Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
18
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 120 AL 3819/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 18 AL 256/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2014 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Die Beklagte bewilligte dem Kläger unter Berücksichtigung einer Sperrzeit vom 1. bis 7. Oktober 2008 für 223 Tage Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von (iHv) 44,35 EUR täglich. Nachdem der Kläger die Gewährung eines Gründungszuschusses (Gz) für eine selbständige Tätigkeit im "Online Versandhandel für Heimtextilien" beantragt hatte, bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 10. März 2009 für die Zeit vom 9. Februar 2009 bis 8. November 2009 einen Gz iHv monatlich 1.630,50 EUR. Zum 1. August 2009 nahm der Kläger eine abhängige Vollzeitbeschäftigung bei der B V GmbH (BVG) zu einem jeweils am Monatsende gezahlten Bruttomonatsgehalt von 3.265,- EUR (vgl. Arbeitsvertrag vom 11. Juni 2009) auf, ohne dies der Beklagten anzuzeigen. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 30. Juni 2010 von der BVG gekündigt. Der Kläger beantragte im Dezember 2010 erneut die Gewährung von Alg und legte im März 2010 eine die Beschäftigung bei der BVG betreffende Arbeitsbescheinigung vor. Mit Schreiben vom 12. April 2011 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu der wegen der Arbeitsaufnahme ab 1. August 2009 beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung des Gz für die Zeit vom 1. August 2009 bis 8. November 2009 und Rückforderung des überzahlten Betrages iHv 5.326,30 EUR. Der Kläger äußerte sich nicht, meldete jedoch zum 30. April 2011 seine selbständige Tätigkeit beim Finanzamt ab. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. Juni 2011 hob der Beklagte unter Rückforderung des Betrages iHv 5.326,30 EUR die Bewilligung des Gz für die Zeit vom 1. August 2009 bis 8. November 2009 auf und führte aus, der Kläger habe seine hauptberufliche selbständige Tätigkeit zum 1. August 2009 beendet. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, die abhängige Beschäftigung bei der BVG habe seine bis weit in das Jahr 2010 fortgeführte selbständige Tätigkeit nicht beeinträchtigt. Die Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf die §§ 48, 50 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2011 zurück. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 2. September 2014 den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2011 aufgehoben. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei begründet. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig, da jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit iSv § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 4 SGB X vorgelegen habe. Es bestünden bereits Zweifel, ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X vorgelegen habe. Nach § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) in der bis 27. Dezember 2011 geltenden Fassung (aF) bestehe ein Anspruch auf Gz, wenn durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendet werde. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 57 Abs. 2 SGB III aF seien nicht erheblich, da es sich um Voraussetzungen handle, die (nur) zu Beginn der Gz-Gewährung erfüllt sein müssten und auch erfüllt gewesen seien. Das Gericht habe sich nicht davon überzeugen könne, dass die zunächst ausschließlich und hauptberuflich aufgenommene selbständige Tätigkeit mit der Aufnahme der Beschäftigung zum 1. August 2009 in den "Hintergrund" getreten sei. Eine abschließende Positionierung zur Frage einer wesentlichen Änderung iSd § 48 SGB X sei jedoch nicht erforderlich, weil dem Kläger jedenfalls nicht grobe Fahrlässigkeit iSv § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 4 SGB X vorzuhalten sei. Der Kläger sei weder eindeutig darauf hingewiesen worden, unter welchen Bedingungen bei Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung ergänzend zum weiteren Betreiben der selbständigen Tätigkeit der Anspruch auf Gz wegfalle oder ggf. ruhe. Der Kläger habe weder davon ausgehen müssen, dass er die Aufnahme der Beschäftigung habe anzeigen müssen noch dass er mit der Aufnahme der Beschäftigung seinen Anspruch auf den Gz verlieren würde.
Mit ihrer Berufung trägt die Beklagte vor: Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger als alleinerziehender Vater trotz der abhängigen Beschäftigung mit 39 Stunden wöchentlich weiterhin hauptberuflich die geförderte Selbständigkeit mit mindestens 40 Wochenstunden ausgeübt habe. Er habe seine Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X verletzt und damit die Überzahlung verursacht, sodass iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III die Bewilligungsentscheidung ab 1. August 2009 aufzuheben gewesen wäre.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor, er habe unermüdlich tag und nachts am Aufbau seiner selbständigen Existenz gearbeitet. Zeitlicher Schwerpunkt seiner Berufstätigkeit sei nach wie vor die selbständige Tätigkeit gewesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die den Kläger betreffenden Steuerakten des Finanzamtes Prenzlauer Berg (4 Hefter) haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Der Senat hat durch den Berichterstatter am 20. Juli 2016 einen Erörterungstermin durchgeführt, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2011 zu Unrecht aufgehoben. Die Klage gegen diesen Bescheid ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Beklagte hat die Bewilligung des Gz für den Kläger für die Zeit ab 1. August 2011 gemäß § 48 SGB X zu Recht ganz aufgehoben.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit u. a. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist dieser Verwaltungsakt nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.
Bei der Bewilligung des Gz ab dem 9. Februar 2009 handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 48 SGB X, da dieser nicht lediglich der einmaligen Gestaltung einer Rechtslage diente, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand von diesem Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründete. In diesem Dauerrechtsverhältnis ist ab dem 1. August 2009 eine wesentliche Änderung eingetreten. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X liegt dann vor, wenn die Behörde unter den nunmehr objektiv gegebenen Verhältnissen den Verwaltungsakt so nicht hätte erlassen dürfen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 19).
Nach § 57 Abs. 1 SGB III aF hatten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gz. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift war indes ein Gz nicht zu leisten, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 142 bis 144 SGB III aF vorlagen oder vorgelegen hätten. Ab 1. August 2009 lag diese negative Tatbestandvoraussetzung für die Bewilligung eines Gz nicht mehr vor, sodass ein Gz nicht mehr hätte bewilligt werden dürfen (wesentliche Änderung). Denn nach § 143 Abs. 1 iVm § 57 Abs. 3 SGB III aF ruhte ein Anspruch auf Gz während der Zeit, für die der Betroffene Arbeitsentgelt erhielt oder zu beanspruchen hatte. Aufgrund § 3 des Arbeitsvertrages mit der BVG vom 11. Juni 2009 hatte der Kläger mit Beginn seiner Arbeitsaufnahme am 1. August 2009 Anspruch auf ein - den monatlichen Gz iHv 1.330,50 EUR bei weitem übersteigendes Gehalt iHv 3.265,- brutto und er hatte die entsprechenden Bezüge auch erhalten. Im Hinblick auf das bestehende Verbot einer Leistung des Gz wegen Ruhens dieses Anspruchs waren die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Gz-Bewilligung nach § 48 Abs. 1 SGB X erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, ob - was sich im Übrigen allerdings entgegen der Auffassung des SG geradezu aufdrängt - die für die Bewilligung des Gz nach § 57 Abs. 1 SGB III aF weiterhin erforderliche Voraussetzung der hauptberuflichen Tätigkeit ebenfalls weggefallen und eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers festzustellen war. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist vorliegend zwar nicht unmittelbar anwendbar, denn diese Vorschrift führt - anders als § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X - neben dem Wegfall nicht auch das - hier gegebene - Ruhen eines Anspruchs als einen Tatbestand für eine rückwirkende Aufhebung auf. Jedoch ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22 Rn. 19), der sich der Senat anschließt, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X entsprechend auch auf Einnahmen anzuwenden, die zum Ruhen des Anspruchs geführt haben würden (ebenso: Schütze, in: von Wulffen/ders., SGB X, 8. Aufl. § 48 Rn. 25).
Da die Beklagte ihre Bewilligungsentscheidung über die Gewährung des Gz nach § 4 48 SGB X iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III für den hier streitigen Zeitraum aufheben musste, hat der Kläger nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Beklagten den insoweit gezahlten Gz zu erstatten. Berechnungsfehler sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind im gesamten Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen
Tatbestand:
Die Beklagte bewilligte dem Kläger unter Berücksichtigung einer Sperrzeit vom 1. bis 7. Oktober 2008 für 223 Tage Arbeitslosengeld (Alg) in Höhe von (iHv) 44,35 EUR täglich. Nachdem der Kläger die Gewährung eines Gründungszuschusses (Gz) für eine selbständige Tätigkeit im "Online Versandhandel für Heimtextilien" beantragt hatte, bewilligte die Beklagte ihm mit Bescheid vom 10. März 2009 für die Zeit vom 9. Februar 2009 bis 8. November 2009 einen Gz iHv monatlich 1.630,50 EUR. Zum 1. August 2009 nahm der Kläger eine abhängige Vollzeitbeschäftigung bei der B V GmbH (BVG) zu einem jeweils am Monatsende gezahlten Bruttomonatsgehalt von 3.265,- EUR (vgl. Arbeitsvertrag vom 11. Juni 2009) auf, ohne dies der Beklagten anzuzeigen. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 30. Juni 2010 von der BVG gekündigt. Der Kläger beantragte im Dezember 2010 erneut die Gewährung von Alg und legte im März 2010 eine die Beschäftigung bei der BVG betreffende Arbeitsbescheinigung vor. Mit Schreiben vom 12. April 2011 gab die Beklagte dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu der wegen der Arbeitsaufnahme ab 1. August 2009 beabsichtigten Aufhebung der Bewilligung des Gz für die Zeit vom 1. August 2009 bis 8. November 2009 und Rückforderung des überzahlten Betrages iHv 5.326,30 EUR. Der Kläger äußerte sich nicht, meldete jedoch zum 30. April 2011 seine selbständige Tätigkeit beim Finanzamt ab. Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 17. Juni 2011 hob der Beklagte unter Rückforderung des Betrages iHv 5.326,30 EUR die Bewilligung des Gz für die Zeit vom 1. August 2009 bis 8. November 2009 auf und führte aus, der Kläger habe seine hauptberufliche selbständige Tätigkeit zum 1. August 2009 beendet. Im Widerspruchsverfahren trug der Kläger vor, die abhängige Beschäftigung bei der BVG habe seine bis weit in das Jahr 2010 fortgeführte selbständige Tätigkeit nicht beeinträchtigt. Die Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf die §§ 48, 50 Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) mit Widerspruchsbescheid vom 9. November 2011 zurück. Das Sozialgericht (SG) Berlin hat mit Urteil vom 2. September 2014 den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2011 aufgehoben. Zur Begründung ist ausgeführt: Die zulässige Klage sei begründet. Der angegriffene Bescheid sei rechtswidrig, da jedenfalls keine grobe Fahrlässigkeit iSv § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 4 SGB X vorgelegen habe. Es bestünden bereits Zweifel, ob eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 SGB X vorgelegen habe. Nach § 57 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - (SGB III) in der bis 27. Dezember 2011 geltenden Fassung (aF) bestehe ein Anspruch auf Gz, wenn durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beendet werde. Die weiteren Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 57 Abs. 2 SGB III aF seien nicht erheblich, da es sich um Voraussetzungen handle, die (nur) zu Beginn der Gz-Gewährung erfüllt sein müssten und auch erfüllt gewesen seien. Das Gericht habe sich nicht davon überzeugen könne, dass die zunächst ausschließlich und hauptberuflich aufgenommene selbständige Tätigkeit mit der Aufnahme der Beschäftigung zum 1. August 2009 in den "Hintergrund" getreten sei. Eine abschließende Positionierung zur Frage einer wesentlichen Änderung iSd § 48 SGB X sei jedoch nicht erforderlich, weil dem Kläger jedenfalls nicht grobe Fahrlässigkeit iSv § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 bzw. Nr. 4 SGB X vorzuhalten sei. Der Kläger sei weder eindeutig darauf hingewiesen worden, unter welchen Bedingungen bei Aufnahme einer abhängigen Beschäftigung ergänzend zum weiteren Betreiben der selbständigen Tätigkeit der Anspruch auf Gz wegfalle oder ggf. ruhe. Der Kläger habe weder davon ausgehen müssen, dass er die Aufnahme der Beschäftigung habe anzeigen müssen noch dass er mit der Aufnahme der Beschäftigung seinen Anspruch auf den Gz verlieren würde.
Mit ihrer Berufung trägt die Beklagte vor: Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger als alleinerziehender Vater trotz der abhängigen Beschäftigung mit 39 Stunden wöchentlich weiterhin hauptberuflich die geförderte Selbständigkeit mit mindestens 40 Wochenstunden ausgeübt habe. Er habe seine Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X verletzt und damit die Überzahlung verursacht, sodass iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III die Bewilligungsentscheidung ab 1. August 2009 aufzuheben gewesen wäre.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 2. September 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angegriffene Urteil und trägt ergänzend vor, er habe unermüdlich tag und nachts am Aufbau seiner selbständigen Existenz gearbeitet. Zeitlicher Schwerpunkt seiner Berufstätigkeit sei nach wie vor die selbständige Tätigkeit gewesen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf deren vorbereitende Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Gerichtsakte, die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die den Kläger betreffenden Steuerakten des Finanzamtes Prenzlauer Berg (4 Hefter) haben vorgelegen und sind, soweit erforderlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Der Senat hat durch den Berichterstatter am 20. Juli 2016 einen Erörterungstermin durchgeführt, auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das SG hat den Bescheid der Beklagten vom 17. Juni 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. November 2011 zu Unrecht aufgehoben. Die Klage gegen diesen Bescheid ist zulässig, jedoch unbegründet.
Die Beklagte hat die Bewilligung des Gz für den Kläger für die Zeit ab 1. August 2011 gemäß § 48 SGB X zu Recht ganz aufgehoben.
Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit u. a. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X). Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist dieser Verwaltungsakt nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III mit Wirkung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben.
Bei der Bewilligung des Gz ab dem 9. Februar 2009 handelte es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung gemäß § 48 SGB X, da dieser nicht lediglich der einmaligen Gestaltung einer Rechtslage diente, sondern ein auf Dauer berechnetes und in seinem Bestand von diesem Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründete. In diesem Dauerrechtsverhältnis ist ab dem 1. August 2009 eine wesentliche Änderung eingetreten. Eine wesentliche Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 SGB X liegt dann vor, wenn die Behörde unter den nunmehr objektiv gegebenen Verhältnissen den Verwaltungsakt so nicht hätte erlassen dürfen (vgl. BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 19).
Nach § 57 Abs. 1 SGB III aF hatten Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Anspruch auf einen Gz. Nach Abs. 3 dieser Vorschrift war indes ein Gz nicht zu leisten, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 142 bis 144 SGB III aF vorlagen oder vorgelegen hätten. Ab 1. August 2009 lag diese negative Tatbestandvoraussetzung für die Bewilligung eines Gz nicht mehr vor, sodass ein Gz nicht mehr hätte bewilligt werden dürfen (wesentliche Änderung). Denn nach § 143 Abs. 1 iVm § 57 Abs. 3 SGB III aF ruhte ein Anspruch auf Gz während der Zeit, für die der Betroffene Arbeitsentgelt erhielt oder zu beanspruchen hatte. Aufgrund § 3 des Arbeitsvertrages mit der BVG vom 11. Juni 2009 hatte der Kläger mit Beginn seiner Arbeitsaufnahme am 1. August 2009 Anspruch auf ein - den monatlichen Gz iHv 1.330,50 EUR bei weitem übersteigendes Gehalt iHv 3.265,- brutto und er hatte die entsprechenden Bezüge auch erhalten. Im Hinblick auf das bestehende Verbot einer Leistung des Gz wegen Ruhens dieses Anspruchs waren die Voraussetzungen für eine rückwirkende Aufhebung der Gz-Bewilligung nach § 48 Abs. 1 SGB X erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, ob - was sich im Übrigen allerdings entgegen der Auffassung des SG geradezu aufdrängt - die für die Bewilligung des Gz nach § 57 Abs. 1 SGB III aF weiterhin erforderliche Voraussetzung der hauptberuflichen Tätigkeit ebenfalls weggefallen und eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers festzustellen war. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X ist vorliegend zwar nicht unmittelbar anwendbar, denn diese Vorschrift führt - anders als § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X - neben dem Wegfall nicht auch das - hier gegebene - Ruhen eines Anspruchs als einen Tatbestand für eine rückwirkende Aufhebung auf. Jedoch ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG SozR 1300 § 48 Nr. 22 Rn. 19), der sich der Senat anschließt, § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X entsprechend auch auf Einnahmen anzuwenden, die zum Ruhen des Anspruchs geführt haben würden (ebenso: Schütze, in: von Wulffen/ders., SGB X, 8. Aufl. § 48 Rn. 25).
Da die Beklagte ihre Bewilligungsentscheidung über die Gewährung des Gz nach § 4 48 SGB X iVm § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III für den hier streitigen Zeitraum aufheben musste, hat der Kläger nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X der Beklagten den insoweit gezahlten Gz zu erstatten. Berechnungsfehler sind nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
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