellektuellen Eindruck hinterlassen hat, die fehlerhaften bzw. unvollständigen Angaben der Klägerin als besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung zu werten gewesen wären. Eine derartige isolierte Bewertung kann hier jedoch nicht zum Zuge kommen, denn das Verhalten der Klägerin kann nicht ohne Berücksichtigung der Umstände, unter denen die Erstantragstellung im November 2004 erfolgte, bewertet werden. Der Senat geht aufgrund der Angaben der Klägerin und ihrer Tochter, der Zeugin J, zu den Umständen der Antragstellung im November 2004 sowie der vorliegenden Antragsunterlagen von folgendem Geschehen aus: Am 4. November 2004 sprach die Klägerin gemeinsam mit J bei der Bundesagentur für Arbeit ("Arbeitsamt Berlin Süd", Rudower Chaussee 4, 12489 Berlin) zwecks Stellung eines Antrags auf Leistungen nach dem SGB II vor. Dabei legte die Klägerin zum Teil bereits ausgefüllte Antragsformulare vor, die sie mit Datum vom 14. September 2004 bzw. 2. November 2004 unterschrieben hatte. Diese Formulare wurden mit einer - heute nicht mehr zu ermittelnden - Sachbearbeiterin erörtert und es wurden auf den vorgelegten Formularen bzw. (teilweise) neu ausgegebenen Formularen Ergänzungen durch die Sachbearbeiterin vorgenommen (z.B. Scheidungsdatum der Klägerin). Gegenstand der Erörterungen mit der Sachbearbeiterin war auch die Frage einer gesonderten Antragstellung der J.
Dieser "Kernsachverhalt" ergibt aus den in den Leistungsakten dokumentierten Antragsunterlagen sowie den übereinstimmenden glaubhaften Angaben der Klägerin und der Zeugin J. Die Einzelheiten der Vorsprache am 4. November 2004, des "Abgleichens" des Antrags und insbesondere der Hinweise durch den Beklagten an die Klägerin bzw. des Inhalts der Beratung konnte der Senat hingegen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Insbesondere ist ungeklärt und lässt sich auch nicht mehr klären, ob nur die in den Leistungsakten befindlichen Antragsformulare am 4. November 2004 vorgelegt und verwendet wurden oder ob ursprünglich weitere Antragsformulare bzw. einzelne "Zusatzblätter" - wie von der Klägerin behauptet - vorlagen und dann vor Antragsabgabe aussortiert wurden. Insoweit ergab sich aus den insoweit unsicheren und zum Teil inkonsistenten Angaben der Klägerin und der Zeugin J in der mündlichen Verhandlung am 18. September 2013 für den Senat kein klares Bild. In diesem Zusammenhang hält es der Senat freilich für möglich, dass die Klägerin Angaben zu ihrer Tochter auf einem - eigentlich für "weitere Angehörige" reservierten "Zusatzblatt 4" (vgl. den Hinweis unter III. des Antragsformulars) gemacht hatte und dieses Zusatzblatt schließlich "aussortiert" wurde. Hinsichtlich der von der Sachbearbeiterin erteilten Hinweise bzw. einer etwaigen Beratung zur (gesonderten) Antragsstellung für die Zeugin konnte der Senat ebenfalls keine sicheren Erkenntnisse gewinnen, da auch insoweit die Angaben der Klägerin und der Zeugin angesichts von Erinnerungslücken zu unpräzise waren.
Der Senat hält die Angaben der Klägerin und der Zeugin J, soweit sie den oben festgestellten Kernsachverhalt betreffen, für glaubhaft. Insbesondere hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Zeugin ihre Mutter - die Klägerin - zur Vorsprache bei der Bundesagentur für Arbeit begleitet hat. Sowohl die Klägerin wie auch die Zeugin J haben übereinstimmend angegeben, dass dabei auch die Frage einer gesonderten Antragstellung für J mit der Sachbearbeiterin besprochen wurde. Soweit die Zeugin in ihrer Vernehmung nicht mehr angegeben konnte, ob die Vorsprache vormittags oder nachmittags stattgefunden hat und auch Details des Gesprächs mit der Sachbearbeiterin nicht konkret berichtet werden konnten, sind die Erinnerungslücken angesichts der verstrichenen Zeit ohne weiteres plausibel. Auch im Übrigen haben sich keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin ergeben. Sie hat diverse Erinnerungslücken offen eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Gefälligkeitsaussage zugunsten ihrer Mutter handelte, hat weder der Beklagte vorgetragen noch sind diese sonst ersichtlich. Der Senat hat auch keine durchgreifenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin. Diese hat - anwaltlich noch nicht vertreten - bereits mit Schreiben vom 26. Dezember 2007 auf das Anhörungsschreiben vom 11. Dezember 2007 darauf hingewiesen, dass sie ein "Zusatzblatt" mit Angaben zu ihrer Tochter anlässlich der Erstantragstellung vorgelegt habe und die Frage einer Antragstellung der J bei der Vorsprache erörtert worden sei. Zu diesem Zeitpunkt lag die Erstantragsstellung erst zwei Jahre zurück und die Klägerin musste damit rechnen - was dann bedauerlicherweise nicht geschah -, dass dieses Vorbringen vom Beklagten - ggfs. durch Befragen der Sachbearbeiterin - überprüft würde. Die Klägerin hat sich auch in der folgenden Zeit nicht in wesentliche Widersprüche verwickelt. Ihre in der mündlichen Verhandlung zu Tage getretene Unsicherheit bei der Darstellung zum "Ausfüllen" der Formulare ist nach Auffassung des Senats das Resultat von Erinnerungslücken, welche angesichts der zwischen der Erstantragstellung und der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht verstrichenen Zeit nachvollziehbar erscheint. Schließlich wird entgegen der Auffassung des Beklagten die Glaubwürdigkeit der Klägerin auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass sie in dem gegen sie gerichteten und schließlich eingestellten Strafverfahren eine Auflage akzeptiert hatte. Mit der Zustimmung zu einer Einstellung nach § 153a StPO ist kein Eingeständnis einer Verfehlung verbunden. Mit diesem Nachgeben wird regelmäßig - ebenso wie bei der Zustimmung zu einem Vergleich im Sozialgerichtsverfahren - nur einer als unsicher bzw. schwierig erachteten prozessualen Lage Rechnung getragen.
Bei Würdigung der fehlerhaften bzw. unvollständigen Angaben der Klägerin unter Berücksichtigung der oben festgestellten Umstände bei der Erstantragstellung am 4. November 2004 kann der Senat zwar nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die unzutreffenden Angaben der Klägerin bei ihrer Erstantragstellung auf eine fehlerhaften Beratung anlässlich der Vorsprache am 4. November 2004 zurückzuführen sind. Indes kommt nach dem zur vollen Überzeugung des Senats festgestellten Geschehensablauf eine fehlerhafte oder auch nur von der Klägerin missverstandene Beratung mit der Folge entsprechender Rechtsirrtümer ernsthaft in Betracht. So spricht der Umstand, dass anlässlich der Antragsstellung am 4. November 2004 mit J und über sie in Zusammenhang mit der SGB II–Antragstellung gesprochen wurde, für die Plausibilität der Angaben der Klägerin und der Zeugin J, dass auf der Grundlage dieses Gesprächs mit einer Mitarbeiterin des Beklagten auf die Stellung eines (gesonderten) SGB II-Leistungsantrag verzichtet worden war, um der J bürokratischen Aufwand und eine "Stigmatisierung" zu ersparen. In Anbetracht dessen, dass im November 2004 das System der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch für die Mitarbeiter des Beklagten völlig neu war, liegt die Möglichkeit einer nicht adäquaten Beratung jedenfalls nicht fern. Nach alledem sprechen diverse Indizien dafür, dass die Klägerin unter dem Eindruck eines zumindest missverständlichen Beratungsgesprächs und im Zusammenwirken bzw. unter der "Aufsicht" einer für den Beklagten handelnden Person ihren Erstantrag mit fehlerhaften bzw. unvollständigen Angaben zu ihren Wohnverhältnissen und zum Kindergeldbezug einreichte und bei diesem Geschehensablauf keinesfalls eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung vorgelegen hätte. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte für das Vorliegen der einen Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ausschließenden Tatsachen die Feststellungslast trägt, kann der Senat daher nicht feststellen, dass die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig iSd § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gehandelt hat.
Der Klägerin kann auch nicht nachgewiesen werden, dass sie die Rechtswidrigkeit der teilweise aufgehobenen Bewilligungsbescheide kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Denn ihr ist nicht zu widerlegen, dass sie aufgrund einer Beratung durch den Beklagten davon ausgegangen war, dass einerseits das für ihre Tochter gezahlte Kindergeld J zustehe und andererseits ihr - der Klägerin - aufgrund der zivilrechtlichen Verpflichtung zur Zahlung der gesamten Miete ein Anspruch auf die vollen KdU zugestanden hätte. Damit kann auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher beim Lesen der Bewilligungsbescheide hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch so nicht bestanden hatte (vgl. Schütze, in von Wulffen/Schütze, SGB X, 14. Aufl., § 45 Rn. 56 mwN).
Die geforderte Erstattung von 12.030,78 EUR für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 geht gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht hiernach ins Leere.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Tatbestand:
Der 1947 geborene Klägerin bezog 2004 Arbeitslosenhilfe und bezieht seit 2005 (ergänzend) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Sie lebte mit ihrer 1983 geborenen Tochter J (J), die seit April 2007 studierte und Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erhielt und für die die Klägerin Kindergeld iHv monatlich 154,- EUR bezog, bis 13. September 2007 in einer zum 15. September 2007 gekündigten 2-Zimmer Wohnung im Pweg, B. Am 15. September 2007 zog sie mit J in eine Mietwohnung in der Hstraße, B.
Auf ihren Antrag vom 4. November 2004, in dem die Klägerin weder die Frage nach Angehörigen im Haushalt beantwortet noch ihren Anspruch auf Kindergeld für J angegeben hatte, bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 17. November 2004 - bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2005 - für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2005 Leistungen nach dem SGB II in Höhe von (iHv) 563,91 EUR monatlich ohne Berücksichtigung der J und des für sie gezahlten Kindergeldes. Auf die Fortzahlungsanträge der Klägerin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 27. Mai 2005 idF der Änderungsbescheide vom 30. Juni 2005 und 13. September 2005 für Juli 2005 Leistungen iHv 490,91 EUR, für August 2005 iHv 742,80 sowie für die Zeit vom 1. September 2005 bis 31. Dezember 2005 iHv monatlich 577,91 EUR, mit Bescheid vom 7. April 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 31. März 2006 iHv monatlich 591,13 EUR, mit Bescheid vom 10. April 2006 idF des Änderungsbescheides vom 4. August 2006 Leistungen für die Zeit vom 1. April 2006 bis 30. Juni 2006 iHv monatlich 594,28 EUR, für Juli 2007 802,07 EUR sowie für die Zeit vom 1. August 2006 bis 30. September 2006 iHv monatlich 620,28 EUR, mit Bescheid vom 6. September 2006 für die Zeit vom 1. Oktober 2006 bis 31. März 2007 monatlich 620,28 EUR, mit Bescheid vom 19. März 2007 idF der Änderungsbescheide vom 2. Mai 2007,vom 8. Juni 2007 und vom 9. August 2007 für die Zeit vom 1. April 2007 bis 31. Mai 2007 iHv monatlich 590,41 EUR, für Juni 2007 iHv 636,22 EUR, für Juli 2007 iHv 637,53,22 EUR, für August 2007 iHv 670,22 EUR sowie für September 2007 iHv monatlich 527,60 EUR. Mit Bescheiden vom 9. August 2007 - bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2008 - hob der Beklagte die Leistungsbewilligungen für die Zeit vom 1. Januar 2006 bis 28. Februar 2006 teilweise iHv monatlich 66,98 EUR und für die Zeit vom 1. März 2006 bis 31. März 2007 iHv monatlich 34,19 EUR teilweise auf und forderte die überzahlten Beträge zurück. Auf den Fortzahlungsantrag der Klägerin vom 29. August 2007, in dem sie angab, dass ihre Tochter seit 15. September 2007 neu im Haushalt sei, bewilligte der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 19. September 2007 der Klägerin für September Leistungen iHv 486,93 EUR. Er wies darauf hin, dass die neue Miete ab 15. September 2007 sowie J als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft (BG) zu berücksichtigen sei, wobei J als BAföG-Berechtigte von Leistungen ausgeschlossen sei. Mit einem weiteren Bescheid vom 19. September 2007 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Monate Oktober und November 2007 jeweils Leistungen iHv 326,54 EUR.
Nachdem im Juli 2007 anlässlich eines von der Klägerin betriebenen Umzugs dem Beklagten bekannt wurde, dass J auch schon vor dem 15. September 2007 Mitglied des Haushalts der Klägerin war, gab der Beklagte der Klägerin mit Schreiben vom 11. Dezember 2007 Gelegenheit, zur beabsichtigten teilweisen Aufhebung und Rückforderung iHv 12.030,78 EUR der für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 bewilligten Leistungen Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 26. Dezember 2007 trug die Klägerin vor: Es entspreche nicht den Tatsachen, dass sie J bei der Antragstellung für 2005 verschwiegen habe. Das Zusatzblatt für J sei ihr jedoch wieder mit der Begründung zurückgegeben worden, J sei eine eigenen BG und wenn sie bedürftig wäre, solle sie einen eigenen Antrag stellen. Zu dieser Zeit sei J Schülerin gewesen und sie habe ihr das Kindergeld überlassen, sodass sie keinen Anlass gesehen habe, für J Arbeitslosengeld II (Alg II) zu beantragen.
Mit Rücknahme und Erstattungsbescheid vom 26. März 2008 nahm der Beklagte die Entscheidungen vom 17. November 2004, 27. Mai 2005, 7. April 2006, 10. April 2006, 6. September 2006, 20. März 2007 und 19. September 2007 über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 aufgeschlüsselt nach Monaten und getrennt nach Alg II und Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU) teilweise iHv von insgesamt 12.030,78 EUR zurück und forderte die Klägerin zur Erstattung dieses Betrages auf. Mit insgesamt 7 Änderungsbescheiden vom 26. März 2008, auf die die Bezug genommen wird, berechnete der Beklagte die Leistungen für den Rücknahmezeitraum neu. Mit Schreiben vom 10. April 2008 legte die Klägerin gegen den "Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 26.03.08" Widerspruch ein und ließ mit anwaltlichem Schreiben vom 25. April 2008 vortragen: Im November 2004 sei ihr vom Arbeitsamt das für sie und ihre Tochter, die damals Schülerin gewesen sei, ausgefüllte Alg II-Antragsformular zurückgegeben worden und gesagt worden, dass ihre Tochter eine BG bilde und selbst einen Antrag ausfüllen müsse. Sie habe in dem Beratungsgespräch dann gesagt, die Tochter beziehe Kindergeld und es solle ihr ein eigener Antrag erspart bleiben. Die 200,- EUR Differenz werde sie versuchen, durch Nebentätigkeiten auszugleichen. Die Beratung des Arbeitsamtes sei falsch gewesen. Die Tochter sei dem Arbeitsamt schon bei Bezug der Arbeitslosenhilfe angegeben worden. Spätestens im November 2004 sei dem Beklagten bekannt gewesen, dass die Tochter bei ihr gewohnt habe. Im Lichte des § 45 Abs. 4 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) könne die Bewilligung deshalb nicht zurückgenommen werden, sie genieße Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 3 SGB X. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 5. August 2008 zurück und führte aus: Eine etwaige falsche Beratung der Klägerin sei unerheblich. Tatsache sei, dass sie die Tochter im Antrag nicht erwähnt und es auch versäumt habe, den Kindergeldbezug anzugeben, obwohl danach eindeutig gefragt worden sei. Erst im Juli 2007 sei bekannt geworden, dass die KdU von Anfang nur zur Hälfte bei der Klägerin zu berücksichtigen gewesen seien und außerdem das Kindergeld als Einkommen zur Verfügung gestanden habe. Ein Abzweigungsantrag für die Tochter sei nicht gestellt worden. Die Weiterleitung sei nicht nachgewiesen worden.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin ihr Vorbingen aus dem Widerspruchsverfahren vertieft und ergänzend vorgetragen: Da sie "Aufstockerin" sei, seien ihre Tochter und sie auch ohne Antragstellung für J über die Runden gekommen. Die Sachbearbeiterin habe ihr bei ihrer eigenen Antragstellung erklärt, dass "alles in Ordnung" sei. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die Klage mit Urteil vom 1. April 2011 abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage gegen den Rücknahme- und Erstattungsbescheid sei unbegründet. Die Rücknahme finde ihre Rechtsgrundlage in §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II, 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) iVm § 45 Abs. 1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und 3 SGB X. Die vom Rücknahmebescheid in Bezug genommenen Bewilligungsbescheide seien von Anfang an rechtswidrig gewesen, weil der Klägerin die vollen KdU bewilligt worden wären und das Kindergeld nicht auf den Alg II-Anspruch der Klägerin angerechnet worden sei. Indem die Klägerin die in den Antragsvordrucken enthaltenen Felder zu weiteren im Haushalt lebenden Personen nicht ausgefüllt habe, habe sie jedenfalls in grob fahrlässiger Weise unvollständige Angaben gemacht. Anhaltspunkte für eine Falschberatung der Klägerin lägen nicht vor. Gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen spreche, dass J keinen eigenen Antrag gestellt habe. Da die Klägerin vor dem Jahr 2005 "Sozialhilfe" bezogen habe, sei sie auch mit dem Ausfüllen der Antragsformulare vertraut gewesen. Auf Vertrauensschutz könne sie sich nicht berufen, weil ein Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X vorgelegen habe. Die Klägerin habe in grob fahrlässiger Weise die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide nicht erkannt. Der Erstattungsbescheid finde seine Rechtsgrundlage in § 50 Abs. 1 SGB X.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter und trägt ergänzend vor: Im Laufe des Gesprächs im November 2004 beim Arbeitsamt in der Rudower Chaussee habe sich ergeben, dass J das Kindergeld alleine zustehe. Es sei ihr erklärt worden, dass jede BG den Regelsatz und die tatsächlich entstandenen KdU erhalte. Jeder müsse einen eigenen Antrag ausfüllen, der ursprüngliche Antrag könne so nicht verwendet werden. Da die Miete von ihrem Einkommen bezahlt worden sei und ihr von J keine anteiligen Wohnkosten gezahlt worden seien, seien alle Beteiligten davon ausgegangen, dass ihr die vollen KdU ersetzt werden würden. Sie habe ihrer Tochter den Stempel "Hartz IV" ersparen wollen. Es liege keine grobe Fahrlässigkeit vor, sie habe nicht zwischen Haushaltsgemeinschaft und BG unterscheiden können. Sie habe den Vordruck entsprechend den Hinweisen zunächst mal ausgefüllt und erst auf die Hinweise des kompetent erscheinenden Mitarbeiters, dem sie vertraut habe, erneut ein Antragsformular ausgefüllt. Mit dem Alg II sei zudem alles neu gewesen. Dem Beklagten sei "unter dem Strich" kein Schaden entstanden, im Übrigen habe er bei der Rücknahme kein Ermessen ausgeübt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 1. April 2011 sowie den Rücknahme- und Erstattungsbescheid vom 26. März 2008 nebst den Änderungsbescheiden vom selben Tag in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und weist darauf hin, dass die Klägerin einer Einstellung des gegen sie gerichteten Strafverfahrens nach § 153a Strafprozessordnung (StPO) gegen Ableistung von 120 Stunden gemeinnütziger Arbeit zugestimmt habe.
Der Senat hat in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2013 Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin J; auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen. Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch den Berichterstatter im schriftlichen Verfahren zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie weiteren Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie des Verfahrens S 63 AS 27053/08 ER (SG Berlin) sowie die Behelfs-Leistungsakten (5 Bände) des Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat durch den gemäß § 155 Abs. 3 und 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) im Einverständnis der Beteiligten berufenen Berichterstatter ohne weitere mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entscheiden konnte, ist begründet.
Der mit der statthaften Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) angefochtene und mit den Änderungsbescheiden vom 26. März 2008 in Bescheideinheit stehende Rücknahme- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom selben Tag in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2008 ist aufzuheben, weil er rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Rechtsgrundlage für die teilweise Aufhebung der Entscheidungen des Beklagten vom 17. November 2004, 27. Mai 2005, 7. April 2006, 10. April 2006, 6. September 2006, 20. März 2007 und 19. September 2007 über die Bewilligung von Leistungen für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 ist - wie vom SG zutreffend ausgeführt worden ist - allein § 45 SGB X iVm § 330 Abs. 2 SGB III. Nach § 45 SGB X kann ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Die Norm wird durch § 330 Abs. 2 SGB III dahingehend modifiziert, dass die in § 45 SGB X vorgesehene Ermessensausübung in den Fällen des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X unterbleibt. Bei "Bösgläubigkeit" des Leistungsempfängers ist die Aufhebung mithin - auch für die Vergangenheit - zwingend. Dies ist hier jedoch nicht der Fall.
Die angeführten Bewilligungsbescheide vom 17. November 2004, 27. Mai 2005, 7. April 2006, 10. April 2006, 6. September 2006, 20. März 2007 und 19. September 2007 sind bereits deshalb anfänglich objektiv rechtswidrig gewesen, weil der Beklagte der Klägerin, die im gesamten streitbefangen Zeitraum ihre jeweilige Wohnung gemeinsam mit ihrer Tochter genutzt hatte, Leistungen für Unterkunft und Heizung entgegen des insoweit zu beachtenden Kopfteilprinzips (vgl. nur BSG, Urteil vom 23. Mai 2013 - B 4 AS 67/12 R -, juris) in vollem Umfang bewilligt hatte. Darüber waren die Bewilligungsentscheidungen zumindest hinsichtlich des Zeitraums vom 1. Januar 2005 bis 30. Juni 2006 insoweit rechtwidrig, als das für J an die Klägerin gezahlte Kindergeld nicht als Einkommen der Klägerin berücksichtigt worden war (vgl. § 11 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGB II in der bis 30. Juni 2006 geltenden Fassung).
Eine Rücknahme der rechtwidrig begünstigenden Bewilligungsentscheidungen mit Wirkung für die Vergangenheit scheitert vorliegend bereits daran, dass die Klägerin Vertrauensschutz gemäß § 45 Abs. 2 Sätze 1 und 2 SGB X genießt. Dieser Vertrauensschutz wäre nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SBX nur dann entfallen, wenn die Klägerin diese Verwaltungsakte durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hätte (Nr. 1 ), die Verwaltungsakte auf Angaben beruhten, die die Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte (Nr. 2) oder sie die Rechtwidrigkeit der Verwaltungsakte kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (Nr. 3). Diese Voraussetzungen liegen freilich nicht vor. Anhaltspunkte dafür, das die Klägerin die teilweise aufgehobenen Bewilligungsentscheidungen durch eine arglistige Drohung, Täuschung oder Bestechung iS des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X erwirkt hatte, hat weder der Beklagte aufgezeigt noch sind sie sonst ersichtlich.
Der Senat vermag nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens auch nicht zu seiner vollen Überzeugung feststellen, dass die Bewilligungsentscheidungen auf Angaben der Klägerin beruhten, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hatte (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Zwar hatte die Klägerin in ihrem Erstantrag vom 4. November 2004 weder die Frage nach Angehörigen im Haushalt beantwortet noch ihren Anspruch auf Kindergeld für J angegeben und diese Angabe nicht bis zum Wohnungswechsel im Sommer 2007 in den von ihr gestellten Folgeanträgen korrigiert. Damit hatte sie für die Leistungsbewilligung wesentliche Angaben unrichtig bzw. unvollständig gemacht. Der Senat kann aber nicht mit hinreichender Sicherheit Tatsachen feststellen, aus denen sich ergibt, dass die fehlenden bzw. fehlerhaften Angaben der Klägerin grob fahrlässig oder gar vorsätzlich erfolgten. Grobe Fahrlässigkeit liegt nur dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 2. Halbsatz SGB X). Sie setzt eine Sorgfaltspflichtverletzung von ungewöhnlich hohem Ausmaß, das heißt eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung voraus, die das gewöhnliche Maß der Fahrlässigkeit erheblich übersteigt. Bei der Prüfung des Vorliegens der groben Fahrlässigkeit ist nicht ein objektiver, sondern ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (BSG, Urteil vom 24. April 1997 - 11 RAr 89/96 - mwN.). Ein Verhalten ist subjektiv unentschuldbar, wenn schon einfachste, ganz nahe liegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss. Hierbei sind auch die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit und das Einsichtsvermögen des Betroffenen zu berücksichtigen. Der Senat zwar keinen Zweifel daran, dass bei isolierter, d.h. auf das fehlerhafte Ausfüllen der Antragsformulare beschränkter Betrachtung des Sachverhalts der über einen Realschulabschluss sowie diverse Berufsabschlüsse verfügenden Klägerin, welche in der mündlichen Verhandlung vom 18. September 2013 einen guten intellektuellen Eindruck hinterlassen hat, die fehlerhaften bzw. unvollständigen Angaben der Klägerin als besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung zu werten gewesen wären. Eine derartige isolierte Bewertung kann hier jedoch nicht zum Zuge kommen, denn das Verhalten der Klägerin kann nicht ohne Berücksichtigung der Umstände, unter denen die Erstantragstellung im November 2004 erfolgte, bewertet werden. Der Senat geht aufgrund der Angaben der Klägerin und ihrer Tochter, der Zeugin J, zu den Umständen der Antragstellung im November 2004 sowie der vorliegenden Antragsunterlagen von folgendem Geschehen aus: Am 4. November 2004 sprach die Klägerin gemeinsam mit J bei der Bundesagentur für Arbeit ("Arbeitsamt Berlin Süd", Rudower Chaussee 4, 12489 Berlin) zwecks Stellung eines Antrags auf Leistungen nach dem SGB II vor. Dabei legte die Klägerin zum Teil bereits ausgefüllte Antragsformulare vor, die sie mit Datum vom 14. September 2004 bzw. 2. November 2004 unterschrieben hatte. Diese Formulare wurden mit einer - heute nicht mehr zu ermittelnden - Sachbearbeiterin erörtert und es wurden auf den vorgelegten Formularen bzw. (teilweise) neu ausgegebenen Formularen Ergänzungen durch die Sachbearbeiterin vorgenommen (z.B. Scheidungsdatum der Klägerin). Gegenstand der Erörterungen mit der Sachbearbeiterin war auch die Frage einer gesonderten Antragstellung der J.
Dieser "Kernsachverhalt" ergibt aus den in den Leistungsakten dokumentierten Antragsunterlagen sowie den übereinstimmenden glaubhaften Angaben der Klägerin und der Zeugin J. Die Einzelheiten der Vorsprache am 4. November 2004, des "Abgleichens" des Antrags und insbesondere der Hinweise durch den Beklagten an die Klägerin bzw. des Inhalts der Beratung konnte der Senat hingegen nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen. Insbesondere ist ungeklärt und lässt sich auch nicht mehr klären, ob nur die in den Leistungsakten befindlichen Antragsformulare am 4. November 2004 vorgelegt und verwendet wurden oder ob ursprünglich weitere Antragsformulare bzw. einzelne "Zusatzblätter" - wie von der Klägerin behauptet - vorlagen und dann vor Antragsabgabe aussortiert wurden. Insoweit ergab sich aus den insoweit unsicheren und zum Teil inkonsistenten Angaben der Klägerin und der Zeugin J in der mündlichen Verhandlung am 18. September 2013 für den Senat kein klares Bild. In diesem Zusammenhang hält es der Senat freilich für möglich, dass die Klägerin Angaben zu ihrer Tochter auf einem - eigentlich für "weitere Angehörige" reservierten "Zusatzblatt 4" (vgl. den Hinweis unter III. des Antragsformulars) gemacht hatte und dieses Zusatzblatt schließlich "aussortiert" wurde. Hinsichtlich der von der Sachbearbeiterin erteilten Hinweise bzw. einer etwaigen Beratung zur (gesonderten) Antragsstellung für die Zeugin konnte der Senat ebenfalls keine sicheren Erkenntnisse gewinnen, da auch insoweit die Angaben der Klägerin und der Zeugin angesichts von Erinnerungslücken zu unpräzise waren.
Der Senat hält die Angaben der Klägerin und der Zeugin J, soweit sie den oben festgestellten Kernsachverhalt betreffen, für glaubhaft. Insbesondere hat der Senat keine Zweifel daran, dass die Zeugin ihre Mutter - die Klägerin - zur Vorsprache bei der Bundesagentur für Arbeit begleitet hat. Sowohl die Klägerin wie auch die Zeugin J haben übereinstimmend angegeben, dass dabei auch die Frage einer gesonderten Antragstellung für J mit der Sachbearbeiterin besprochen wurde. Soweit die Zeugin in ihrer Vernehmung nicht mehr angegeben konnte, ob die Vorsprache vormittags oder nachmittags stattgefunden hat und auch Details des Gesprächs mit der Sachbearbeiterin nicht konkret berichtet werden konnten, sind die Erinnerungslücken angesichts der verstrichenen Zeit ohne weiteres plausibel. Auch im Übrigen haben sich keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugin ergeben. Sie hat diverse Erinnerungslücken offen eingeräumt. Anhaltspunkte dafür, dass es sich um eine Gefälligkeitsaussage zugunsten ihrer Mutter handelte, hat weder der Beklagte vorgetragen noch sind diese sonst ersichtlich. Der Senat hat auch keine durchgreifenden Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Klägerin. Diese hat - anwaltlich noch nicht vertreten - bereits mit Schreiben vom 26. Dezember 2007 auf das Anhörungsschreiben vom 11. Dezember 2007 darauf hingewiesen, dass sie ein "Zusatzblatt" mit Angaben zu ihrer Tochter anlässlich der Erstantragstellung vorgelegt habe und die Frage einer Antragstellung der J bei der Vorsprache erörtert worden sei. Zu diesem Zeitpunkt lag die Erstantragsstellung erst zwei Jahre zurück und die Klägerin musste damit rechnen - was dann bedauerlicherweise nicht geschah -, dass dieses Vorbringen vom Beklagten - ggfs. durch Befragen der Sachbearbeiterin - überprüft würde. Die Klägerin hat sich auch in der folgenden Zeit nicht in wesentliche Widersprüche verwickelt. Ihre in der mündlichen Verhandlung zu Tage getretene Unsicherheit bei der Darstellung zum "Ausfüllen" der Formulare ist nach Auffassung des Senats das Resultat von Erinnerungslücken, welche angesichts der zwischen der Erstantragstellung und der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht verstrichenen Zeit nachvollziehbar erscheint. Schließlich wird entgegen der Auffassung des Beklagten die Glaubwürdigkeit der Klägerin auch nicht dadurch beeinträchtigt, dass sie in dem gegen sie gerichteten und schließlich eingestellten Strafverfahren eine Auflage akzeptiert hatte. Mit der Zustimmung zu einer Einstellung nach § 153a StPO ist kein Eingeständnis einer Verfehlung verbunden. Mit diesem Nachgeben wird regelmäßig - ebenso wie bei der Zustimmung zu einem Vergleich im Sozialgerichtsverfahren - nur einer als unsicher bzw. schwierig erachteten prozessualen Lage Rechnung getragen.
Bei Würdigung der fehlerhaften bzw. unvollständigen Angaben der Klägerin unter Berücksichtigung der oben festgestellten Umstände bei der Erstantragstellung am 4. November 2004 kann der Senat zwar nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die unzutreffenden Angaben der Klägerin bei ihrer Erstantragstellung auf eine fehlerhaften Beratung anlässlich der Vorsprache am 4. November 2004 zurückzuführen sind. Indes kommt nach dem zur vollen Überzeugung des Senats festgestellten Geschehensablauf eine fehlerhafte oder auch nur von der Klägerin missverstandene Beratung mit der Folge entsprechender Rechtsirrtümer ernsthaft in Betracht. So spricht der Umstand, dass anlässlich der Antragsstellung am 4. November 2004 mit J und über sie in Zusammenhang mit der SGB II–Antragstellung gesprochen wurde, für die Plausibilität der Angaben der Klägerin und der Zeugin J, dass auf der Grundlage dieses Gesprächs mit einer Mitarbeiterin des Beklagten auf die Stellung eines (gesonderten) SGB II-Leistungsantrag verzichtet worden war, um der J bürokratischen Aufwand und eine "Stigmatisierung" zu ersparen. In Anbetracht dessen, dass im November 2004 das System der Grundsicherung für Arbeitsuchende auch für die Mitarbeiter des Beklagten völlig neu war, liegt die Möglichkeit einer nicht adäquaten Beratung jedenfalls nicht fern. Nach alledem sprechen diverse Indizien dafür, dass die Klägerin unter dem Eindruck eines zumindest missverständlichen Beratungsgesprächs und im Zusammenwirken bzw. unter der "Aufsicht" einer für den Beklagten handelnden Person ihren Erstantrag mit fehlerhaften bzw. unvollständigen Angaben zu ihren Wohnverhältnissen und zum Kindergeldbezug einreichte und bei diesem Geschehensablauf keinesfalls eine besonders grobe und auch subjektiv unentschuldbare Pflichtverletzung vorgelegen hätte. Im Hinblick darauf, dass der Beklagte für das Vorliegen der einen Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X ausschließenden Tatsachen die Feststellungslast trägt, kann der Senat daher nicht feststellen, dass die Klägerin vorsätzlich oder grob fahrlässig iSd § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X gehandelt hat.
Der Klägerin kann auch nicht nachgewiesen werden, dass sie die Rechtswidrigkeit der teilweise aufgehobenen Bewilligungsbescheide kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (§ 45 Abs. 3 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Denn ihr ist nicht zu widerlegen, dass sie aufgrund einer Beratung durch den Beklagten davon ausgegangen war, dass einerseits das für ihre Tochter gezahlte Kindergeld J zustehe und andererseits ihr - der Klägerin - aufgrund der zivilrechtlichen Verpflichtung zur Zahlung der gesamten Miete ein Anspruch auf die vollen KdU zugestanden hätte. Damit kann auch nicht festgestellt werden, dass die Klägerin aufgrund einfachster und naheliegender Überlegungen sicher beim Lesen der Bewilligungsbescheide hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch so nicht bestanden hatte (vgl. Schütze, in von Wulffen/Schütze, SGB X, 14. Aufl., § 45 Rn. 56 mwN).
Die geforderte Erstattung von 12.030,78 EUR für die Zeit vom 1. Januar 2005 bis 30. November 2007 geht gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X geht hiernach ins Leere.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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BRB
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