L 1 KR 288/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 89 KR 2146/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 288/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 20/16 R
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Bemerkung
BSG: Revision - Vergleich
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit steht das Bestehen einer Familienversicherung in der Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 27. August 2012.

Die Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich -seit 1. Juni 2011 freiwillig- krankenversichert. Sie ist die Mutter der Beigeladenen zu 1) und 2), die 1998 bzw. 2003 geboren wurden. Deren Vater ist der Ehemann der Klägerin, der Einkünfte aus Gewerbebetrieb als Einzelunternehmer hat und nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist.

Die Klägerin beantragte im Dezember 2011/April 2012 die beitragsfreie Mitversicherung der Beigeladenen rückwirkend zum 1. Januar 2011 im Rahmen der Familienversicherung. Die bestehende freiwillige Krankenversicherung der Beigeladenen zu 1) und 2) wurde gekündigt.

Die Beklagte beschied die Klägerin mit Schreiben vom 30. April 2012, eine Familienversicherung für die Beigeladenen sei weder rückwirkend zum 1. Januar 2011 noch zum aktuellen Zeitpunkt möglich. Kinder seien nicht familienversichert, wenn der mit den Kindern verwandte Ehegatte des Mitgliedes privat versichert sei und sein Gesamteinkommen regelmäßig im Monat 1/12 der Jahresarbeitsentgeltgrenze übersteige und es regelmäßig höher als das Gesamteinkommen des Mitgliedes sei. So liege der Fall hier: Mit dem im Einkommenssteuerbescheid des Ehemannes 2010 ausgewiesenen Gesamteinkommen von 64 108,00 Euro (entsprechend monatlich 5 342,33 Euro) werde die Jahresarbeitsentgeltgrenze (2012: 3 825,00 Euro) überschritten. Das Gesamteinkommen des Ehemannes liege auch über dem Einkommen der Klägerin in Höhe von 52 398,00 Euro. Da der Einkommenssteuerbescheid 2010 am 27. März 2012 zugestellt worden sei, bilde er die Grundlage für die Prüfung der Familienversicherung ab diesem Tag. Für den Zeitraum davor sei der Einkommensteuerbescheid 2009 des Ehemannes maßgeblich. Dieser weise Monatseinnahmen in Höhe von 4 979,75 Euro aus, was ebenfalls die maßgebliche Jahresarbeitsentgeltgrenze in Höhe von 4 125,00 Euro des Jahres 2011 und auch die Einkünfte der Klägerin überschritten habe.

Die Klägerin erhob Widerspruch. Die Beklagte habe zu Unrecht den Einkommenssteuerbescheid des Ehemannes aus dem Jahr 2009 als Berechnungsgrundlage für das Einkommen 2011 zugrunde gelegt. Das wirkliche Einkommen des Ehemannes habe schon in diesem Jahr unter dem der Widerspruchsführerin gelegen. Auch müssten die Zuschläge, welche der Klägerin mit Rücksicht auf ihren Familienstand gewährt worden seien, mit in die Berechnung ihres Einkommens einfließen.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 2. November 2012 zurück. Auch unter Berücksichtigung der Familienzuschläge, welche die Klägerin erhalten habe, liege das Gesamteinkommen des Ehemannes über dem der Klägerin. Die Krankenkassen müssten zur Einkommensermittlung jeweils auf den letzten aktuellen Einkommenssteuerbescheid zurückgreifen. Dieser für freiwillig krankenversicherte hauptberuflich Selbständige geltende Grundsatz sei auch bei der Feststellung des Gesamteinkommens von selbständig Tätigen im Bereich der Familienversicherung maßgeblich. Deshalb könnten Veränderungen des Einkommens im Jahr 2011 erst ab Bekanntgabe des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2011 im August 2012 berücksichtigt werden.

Hiergegen hat die Klägerin am 28. November 2012 Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zu deren Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt.

Sie hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 30. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. November 2012 aufzuheben, festzustellen, dass für die Beigeladenen in der Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 27. August 2012 eine Familienversicherung aus dem Versicherungsverhältnis der Klägerin bestanden habe und für die Beigeladenen gezahlte Beiträge zur freiwilligen Versicherung für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 27. August 2012 in Höhe von insgesamt 4 619,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 v. H. aus einem Betrag in Höhe von 4 057,58 Euro seit dem 1. September 2012 sowie Zinsen in gleicher Höhe aus einem Betrag in Höhe von 562,26 Euro seit dem 1. April 2013 zu erstatten.

Das SG hat diese Klagen mit Urteil vom 27. Juni 2014 abgewiesen. Sie sei als objektive Klagehäufung gemäß § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, jedoch unbegründet. Zwar sei die Klägerin befugt, das Klagebegehren im eigenen Namen geltend zu machen, das sie als Stammversicherte bezüglich der Ablehnung der Familienversicherung ihrer Kinder unmittelbar in eigenen Rechten berührt sei (Bezugnahme auf Bundessozialgericht -BSG-, Urteil vom 25. August 2004 – B 12 KR 36/03 R , juris Rdnr. 12). Die Beklagte habe jedoch in der Sache zu Recht eine Familienversicherung nach § 10 Abs. 3 Halbsatz 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) in der streitgegenständlichen Zeit ausgeschlossen. Das von der Beklagten festgestellte Gesamteinkommen des Ehemannes und Vaters der Beigeladenen sei regelmäßig im Monat höher als 1/12 der in den Jahren 2011 und 2012 geltenden Jahresarbeitsentgeltgrenze und auch höher als das Gesamteinkommen der Klägerin gewesen. Zu Recht habe die Beklagte für diese Feststellung hinsichtlich des vom Ehegatten der Klägerin ab dem 1. Juni 2011 erzielten Arbeitseinkommens auf den Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2009 bzw. für den Zeitraum ab dem 27. Mai 2012 (Zustellung des Einkommenssteuerbescheides 2010) auf die im Einkommenssteuerbescheid 2010 ausgewiesenen Einkünfte abgestellt. Angesichts der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bleibe kein Raum für die begehrte Feststellung. Auch seien Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung nicht zu erstatten.

Gegen dieses ihr am 8. Juli 2014 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 1. August 2014. Zu deren Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft. Ergänzend hat sie ausgeführt, der hiesige Senat stehe mit seinem Urteil vom 31. Januar 2014 (L 1 KR 156/12) im Widerspruch zur Rechtsprechung des BSG. Dieses habe es für zulässig erachtet, die Aufhebung der Familienversicherung rückwirkend auszusprechen. Auch müsse ein Einkommenseinbruch wie vorliegend hinsichtlich der Einnahmen des Ehemanns der Klägerin auf anderem Wege als mittels des Einkommenssteuerbescheides nachweisbar sein. Dies ergebe sich auch aus den Einheitlichen Grundsätzen zum Meldeverfahren bei Durchführung der Familienversicherung des GKV-Spitzenverbandes vom 28. Juni 2011(Fami- Meldegrundsätze). Nach § 5 Abs. 3 der Fami Meldegrundsätze die für die Prüfung des Ausschlusses der Familienversicherung nach § 10 Abs. 3 SGB V das Gesamteinkommen durch geeignete Einkommensnachweise zu belegen. Dabei habe die Krankenkasse gemäß § 5 Abs. 6 bei Zweifeln, ob die Voraussetzungen vorlägen, vom Mitglied weitere Nachweise anzufordern. Als weitere Nachweise kämen insbesondere Einkommensnachweise oder sonstige Bescheinigungen in Betracht.

Die Klägerin beantragt:

1. Unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 3. Juli 2014 wird der Bescheid der Beklagten und Berufungsbeklagten vom 30. April 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2. November 2012 aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass für die Kinder der Klägerin S K, geboren 1998, und S K, geboren 2003, in der Zeit vom 1. Juni 2011 bis zum 27. August 2012 (einschließlich) bei der Beklagten eine Familienversicherung aus dem Versicherungsverhältnis der Klägerin bestanden hat.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin gezahlte Beiträge zur freiwilligen Versicherung für die Zeit vom 1. Juni 2011 bis 27. August 2012 in Höhe von insgesamt 4 619,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 v. H. aus einem Betrag von 4 057,58 Euro seit dem 1. September 2012 sowie Zinsen in gleicher Höhe aus einem Betrag in Höhe von 562,26 Euro seit dem 1. April 2013 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege gemäß § 153 Abs. 4 SGG entscheiden. Alle Beteiligten sind auf die Absicht, so vorzugehen, im Erörterungstermin am 27. Juni 2016 hingewiesen worden.

Der Berufung bleibt Erfolg versagt. Das SG hat die Klage zu Recht als zulässig, jedoch unbegründet erachtet. Der angegriffene Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen verweist der Senat auf die ausführliche Begründung im angegriffenen Urteil (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen ist nur noch zu ergänzen: Im Gegensatz zur Auffassung der Klägerin folgt aus der von ihr angeführten Entscheidung des BSG vom 25. August 2004 (B 12 KR 36/03 R) nicht, dass hier eine rückwirkende Feststellung des Bestehens der Familienversicherung zwingend geboten gewesen wäre. Das BSG hat nur ausgeführt, dass die Krankenkasse mangels eines anderslautenden Verwaltungsaktes über das Bestehen der Familienversicherung nicht gehindert gewesen sei, rückwirkend festzustellen, dass ab einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt nach dem Gesetz eine Familienversicherung nicht (mehr) bestanden habe (BSG, a. a. O., juris Rdnr. 25). Auch hier vertritt die Beklagte nicht die Auffassung, grundsätzlich an einer rückwirkenden Feststellung des Bestehens der Familienversicherung gehindert zu sein.

Der Senat hat auch bereits entschieden, dass die Grundsätze für die Einkommensermittlung bei freiwillig krankenversicherten Selbständigen auch für die Berechnungen nach § 10 Abs. 3 SGB V heranzuziehen sind (Urteil des Senats vom 31. Januar 2014, a. a. O.).

Gegenstand eines Einkommenssteuerbescheides ist die Festlegung der Höhe der in dem Veranlagungszeitraum erzielten Einkünfte. Schon aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität ist es geboten, dass die Krankenkassen für die Bestimmung der Einkünfte keine eigenen Ermittlungen anstellen, zu denen sie zudem regelmäßig nicht in der Lage sind dürften, sondern auf die von der Finanzverwaltung erteilten Steuerbescheide zurückgreifen. Dementsprechend hat auch die höchstrichterliche Rechtsprechung stets gebilligt, dass Tatbestandsvoraussetzungen von sozialrechtlichen Normen, die auf Einkünfte im Sinne des Einkommenssteuerrechts abstellen, unter Rückgriff auf den Inhalt der von der Finanzverwaltung erlassenen Steuerbescheide festgestellt worden sind (Urteil des Senats vom 31. Januar 2014 -L 1 KR 156/12- juris-Rdnr. 16 mit Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 25. August 2004 – B 12 KR 36/03 R – juris Rdnr 17; Urt. v. 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R - juris Rdnr 15; Urt. v. 2. September 2009 – B 12 KR 21/08 R – juris Rdnr 15). Gegen eine Verpflichtung zur Heranziehung gerade des Steuerbescheides über den Veranlagungszeitraum, welcher mit dem Zeitraum übereinstimmt, für den das Bestehen einer Familienversicherung überprüft wird, spricht nämlich bereits, dass eine steuerliche Veranlagung nur im Nachhinein, also für abgelaufene Zeiträume erfolgt. Es kommen hinzu die dem Steuerpflichtigen eingeräumten Antragsfristen und die Bearbeitungsdauer der Finanzverwaltung. Feststellungen über das Einkommen trifft die Finanzverwaltung nur im Nachhinein. Entscheidungen über das Fortbestehen einer Versicherung sind aber grundsätzlich vorausschauend für die Zukunft und nicht rückwirkend für einen bereits vergangenen Zeitraum zu treffen (BSG, Urt. v. 7. Dezember 2000 – B 10 KR 3/99 R – juris Rdnr. 29/30). In diesem Zusammenhang kann ein für einen abgelaufenen Veranlagungszeitraum erstellter Steuerbescheid zwar nicht als Beleg für die aktuellen Verhältnisse, immerhin aber als Grundlage für eine zukunftsgerichtete Prognose dienen. Damit erhalten die Krankenkassen eine tragfähige Grundlage für die von Ihnen anzustellenden Berechnungen. Die Versicherten werden durch die entstehenden Ungenauigkeiten nicht übermäßig belastet, weil die Abweichungen zwischen den Prognosen und der tatsächlichen Entwicklung sich jedenfalls auf lange Sicht ausgleichen (Urteil des Senats vom 31. Januar 2014, a.a.O. Rdnr. 17)

Hier hat die Klägerin von der zeitlich verzögerten Zugrundelegung des jeweils aktuellen Einkommenssteuerbescheides bereits einmal profitiert gehabt. Die Familienversicherung der Beigeladenen war (erst) zum 31. Januar 2010 beendet worden, obwohl der Einkommenssteuerbescheid 2008 des Ehemannes bereits Einkommen oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze im Jahr 2008 aufwies.

Kehrseite ist indessen, dass dann in dem hier streitgegenständlichen Zeitraum von einer Überschreitung der Einkommensgrenzen ohne Rücksicht auf die tatsächliche Höhe des Einkommens ausgegangen wird. Die Richtigkeit einer Prognoseentscheidung begründet sich aber aus den zum Zeitpunkt der Prognose vorhandenen Entscheidungsgrundlagen, nicht auf möglicherweise unvorhersehbare spätere Entwicklungen. Entsprechend sind Steuerbescheide nicht nach ihrem jeweiligen Veranlagungszeitraum, sondern jeweils ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses für die Zukunft zu berücksichtigen, bis ein neuerer Steuerbescheid vorliegt (vgl. dazu BSG, Urt. v. 6. November 2008 – B 1 KR 28/07 R - juris Rdnr 16-18 [betr. die Berechnung von Krankengeld]; Urt. v. 2. September 2009 – B 12 KR 21/08 R – juris Rdnr. 16 [betr. die Berechnung von Beiträgen für Selbständige]).

Ob und mit welchen Nachweisen ausnahmsweise ein Gewinneinbruch durch andere Nachweise belegt werden kann, braucht hier nicht entschieden zu werden. Es sind weder entsprechende Vorauszahlungsbescheide (vgl. § 6 Abs. 3a der Einheitlichen Grundsätze zur Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung und weiterer Mitgliedergruppen sowie zur Zahlung und Fälligkeit der von Mitgliedern selbst zu entrichtenden Beiträge - vom 27. Oktober 2008, zuletzt geändert am 10. Dezember 2014 =Beitragsverfahrensgrundsätze Selbstzahler) eingereicht worden, noch kann von einem unzumutbaren Situation angesichts von Einnahmen des Ehemannes im Jahr 2011 von immer noch umgerechnet monatlich 3.970,42 Euro nicht ausgegangen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, da bislang keine Rechtsprechung des BSG zu der Frage vorliegt, ob zur Überprüfung des Einkommens im Rahmen der Familienversicherung auf den jeweils vorliegenden aktuellsten Steuerbescheid der vergangenen Jahre zurückgegriffen werden darf.
Rechtskraft
Aus
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