L 13 SB 180/13

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 125 SB 2560/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 180/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die 1945 geborene Klägerin begehrt die Zuerkennung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50. Sie beantragte am 29. November 2010 beim Beklagten die Feststellung des GdB und macht hierzu im Wesentlichen Wirbelsäulenbeschwerden und ein depressives Leiden geltend. Mit Bescheid vom 7. Juni 2011 stellte der Beklagte bei der Klägerin einen GdB von 30 fest und legte dem folgende Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:

a) Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Muskelreizerscheinungen der Wirbelsäule (Einzel-GdB 20), b) Depression, psychosomatische Störungen (Einzel-GdB 20), c) Knorpelschäden am Kniegelenk rechts (Einzel-GdB 20).

Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2011 zurück. Mit der hiergegen gerichteten Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt. Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin, physikalische und rehabilitative Medizin Dr. S. Nach Untersuchung der Klägerin am 12. Februar 2013 hat der Sachverständige in seinem Gutachten vom 19. März 2013 die Einschätzung erlangt, bei der Klägerin bestünden folgende Funktionsbeeinträchtigungen:

1. Funktionsstörungen der Wirbelsäule bei Verschleiß, Knochenentkalkung (Osteoporose) (Einzel-GdB 20), 2. Kniegelenkverschleiß rechts, Fußfehlform und Fersensporn, Hüftgelenkleiden rechts, Krampfaderleiden rechts (Einzel-GdB 20), 3. Depression, Somatisierungsstörung, phobischer Schwankschwindel (Einzel-GdB 20).

Ferner hat der Sachverständige eine Fingergelenkfunktionsstörung bei Verschleiß festgestellt, die jedoch keinen Einzel-GdB von mindestens 10 erreiche. Der Gesamt-GdB betrage 30. Mit Urteil vom 18. Juli 2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und sich zur Begründung im Wesentlichen auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. S gestützt. Das Urteil ist der Klägerin am 26. Juli 2013 zugestellt worden.

Mit der am 8. August 2013 erhobenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Hierzu hat sie insbesondere geltend gemacht, seit der Untersuchung durch den Sachverständigen hätten sich ihre orthopädischen und psychischen Leiden verschlechtert. Die im Termin zur mündlichen Verhandlung ausgebliebene Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Juli 2013 aufzuheben und den Beklagten unter Änderung seines Bescheides vom 7. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2011 zu verpflichten, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 ab dem 29. November 2010 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Facharztes für Orthopädie Dr. Sp, der die Klägerin am 15. Juli 2015 untersucht hat und in seinem Gutachten vom 24. Juli 2015 zu der Einschätzung gelangt ist, seit November 2010 sei eine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes der Klägerin nicht zu erkennen. Er folge den Feststellungen des Sachverständigen aus erster Instanz. Eine Schmerzmedikation sei bis zum heutigen Tage nicht erforderlich. Auch die Freizeitaktivitäten der Klägerin deuteten nicht auf eine schwergradige funktionelle Einschränkung hin. Im Einzelnen bestünden geringgradige Funktionsstörungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, wofür ein Einzel-GdB von 20 angemessen sei. Der Hüftgelenksverschleiß sei altersentsprechend, ein wesentlicher Kniegelenkverschleiß sei nicht nachweisbar. Die durchgeführten Röntgenuntersuchungen zeigten, dass es zu einer wesentlichen Progredienz der Kniegelenkserkrankung seit 2007 nicht gekommen sei. Deshalb könne für die Erkrankungen an den unteren Extremitäten ebenfalls ein GdB von 20 zuerkannt werden. Die Fingergelenkfunktionsstörungen seien gering und führten nicht zu einer über die Altersnorm hinausgehenden funktionellen Einschränkung, ein Einzel-GdB von 10 werde nicht erreicht. Depression, Somatisierungsstörung und Schwankschwindel seien ebenfalls mit 20 zu bewerten.

Die Klägerin hält mit dem Gutachten ihre orthopädischen Einschränkungen nicht für hinreichend erfasst. Darüber hinaus sei sie auch auf Tabletten gegen zu hohen Blutdruck angewiesen und auch psychisch sehr labil. Oft sei sie den Tränen nahe. Besonders belastend sei es für sie gewesen, ihren 2014 verstorbenen Ehemann seit 2008 gepflegt zu haben.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Inhalt der Streitakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte gem. §§ 153 Abs. 1, 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG) über die Berufung der Klägerin trotz ihres Ausbleibens im Termin zur mündlichen Verhandlung entscheiden, weil die Klägerin mit der Terminsladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist und sie auch im Rahmen der telefonischen Mitteilung über ihr Ausbleiben eine Terminsverlegung nicht beantragt hat.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines Grades der Behinderung über 30.

Nach den §§ 2 Abs. 1, 69 Abs. 1 Sozialgesetzbuch, Neuntes Buch (SGB IX) sind die Auswirkungen der länger als sechs Monate anhaltenden Funktionsstörungen nach Zehnergraden abgestuft entsprechend den Maßstäben des § 30 Bundesversorgungsgesetz zu bewerten. Heranzuziehen sind hierbei die in der Anlage zur Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 festgelegten "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VMG). Diesen Vorgaben entsprechend hat das Sozialgericht auf der Grundlage des Gutachtens des Facharztes für Allgemeinmedizin, physikalische und rehabilitative Medizin Dr. S überzeugend dargelegt, dass der Gesamt-GdB bei der Klägerin 30 beträgt. Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren rechtfertigt keine andere Entscheidung. Insbesondere hat der durch den Senat mit der erneuten Untersuchung und Begutachtung der Klägerin beauftragte Facharzt für Orthopädie Dr. Sp die Einschätzung des Sachverständigen aus erster Instanz in vollem Umfange bestätigt.

Auch soweit sich die Klägerin auf ihre labile Psyche und den Bluthochdruck beruft, ergibt sich daraus nichts Anderes. Ausweislich des von ihr vorgelegten Untersuchungsberichts des Herzzentrums Berlin vom 19. Juni 2015 ist der Blutdruck medikamentös zufriedenstellend reguliert und es ergeben sich keine Hinweise auf eine Organbeteiligung. Der insoweit anzusetzende GdB beträgt daher nach Ziffer B.9.3 der VMG maximal 10. Die psychische Labilität der Klägerin ist durch beide ärztlichen Gutachter bereits mit einem GdB von 20 bewertet worden. Dies entspricht der in Ziffer B.3.7 der VMG vorgesehenen Bewertung für leichte psychovegetative oder psychische Störungen. Dafür, dass bei der Klägerin bereits eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit vorliegt, ist hingegen nichts ersichtlich.

Liegen – wie hier – mehrere Beeinträchtigungen am Leben in der Gesellschaft vor, ist der GdB gemäß § 69 Abs. 3 SGB IX nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen. Nach Teil A Nr. 3c der Anlage zur VersMedV ist bei der Beurteilung des Gesamt-GdB von der Funktionsstörung auszugehen, die den höchsten Einzel-GdB bedingt, und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Bei der Klägerin ist der Gesamt-GdB danach mit 30 festzusetzen. Der GdB von 20 für die orthopädischen Funktionsbeeinträchtigungen im Bereich der Wirbelsäule ist lediglich unter Berücksichtigung des mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewertenden psychischen Leidens um einen Zehnergrad auf einen Gesamt-GdB von 30 heraufzusetzen. Hingegen wirkt sich die weitere orthopädische Funktionsbeeinträchtigung der unteren Extremitäten mit einem Einzel-GdB von ebenfalls 20 wegen der Überschneidung mit dem Funktionssystem der Wirbelsäule nicht weiter erhöhend aus. Es bleibt daher bei einem Gesamt-GdB von 30, der nach Überzeugung des Senats die Gesamtauswirkungen der Beeinträchtigungen angemessen abbildet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für eine Zulassung der Revision gem. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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