L 18 AS 3347/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 104 AS 27366/13
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AS 3347/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Oktober 2014 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.
Die Kläger wenden sich gegen einen Versagungsbescheid des Beklagten.

Die Kläger zu 1) und 2), beide im Jahr 1987 geboren und Lebenspartner, und deren 2006 und 2012 geborenen gemeinsamen Kinder, die Kläger zu 3) und 4), bilden eine Haushaltsgemeinschaft. Im Januar 2013 beantragten sie die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II). Nachdem der Beklagte - teilweise ergebnislos - Nachweise ua zum Einkommen, zum Mietverhältnis, zum Krankenversicherungsschutz und zum Aufenthaltsstatus sowie die Sozialversicherungsausweise und Kontoauszüge angefordert hatte, versagte er die Gewährung von SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2013 (Bescheid vom 16. April 2013).

Im Juni 2013 stellten die Kläger erneut einen Leistungsantrag für die Zeit ab 1. Juli 2013. Mit Schreiben vom 4. Oktober 2013 forderte der Beklagte zur Prüfung des Leistungsanspruchs erneut Unterlagen an bzw erbat weitere Angaben; auf den Inhalt des Schreibens und des dort enthaltenen Rechtsfolgenhinweises wird Bezug genommen. Mit Bescheid vom 6. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 versagte der Beklagte erneut die Gewährung von SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2013. Eine vorläufige Leistungsbewilligung erfolgte schließlich für die Zeit ab 1. März 2014 (Bescheid vom 4. März 2014).

Das Sozialgericht (SG) Berlin hat die auf Aufhebung des Bescheides vom 6. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom 28. Oktober 2014). Zur Begründung ist ausgeführt: Die Klage sei nicht begründet. Der Beklagte habe die Gewährung von SGB II-Leistungen für die Zeit ab 1. Januar 2013 zu Recht versagt. Grundlage hierfür sei § 66 Abs. 1 und 3 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I). Ihren zumutbaren Mitwirkungspflichten entsprechend dem Schreiben vom 4. Oktober 2013 seien die Kläger bislang ganz überwiegend nicht nachgekommen. Der Rechtsfolgenhinweis des Beklagten sei nicht zu beanstanden. Es seien auch keine Ermessensfehler ersichtlich.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie tragen vor: Sie seien zwischenzeitlich ihren Mitwirkungspflichten nachgekommen. Der Beklagte habe für diesen Fall im Termin zur mündlichen Verhandlung beim SG zu Protokoll zugesagt, ihnen für den gesamten Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 28. Februar 2014 Leistungen zu gewähren.

Die Kläger beantragen,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 28. Oktober 2014 und den Bescheid des Beklagten vom 6. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist darauf, dass die Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der Leistungen nach § 67 SGB I nicht Gegenstand des Verfahrens sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Gerichtsakten und die kopierten Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und sind Gegenstand der Beratung gewesen.

II.
Der Senat hat gemäß § 153 Abs. 4 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) die Berufung des Klägers durch Beschluss zurückweisen können, weil er dieses Rechtsmittel einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich gehalten hat. Die Beteiligten sind hierzu vorher gehört worden (vgl. § 153 Abs. 4 Satz 2 SGG).

Die Berufung der Kläger, mit der diese ihre isolierte Anfechtungsklage iSv § 54 Abs. 1 Satz 1 Regelung 1 SGG gegen den Versagungsbescheid des Beklagten vom 6. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 weiter verfolgen (vgl zur statthaften Klageart zB BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 45/07 R = SozR 4-1200 § 60 Nr 2), ist nicht begründet.

Die Klage ist bereits unzulässig, soweit der Beklagte eine die Beteiligten und das Gericht bindende (vgl § 77 SGG) Versagungsentscheidung für die Zeit ab 1. Januar 2013 bereits mit dem bestandskräftigen Bescheid vom 16. April 2013 getroffen hatte. Die hier (nur) angefochtene erneute Versagungsentscheidung für die Zeit ab 1. Januar 2013 im Bescheid vom 6. November 2013 stellt sich insoweit lediglich als wiederholende Verfügung dar, da der Beklagte den Bescheid vom 16. April 2013 zu keiner Zeit aufgehoben hat. Die Versagung einer Sozialleistung wegen fehlender Mitwirkung ist nämlich ein gestaltender Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der die entzogenen Leistungsansprüche bis zur Erfüllung der Mitwirkungspflicht entzieht (vgl BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 - 4 RA 44/94 = SozR 3-1200 § 66 Nr 3). Selbst wenn im Hinblick auf den Leistungsantrag vom Juni 2013 für den Anschlussbewilligungszeitraum ab 1. Juli 2013 davon auszugehen wäre, dass sich der Regelungszeitraum des Bescheides vom 16. April 2013 nur bis zum Ablauf des am 1. Januar 2013 beginnenden sechsmonatigen Bewilligungszeitraumes, dh bis 30. Juni 2013, erstrecken sollte, die Klage mithin zulässig wäre, soweit sich die Versagung auf die Zeit ab 1. Juli 2013 bezieht, wäre die Klage nicht begründet.

Der Bescheid vom 6. November 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Dezember 2013 ist rechtmäßig. Über den Leistungsanspruch der Kläger ab 1. Januar 2013 war dabei nicht zu befinden.

Die Kläger traf eine Mitwirkungsobliegenheit zur Vorlage der geforderten Unterlagen bzw zur Angabe der erbetenen Informationen gemäß § 60 SGB I. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I hat, wer Sozialleistungen beantragt oder erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind, Beweismittel zu bezeichnen und auf Verlangen des zuständigen Leistungsträgers Beweisurkunden vorzulegen oder ihrer Vorlage zuzustimmen. Die Mitwirkungsobliegenheiten des SGB I gelten auch im Rahmen des SGB II (vgl zum Ganzen BSG, Urteil vom 19. September 2008 - B 14 AS 45/07 R -). Dies gilt auch für die Norm des § 66 SGB I, die die Rechtsfolgen unterbliebener Mitwirkung im Allgemeinen normiert (Versagung oder Entziehung der Leistung). Auch diese Sanktionen statuierende Norm des SGB I kann im Rahmen des SGB II ergänzend herangezogen werden (vgl BSG aaO).

Mangels einer spezifischen Mitwirkungs-Norm im SGB II konnte der Beklagte daher auf § 60 SGB I als Rechtsgrundlage für ihr Mitwirkungsbegehren abstellen. Die von dem Beklagten geforderten Tatsachenangaben bzw Beweismittel oder -urkunden waren auch nicht durch § 65 SGB I begrenzt. Nach § 65 SGB I bestehen die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 SGB I nicht, soweit 1. ihre Erfüllung nicht in einem angemessenen Verhältnis zu der in Anspruch genommenen Sozialleistung oder ihrer Erstattung steht oder 2. ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann oder 3. der Leistungsträger sich durch einen geringeren Aufwand als der Antragsteller oder Leistungsberechtigte die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann. Es ist nicht ersichtlich, dass hier eine Unzumutbarkeit im vorgenannten Sinne vorgelegen hätte. Es ist auch nicht erkennbar, dass sich der Beklagte die von den Klägern gewünschten Informationen bzw Unterlagen auf leichtere Weise beschaffen könnte bzw hätte beschaffen können.

Der angefochtene Versagungsbescheid ist auch gemäß § 66 SGB I formell rechtmäßig. Nach § 66 Abs. 3 SGB I dürfen Sozialleistungen wegen fehlender Mitwirkung nur versagt oder entzogen werden, nachdem der Leistungsberechtigte auf diese Folge schriftlich hingewiesen worden ist und seiner Mitwirkungspflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten angemessenen Frist nachgekommen ist. Dies war hier der Fall. Der Beklagte hat die Kläger mit Schreiben vom 4. Oktober 2013 unter Fristsetzung bis zum 21. Oktober 2013 zur Mitwirkung aufgefordert. Diese sind ihren Mitwirkungspflichten ganz überwiegend nicht nachgekommen. Auf die zutreffenden Ausführungen des SG in dem angefochtenen Urteil (S 6 Absätze 3 bis 5) nimmt der Senat in entsprechender Anwendung von § 153 Abs. 2 SGG Bezug. Auch Ermessensfehler des Beklagten sind nicht ersichtlich.

Es ist auch nicht feststellbar, dass die Kläger, wie sie nunmehr im Berufungsverfahren vortragen, ihren Mitwirkungspflichten zwischenzeitlich - nach ihren Angaben im Januar 2015 - vollständig nachgekommen sind. Mit der Vorlage der von den Klägern im Schriftsatz vom 2. Juni 2015 bezeichneten Unterlagen ist den Mitwirkungspflichten aus dem Schreiben vom 4. Oktober 2013 nicht vollständig genügt. So fehlt etwa weiterhin die erbetene Bescheinigung des Vermieters. Auch eine Aufhebungsentscheidung des Beklagten liegt nicht vor. Die rechtfertigende Wirkung der Versagungsermächtigung nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Regelung 1 SGB I ist zwar begrenzt auf die Zeit "bis zur Nachholung der Mitwirkung" (vgl BSG, Urteil vom 22. Februar 1995 - 4 RA 44/94 - Rn 38), eine entsprechende Verwaltungsentscheidung über die Aufhebung hat der Beklagte (mWv Zeitpunkt der Mitwirkungshandlung) indes bislang nicht getroffen. Auch eine überprüfbare Verwaltungsentscheidung nach § 67 SGB I, dh eine nach ggfs erfolgter Nachholung der Mitwirkung zu treffende Entscheidung über die nachträgliche Erbringung der versagten Leistungen, die der Beklagte hier im Termin zur mündlichen Verhandlung bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Leistungen offenbar zugesichert hatte, fehlt bislang (vgl BSG aaO Rn 40).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 1 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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