L 11 VG 54/09

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
11
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 44 VG 147/07
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 11 VG 54/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Beschädigtenrente und Heilbehandlung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG). Die 1960 geborene, allein lebende und seit 1998 krankheitsbedingt nicht mehr berufstätige Klägerin verständigte am Morgen des 2. April 2006 die Polizei, welche sie anschließend in ihrer Wohnung mit mehreren Schnittverletzungen vorfand. Der Eingangsbereich zur Wohnung sowie das Treppenpodest waren großflächig mit Blut bespritzt. Blutspuren fanden sich auch im Flur, dem Bad und dem sogenannten Kinderzimmer. Ausweislich der polizeilichen Vermerke gab die Klägerin an, dass es an ihrer Tür geklingelt habe und sie durch den Türspion einen Mann bemerkt habe, welcher ein T-Shirt und ein geblümtes Hemd über den Kopf gezogen gehabt habe. In der Annahme, es sei ihr Sohn, habe sie die Wohnungstür geöffnet und habe dem leicht schwankenden Mann helfen wollen. Die Person habe keine Bein- oder Unterleibskleidung getragen, sei im Genitalbereich rasiert gewesen und habe schwarze Springerstiefel getragen. Sodann sei sie von dem ca. 25jährigen Mann in den Flur gedrängt und mit einem scharfen Gegenstand angegriffen und verletzt worden. Nachdem der Täter ihr diverse Verletzungen zugefügt gehabt habe, habe er von ihr abgelassen und das Gebäude verlassen. Vom Zimmerfenster habe sie gesehen, wie der Täter im Nachbarhaus geklingelt habe und dann im Hausflur verschwunden sei. Die Klägerin wurde im H Klinikum B vom 2. bis 7. April 2006 chirurgisch behandelt. Nach dem gerichtsärztlichen Gutachten des Arztes für Rechtsmedizin Dr. R vom 16. Mai 2006 wies die Klägerin eher oberflächliche Schnittverletzungen an der linken Augenbraue seitlich, am linken Auge unten, am linken Ohr, am linken Rücken und an der linken Wade sowie eine breite und tiefe Schnittwunde mit Muskelbeteiligung am linken Oberarm auf. Ferner sei in den Krankenhausunterlagen ein Bruch des linken Jochbeins angegeben, den ein Schlag oder Sturzgeschehen verursacht haben könne. Auch wenn eine Fremdbeibringung nicht ausschließbar sei, müsse an eine Selbstbeibringung der Verletzungen gedacht werden, die möglich erscheine. Nachfolgend wurde die Klägerin vom 7. bis 21. April 2006 im S-Krankenhaus stationär und bis 24. April 2006 als Tagespatientin psychiatrisch behandelt. Nach dem Entlassungsbericht bestand der Verdacht auf eine Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis sowie auf eine komplexe dissoziative Störung. Diagnostiziert wurden eine posttraumatische Belastungsstörung, eine akute Belastungsreaktion sowie eine Persönlichkeitsstörung. Ausweislich polizeilicher Vermerke konnten die von der Polizei befragten Nachbarn keine Angaben machen, die sich mit der Tatbeschreibung der Klägerin deckten oder diese ergänzten. Der Nachbar K gab gegenüber den Polizeibeamten an, gegen 6:00 Uhr auf lautes Poltern in der Wohnung der Klägerin und im Treppenhaus aufmerksam geworden zu sein. Durch den Türspion habe er die Klägerin erkannt, die Thermoskannen oder ähnliche Gefäße im Arm gehalten habe und auf dem Weg treppab gewesen sei. Verletzungen habe er nicht wahrgenommen. Kurze Zeit später habe es erneut gepoltert, er habe durch den Türspion eine Person wahrgenommen, die er nicht erkannt habe. Hätte die Klägerin im Treppenhaus um Hilfe gerufen oder sich sonst wie bemerkbar gemacht, hätte er es gehört. Die Nachbarin K gab an, dass die Klägerin unter Wahnvorstellungen leide und sich seit langem von Phantomen verfolgt fühle. Sie würde zurückgezogen leben und niemanden in ihre Wohnung lassen. Die Nachbarin W gab an, dass sie gegen 6:15 Uhr wach gewesen sei und nichts Außergewöhnliches wahrgenommen habe. Rangeleien oder Rufe aus dem Hausflur hätte sie auf jeden Fall gehört. Gegen 6:30 Uhr habe sie lautes Poltern vernommen und gehe davon aus, dass dies die eingesetzten Polizeibeamten verursacht hätten. Der die Klägerin seit Februar 2002 behandelnde praktische Arzt und Facharzt für Psychosomatische Medizin Dr. R gab nach den polizeilichen Vermerken an, dass die regelmäßig bei ihm in Therapie befindliche Klägerin eine Patientin mit paranoid eingefärbter Persönlichkeit sei, die über eine autoaggressive Seite verfüge und eine "Welle aufgestauter Wut" vor sich herschiebe. Der Krankenhausarzt Dr. K erklärte auf Befragen gegenüber der Polizei, man habe wegen der Schwere der Verletzungen keinen Zweifel an den Angaben der Klägerin gehabt; die Lage der Schnittverletzungen bei der Klägerin ließen es jedoch möglich erscheinen, dass die Verletzungen selbst beigebracht worden sein könnten. Der Sohn der Klägerin, Herr O L, gab gegenüber der Polizei am 6. April 2006 telefonisch sowie im Rahmen seiner polizeilichen Vernehmung am 11. April 2006 an, dass seine Mutter unter erheblichem Realitätsverlust leide und sich in viele angebliche Geschehen hineinsteigere. Depressive Tiefs und aggressive Phasen würden sich bei ihr abwechseln. Er vermute, dass seine suizidgefährdete Mutter sich die Verletzungen selbst beigebracht habe. Das von der Mutter geschilderte Tatgeschehen glaube er "eigentlich" nicht. Wenn sich seine Mutter etwas eingeredet habe, dann bleibe sie auch dabei, das gehöre zum Krankheitsbild. Erst seit kurzem lasse seine Mutter ihn wieder in ihre Wohnung. Andere Personen, auch Nachbarn, lasse sie nicht herein. Mit Schreiben vom 8. August 2008 erklärte der Sohn, dass er seine Aussage vom 11. April 2006 zurückziehe, da diese "subjektiv euphorisch und schwergewichtig fehlerhaft, folglich unwahr" sei. Die Sozialarbeiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes R gab nach Vermerken der Polizeibeamten diesen gegenüber an, dass die Klägerin noch während der Krankenhausbehandlung mit ihr Kontakt aufgenommen und von der Tat berichtet habe. Sie habe Zweifel an der Verlaufsschilderung und glaube vielmehr, dass sich die Klägerin in einer Phase der Verwirrtheit die Verletzungen selbst zugefügt habe. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt des Geschehens unter großem Druck gestanden, da ein Fallmanagement zusammengerufen worden sei, um sich mit ihren Problemen auseinanderzusetzen, da die Einzelfallhilfe eine konkrete Mitarbeit der Klägerin an der Beseitigung der chaotischen Zustände in ihrer Wohnung verlangt habe und die Beräumung der vermüllten Wohnung seit Anfang April in vollem Gange gewesen sei. Am 26. April 2006 beantragte die Klägerin bei der AOK B - Die Gesundheitskasse – Leistungen nach dem OEG wegen eines auf sie am 2. April 2006 verübten Angriffs. Die AOK leitete den Antrag an den Beklagten weiter. Gegenüber dem Beklagten gab die Klägerin an, aufgrund der gegen sie gerichteten Tat an einer posttraumatischen Belastungsstörung, einer akuten Belastungsreaktion, einer Somatisierungsstörung und einer Angstreaktion zu leiden. Die seinerzeit zuständige Amtsanwaltschaft stellte das Ermittlungsverfahren am 16. Juni 2006 ein.

Nach Einsichtnahme in die Ermittlungsakten lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit Bescheid vom 27. September 2006 ab. Zur Begründung gab er an, dass nach dem Ergebnis seiner Ermittlungen keine zweifelsfreien Feststellungen über die Ursachen des schädigenden Vorfalls getroffen werden könnten. Zeugen, die den Vorfall beobachtet hätten, hätten nicht benannt werden können. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und trug vor, Opfer eines Mordversuchs geworden zu sein. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2007 mit der Begründung zurück, dass es keine zweifelsfreien Nachweise einer am 2. April 2006 erlittenen Gewalttat gebe. Am 11. Juni 2007 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht Berlin Klage erhoben und auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren verwiesen. Der Beklagte hat eine aussagepsychologische Stellungnahme des Fachpsychologen für Rechtspsychologie BDP/DGPs Prof. Dr. S vom 22. April 2008 zu den Akten gereicht. Dieser hat die Stellungnahme/das Gutachten nach Aktenlage und methodisch nach aussagepsychologischen Maßstäben erstellt, wie sie vom Bundesgerichtshof im Strafrecht anerkannt sind. Er ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Erlebnishypothese insbesondere die Suggestionshypothese entgegenstehe, dass die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Störungen Scheinerinnerungen über eine Fremdbeibringung ihrer Verletzungen entwickelt habe, obwohl sie sich diese selbst beigebracht habe. Eine positive Substantiierung der Überfallschilderung durch die Klägerin sei nicht möglich. Dr. R hat auf Betreiben der Klägerin eine fachärztliche Stellungnahme vom 30. Juni 2008 zur Frage der Fremd- bzw. Selbstverletzung übersandt. Er hat darin angegeben, dass bei der Klägerin folgende Diagnosekomplexe gesichert seien: Depressive Episode, Somatisierungsstörung, atypische Bulimia nervosa, Überlastungssyndrom, intermittierende subpsychotische Entgleisungen in schweren, traumatogenen Belastungssituationen; Differentialdiagnosen: diverse Persönlichkeitsstörungen. Er hat mitgeteilt, dass die Klägerin zu keiner Zeit an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose mit florider Wahnbildung gelitten habe. Allerdings habe sie sich phasenweise in Zuständen paranoider Gestimmtheit befunden, in denen der Realitätsbezug deutlich gelockert, jedoch niemals aufgehoben gewesen sei. Daher halte er eine Selbstverletzung der Klägerin für ausgeschlossen. Hierzu hat Prof. Dr. S am 1. Oktober 2008 ergänzend Stellung genommen und ausgeführt, dass Scheinerinnerungen keine Psychose voraussetzen würden, vielmehr die auch von Dr. R mitgeteilten Störungsdiagnosen zur Begründung der Autosuggestionshypothese ausreichten. Nachdem die Klägerin gegen die Einstellung des Strafverfahrens Beschwerde und den Vorwurf eines Mordversuchs erhoben hatte, hat die Staatsanwaltschaft Berlin das gegen Unbekannt geführte Strafverfahren zunächst wieder aufgenommen, es jedoch am 2. Oktober 2008 erneut eingestellt. Die Klägerin hat eine weitere Stellungnahme des Dr. R vom 20. März 2009 zu den Akten gereicht. Darin hat der Facharzt mitgeteilt, dass sich die Klägerin in seiner Stellungnahme vom 30. Juni 2008 nicht wiedergefunden habe. Er hat betont, dass er suizidale Handlungen der Klägerin ausschließe. Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht hat die Klägerin ihre Wahrnehmung des Tatgeschehens bekundet und beantragt, den Beklagten zur Anerkennung der erlittenen Schädigungsfolgen zu verurteilen. Mit Urteil vom 24. März 2009 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Vorliegen eines schädigenden Ereignisses im Sinne des § 1 OEG in Form eines vorsätzlichen, rechtswidrigen und tätlichen Angriffs nicht mit der hierfür erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt werden könne. Nach den Gesamtumständen würden die Angaben der Klägerin das beschriebene Tatgeschehen auch nicht als überwiegend wahrscheinlich erscheinen lassen, mit der Folge, dass die Beweiserleichterung des § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) keine Anwendung finde. Die Klägerin hat gegen das Urteil bereits am 20. April 2009 Berufung eingelegt. Die Urteilsgründe sind ihr am 15. Juni 2009 zugestellt worden. Die Klägerin hat die erstinstanzliche Sachverhaltsaufklärung gerügt und eine sozialmedizinische Begutachtung begehrt. Sie hat fachärztliche Stellungnahmen des Dr. R zu den Akten gereicht. In seiner Stellungnahme vom 26. Juni 2010 hat Dr. R mitgeteilt, dass er eine Selbstverletzung der Klägerin für ausgeschlossen halte, da es keine Hinweise, Phantasien oder Impulse gegeben habe, die in eine Richtung selbst verletzenden Verhaltens gehen könnten; dasselbe gelte für das gänzliche Fehlen suizidaler/subsuizidaler Tendenzen. Der Senat hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens der Diplom-Psychologin L. In der Beweisanordnung hat der Senat auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, den Beweismaßstab der relativen Wahrscheinlichkeit und die Abweichung zur Beurteilung von Aussagen im Strafverfahren hingewiesen. Die Sachverständige hat ihr Gutachten nach ambulanter Untersuchung der Klägerin am 30. Juni 2015 erstellt. Die Sachverständige ist zu der Einschätzung gelangt, dass die Klägerin zum Zeitpunkt der Untersuchung aussagetüchtig gewesen sei, es jedoch fraglich erscheine, ob sie aufgrund einer möglicherweise akuten psychotischen Erkrankung am Tattag in der Lage gewesen sei, den fraglichen Vorfall zuverlässig wahrzunehmen. Die Zuverlässigkeit der Aussage müsse wegen der hohen Täuschungskompetenz der Klägerin und der wirksam gewordenen Bearbeitungsprozesse herabgesetzt werden. Ihre Aussage sei hinreichend detailliert gewesen, habe jedoch nur wenige qualifizierte Realkennzeichen enthalten, die Hinweise auf ein tatsächliches Erleben geben könnten. Im Ergebnis lasse sich zwar kein handlungswirksames Motiv für eine Selbstverletzung finden, die Möglichkeit der Falschbezichtigung einer Fremdtat sei jedoch wegen der insoweit überdurchschnittlichen Kompetenzen der Klägerin nicht zurückzuweisen. Aus aussagepsychologischer Sicht gebe es ausreichend Hinweise dafür, dass die Fähigkeit der Klägerin zur zuverlässigen Wahrnehmung am Tattag eingeschränkt bzw. aufgehoben gewesen sei. Zwar könne die Wahrscheinlichkeit von Hypothese und Gegenhypothese nicht auf einer Skala von 1 bis 10 bestimmt werden, jedoch werde unter Abwägung der Gesamtbefunde die Erklärungsvariante am wahrscheinlichsten erachtet, dass die Aussagetüchtigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Vorfalls aufgrund einer psychischen Dekompensation eingeschränkt bzw. aufgehoben gewesen sei. Die "Wahrhypothese", wonach der geschilderte Vorfall einen Erlebnisbezug aufweise, könne nicht angenommen werden. Die Klägerin hat zum Sachverständigengutachten vom 30. Juni 2015 nicht Stellung genommen.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. März 2009 und den Bescheid des Beklagten vom 27. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Beschädigtenrente und Heilbehandlung nach dem OEG wegen der durch die Gewalttat am 2. April 2006 erlittenen Schädigungen zu gewähren. Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Er hält die Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend und sieht die Voraussetzungen für den Nachweis eines tätlichen Angriffs auf die Klägerin nicht als erfüllt an. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten, auf die beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft Berlin sowie den Verwaltungsvorgang des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des Sozialgerichts ist zutreffend. Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 27. September 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Mai 2007 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Diese hat wegen der Folgen des Vorfalls am 2. April 2006 keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente und Heilbehandlung. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), wer im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Voraussetzungen für einen Versorgungsanspruch der Klägerin sind nicht erfüllt. Nach Auffassung des Senats ist ein tätlicher Angriff auf die Klägerin nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit erwiesen. Nach der Rechtsprechung des BSG ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen (stRspr seit 1995; vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, juris Rn. 32 m.w.N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs ist danach aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten zu beurteilen und insbesondere sozial angemessenes Verhalten auszuscheiden. Als tätlicher Angriff ist eine in feindseliger bzw. rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer – jedenfalls versuchten – vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllen muss (stRspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, juris Rn. 25 m.w.N.). Der tätliche Angriff setzt die Einwirkung auf den Körper eines anderen voraus (BSG, Urteil vom 08. November 2007 - B 9/9a VG 2/06 R -, juris Rn. 16). Ein Angriff des Geschädigten auf sich selbst wird – auch bei fehlender Steuerungs-fähigkeit – nicht vom Schutzbereich der Norm umfasst. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat die Klägerin zu beweisen. Beweismaßstab ist nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 3/12 R -, juris Rn. 34) zunächst der Vollbeweis. Danach muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen, da ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit so gut wie nie zu erlangen ist. Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris Rn. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Für den Beweis eines Angriffs auf die Klägerin kann der Senat auf die Aussagen der Klägerin gegenüber der Polizei und dem Sozialgericht, auf die polizeilichen Ermittlungsergebnisse und die ärztlichen Behandlungsunterlagen zurückgreifen. Jedoch beruhen alle Angaben zu einem Angriff allein auf den Bekundungen der Klägerin. Unmittelbare Tatzeugen sind nicht vorhanden. Ein Täter konnte nicht ermittelt werden, die zur Tatzeit anwesenden Nachbarn der Klägerin können zum Tathergang mangels eigener Wahrnehmung des unmittelbaren Tatgeschehens keine Angaben machen. Die Aussage der Klägerin genügt zum Beweis eines Angriffs durch eine andere Person nicht, da erhebliche Zweifel an ihrer Aussagetüchtigkeit zum Zeitpunkt des Tatgeschehens bestehen. Insoweit stützt sich der Senat auf die nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen L. Nach Würdigung der verfügbaren Beweismittel ist ein tätlicher Angriff auf die Klägerin daher nicht im Sinne eines Vollbeweises mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit belegt. Es verbleiben nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung Zweifel, da die ernsthafte Möglichkeit einer Selbstverletzung durch die Klägerin besteht. Nach § 6 Abs. 3 OEG findet jedoch § 15 Satz 1 KOVVfG Anwendung. Danach sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Beweismaßstabes sind erfüllt. Zum einen wurden Unterlagen in Zusammenhang mit der Tat – die nicht allein auf Bekundungen der Klägerin beruhen – nie erstellt und können daher auch nicht beigezogen werden. Die Polizeiberichte und ärztlichen Behandlungsunterlagen beziehen sich nur mittelbar auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen. Zum anderen ist die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG auch dann anwendbar, wenn – wie hier – für den schädigenden Vorgang keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden sind (vgl. grundlegend BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 - sowie Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 3/12 R -, juris Rn. 39). Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich – neben dem Vollbeweis und dem Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit für die Ursächlichkeit der Folgen (Kausalität) – um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rn. 3d m.w.N.), d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, juris m.w.N.). Der Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a.a.O.), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist im Einzelfall darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 3/12 R -, juris Rn. 36). Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat die Klägerin einen tätlichen Angriff eines anderen gegen sie am 2. April 2006 nicht in hinreichendem Maße glaubhaft gemacht. Der Senat hält nach Gesamtwürdigung der Ermittlungsergebnisse die für einen tätlichen Angriff eines anderen sprechenden Umstände nicht für überwiegend wahrscheinlich. Die Möglichkeit einer Selbstverletzung der Klägerin ist mindestens ebenso wahrscheinlich, wie die Möglichkeit einer Fremdverletzung. Der Senat hat dabei berücksichtigt, dass es nach der Lage der Verletzungen der Klägerin physiologisch möglich ist, dass die Klägerin sich die Verletzungen selbst beigebracht haben könnte und diese ihr ebenso von einem Dritten beigebracht worden sein könnten und stützt sich dabei auf die Angaben des Krankenhausarztes Dr. K sowie des Arztes für Rechtsmedizin Dr. R. Der Senat hat auch berücksichtigt, dass ein Motiv für Selbstverletzungen nicht belegt ist. Die Sozialarbeiterin R hat jedoch gegenüber der Polizei angegeben, dass die Klägerin zum Tatzeitpunkt wegen behördlicher Eingriffe unter erheblichem Druck gestanden habe, was ein Selbstverletzungsmotiv begründen könnte. Der Senat hält die Aussage der Klägerin gegenüber der Polizei und dem Sozialgericht zum Tatgeschehen nicht für überwiegend glaubhaft. Er hält die Darstellung der Klägerin, einem für sie nicht erkennbaren Täter die Tür geöffnet zu haben, für wenig glaubhaft. In Anbetracht der geschilderten Situation hätte es nahe gelegen, entweder die Tür nicht zu öffnen oder sich gleich wieder in die Wohnung zu begeben. Aufgrund des von der Klägerin geschilderten Geschehens hätte sich einem unbefangenen Dritten die besondere Gefährlichkeit der Situation geradezu aufdrängen müssen. Die Aussage der Klägerin steht im Widerspruch zur Bekundung der Nachbarin K gegenüber der Polizei, dass die Klägerin niemanden in ihre Wohnung lasse. Auch ist das Vorbringen der Klägerin unschlüssig, dass in der von ihr beschriebenen Kampfsituation weder der Täter noch sie größeren Lärm verursacht hätten, etwa in Form von Angst- oder Hilfeschreien. Die im Haus der Klägerin wohnenden Nachbarn haben gegenüber der Polizei angegeben, keine Geräusche wahrgenommen zu haben, die für die beschriebene Tat sprechen. Der Nachbar K und die Nachbarin W haben gegenüber der Polizei angegeben, sich sicher zu sein, dass sie etwaige Geräusche eines Überfalls auf die Klägerin gehört hätten. Jedoch hat der Senat bei Prüfung der Glaubhaftigkeit der klägerischen Aussage auch berücksichtigt, dass die Beschreibung des Tatgeschehens durch die Klägerin –insbesondere auch die unrealistisch anmutende Bekundung der Klägerin über die fehlende Beinbekleidung des Täters – krankheitsbedingt unwahr sein könnte, gleichzeitig ein tätlicher Angriff auf die Klägerin aber tatsächlich stattgefunden haben könnte. Jedoch hält der Senat nach Gesamtwürdigung der Umstände auch dies nicht für überwiegend wahrscheinlich.

Der Senat stützt sich bei seiner Beurteilung der Glaubhaftigkeit der klägerischen Angaben zum Tatgeschehen auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen L. Das Gutachten ist verwertbar, da die Sachverständige nicht den strafrechtlichen Beweismaßstab des Vollbeweises, sondern den sozialrechtlich zutreffenden Maßstab der relativen Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt hat. Aussagepsychologische Gutachten haben auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts Bedeutung. Auf eine allein hypothesengeleitete Methodik kann im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG jedoch nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn – anders als vorliegend – der Beweismaßstab des Vollbeweises gilt (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 3/12 R -, juris Rn. 53). Ist – wie hier – § 15 Satz 1 KOVVfG anwendbar, reicht es aus, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des jeweiligen Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann. Die Sachverständige hat ihrem Gutachten vorliegend zutreffend den Maßstab der relativen Wahrscheinlichkeit zugrunde gelegt. Die Sachverständige L hat schlüssig und nachvollziehbar angegeben, dass es aus aussagepsychologischer Sicht ausreichende Hinweise dafür gebe, dass die Fähigkeit der Klägerin zur zuverlässigen Wahrnehmung am Tattag eingeschränkt bzw. aufgehoben gewesen sei. Diese Annahme wird durch die ärztlichen Diagnosen der die Klägerin vor und nach der Tat behandelnden Ärzte gestützt. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass die Aussage der Klägerin zwar hinreichend detailliert gewesen sei, sie jedoch nur wenige qualifizierte Realkennzeichen enthalten habe, die Hinweise auf ein tatsächliches Erleben geben könnten. Vielmehr sei die Aussage wegen der intellektuellen Fähigkeiten der Klägerin und der wirksam gewordenen Bearbeitungsprozesse nicht zuverlässig und bestehe die Möglichkeit, dass die Klägerin wegen einer akuten psychotischen Erkrankung am Tattag nicht in der Lage gewesen sei, den fraglichen Vorfall zuverlässig wahrzunehmen. Die "Wahrhypothese", wonach der von der Klägerin geschilderte Vorfall einen Erlebnisbezug aufweist, könne nicht angenommen werden. Die – nach Aktenlage erstellten – Äußerungen des von dem Beklagten beauftragten Gutachters Prof. Dr. S stützen zwar die Einschätzung der Sachverständigen L. Allerdings sind die aussagepsychologischen Stellungnahmen von Prof. Dr. S vom 22. April 2008 und 1. Oktober 2008 im Kern nicht zu verwerten, weil er sie allein nach hypothesengeleiteter Methodik erstellt hat, auf welche im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn – anders als vorliegend – der Beweismaßstab des Vollbeweises gilt (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 3/12 R -, juris Rn. 53). Der Senat folgt nicht der Einschätzung des Dr. R. Denn die sachverständigen Bekundungen des Dr. R sind ersichtlich unter dem Einfluss eines engen, seit 2002 bestehenden Arzt-Patienten-Verhältnisses abgegeben worden. Die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Tat gegenüber der Polizei abgegebene Erklärung des Dr. R steht ferner im Gegensatz zu den nach Wiederaufnahme der Behandlung gefertigten Stellungnahmen. In seiner von der Klägerin erbetenen Stellungnahme vom 20. März 2009 betont Dr. R, dass suizidale Handlungen der Klägerin auszuschließen seien. Gleichzeitig räumt er jedoch ein, dass dieser Ausschluss nicht mit Gewissheit getätigt werden könne ("soweit dies eben möglich sein kann") und teilt daher lediglich mit, dass er einen Suizidversuch für unwahrscheinlich halte. Jedoch bedeutet der Ausschluss bzw. die fehlende Wahrscheinlichkeit von Suizidhandlungen nicht zugleich den Ausschluss einer Selbstverletzungshandlung. Soweit Dr. R in seinen Stellungnahmen vom 30. Juni 2008 und 26. Juni 2010 Selbstverletzungshandlungen für ausgeschlossen hält, folgt der Senat dieser Einschätzung nicht. Die von Dr. R benannten Diagnosen schließen Selbstverletzungshandlungen nicht aus. Ferner stützt er seine Auffassung darauf, dass es ihm jederzeit möglich gewesen sei, Persönlichkeitsanteile der Klägerin anzusprechen und zu erreichen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass dies jeweils in einer Behandlungssituation erfolgte, in der die Klägerin in der Lage und bereit war, den Behandlungsort aufzusuchen, was die Möglichkeit einer anderen Handlungsweise außerhalb der Behandlungssituation am Morgen des 2. April 2006 zulässt. Schließlich zieht der Senat – lediglich ergänzend – die Bekundungen der Sozialarbeiterin R gegenüber der Polizei heran, die jeweils eine Selbstverletzung für überwiegend wahrscheinlich hielt. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine medizinisch fachkundige Aussage, jedoch hat die Sozialarbeiterin ihre Einschätzung in persönlicher Kenntnis der Klägerin und ihrer Probleme sowie Belastungssituation spontan abgegeben. Dieses Bekunden entfaltet daher zumindest eine Indizwirkung bei der Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der Geschehensalternativen. Auf die Bekundungen des Sohnes der Klägerin kommt es nicht an. Unabhängig von ihrer Verwertbarkeit können sie hinweggedacht werden, ohne dass sich am Ergebnis der Bewertung der relativen Wahrscheinlichkeit etwas ändert. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und berücksichtigt das Unterliegen der Klägerin. Die Revision war nicht zuzulassen, weil ein Grund hierfür gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegt.
Rechtskraft
Aus
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