L 13 SB 102/15

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 34 SB 456/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 102/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 5. März 2015 aufgehoben sowie der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 9. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2011 verpflichtet, bei der Klägerin mit Wirkung ab dem 26. März 2014 einen Gesamt-GdB von 50 festzustellen. Der Beklagte hat der Klägerin deren notwendige außergerichtliche Kosten des gesamten Verfahrens zur Hälfte zu erstatten. Im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB).

Bei der Klägerin war 2004 ein Grad der Behinderung von 30 festgestellt worden. Ihren Neufeststellungsantrag vom 5. Oktober 2010, mit dem sie auch das Merkzeichen G begehrte, wies der Beklagte mit Bescheid vom 9. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2011 mit der Begründung zurück, dass der Grad der Behinderung unverändert 30 betrage. Der Beklagte ging hierbei von folgenden Funktionsbeeinträchtigungen aus:

a) psychosomatische Erkrankung (Einzel-GdB 10), b) Harninkontinenz, Beckenbodenplastk (Einzel-GdB 20), c) Funktionsstörung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20).

Mit der Klage bei dem Sozialgericht Potsdam hat die Klägerin einen Grad der Behinderung von mindestens 50 begehrt. Das Sozialgericht hat neben Befundberichten das Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. S vom 23. April 2014 eingeholt, der einen Gesamt-GdB von 40 vom Tag der Untersuchung der Klägerin am 26. März 2014 an vorgeschlagen hat. Hierbei ist der Sachverständige von folgenden GdB-relevanten Funktionsbeeinträchtigungen ausgegangen:

1. Depression, Hinweise auf Somatisierung (Einzel-GdB 20), 2. Wirbelsäulenfunktionsstörung bei Verschleiß, Wirbelkörperbruch mit operativer Behandlung und Einbau einer innere Schiene, chronifiziertes morphinpflichtiges Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 30), 3. Harninkontinenz, Beckenbodenplastik (Einzel-GdB 20).

Daraufhin hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 21. August 2014 erklärt, er werde bei der Klägerin ab 26. März 2014 einen GdB von 40 festsetzen. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen und den Rechtsstreit im Übrigen fortgeführt.

Das Sozialgericht hat weiter das Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. C vom 20. September 2014 eingeholt, der den Gesamt-GdB bei der Klägerin auf 50 ab Anfang 2014 eingeschätzt hat. Auf seinem Fachgebiet hat er die Funktionsbehinderung Depression mit Somatisierung mit einem Einzel-GdB von 30 eingeschätzt.

Das Sozialgericht Potsdam hat mit Urteil vom 5. März 2015 die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Gesamt-GdB lediglich 40 betrage. Der Beklagte hat sein Teilanerkenntnis mit Ausführungsbescheid vom 13. April 2015 ausgeführt.

Gegen die Entscheidung des Sozialgerichts hat die Klägerin Berufung eingelegt, mit der sie ihr Begehren zunächst weiterverfolgt, im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter auf den Zeitraum ab 26. März 2014 beschränkt hat.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Potsdam vom 5. März 2015 aufzuheben sowie den Beklagten unter Änderung des Bescheides vom 9. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2011 in der Fassung des Ausführungsbescheides vom 13. April 2015 zu verpflichten, bei ihr mit Wirkung ab dem 26. März 2014 einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass seine Entscheidung zutreffend ist.

Wegen der weiteren Ausführungen der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen. Ferner wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, da die Beteiligten hiermit einverstanden sind (§ 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die zulässige Berufung der Klägerin ist, soweit sie sie aufrecht erhält, begründet.

Der Klägerin hat Anspruch auf Feststellung eines GdB von 50 mit Wirkung ab dem 26. März 2014.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Hierbei sind die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" heranzuziehen.

Die Bewertungen der Behinderungen der Klägerin im Funktionssystem Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB 30 und im Funktionssystem Harnorgane mit einem Einzel-GdB von 20 stehen zwischen den Beteiligten – zu Recht – nicht im Streit.

Die psychischen Behinderungen der Klägerin sind mit einem Einzel-GdB von 30 anzusetzen. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Darlegungen des Sachverständigen Dr. C in dessen Gutachten vom 20. September 2014. Auf der Grundlage einer eingehenden neuropsychiatrischen und neuropsychologischen Untersuchung der Klägerin ist der Gutachter zu dem Schluss gelangt, dass sie unter einer Depression mit Somatisierung leidet, bei der es sich um eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit handelt. Eine maßgebliche Verschlechterung ist nach dem Tod des Ehemanns aufgetreten. Der Umstand, dass die Klägerin sich in keiner fachärztlichen Behandlung befindet, ist für die Höhe des GdB grundsätzlich unmaßgeblich. Dies ergibt sich aus dem Vergleich mit der Vermutungsregelung in Teil A Nr. 2i der Anlage zu § 2 VersMedV, wonach zu Gunsten des Behinderten das Vorliegen von außergewöhnlichen seelischen Begleiterscheinungen anzunehmen ist, wenn anhaltende psychoreaktive Störungen in einer solchen Ausprägung vorliegen, die eine spezielle ärztliche Behandlung dieser Störungen - z. B. eine Psychotherapie - erforderlich macht. Auf der anderen Seite schließt das Fehlen der tatsächlichen Inanspruchnahme ärztlicher oder psychotherapeutischer Hilfe das Vorliegen schwerer psychischer Leiden nicht aus. Die erhöhte Tagesaktivität der Klägerin ist, wie der Sachverständige nachvollziehbar herausgearbeitet hat, gerade Ausdruck ihrer seelischen Erkrankung, die eher agitiert ausgeprägt ist mit innerer Unruhe, Bewegungsdrang und Rastlosigkeit.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird.

Bei der Klägerin ist der Gesamt-GdB danach im streitbefangenen Zeitraum mit 50 festzusetzen. Der Einzel-GdB von 30 für die seelische Erkrankung ist nach den gutachterlichen Ausführungen, denen sich der Senat anschließt, unter Berücksichtigung der Behinderungen der Klägerin im Funktionssystem Wirbelsäule mit einem Einzel-GdB 30 und im Funktionssystem Harnorgane mit einem Einzel-GdB von 20 um insgesamt 20 auf 50 heraufzusetzen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ausgang des Verfahrens.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht erfüllt.
Rechtskraft
Aus
Saved